Heute habe ich Gedanken Ingeborg Bachmanns gelesen bezüglich des Ichs in der Literatur. Einerseits ging es um das scheinbar ehrliche Ich der Tagebücher, das dennoch stets sortiert. Andererseits ging es um Céline und Miller, die in Werken keinen Unterschied machten zwischen Autor, Erzähler und Protagonist. Immer wieder tauchten dieses und anderen Themen im Laufe des Tages in meinen eigenen Gedanken auf und verbanden sich schließlich zur altbekannten Frage, inwiefern sich Autor*innen hinter Worten verstecken oder durch sie offenbaren.
Autor*innen sind Menschen, die etwas zu sagen wünschen, ohne den Mut zu haben, es auszusprechen. Sie erfinden stattdessen einen Erzähler, den sie manchmal benennen wie sie sich selbst im Kopf benennen, der Geschichten erzählt, die wiederum verstecken, was ursprünglich gesagt werden sollte. Auf diese Weise stellen Autor*innen Instanzen zwischen sich und ihre Wahrheiten oder zwischen sich und ihre Gesprächspartner*innen. Sie stellen Schrift dazwischen.
Die Methode ist uralt und sehr simpel. Ein Kind geht zur Mutter und sagt: „Ich kenne jemanden, der hat XY angestellt“, dann wartet es die Reaktion ab. Da die Mutter erraten könnte, dass das Kind XY selbst angestellt hat, wird die Info ersetzt und aus „Kekse geklaut“ wird „Apfel weggenommen“. Wir stellen Instanzen zwischen die Wahrheit und die Beurteiler der Wahrheit, um uns selbst zu schützen. Doch wir plaudern auch gern und zu viel. Je mehr wir reden, desto mehr sagen wir auch und zwar über uns selbst. Während das Ich einer Geschichte zum Erzähler erklärt wird und uns die Last der Verantwortung (nicht für seine Worte, aber für die Meinung hinter den Worten, die Echtheit der Worte) abnimmt, droht die Geschichte selbst mit jedem neuen Wort uns zu enttarnen. Hinter einzelnen Wörtern verstecken wir uns bequem, doch durch viele Worte verraten wir uns.
Schreiben ist wie das Gespräch eines Einsamen mit einem Stummen. Es ist nicht wahrscheinlich anzunehmen, dass der Einsame nicht im Laufe der Zeit all seine Geheimnisse preisgeben wird, und zwar schneller und sicherer als bei einem Verhör. Wenn niemand etwas von uns wissen will, fangen wir an zu reden, immer mehr und immer lauter, bis wir es nicht mehr kontrollieren können.
Ich glaube, Schriftsteller*innen stellen ihre Schriftstücke wie Schilder auf, um ihr Dasein zu bekunden, ihren Wert zu beweisen und ihre Einzigartigkeit und Einsamkeit kundzutun. Sie stellen ihre Schriftwerke zwischen sich und die Welt, um einen Kampf weniger schlagen zu müssen, um sich in der Illusion des Verstecktseins hinter den eigenen Worten sicherer zu fühlen und somit die Kraft zu haben für ihren großen Streit mit der Welt. Indem sie dieses Versteckspiel spielen, geben sie den Leser*innen nicht nur, was sie ihnen geben wollen, sondern auch noch alles, was diese darin zu finden glauben, obendrauf. Die Illusion funktioniert in beide Richtungen. Wir Schriftsteller*innen geben uns der Illusion hin, dass kein*e Leser*in bemerkt, dass wir über uns schreiben. Ihr Leser*innen wandelt diese Illusion dankbar um und glaubt, wir schrieben über euch. Das macht Literatur zu einem Dialog und flicht sie ein in die Zeit. Sie wächst mit den Menschen, nicht mit den Autor*innen (denn sie schreiben längst etwas Neues). Jedes Mal, wenn man ein Buch in die Hand nimmt, ist man ein anderer Mensch und auch das Buch wird dadurch ein anderes.