Jahresrückblick IV: Literatur II (Meine Bücher)

Jahresrückblick 2019 mit Fokus auf meine literarische Arbeit, Veröffentlichungen, Interviews usw.

Auch wenn 2019 für mich ein extrem spannendes Jahr gewesen ist, müsste der korrekte Titel dieses Eintrags eigentlich „Halbjahresrückblick“ heißen, weil die Wendepunkte und spannendsten Situationen erst Mitte des Jahres angefangen haben.

Beginnen wir also mit dem wichtigsten Punkt des Jahres (und vielleicht meiner gesamten Erwachsenenzeit). Am 27.06.2019 habe ich meinen ersten Roman veröffentlicht. Sorck schlug ein wie eine Bombe. Also bei mir. Emotional. Hunderte Arbeitsstunden und viel Stress kulminierten in einer einzigen Veröffentlichung, die mich ausgesprochen stolz macht. Über den Roman habe ich mehrere Artikel verfasst, falls ihr es tatsächlich verpasst haben solltet.

Aus der Veröffentlichung und meinen Werbebemühungen haben sich interessante Kontakte und Kooperationen ergeben. Ich habe mehrere Interviews gegeben (Bluesiren.de | Autorennetzwerk | BirgitConstant.de), es gab bisher zwei Buchblogrezensionen (Buchensemble | KeJas BlogBuch) und wird übrigens bald weitere geben, mehrere Personen haben sich als Testleser angeboten (und mir auch schon bei anderen Projekten weitergeholfen). Dann machte ich mich auf die Socken und konnte ein paar Deals mit (Buch)Läden an Land ziehen. Wie ich das hinbekommen habe, könnt ihr hier nachlesen: Selfpublishing und Buchläden. Besonders freut mich die Zusammenarbeit mit Landgut, einem Laden für lokale Lebensmittelprodukte und das erste Geschäft, in dem ich den Roman auslegen durfte. Witzigerweise habe ich dort die meisten Bücher verkaufen können von allen Geschäften, in denen es ausliegt. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich Landgut erwähnt habe, als das erste Mal ein Reporter der Ruhrnachrichten zu mir kam. Ich weiß noch, wie furchtbar nervös ich vorher war. Wie das ablief, kann man hier nachlesen: Sorck: Ein Zeitungsartikel.

Durch die neuen Bekanntschaften, hauptsächlich über Twitter, und wegen der Qualität von Sorck wurde ich dann eingeladen, bei Nikas Erben mitzumachen und freue mich sehr, dass in der nächsten Anthologie Geschichten von mir erscheinen werden. Details darf ich leider noch nicht verraten. Für mich war die Einladung ein großer Erfolg.

Im Oktober besuchte ich die Frankfurter Buchmesse und einige meiner Kontakte wurden enger. An allen Tagen lief ich mit Elyseo da Silva herum, hatte viel Spaß, habe einiges gelernt und bin seitdem angefixt vom Flair dieser Messen. Deshalb werde ich auch im März zur Buchmesse nach Leipzig fahren und dort hoffentlich einige Leute wiedersehen und ein paar neue kennenlernen.

Ein weiterer besonders wichtiger Punkt war erreicht, als ich Alte Milch veröffentlicht habe. Der Gedichtband bedeutet für mich viel, weil ich damals mit Lyrik angefangen hatte und immer eine besondere Verbindung zu dieser Textform hatte. Außerdem wollte ich immer beweisen, was ich kann, und das schließt schriftstellerisch nun einmal Romane, Lyrik und kürzere Prosa mit ein. Eine Sammlung mit Kurzgeschichten und Erzählungen wird also garantiert noch folgen.

Die Veröffentlichung des Gedichtbands führte übrigens auch wieder zu einem Zeitungsartikel. Auch Wochen und Monate nach den Artikeln sprechen mich noch Leute darauf an und versprechen mir, mindestens eines der Bücher noch kaufen zu wollen. Es gefällt mir, dass es stetig weitergeht, ich bekannter werde, meine Werke bekannter werden und ich nicht die Motivation verliere, an meinen Werken zu arbeiten und meine Ziele zu verfolgen. Ich bin stolz auf mich.

