Da ich inzwischen gerne auch über Musik und Konzerte schreibe, aber viele Leser*innen noch nie auf einem Metal- oder Punk- oder einem ähnlichen Konzert gewesen sind, möchte ich spaßeshalber einiges erklären. Was Headbangen ist, weiß inzwischen wohl jeder. Mit Begriffen wie Pogo, Moshpit, Circle Pit oder Wall of Death können hingegen nicht alle etwas anfangen.
Pogo ist ein „Tanz“, der ursprünglich aus der Punk-Szene stammt. Im Grunde springt man wild durch die Gegend, rammt und schubst andere weg. Der Kreis, im dem Pogo getanzt wird, nennt man Moshpit. Moshpits sehen wild und gefährlich aus und tatsächlich kommt es immer zu kleineren (oder größeren Verletzungen), aber es gibt gewisse ungeschriebene Regeln, um die Verletzungsgefahr auf ein Minimum zu reduzieren. Pogo ist schließlich keine Schlägerei, sondern Leute, die zusammen Spaß haben wollen. Die Moshpit-Etikette schreibt beispielsweise vor, dass jemand, der zu Boden stürzt, geschützt wird. Ich habe es hundertfach gesehen: jemand (z.B. ich) stürzt und liegt am Boden und sofort stoppen alle im Umkreis, von allen Seiten greifen Arme nach der gestürzten Person und ziehen sie auf die Beine. Das ist eine Sache von Sekunden. Danach geht es sofort weiter. Ich habe mal einen Betrunkenen gesehen, der mitten im Pit auf die Knie ging und seine Schuhe zugebunden hat. Er hatte sofort mehrere Leute um sich, die mit ausgebreiteten Armen einen Schutzwall bildeten, bis er fertig war. Zwar war seine Aktion dämlich, aber man will ja trotzdem nicht sehen, wie er totgetrampelt wird. Zu Verletzungen kommt es trotzdem immer wieder. Das ist Teil des Spiels. Blaue Flecken, Ellbogen im Gesicht, eine kleine Verbrennung, weil jemand mit einer Zigarette im Pit ist … Aber man nimmt es niemandem übel, weil es keine Absicht ist. Das wäre vielleicht die nächste Regel. Die vielleicht wichtigste Regel ist, dass niemand mitmachen muss. Wer nicht rein will, muss nicht, wer raus will, wird raus gelassen, und wer raus muss, dem wird geholfen. Rund um den Pit muss das Publikum natürlich etwas aufpassen, denn ständig kommen Leute herausgeflogen. Es empfiehlt sich, die Arme zum Schutz bereit zu haben.
Ein Circle Pit ist eine Abwandlung des Mosh Pits. Dabei laufen alle im Kreis und tanzen in dieser Bewegung. Es gelten die gleichen Regeln. Gerade bei großen Konzerten und entsprechend großen oder direkt mehreren Circle Pits sieht das von außen betrachtet ziemlich cool aus. Ich selbst war bisher nur in einem einzigen Circle Pit und zwar bei Lamb of God. Gewisse Publikumsaktionen sind eben bei bestimmten Bands häufiger als bei anderen. Lamb of God fordern direkt dazu auf.
Pits brauchen keine Koordination von außen. Sie kommen aus dem Publikum heraus und lösen sich manchmal einfach wieder auf. Eine Wall of Death wiederum benötigt entweder viele Leute, die zusammenarbeiten oder die Koordination durch die Band. Bei einer Wall of Death wird das Publikum mittig geteilt. Egal wie eng alle vorher stehen, die Gruppe wird wie das rote Meer geteilt und es entsteht eine Lücke von mehreren Metern. Auf ein bestimmtes Signal, ein bestimmter Part im Song oder einfach die Ansage der Band, rennen beide Seiten aufeinander zu und crashen in der Mitte, häufig springen die Leute geradezu gegeneinander. Sobald das Publikum zusammengeklatscht ist, startet der Pit und es geht richtig ab. Es ist ein herrlicher und etwas furchteinflößender Moment, wenn immer mehr Raum geräumt wird und die vordersten Reihen beider Seiten des Publikums kampfbereit und aufgedreht auf ihr Signal warten. Die Band zögert es immer weiter heraus und die Spannung steigt weiter, bis es endlich losgeht. Damit eine Wall of Death gut funktioniert, braucht es ein gut gelauntes und aktives Publikum und die Fähigkeit der Band, die Aktion zu koordinieren. Für mich persönlich ist das ein sehr viel geilerer Anblick als diese „Haltet alle eure Telefone in die Luft und macht gleichzeitig ein Foto“-Aktion, die man manchmal sieht.
