Nika Sachs: Schneepoet

Rezension des Romans “Schneepoet” von Nika Sachs.

Männer mit echten Gefühlen – eine gewagte These. Schneepoet ist der erste Band einer Reihe, kann aber auch solo gelesen werden. Solche Infos sind für mich wichtig, weil ich ein sehr langsamer Leser bin und mich Buchreihen immer abschrecken. Vielleicht geht es euch ja ähnlich.

Steigen wir ein. Das große Talent von Nika Sachs ist die Analyse von Gefühlen. Ihre Figuren analysieren sich selbst und ihre Mitmenschen permanent. Das klingt trocken, ist es aber nicht. Ich selbst halte mich für einen reflektierenden Menschen, aber habe keineswegs einen solchen Zugang zu Emotionen und ihren Hintergründen, wie Nikas Figuren. Das führte dazu, dass ihr Buch in Teilen eine therapeutische Wirkung auf mich hatte. Ich habe plötzlich Verhaltensweisen und Vorgänge verstanden, mit denen ich mich über Jahre beschäftigt hatte, die teilweise noch aktuell sind, und andere, die ich fast vergessen hatte. Ein solcher Effekt ist aus meiner Sicht ein riesiger Pluspunkt für ein Buch.

Der Protagonist Lukas (oder Luc) verlässt seine Freundin, weil er ihr ein Geheimnis nicht verraten kann, und flüchtet aus Deutschland und aus der Realität mithilfe von Alkohol, Drogen und sinnlosem Sex. Diese Realitätsflucht kennen vermutlich viele Männer und besonders jene, die ihre eigenen Emotionen nicht verstehen und/oder nicht ordentlich verarbeiten können. Luc hat den Vorteil (und wenn es auch nur ein Vorteil für die Leser*innen ist), dass er von Kindheitstagen an eine beste Freundin hatte, die ihm geholfen hat, einen Blick für seine Emotionen zu entwickeln, der leider für viele Männer noch immer einem Tabu gleicht. Wir haben stark zu sein und unsere Gefühle in Schach zu halten. Unsere Aufgabe ist nicht, sie zu verstehen, sondern Stärke zu zeigen. So ein Bullshit. Es ist vielsagend, dass eine Frau aus der Perspektive eines Mannes schreiben muss, um Männern zu zeigen, was und wie sie fühlen. Zwar kenne ich viele emotionale Bücher, die von Autoren verfasst worden sind, aber keines enthält eine derart reife und analytische Sicht auf diese Emotionen wie Schneepoet von Nika Sachs. Stattdessen geht es meist um das unerträgliche Leid, leben zu müssen, mit sich selbst, ohne eine ordentliche Reflexion oder gar einem Lösungsangebot. Die große, klassische, emotionale Männergrippe in der Literatur.

Der Sprachstil des Buches ist ebenfalls ungewöhnlich, hier und da schwierig (auch aufgrund von Neologismen und Metaphern, die man nicht immer sofort versteht), aber immer interessant. Neben der inhaltlichen Tiefe ist die verwendete Sprache für mich einer der wichtigsten Aspekte in der Literatur. Ich will nicht die Fahne derer schwenken, die nur komplexe und sprachgewaltige Werke als echte Literatur akzeptieren, sondern meine, dass jeder Sprachstil akzeptabel und gut sein kann, solange er zum Werk passt. Der Stil von Schneepoet ist nicht simpel, er ist frisch, neu, modern und frei von Konventionen, passend zum verwendeten Tagebuchformat. Was ich sagen will, ist, dass meine Ausgabe nun gespickt ist mit Klebezetteln, die interessante Passagen und schöne Sätze markieren.

Was den Aufbau betrifft, so könnte man sich streiten. Im vorliegenden Format wirkt er stimmig. Ein Zeitraum von 3 Jahren und 6 Monaten wird in Form von Tagebucheinträgen abgedeckt. Es wird ein Leben dargestellt und eine emotionale und geistige Entwicklung, kleinschrittig. Man hätte sicherlich die Essenz der Geschichte herauslösen können und sie geordneter darstellen können, aber dann hätte man ein anderes Werk mit einem anderen Effekt gehabt. Hier wird kein kunstvoller Bogen geschlagen, sondern ein Leben dargestellt. Für die Geschichte und ihren Fokus war das die richtige Wahl. Andere hätten es anders gemacht, aber andere wollen auch andere Dinge erzählen.