Ich sollte nicht vergessen, dass es auch mit dem Blog voranging. Es gab wieder mehr Beiträge und auch mehr Besucher. Weiterhin habe ich keinen festen Redaktionsplan, sondern arbeite daran, wenn ich Zeit habe und mich die Inspiration packt. Damit fahre ich gut, denke ich. Auch 2020 wird es Beiträge über Literatur, Musik, Kunst, eigene Werke und was auch immer mich sonst noch inspiriert, geben.

Jahresrückblick III: Literatur I (Die Bücher der anderen)

Literarischer Jahresrückblick 2019: Meine gelesenen Bücher.

Das Jahr 2019 hat für mich viele Veränderungen mit sich gebracht und viel Arbeit. Daher konnte ich leider weniger lesen, als ich wollte. Dennoch habe ich es geschafft, die Zeit zu finden, um einige Bücher, darunter viele Comics und Graphic Novels, zu lesen. Einige, die einen Eindruck hinterlassen haben, möchte ich hier vorstellen.

Fangen wir an mit Blast von Manu Larcenet. Es gibt insgesamt 4 Bände der Graphic Novel, aber ich habe bisher nur Band 1 und 2 gelesen. Beide sind fantastisch. Der Zeichenstil gefällt mir gut, die Erzählweise ebenfalls und einige Bilder sind einfach Kunstwerke. Die Geschichte um den übergewichtigen Protagonisten, der nach dem Tod seines Vaters ein Leben außerhalb der Gesellschaft sucht und ständig den nächsten Rausch jagt, hat mich berührt, gefesselt und mitgenommen. Die Rahmenhandlung ist ein Verhör bei der Polizei wegen einer schweren Körperverletzung. Ich bin gespannt, wie es weitergeht und kann jetzt schon die Hälfte der Reihe wärmstens empfehlen.

Im Laufe des Jahres habe ich immer mal wieder im Gedichtband Rauchsignale von Hermann Burger gelesen. Wie immer bei Burger sind die Texte sprachlich auf allerhöchsten Niveau. Ab und an wirken sie dadurch trocken, obwohl durchgängig zu spüren ist, dass Emotionen das Grundfundament seiner Lyrik bilden. Nichts für kurzes Lesevergnügen, aber wer gerne nachdenkt und interpretiert, kommt auf seine Kosten.

Ganz anders ist da The Wake von Scott Snyder und Sean Murphy. Dieses Comic erzählt die Geschichte einer alternativen Evolution auf der Erde mit tollen Bildern und viel Spannung. Ich war einen Nachmittag lang gefesselt und extrem gut unterhalten.

Ebenfalls ein Comic, aber in einer anderen Stimmung, ist Fell von Warren Ellis und Ben Templesmith. Fell folgt einem interessanten Konzept. Warren Ellis war sich bewusst, dass es Comic-Fans gibt, die kein Geld haben, um sich ständig neue Ausgaben zu kaufen. Daher wollte er ein Comic entwickeln, das kurz, sehr günstig und unabhängig ist von großen Story-Bögen, wie sie bei den Großen wie Marvel und DC üblich sind. Das Ergebnis waren die Fell-Comics. Jedes einzelne Heftchen kann gelesen werden, ohne dass man die anderen kennen oder haben muss, und jedes Heft war ursprünglich geradezu billig in Relation. Es geht um einen Detective, der in einer völlig heruntergekommenen Stadt schreckliche Fälle aufklären muss. Der Zeichenstil ist großartig und die Storys nehmen die Leserschaft gefangen. Ich wünschte, es gäbe mehr davon.

Weiter geht es mit einem Klassiker unter den Comics: The Swamp Thing Saga (Book One) von Alan Moore. Schleichender Horror mit einer Existenzkrise von Plot Twist, dazu Action, durchdachte Gestaltung und ein Zeichenstil, der eben in die damalige Zeit gehört. Ich habe es sehr gern gelesen und plane, 2020 Buch Zwei endlich ebenfalls zu lesen.

