Hinweis: Der Meister des Jüngsten Tages

Für das Buchensemble habe ich eine Rezension des Romans Der Meister des Jüngsten Tages von Leo Perutz geschrieben. Was mich daran faszinierte und was nicht, kann man hier lesen:

Ehrensache: Der Meister des Jüngsten Tages

Jahresrückblick III: Literatur I (Die Bücher der anderen)

Literarischer Jahresrückblick 2019: Meine gelesenen Bücher.

Das Jahr 2019 hat für mich viele Veränderungen mit sich gebracht und viel Arbeit. Daher konnte ich leider weniger lesen, als ich wollte. Dennoch habe ich es geschafft, die Zeit zu finden, um einige Bücher, darunter viele Comics und Graphic Novels, zu lesen. Einige, die einen Eindruck hinterlassen haben, möchte ich hier vorstellen.

Fangen wir an mit Blast von Manu Larcenet. Es gibt insgesamt 4 Bände der Graphic Novel, aber ich habe bisher nur Band 1 und 2 gelesen. Beide sind fantastisch. Der Zeichenstil gefällt mir gut, die Erzählweise ebenfalls und einige Bilder sind einfach Kunstwerke. Die Geschichte um den übergewichtigen Protagonisten, der nach dem Tod seines Vaters ein Leben außerhalb der Gesellschaft sucht und ständig den nächsten Rausch jagt, hat mich berührt, gefesselt und mitgenommen. Die Rahmenhandlung ist ein Verhör bei der Polizei wegen einer schweren Körperverletzung. Ich bin gespannt, wie es weitergeht und kann jetzt schon die Hälfte der Reihe wärmstens empfehlen.

Im Laufe des Jahres habe ich immer mal wieder im Gedichtband Rauchsignale von Hermann Burger gelesen. Wie immer bei Burger sind die Texte sprachlich auf allerhöchsten Niveau. Ab und an wirken sie dadurch trocken, obwohl durchgängig zu spüren ist, dass Emotionen das Grundfundament seiner Lyrik bilden. Nichts für kurzes Lesevergnügen, aber wer gerne nachdenkt und interpretiert, kommt auf seine Kosten.

Ganz anders ist da The Wake von Scott Snyder und Sean Murphy. Dieses Comic erzählt die Geschichte einer alternativen Evolution auf der Erde mit tollen Bildern und viel Spannung. Ich war einen Nachmittag lang gefesselt und extrem gut unterhalten.

Ebenfalls ein Comic, aber in einer anderen Stimmung, ist Fell von Warren Ellis und Ben Templesmith. Fell folgt einem interessanten Konzept. Warren Ellis war sich bewusst, dass es Comic-Fans gibt, die kein Geld haben, um sich ständig neue Ausgaben zu kaufen. Daher wollte er ein Comic entwickeln, das kurz, sehr günstig und unabhängig ist von großen Story-Bögen, wie sie bei den Großen wie Marvel und DC üblich sind. Das Ergebnis waren die Fell-Comics. Jedes einzelne Heftchen kann gelesen werden, ohne dass man die anderen kennen oder haben muss, und jedes Heft war ursprünglich geradezu billig in Relation. Es geht um einen Detective, der in einer völlig heruntergekommenen Stadt schreckliche Fälle aufklären muss. Der Zeichenstil ist großartig und die Storys nehmen die Leserschaft gefangen. Ich wünschte, es gäbe mehr davon.

Weiter geht es mit einem Klassiker unter den Comics: The Swamp Thing Saga (Book One) von Alan Moore. Schleichender Horror mit einer Existenzkrise von Plot Twist, dazu Action, durchdachte Gestaltung und ein Zeichenstil, der eben in die damalige Zeit gehört. Ich habe es sehr gern gelesen und plane, 2020 Buch Zwei endlich ebenfalls zu lesen.

Nachdem mir dieses Swamp Thing so gut gefallen hatte, testete ich den Swamp Thing-Run von Scott Snyder. Snyder war mir zuerst im Batman-Run (New52) begegnet und hatte mich überzeugt. Swamp Thing allerdings gefiel mir weniger von ihm, da es ein wenig zu eklig und zu offenkundig horrorlastig war für meinen Geschmack. Ich war zwar gut unterhalten, aber hatte mehr erwartet.

Von Daniel Kehlmann und Tyll hatte ebenfalls viel erwartet, aber wurde nicht enttäuscht. Ich mag seinen Stil einfach und die kleinen erzählerischen Experimente, die er wagt. Was ich fast noch mehr mag, sind seine Sterbeszenen. Es steckt so viel Ruhe darin. Nach einem langen Kampf darf sich die Figur endlich ausruhen. Neben der guten Unterhaltung lernt man noch etwas über den Dreißigjährigen Krieg und (wenn man will und aufmerksam ist) über Erzähltechniken.