In die Liste sollte ich noch das Crowd Surfing aufnehmen. Das kennen wohl auch die meisten. Eine Person wird vom Publikum auf den Händen getragen und weitergereicht, bis sie ganz vorne oder ganz hinten ist oder irgendwo zwischendrin abschmiert. Manchmal startet eine solche Aktion mitten im Publikum. Dann wird jemand hochgehoben und los geht’s. Aber der Klassiker ist, dass jemand auf die Bühne klettert und ins Publikum springt. Die zweite Version hat ein paar Haken. Erstens funktioniert das bei großen Konzerten nicht, weil es eine Absperrung vor der Bühne gibt. Auf kleinen Konzerten geht das aber problemlos, solange die Security (falls vorhanden) es zulässt. Das zweite Problem ist der Aufprall. Wenn die anderen nicht wollen (oder die springende Person zu massiv ist), springt jemand direkt durch und klatscht auf dem Boden auf. Das geschieht aber eher selten. Insgesamt sieht ein Absturz beim Crowd Surfing schlimmer aus, als er ist. Häufig sieht man, dass eine solche Aktion damit endet, dass jemand mit den Füßen noch in der Luft hängt, aber kopfüber abgeschmiert ist. Da er aber noch gehalten wird, schlägt er selten ungebremst auf. Alles Teil des Spaßes.
Damit wären wir auch beim großen Warum. Es macht Spaß. In einem Moshpit kann man angemessen zur Musik abgehen und Aggressionen rauslassen, ohne sich oder andere über die Maße zu gefährden. Es ist geradezu reinigend. So glücklich und zufrieden wie nach einem richtig harten Konzert mit Moshpit fühle ich mich sonst selten. Alle Aggression ist abgebaut, man ist körperlich völlig erschöpft und hatte viel Spaß.
Vielleicht ein paar eigene Kriegsgeschichten zum Abschluss?
Slayer habe ich leider nur ein einziges Mal live gesehen und zwar bei der Abschiedstour 2018. Der Pit war wild. Ich erinnere mich, wie ich für einen Moment mittendrin stand wie im Auge eines Sturms. Links von mir, direkt neben dem Pit, wurden jemand über das Publikum getragen, auf dem Boden lag eine abgetrennte Schuhsohle und um mich herum sprangen, sangen, schrien und schubsten die Leute wild durcheinander. Mehrere verschwitzte Bodybuilder-Typen, ein paar dicke Metalheads, ein paar Alt-Metaller (ich mag den Ausdruck), die kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen schienen, Stockbesoffene und Nüchterne, junge und alte, Männer und Frauen gingen zusammen ab. Am Ende spielten Slayer noch Angel of Death und die Härte des Pits steigerte sich noch einmal. Die Energie, die man dabei spürt um sich und in sich, ist enorm. Es fühlt sich an wie Euphorie und Wahnsinn, Gewalt und Freude. Ich liebe es.
Mit die besten Moshpits, die ich erlebt habe, gab es bei Punk-Konzerten. Bei einem Auftritt von Wizo vor vielen Jahren (14 oder 15?) waren ungefähr 400 Leute im Publikum und 200 davon formten einen einzigen, riesigen Pit. Die gesamte vordere Hälfte sprang durcheinander. Es war glorreich. Keiner schien auf die eigene Gesundheit zu achten, aber durchaus auf die der anderen. Stürzte jemand, wurde ihm aufgeholfen. Zu irgendeinem Zeitpunkt musste ich Luft holen und verließ den Pit für eine Weile. Ich stand neben einem Punk, dessen Nietenspikes an den Schultern bei mir auf Augenhöhe waren, und ich war froh, dass ich ihm nicht im Pit begegnet war. Da kam ein Mädchen von vielleicht 15 Jahren auf mich zu. Sie sah mich an. Sie atmete schwer, war ziemlich betrunken und stand direkt am Rand des Moshpits. Dann breitete sie ihre Arme aus und ließ sich rückwärts in den Menschenstrom fallen. In einem Sekundenbruchteil war sie verschwunden, untergegangen im Pit.
Übrigens habe ich am rechten Arm noch einen kleinen weißen Punkt, der von einer Zigarette stammt. Damals war ich so betrunken und aufgedreht, dass ich es kaum bemerkte, aber inzwischen bin ich dankbar dafür. Immer, wenn ich sie wieder sehe, erinnert mich die Narbe an ein Konzert von Kyuss Lives, auf dem ich mit mehreren Freunden viel Spaß hatte.