Nachdem mir dieses Swamp Thing so gut gefallen hatte, testete ich den Swamp Thing-Run von Scott Snyder. Snyder war mir zuerst im Batman-Run (New52) begegnet und hatte mich überzeugt. Swamp Thing allerdings gefiel mir weniger von ihm, da es ein wenig zu eklig und zu offenkundig horrorlastig war für meinen Geschmack. Ich war zwar gut unterhalten, aber hatte mehr erwartet.

Von Daniel Kehlmann und Tyll hatte ebenfalls viel erwartet, aber wurde nicht enttäuscht. Ich mag seinen Stil einfach und die kleinen erzählerischen Experimente, die er wagt. Was ich fast noch mehr mag, sind seine Sterbeszenen. Es steckt so viel Ruhe darin. Nach einem langen Kampf darf sich die Figur endlich ausruhen. Neben der guten Unterhaltung lernt man noch etwas über den Dreißigjährigen Krieg und (wenn man will und aufmerksam ist) über Erzähltechniken.

Ich kann mich nicht entscheiden, ob mir Mein Name sei Gantenbein von Max Frisch gefallen hat oder nicht. Eigentlich beides. Die Grundidee mag ich und das Bild der Person, die sich blind stellt, um die Menschen wirklich sehen zu können, ist auch super. Aber gleichzeitig fand ich das Buch anstrengend zu lesen. Möglicherweise war das falsche Buch für die Zeit.

Dann folgte meine kurze Da Vinci-Phase, zuerst mit Sigmund Freud und Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci und schließlich mit einer Ausgabe sämtlicher Gemälde und Zeichnungen. Freud gibt sein bestes, um aus einer winzigen Bemerkung Da Vincis eine komplette Analyse abzuleiten, in der es sich natürlich um dessen Mutter und seinen Penis dreht. Die Gedankengänge sind durchaus interessant, aber aus heutiger Sicht auch unfreiwillig komisch. Warum ich sowas lese? Es stand im Regal und im Vorbeilaufen wollte es mitgenommen werden.

Über Leo Perutz und Der schwedische Reiter habe ich einen eigenen Artikel verfasst: Leo Perutz: Der schwedische Reiter.

Über Kakuzo Okakura und Das Buch vom Tee nicht, obwohl ich es zunächst vorhatte. Es scheiterte daran, dass ich mich nicht in der Lage sah, wiederzugeben, was der Kern des Buches ist. Das Buch vom Tee ist knapp gehalten und steckt voller Informationen über die japanische Teezeremonie, ihre Entwicklung und Bedeutung sowie den sozialen, religiösen und philosophischen Hintergrund. Es ist hochinteressant und nicht nur für alle empfehlenswert, die sich für Japan interessieren.

Okakuras Werk erinnerte mich an Cees Nooteboom, dessen Buch Rituale ebenfalls eine Teezeremonie in einer Szene beinhaltet und das mir damals ausgesprochen gut gefiel. Diesmal hatte ich es mit Paradies verloren versucht. Wieder war ich begeistert. Nooteboom erzählt poetisch von der Reise seiner Protagonistin nach Australien, nachdem sie in ihrer Heimat angegriffen wird. Sie sucht Heilung in der Welt der Aborigines. Später springt der Erzähler zu einem anderen Protagonisten und die beiden Geschichten treffen sich. Zur Geschichte gehören auch einige Zeilen zu Nootebooms Arbeitsweise, seiner Ideenfindung und seinem Umgang mit Figuren, die er gehen lassen muss. Ein gutes, dünnes Buch, das viel beeinhaltet.

