Leo Perutz: Der schwedische Reiter

Über den Roman “Der schwedische Reiter” von Leo Perutz.

Ausnahmsweise schreibe ich eine Buchbesprechung. Mir ist danach. Also los:

Zwei Männer scheinen am Ende zu sein, noch bevor die Geschichte beginnt. Ihre Lebenswege und alle Ziele, Anstrengungen, Schicksalsschläge und Zufälle darin sind miteinander verknüpft. Wenn die Geschichte tatsächlich endet, steht da eine rührende Szene, die von Liebe und Schicksal durchströmt ist.

Wie soll man Der schwedische Reiter einordnen? Man kann sagen, es handele sich um einen historischen Roman, der am Anfang des 18. Jahrhunderts in Schlesien spielt. Allerdings ist es auch ein Abenteuer- und Liebesroman, ein Kunstmärchen, ein Werk des Magischen Realismus und modern durch die Thematisierung von Flucht, Verfolgung, Leid und Lebenswillen.

Dies ist meine erste Buchbesprechung und deshalb werde ich doch lieber persönlicher im Ton und in der Gestaltung. Es gibt zwei Dinge im Buch, die anstrengend sind. Leo Perutz schrieb einmal, dass er in historischen Romane zu schreiben versuche, wie seine Großmutter erzählte. Die Sprache passt, soweit ich das sagen kann, zur Zeit, in der die Geschichte spielt. Trotz schönem Satzrhythmus kann das stören oder braucht wenigstens Gewöhnung. Die andere Sache ist, dass die beiden weiblichen Figuren naiv, unselbständig und auch mal rachsüchtig sind. Sie sind da, um hübsch zu sein und zu dienen, die eine etwas wilder, die andere brav. Eine Ursache dafür liegt wohl in Perutz’ Entscheidung, sämtliche Figuren typisiert zu konzipieren, sodass sie erst durch die schicksalhafte Verquickung der Handlung und durch die Fantasie der Leser*innen mit Charakter erfüllt werden müssen. Dies funktioniert im Falle der männlichen Figuren besser, da sie mehr Handlung und mehr Sprechanteil haben. Aber mit einer modernen Sichtweise ein Werk zu attackieren, das 1936 erschien und im frühen 18. Jahrhundert spielt, ist müßig. Es fällt allerdings auf.

Also zur Schönheit des Werkes! Der Aufbau vom Ende der Geschichte zum Anfang und wieder zum Ende, die Verknüpfung der einzelnen wichtigen Wegpunkte, die schließlich eine großartige Auflösung erlauben, ist unschlagbar. Dieser Aspekt erinnert mich an die besten Filme von Guy Ritchie. Allerdings scheint Perutz’ Auflösung mehr von Leidenschaft getragen denn von Humor. Dies ist einer der Momente, in denen ich am liebsten spoilern würde. Ich liebe die Auflösung und den Aufbau dieses Romans.

In der Zwischenzeit, zwischen Aufwerfen des Rätsels und Erklärung, gibt es eine abenteuerliche Geschichte um Landstreicher, Räuber, Diebe, Soldaten und Liebe. Man fühlt sich hier und da an Till Eulenspiegel erinnert. Folgende mögliche Verbindung fiel mir beim Lesen auf: Das Buch erinnert mich an Till Eulenspiegel – Daniel Kehlmann hat mit Tyll einen Roman mit dieser Figur im Zentrum geschrieben – ich selbst kenne Leo Perutz aus Essays von Kehlmann – dachte Kehlmann dank Perutz an Eulenspiegel? Doch zurück zum Buch: Dieser Anteil des Buches ist spannend und unterhaltsam.

Hineingemixt wird nun auch noch eine Menge Aberglaube und Religion. Ein (möglicherweise?) toter Müller, Zaubersprüche, die eventuell wirken, ein göttliches Gericht, das aber keine der gängigen Sünden bestraft. Dies ist der magisch-realistische Anteil, die Verflechtung von Realität und Glauben, Aberglauben, Spiritualität zu einer neuen Wirklichkeit. Doch Perutz treibt Spielchen und weicht den Kern dieses Konstruktes auf. Christliche Moral ist nicht die Moral des Buches, sondern bloß eine Ansicht, die vertreten wird – und das nicht von den Mitgliedern der Kirche. Als Leser*innen sind wir in der moralischen Interpretation des Werkes auf uns gestellt. Uns bleibt nur die ästhetische Konstruktion, um uns entlangzuhangeln. Sie gilt es zu bewundern. Was das Leben wirklich bedeutet oder ob es etwas bedeutet, müssen wir nicht verstehen, können es vielleicht auch niemals.

Für Fans von Details sollte ich noch darauf hinweisen, dass Perutz, soweit ich das erkennen konnte, Kapiteleinteilung, Jahreszahlen etc. an in der christlichen Numerologie wichtigen Zahlen angepasst hat.

Am Ende einer Buchbesprechung sollten wohl eine Empfehlung oder Bewertung folgen. Ich gebe keine Punkte oder Sterne. Die Wahrheit ist, ich kann nicht einschätzen, ob heutigen Leser*innen Der schwedische Reiter zusagen wird. Aber im Grunde handelt es sich um einen Fantasyroman und sowas mögt ihr doch, oder?

Autor: Matthias Thurau

Autor, 1985 geboren, aus Dortmund. Schreibt Romane, Erzählungen, Lyrik. Rezensent beim Buchensemble, Mitglied von Nikas Erben.

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