Ich kann mich nicht entscheiden, ob mir Mein Name sei Gantenbein von Max Frisch gefallen hat oder nicht. Eigentlich beides. Die Grundidee mag ich und das Bild der Person, die sich blind stellt, um die Menschen wirklich sehen zu können, ist auch super. Aber gleichzeitig fand ich das Buch anstrengend zu lesen. Möglicherweise war das falsche Buch für die Zeit.

Dann folgte meine kurze Da Vinci-Phase, zuerst mit Sigmund Freud und Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci und schließlich mit einer Ausgabe sämtlicher Gemälde und Zeichnungen. Freud gibt sein bestes, um aus einer winzigen Bemerkung Da Vincis eine komplette Analyse abzuleiten, in der es sich natürlich um dessen Mutter und seinen Penis dreht. Die Gedankengänge sind durchaus interessant, aber aus heutiger Sicht auch unfreiwillig komisch. Warum ich sowas lese? Es stand im Regal und im Vorbeilaufen wollte es mitgenommen werden.

Über Leo Perutz und Der schwedische Reiter habe ich einen eigenen Artikel verfasst: Leo Perutz: Der schwedische Reiter.

Über Kakuzo Okakura und Das Buch vom Tee nicht, obwohl ich es zunächst vorhatte. Es scheiterte daran, dass ich mich nicht in der Lage sah, wiederzugeben, was der Kern des Buches ist. Das Buch vom Tee ist knapp gehalten und steckt voller Informationen über die japanische Teezeremonie, ihre Entwicklung und Bedeutung sowie den sozialen, religiösen und philosophischen Hintergrund. Es ist hochinteressant und nicht nur für alle empfehlenswert, die sich für Japan interessieren.

Okakuras Werk erinnerte mich an Cees Nooteboom, dessen Buch Rituale ebenfalls eine Teezeremonie in einer Szene beinhaltet und das mir damals ausgesprochen gut gefiel. Diesmal hatte ich es mit Paradies verloren versucht. Wieder war ich begeistert. Nooteboom erzählt poetisch von der Reise seiner Protagonistin nach Australien, nachdem sie in ihrer Heimat angegriffen wird. Sie sucht Heilung in der Welt der Aborigines. Später springt der Erzähler zu einem anderen Protagonisten und die beiden Geschichten treffen sich. Zur Geschichte gehören auch einige Zeilen zu Nootebooms Arbeitsweise, seiner Ideenfindung und seinem Umgang mit Figuren, die er gehen lassen muss. Ein gutes, dünnes Buch, das viel beeinhaltet.

Zum Abschluss noch eine Graphic Novel: Fight Club 2 von Chuck Palahniuk. Ja, es gibt eine Fortsetzung und ja, es ist eine Graphic Novel. Tyler ist zurück und versucht, die Weltherrschaft an sich zu reißen oder so. Ich muss zugeben, ich war am Ende massiv verwirrt und musste eine ganze Weile nachdenken, bis ich damit klarkam. Fight Club war damals als Manuskript kaum unterzubringen und nur durch die Mühen des Lektors gab es eine kleine Mitleidsauflage, die sich nicht gut verkaufte. Dann kam die Verfilmung und sie floppte in den Kinos völlig. Aber außerhalb der Kinos feierte der Film Erfolge und wurde schnell zum absoluten Kult. Hier ungefähr setzt Palahniuk an. Seine Figur Tyler Durden hat es geschafft, nicht nur seine Geschichte zu überleben, indem er tausende Witze, Sprüche, Clubs und Ideen angeregt hat (The first rule of XY-Club is …), sondern auch seine Leser noch zu überleben, da er als Romanfigur geboren wurde, aber kaum jemand ihn als solche kennenlernte. Tyler Durden ist zu einer Idee verkommen, die Palahniuk nicht unbedingt mag, denn der Einfluss seiner Figur reicht offenbar bis in neofaschistische Zirkel, die die Botschaft des Buches/des Films missverstanden haben. Ganz kriege ich es immer noch nicht auf die Reihe, aber hey, Palahniuk hat sich wieder mit einer Geschichte in meinem Kopf eingenistet, wie er es damals mit dem ersten Teil von Fight Club auch geschafft hatte. In Tyler we trusted.

Leo Perutz: Der schwedische Reiter

Über den Roman “Der schwedische Reiter” von Leo Perutz.

Ausnahmsweise schreibe ich eine Buchbesprechung. Mir ist danach. Also los:

Zwei Männer scheinen am Ende zu sein, noch bevor die Geschichte beginnt. Ihre Lebenswege und alle Ziele, Anstrengungen, Schicksalsschläge und Zufälle darin sind miteinander verknüpft. Wenn die Geschichte tatsächlich endet, steht da eine rührende Szene, die von Liebe und Schicksal durchströmt ist.