Zum Abschluss noch eine Graphic Novel: Fight Club 2 von Chuck Palahniuk. Ja, es gibt eine Fortsetzung und ja, es ist eine Graphic Novel. Tyler ist zurück und versucht, die Weltherrschaft an sich zu reißen oder so. Ich muss zugeben, ich war am Ende massiv verwirrt und musste eine ganze Weile nachdenken, bis ich damit klarkam. Fight Club war damals als Manuskript kaum unterzubringen und nur durch die Mühen des Lektors gab es eine kleine Mitleidsauflage, die sich nicht gut verkaufte. Dann kam die Verfilmung und sie floppte in den Kinos völlig. Aber außerhalb der Kinos feierte der Film Erfolge und wurde schnell zum absoluten Kult. Hier ungefähr setzt Palahniuk an. Seine Figur Tyler Durden hat es geschafft, nicht nur seine Geschichte zu überleben, indem er tausende Witze, Sprüche, Clubs und Ideen angeregt hat (The first rule of XY-Club is …), sondern auch seine Leser noch zu überleben, da er als Romanfigur geboren wurde, aber kaum jemand ihn als solche kennenlernte. Tyler Durden ist zu einer Idee verkommen, die Palahniuk nicht unbedingt mag, denn der Einfluss seiner Figur reicht offenbar bis in neofaschistische Zirkel, die die Botschaft des Buches/des Films missverstanden haben. Ganz kriege ich es immer noch nicht auf die Reihe, aber hey, Palahniuk hat sich wieder mit einer Geschichte in meinem Kopf eingenistet, wie er es damals mit dem ersten Teil von Fight Club auch geschafft hatte. In Tyler we trusted.

Jahresrückblick II: Musik II (live)

Über besuchte Konzerte 2019.

Es ist eine Sache, Musik in der Bequemlichkeit der eigenen Wohnung zu hören, und eine andere, sich einem Live-Konzert auszusetzen. Im Bestfall wird dort alles intensiver und neue Aspekte des Musikgenusses kommen hinzu. Man hört Bands nach einem Konzert anders als noch zuvor. Diese Erfahrung habe ich häufig gemacht. Auch 2019 habe ich wieder mehrere Konzerte besucht und möchte von einigen berichten. Der Einfachheit halber habe ich meinen Terminkalender zur Hilfe genommen und gehe chronologisch vor.

Wir starten im Februar. Am 17. spielte John Garcia mit seiner Band of Gold im Helios 37 und am 18. waren Amenra im Junkyard. Unterschiedlicher können Konzerte kaum sein. John Garcia macht Party und sieht dabei nicht selten aus, als stünde er kurz vor einem Herzinfarkt. Es wurden einige Songs vom damals neuen Album gespielt, aber hauptsächlich welche von seinem erheblich bekannteren Projekt Kyuss. Ich hatte leider nie die Gelegenheit, Kyuss live zu sehen, aber ab und zu touren die ehemaligen Bandmitglieder mit neuen Bands und spielen die alten Songs. Dann geht es richtig ab. Es wird getanzt und gemosht und mitgesungen. Absolut geil.

Am nächsten Tag stand dann Amenra auf dem Programm. Konzerte von Amenra sind wie Messen. Die Musik trägt einen in andere Sphären, in denen sich die meisten Menschen furchtbar unwohl fühlen würden, die aber interessant sind und schön auf ihre Weise. Solche Konzerte hinterlassen bei mir keine bildlichen Erinnerungen, sondern nur Gefühle und Farben, losgelöst von Dinglichkeit. Man schwankt vor und zurück mit geschlossenen Augen und lässt sich von den Instrumenten aus der Welt prügeln, bevor man zurückkehren und applaudieren darf. Ich hoffe sehr, Amenra bald wieder live sehen zu dürfen.

Drei Tage danach besuchte ich einen interessanten Auftritt von Alexej Gerassimez im Dortmunder Konzerthaus und war Anfang März noch einmal dort für ein Orchesterkonzert. Beides war gut, aber hinterließ keine Eindrücke, die nach 9 Monaten noch intensiv wären.

