Cees Nooteboom

Über den niederländischen Autor Cees Nooteboom und seine Vorzüge.

Denke ich an Cees Nooteboom, habe ich zuallererst ein sehr spezifisches Bild vor Augen: Ein heruntergekommenes Zimmer, darin ein offener Kamin gegenüber der Eingangstür. In der Tür steht ein verblüffter junger Mann und im Kamin, mit dem Rücken zu ihm liegt eine junge Frau, die als Engel verkleidet ist, Flügel auf dem Rücken. Sie darf sich nicht bewegen, obwohl sie seine Blicke spürt. Das ist ihr Job. Teil einer Kunstaktion. Ich liebe dieses Bild. Es ist aus dem Roman Paradies verloren.

Die zweite Assoziation zu Nooteboom ist ein trauriger Gelehrter, der melancholisch seinen Abschied von der Welt und von der Liebe nimmt. Ein derart trauriger, ruhiger, wunderschöner und friedlicher Abschied, dass mir die Augen feucht geworden sind: Der Roman Die folgende Geschichte. Eine Passage daraus habe ich analysiert und das Buch außerdem als Anlass für einige Überlegungen genommen: Figurenbeschreibung und -kommunikation.

Mokusei!

Für das Buchensemble habe ich die Erzählung Mokusei! Rezensiert: Klischees in Japana – Mokusei! Ausgerechnet diese hat meine Erwartungen enttäuscht. Sie zeigt Nootebooms Zuneigung für alles Japanische, die nicht nur in Rituale, dem ersten Roman, den ich von ihm gelesen habe, deutlich zutage tritt, sondern auch beispielsweise in der Gedichtreihe Bashō. Es wäre mir erheblich lieber gewesen, hätte ich eine begeisterte Empfehlung aussprechen können bei der ersten Erwähnung Nootebooms beim Buchensemble. Es sollte nicht sein, also hole ich es hier nach.

Entdeckung / You can’t judge a book by its cover

Normalerweise lasse ich mich beim Bücherkauf niemals zu sehr vom Cover beeinflussen. Allerdings habe ich bisher nie eine schlechte Erfahrung gemacht mit Werken der schwarzen Reihe von Suhrkamp, den Romanen des Jahrhunderts. (Besonders viele dieser Werke habe ich aber auch wieder nicht gelesen.) Nachdem ich mehrere meiner Lieblingsbücher in dieser schönen Taschenbuchausgabe gekauft hatte, fand ich irgendwo den Roman Rituale von Nooteboom als gebrauchtes Buch aus ebendieser Reihe. Ohne den Autor oder das Buch zu kennen oder auch nur jemals davon gehört zu haben, kaufte ich es (neben etlichen anderen). Ich wurde nicht enttäuscht. Seitdem habe ich diese Kauftaktik trotzdem nie wieder angewandt.

Weshalb Cees Nooteboom mir so gefällt

Einige Argumente habe ich hier bereits gebracht und noch mehr in den verlinkten Artikeln. Zusammenfassend kann man sagen, dass mir die Kombination aus tiefem, ehrlichem Gefühl, sanfter Ironie, ruhiger Erzählweise und einem Anspruch, der nie überheblich wirkt, zusagt. Diese Elemente findet man einzeln immer wieder, aber ihr Zusammenspiel ist eine Besonderheit. Wenn Nooteboom seinen Ich-Erzähler als alten Mann vom Leben erzählen lässt, bekommt man das Gefühl, man sinke hinein in ihn und erinnerte sich mit einem Lächeln an jeden Herzschmerz und jeden Glücksmoment. Manchmal, wie in Paradies verloren, spielt er mit einer erzählenden Instanz hinter der eigentlichen Erzählinstanz, einer Art Autoreninstanz. In dieser wie in allen Erzählern spürt man diese grundsätzliche Ironie, dieses freundliche Belächeln der eigenen Bemühungen und Fehler. Es fühlt sich niemals wie Zynismus an, sondern wie der Blick von Großeltern auf ihre Enkelkinder beim Bau eines Raumschiffs aus Pappe. Alle Mühe ist vergebens, aber das macht es nicht weniger schön. Nootebooms Geschichten bleiben im Gedächtnis wie die schönste Form absurdistischer Literatur.

Minuspunkte

Nooteboom ist 1933 geboren, hatte 1980 mit Rituale seinen Durchbruch und feierte in Deutschland die ersten ernstzunehmenden finanziellen Erfolge 1991 mit Die folgende Geschichte. Aus heutiger Sicht sind einige Dinge, die ihm als unproblematisch oder (wortwörtlich) nicht bedenkenswert erschienen sind, unangenehm zu lesen. In der Rezension zu Mokusei! habe ich beispielsweise erwähnt, dass das N-Wort benutzt wird. Wäre diese Erzählung heute erschienen, fände ich das bedenklich. Nur das Alter und die damalige Gedankenlosigkeit oder Unwissenheit in manchen Belangen entschuldigt das. Da ich das Alter allerdings mitlese und entsprechende Stellen zwar bemerke, aber zu ignorieren versuche, kann ich alles Restliche trotzdem lieben. Ich denke, das ist eine akzeptable Einstellung. Man kann nicht nach heutigen Standards beurteilen, was so lange vorher entstanden ist. Oder wenigstens sollte man nicht erwarten, dass Autor*innen von damals nach heutigen Standards woke sind.

Fazit

Lest Nootebooms Romane Rituale, Paradies verloren und Die folgende Geschichte! Seine Lyrik hat definitiv ihre Höhepunkte, aber benötigt zum Teil ein erhebliches Vorwissen (das mir oft fehlte). Einige Werke sind einfach nicht (mehr?) wirklich toll. Klingt ein bisschen wie das Fazit zu allen Autor*innen, oder? Nun, so ist das.