Wie soll man Der schwedische Reiter einordnen? Man kann sagen, es handele sich um einen historischen Roman, der am Anfang des 18. Jahrhunderts in Schlesien spielt. Allerdings ist es auch ein Abenteuer- und Liebesroman, ein Kunstmärchen, ein Werk des Magischen Realismus und modern durch die Thematisierung von Flucht, Verfolgung, Leid und Lebenswillen.

Dies ist meine erste Buchbesprechung und deshalb werde ich doch lieber persönlicher im Ton und in der Gestaltung. Es gibt zwei Dinge im Buch, die anstrengend sind. Leo Perutz schrieb einmal, dass er in historischen Romane zu schreiben versuche, wie seine Großmutter erzählte. Die Sprache passt, soweit ich das sagen kann, zur Zeit, in der die Geschichte spielt. Trotz schönem Satzrhythmus kann das stören oder braucht wenigstens Gewöhnung. Die andere Sache ist, dass die beiden weiblichen Figuren naiv, unselbständig und auch mal rachsüchtig sind. Sie sind da, um hübsch zu sein und zu dienen, die eine etwas wilder, die andere brav. Eine Ursache dafür liegt wohl in Perutz’ Entscheidung, sämtliche Figuren typisiert zu konzipieren, sodass sie erst durch die schicksalhafte Verquickung der Handlung und durch die Fantasie der Leser*innen mit Charakter erfüllt werden müssen. Dies funktioniert im Falle der männlichen Figuren besser, da sie mehr Handlung und mehr Sprechanteil haben. Aber mit einer modernen Sichtweise ein Werk zu attackieren, das 1936 erschien und im frühen 18. Jahrhundert spielt, ist müßig. Es fällt allerdings auf.

Also zur Schönheit des Werkes! Der Aufbau vom Ende der Geschichte zum Anfang und wieder zum Ende, die Verknüpfung der einzelnen wichtigen Wegpunkte, die schließlich eine großartige Auflösung erlauben, ist unschlagbar. Dieser Aspekt erinnert mich an die besten Filme von Guy Ritchie. Allerdings scheint Perutz’ Auflösung mehr von Leidenschaft getragen denn von Humor. Dies ist einer der Momente, in denen ich am liebsten spoilern würde. Ich liebe die Auflösung und den Aufbau dieses Romans.

In der Zwischenzeit, zwischen Aufwerfen des Rätsels und Erklärung, gibt es eine abenteuerliche Geschichte um Landstreicher, Räuber, Diebe, Soldaten und Liebe. Man fühlt sich hier und da an Till Eulenspiegel erinnert. Folgende mögliche Verbindung fiel mir beim Lesen auf: Das Buch erinnert mich an Till Eulenspiegel – Daniel Kehlmann hat mit Tyll einen Roman mit dieser Figur im Zentrum geschrieben – ich selbst kenne Leo Perutz aus Essays von Kehlmann – dachte Kehlmann dank Perutz an Eulenspiegel? Doch zurück zum Buch: Dieser Anteil des Buches ist spannend und unterhaltsam.

Hineingemixt wird nun auch noch eine Menge Aberglaube und Religion. Ein (möglicherweise?) toter Müller, Zaubersprüche, die eventuell wirken, ein göttliches Gericht, das aber keine der gängigen Sünden bestraft. Dies ist der magisch-realistische Anteil, die Verflechtung von Realität und Glauben, Aberglauben, Spiritualität zu einer neuen Wirklichkeit. Doch Perutz treibt Spielchen und weicht den Kern dieses Konstruktes auf. Christliche Moral ist nicht die Moral des Buches, sondern bloß eine Ansicht, die vertreten wird – und das nicht von den Mitgliedern der Kirche. Als Leser*innen sind wir in der moralischen Interpretation des Werkes auf uns gestellt. Uns bleibt nur die ästhetische Konstruktion, um uns entlangzuhangeln. Sie gilt es zu bewundern. Was das Leben wirklich bedeutet oder ob es etwas bedeutet, müssen wir nicht verstehen, können es vielleicht auch niemals.

Für Fans von Details sollte ich noch darauf hinweisen, dass Perutz, soweit ich das erkennen konnte, Kapiteleinteilung, Jahreszahlen etc. an in der christlichen Numerologie wichtigen Zahlen angepasst hat.

Am Ende einer Buchbesprechung sollten wohl eine Empfehlung oder Bewertung folgen. Ich gebe keine Punkte oder Sterne. Die Wahrheit ist, ich kann nicht einschätzen, ob heutigen Leser*innen Der schwedische Reiter zusagen wird. Aber im Grunde handelt es sich um einen Fantasyroman und sowas mögt ihr doch, oder?