Aber dann kam Colter Wall in den Bahnhof Ehrenfeld. Das war wirklich witzig. Ich kenne die verschiedenen Trends und Aufzüge und Trachten der Metal-Szene mit ihren Kutten, Army-Shorts und Patches, aber einen Raum unter den Gleisen, der gefüllt ist mit Menschen, die Lederhüte, Jeansjacken und Cowboy-Westen tragen, war ein Erlebnis. Die Band bestand ebenfalls zu 80% aus Jeans (Jacken, Hosen, Hemden), mit Cowboyhüten und -stiefeln. Die eigentlich recht tristen Songs von Colter Wall waren allesamt beschleunigt und aufgebauscht worden, um von einer Westernband gespielt werden zu können. Was sie daraus machten, war glorreich: ein waschechter Honky Tonk mitten in Köln Ehrenfeld. Es war nicht das, was ich erwartet hatte, aber es war etwas und es hat Spaß gemacht.

Der April war wieder düsterer. Am 12. spielten Mantar im Junkyard und am 14. Saint Vitus mit Dopelord als Vorband. Mantar waren cool, aber nicht spektakulär. Dopelord hat mich überrascht und Saint Vitus haben wie immer die Hütte abgerissen. Wenn Menschen ihr ganzes Leben damit verbringen, einfach ihr Ding durchzuziehen, auch wenn es sich nicht finanziell auszahlt, finde ich das großartig. Die Tour 2019 geschah anlässlich des 40. Bandjubiläums. 40 Jahre Underground, herrlich. Mein liebster Saint Vitus-Moment ist schon Jahre her. Dave, der Gitarrist von Saint Vitus, tourte mit seiner Band Debris Inc. Er ließ es sich nicht nehmen, wenigstens zwei Klassiker von Vitus zu spielen und zwar Born Too Late und Dying Inside. Das Gitarrensolo in Born Too Late spielt Dave traditionell mit der Zunge. Also hob er die Gitarre vor sein Gesicht, sodass nur noch seine Augen zu sehen waren und er starrte mich direkt an mit einem mörderischen Blick – kein Blinzeln, keine Pupillenbewegung, nur Starren –, während er ein Solo hinlegte, das klang, als würde er sich die Schneidezähne mit der E-Saite absägen. Später traf ein Kumpel ihn an der Bar und fand heraus, dass er während des Konzerts wohl auf Acid gewesen wäre.

Es wurde Mai und Stoned Jesus kamen in Begleitung von The Great Machine nach Dortmund. Es war ein lustiger Abend. Der Sänger von Stoned Jesus erinnerte mich an Jack Black – ähnliche Optik und Bewegung. Ein gutes Konzert, aber keines, das ich ewig in Erinnerung halten werde.

Üblicherweise gehe ich nicht allein auf Konzerte. Ich habe zwei gute Freunde, die mich häufig begleiten. Aber ausgerechnet für Lamb of God habe ich niemanden gefunden. Draußen waren es um die 35°, weshalb ich extrem froh war, dass die Veranstaltung im Keller der Matrix in Bochum stattfand. Dort war es angenehm kühl. Mein Kreislauf konnte sich vor Start des Auftritts erholen. Doch mit der Vorband Bleeding From Within wurde es bereits wärmer. Ab dem zweiten Song startete der Moshpit und wurde bis zum Ende des Abends nicht mehr aufgelöst. Lamb of God selbst waren mal wieder großartig. Sie haben, wie es so schön heißt, die Hütte abgerissen und ganz nebenbei den Keller in einen Backofen verwandelt. Let’s trash this fucking place war eine Ansage, die befolgt wurde. Es war voll, es war laut, es war anstrengend und brutal. Ich liebe es. Am Ende wankte ich in die lauwarme Abendluft und konnte meinen Kopf kaum noch aufrecht halten. Ein schöner Abend. Etwas besser gefiel es mir allerdings noch, als sie 2018 mit Slayer tourten. Moshpit und Circle Pit waren nur noch Schlachtfelder, Menschen flogen durch die Gegend und am Ende des Abends durchdrang mich ein Frieden, den ich selten habe. Ausgepowert und glücklich.