Was noch? Sex, Sex, Sex, interessante Figuren und viele Gefühlskatastrophen. Wer Bock hat, fröhliche Menschen durchs Leben tänzeln zu sehen, ist hier fehl am Platz. Da ich darauf aber fast nie Bock habe, bin ich sehr zufrieden mit der Lektüre wie auch schon bei Namenlos. Also gebt dieser großartigen und ungewöhnlichen Autorin eine Chance, lest ihre Bücher und folgt ihr bei Twitter unter Karmasagtnein oder Nika Sachs.

Nika Sachs: Namenlos

Rezension der Novelle “Namenlos” der Selfpublisherin Nika Sachs.

Poetisch und verdichtet, geschmackvoll, intelligent und voller Hoffnung auf eine zweite Chance. So könnte mein Fazit lauten für Namenlos von Nika Sachs.

Es fällt mir nicht leicht, meinen Eindruck von diesem Buch auf den Punkt zu bringen. Einerseits liegt es daran, dass man beim Lesen keinen Moment unkonzentriert sein sollte, weil man sonst Gefahr läuft, etwas nicht zu verstehen, interessante Details zu übersehen oder einen schönen Moment unter so vielen zu verpassen. Andererseits liegt es an der Mischung aus großer Wärme und trockener, analytischer Formulierung, die das Werk durchzieht.

Zwei Menschen lernen sich kennen und verzichten darauf, ihre Namen zu nennen. Jede Information könnte einen Teil des Zaubers nehmen, der zwischen ihnen aufflammt und wächst. Beide analysieren sich und ihr Gegenüber im Laufe tiefsinniger und humorvoller Gespräche und ungewöhnlicher Treffen. Wer fährt welches Auto und was sagt das aus? Ist es ein Klischee und damit ein Zeichen von Anpassung oder vom Ausleben eigenen Geschmacks, selbst wenn dieser ein Klischee erfüllt?

Im Grunde wird ein Date von hinten nach vorne durchlebt, von vertrauten Gesprächen und Nähe und dem möglichen Ende Ausgang eines ersten Dates zum Ausgehen und schließlich zur Nennung des Namens. Die Frage, die mich nach Beendigung des Buches beschäftigt hat und die ich für mich beantworten konnte, war, ob die klassische Reihenfolge des Kennenlernens zum gleichen Ergebnis geführt hätte. Um keine Details zu verraten, lasse ich meine Antwort offen.

Das erste, was ich nach der Lektüre und einigen Gedankengängen tat, war, einige der vielen schönen Formulierungen und Denkanreize zu notieren. Ich habe eine Datei für solche Dinge, die sich im Ordner „Inspiration“ befindet und in der Zeilen und Passagen einiger großer Autor*innen und Denker*innen stehen und nun auch 14 ausgesuchte Zitate von Nika Sachs. Beispielsweise hat mich dieser Satz fasziniert, der kommt, als die beiden Namenlosen vom Goetheturm und von einem Gespräch über der Stadt herunter auf die Straße treten: Dort angekommen greift die Realität wieder und hinterlässt ein paar Schlieren im Glanz des Moments. Sie waren für kurze Zeit der Welt entkommen und müssen nun wieder zurück, realisieren dabei, dass sie ihr eigentlich nie wirklich fern waren, und dennoch war dort Glanz und Glück und Romantik.

Das ist es vielleicht, was Namenlos ausmacht: eine ständige Analyse, warme Romantik und eine gewisse Traurigkeit – oder ist es ein Zweifel an der Möglichkeit von Glück, wie es die meisten definieren würden? Denn Glück ist doch nur die Abwesenheit von Unglück. Aber ist dem so oder soll man bloß darüber nachdenken? Oder ist es am Ende eine Herausforderung an das Leben und das Gegenüber?

Ich kann nicht behaupten, alles verstanden zu haben, worüber die namenlosen Figuren sprechen, ich kenne nicht alle Bücher oder Künstler, die sie erwähnen, und manchmal schien ich die Figuren aus der Ferne zu beobachten, zu verstehen, was passiert, ohne es völlig zu durchblicken. Beim zweiten Lesen, das sicherlich kommen wird, werde ich wagen, mich ihnen etwas weiter zu nähern, noch etwas mehr oder etwas Anderes mitzunehmen und es sicherlich wieder genau so sehr zu genießen wie beim ersten Mal.

Neben ihrem unübersehbaren Talent für das Schriftstellerische ist Nika Sachs übrigens auch eine interessante Person und wert, ihr auf Twitter zu folgen, auf einem ihrer beiden Accounts:
Nika Sachs
Karmasagtnein