Bei Corrosion of Conformity im Juli im Turock wiederum wurde mehr mitgesungen und getanzt. 25 Jahre Deliverance wurden gefeiert und beinahe das gesamte Album wurde gespielt. C.o.C. gehören zu den Bands, mit denen für mich die Liebe zu Stoner, Doom und Sludge begannen. Früher besuchte mich häufig ein Freund, der eine einzige gebrannte CD mitbrachte: C.o.C., Black Sabbath, Crowbar, Saint Vitus, Led Zeppelin und andere Bands waren darauf. Leider hat er sich vor einigen Jahren umgebracht und konnte dieses Konzert nicht mehr miterleben. Ich vermisse ihn.

Es wurde August und das Junkyard Open Air stand auf dem Programm. The Picturebooks gingen mir auf die Nerven, obwohl ich gute Erinnerungen an sie hatte als Vorband von Kadavar einige Jahre zuvor. Dafür waren Orange Goblin wieder super. Diese Band versprüht so viel gute Laune und Lust zu spielen, dass das Publikum jedes Mal angesteckt wird. Es gab einen schönen Moshpit im Staub inklusive Wall of Death. Später am Abend wurde die Veranstaltung ins Gebäude verlegt und Dopethrone traten auf. Da hier nicht genug Platz ist, um zu beschreiben, was dabei abging, weise ich auf einen Blogeintrag hin, den ich dazu geschrieben hatte: Eine Erfahrung aus Schmerz und Glück.

Die Tatsache, dass sich Exhorder wieder zusammengeschlossen haben und die alten Songs live noch immer spielen können – wer sie kennt, wird wissen, warum das schwierig ist –, freut mich extrem. Anfang Oktober traten sie im Turock auf und brachten ihr neues Album mit. Ich besuche nur selten Thrash Metal-Konzerte, aber dieses hat sich definitiv gelohnt.

Und dann war auch schon Dezember. Am 3. spielten Clutch in der Turbinenhalle in Oberhausen und brachten Graveyard und Kamchatka mit – ein bluesiger Abend. Kamchatka stelle ich mir besser in einer kleineren Halle vor, aber sie waren dennoch sehr cool. Graveyard wiederum konnte mich live noch nie wirklich überzeugen. Ihre Musik ist super, aber sie schaffen es nicht, einen Draht zum Publikum herzustellen. So jedenfalls kam es mir immer vor und dieses Mal auch wieder. Aber Clutch wissen, wie es geht. Live enttäuschen sie nie. Das könnte der Grund sein, warum ich sie schon fünf- oder sechsmal gesehen habe. Diesmal brachten sie viele alte Songs mit, die ich noch nie live gehört hatte. Besonders über Space Grass habe ich mich sehr gefreut, aber auch Electric Worry war großartig.

Bloß vier Tage später bin ich mit einem guten Freund wieder nach Oberhausen gefahren, diesmal ins Druckluft, einer kleinen, dreckigen, freien Location, genau wie ich es mag. Die Wände waren bemalt, die Security nicht vorhanden und die Getränke billig. Ein guter Start. Als Vorband spielten Årabrot. Zuvor hatte ich nie von ihnen gehört, aber sie überzeugten mich sofort. Am Merch-Stand wunderte sich der Sänger sichtlich, dass wir Shirts von seiner Band kaufen wollten und nicht von Boris. Kurze Anmerkung am Rande: ich besitze bereits mehrere Shirts von Boris.

Als Boris auf die Bühne kam, wurde der Nebel dichter. Dass drei Menschen so viel geilen Lärm machen können, muss zu den größten Vorteilen der technischen Entwicklung zählen. Die Optik allein ist schon einen Besuch wert: hinter einem düster geschminkten Drummer prangt ein riesiger Gong, Nebel steigt auf, die Gitarristin blickt in die Runde, der Sänger hält eine Gitarre mit Doppelsteg, halb E-Gitarre, halb E-Bass. Aber was wirklich beeindruckend ist, ist der Sound. Ich bin davon überzeugt, dass es Tonfrequenzen gibt, die in uns irgendwelche Dinge auslöst, die im Laufe der Evolution übriggeblieben sind. Als der Bass richtig dröhnte, meine Hose und die Jacke vibrierten, der Boden zitterte und das Dröhnen bis in die Wangen stieg, gelangte ich in einen Mischzustand aus Furcht und Euphorie. Die Euphorie siegte. Ein geiler Abend.

2019 war ein gutes Konzertjahr, ein gutes Jahr allgemein. In den nächsten Artikeln wird es ruhiger werden und sich alles um Literatur drehen.

Jahresrückblick I: Musik I

Über mein musikalisches Jahr 2019, entdeckte und wiederentdeckte Bands.

Willkommen zum ersten Teil unserer 4-teiligen Jahresrückblicksreihe 2019. Das ist der Plan:
20.12.: Musik – Neu- und Wiederentdeckungen
21.12.: Musik – Konzerte
22.12.: Literatur I – Gelesene Bücher
23.12.: Literatur II – Mein literarisches Jahr

Musik spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben und zwar ununterbrochen, seit ich als Kind im Zimmer Lego gespielt und LPs von den Beatles, Elvis und anderen auf dem Plattenspieler meiner Mutter gehört habe. Das hier soll eine Art persönlicher musikalischer Jahresrückblick werden, weshalb ich mich auf Neuentdeckungen, Wiederentdeckungen und einige Lieblingssongs beschränken werde. In einem zweiten Artikel wird es dann um Live-Konzerte gehen. Einige Songs und Künstler, die zu meinem Standardrepertoire gehören, werden also gar nicht auftauchen.

Vor vielen Jahren hat mich ein Freund einmal als „toleranten Hörer“ bezeichnet, weil ich jeder Musik eine Chance gebe und nicht selten mehrere. Man wird erkennen können, wo mein Fokus liegt, aber auch, dass ich kein Problem habe, davon abzuweichen. Ich werde alphabetisch vorgehen.

Eine Band, die ich dieses Jahr zu schätzen gelernt habe, ist Amenra. Vom Namen her kannte ich sie schon länger, aber hatte mich nie dazu bequemt, reinzuhören. Dann traten sie in der Nähe auf und haben mich überzeugt. Amenra machen düstere, atmosphärische Musik, die irgendwo im Bereich Post Hardcore oder Post Metal angesiedelt ist. Der Song A Solitary Reign ist mein absoluter Favorit und zählt zu meinen Lieblingsliedern 2019. Für mich klingt die Musik von Amenra nach tiefer Verzweiflung und das finde ich gut. Wenn Musik die Repräsentation von Gefühlen ist, um diese zu unterstützen oder abzubauen, hat jedes Gefühl eine Rechtfertigung, musikalisch umgesetzt zu werden.

Erst kürzlich habe ich Årabrot für mich entdeckt. Sie spielen Noise Rock, wenn ich mich mit der Definition nicht irre, aber sie schöpfen auch aus anderen Bereichen wie Sludge oder Gothic. Ich weiß nicht recht zu sagen, was mir an der Musik gefällt, aber sie ist anders, besonders und unterhält mich. Årabrot fühlt sich an wie Kunst, finde ich.

Battle of Mice gehörte auch dieses Jahr wieder zu den viel gehörten Bands auf meiner Playlist. In einer Facebook-Gruppe fragte jemand nach Songs mit verstörenden und psychotischen Lyrics. Jemand schlug Battle of Mice vor, ich hörte sie mir an und war begeistert. Die Intensität der Schreie von Julie Christmas und das heftige Gitarrenspiel machten mir Gänsehaut. Ein Freund (Metalhead seit Jahrzehnten) sagte, das sei „wirklich harte Musik“ und meinte damit hauptsächlich den Effekt, den die Songs auf die Psyche haben. Bones In The Water wäre mein Favorit, aber unter den wenigen Songs, die es von der Band gibt, kenne ich keinen schlechten.

Okay, gehen wir einige Jahrzehnte zurück und stimmen die Instrumente heller: The Beatles. 2019 stieß ich wieder auf sie. Manchmal beruhigen mich die Songs, manchmal machen sie mir gute Laune und manchmal unterhalten sie mich einfach. Und es sind gute Songs. Ich mochte immer die abgedrehteren Sachen lieber, also Lieder wie Lucy In The Sky With Diamonds. Wenn es irgendeine Band gibt, die in jeder Lebensphase bei mir präsent war, dann die Beatles, wenn auch meist in einer Nebenrolle. Also weiter geht’s.

Boris. Ich liebe Boris. Die Vielseitigkeit, die Gewalt, die Zartheit, die Kreativität und die Produktivität dieser japanischen Band sind großartig. Man vergleiche Hana, Taiyou, Ame mit D.E.A.R. und 1970. Ich könnte problemlos einen Beitrag nur über Boris schreiben, aber in drei Sätzen lassen sich schlecht Jahrzehnte produktiver Musikarbeit zusammenfassen, deshalb belasse ich bei den wenigen Worten.

Colter Wall, ein sympathischer kanadischer Cowboy mit einer wunderbaren Stimme. Er zieht sich nicht einfach als Cowboy an, sondern treibt tatsächlich manchmal Rinderherden. Aber hier soll es um Musik gehen. Die meisten Songs sind langsam und sehr sehr traurig. Country/Western, wie man sich vielleicht denken konnte. Ich liebe die Kombination aus seiner Stimme und den teils großartigen Lyrics. Codeine Dream gehört zu meinen Lieblingsliedern. Every day it seems | My whole damn life’s just a codeine dream | I don’t dream of you | Anymore. Wie sehr er mich mit einigen Songs berührt, ist beängstigend. Es geht um Freiheit, Alkohol, Drogen, Einsamkeit und ein paar Cowboy-Sachen, die man aber ignorieren kann, denke ich.

Ganz anders klingen da Crystal Castles. Elektronisch, manchmal abgehackt, aber auch traurig. Dieses Jahr hatte ich zwei eindeutige Favoriten unter ihren Songs, die ich wieder und wieder gehört habe: Sad Eyes und Not In Love. Zweiterer hat mich zu einer Geschichte inspiriert. An dieser Stelle merkt man vielleicht, wieso ich ein „toleranter Musikhörer“ sein soll. Ich musste mich intensiv in die Songs der Band hineinarbeiten und habe sie wiederholt gehört, bevor ich einen Zugang gefunden habe. Irgendetwas sprach mich an und eine gute Freundin zählt zu ihren Fans, also musste es mehr geben, und irgendwann fand ich es.

Eels habe ich 2019 wiederentdeckt. Ebenfalls meist elektronisch und ebenfalls meist traurig, aber bei weitem nicht nur. Es gibt sogar witzige Songs von Eels, aber davon lassen wir uns nicht aufhalten, oder? Aber da wir zu einem Ende kommen wollen, halte ich mich kurz.

Igorrr machen wirre Sachen. Stellt euch vor, jemand mixt jede existierende Musikrichtung in funktionierende Songs: Polka, Klassik, Oper, Black Metal, Techno … So macht man neue, nie zuvor dagewesene Musik. Als Hörer braucht man allerdings wieder Toleranz oder einen Hang zum Extremen. Ich habe beides. Zum Glück.

Jesu, Joy Division, Lamb of God, Myrkur, Oceans of Slumber, Woods of Ypres und Young Fathers spielten auch noch ihre Rollen als (Wieder)Entdeckungen. Hört rein, wenn ihr sie nicht kennt!

Und dann waren da die kurzen Happy Hardcore-Phasen. Wie zur Hölle kam es dazu? Charly Lownoise & Mental Theo, Dune und sogar Das Modul. Es muss an der Nostalgie gelegen haben, die mich 2019 häufig bedrängte. Wer weiß, wo sie mich noch hinführen wird.

Musikalisch war 2019 für mich wieder interessant. Mir gefällt der Gedanke, dass sich durch diesen Artikel ein paar neue Hörer*innen für die weniger bekannten Bands in meiner Liste finden lassen. Das hätten sie verdient. Habt keine Angst, Neues zu testen und über den Tellerrand zu schauen! In Kürze wird ein Beitrag über Live-Konzerte 2019 folgen und ein paar Bands aus dieser Liste werden wieder auftauchen.