Krieg und Zerstörung

Über Krieg und Zerstörung als Symbole in meinen Werken, speziell in “Sorck: Ein Reiseroman”.

Zerstörung, Sachbeschädigung, Gewalt, Krieg und Kampf sind zentrale Motive mancher meiner Werke. Das musste ich selbst erst entdecken. Heute frage ich mich, woher das kommt.

Zerstörung kann reinigend und befreiend sein. Erst als Martin Sorcks Wohnung abbrennt, kann er seine Reise antreten. Manchmal muss man etwas zerstören, um fortfahren zu können: eine Beziehung beenden, eine Regierung stürzen, das Weltei zerbrechen. Bevor ich fortfahre, betone ich sicherheitshalber, dass ich Gewalt nicht verherrlichen oder gar fordern möchte. Es geht hier um Symbole. Zerstörung muss nicht groß sein, um wirkungsvoll zu sein. Nach einer Trennung gemeinsame Fotos zu verbrennen, ist Zerstörung im Kleinen, ist Loslassen und Abschied.

Muss Zerstörung Gründe haben?

Zerstörung der Zerstörung willen scheint mir nicht bloß unsinnig, sondern auch extrem selten zu sein. Immer steckt etwas dahinter und wenn es von außen auch noch so willkürlich erscheinen mag. Mit der passenden Ideologie kann man jede Form von Zerstörung als politische Aktion interpretieren. Denken wir beispielsweise an Maos Kulturrevolution, der nicht nur viele Menschen, sondern auch unbezahlbare, unwiederbringliche, uralte Kunst- und Kulturschätze zum Opfer fielen. Religionen haben immer wieder zu Gewalt- und Zerstörungsorgien aufgerufen. Die Rechtfertigungen für Gewalt und Vernichtung sind so vielfältig wie die Formen ihrer Ausführung.

Es ist daher verständlich und richtig, dass man auf diese Themen mit Vorsicht oder sogar Abneigung reagiert. Genau wegen dieser Vorsicht, Furcht vielleicht sogar, ist die Zerstörung (oder Bedrohung) von Gegenständen wie Menschen stets interessant in der Kunst. Man kann mit der Darstellung schocken, Botschaften verstärken und allgemein starke Gefühle hervorrufen.

Kriegerischer Alltag

Die Welt ist ein Ort der elementaren Unruhe für viele Menschen, jeder Tag ein Kampf und jede Kommunikation eine Auseinandersetzung. Dies kann einerseits an einer entsprechenden Weltsicht liegen, in der es fast ausschließlich Feindbilder gibt, oder schlicht an den psychischen Kapazitäten der betroffenen Personen. Wut und Angst führen zu solchen Leben oder entstehen aus ihnen.

Das Leben als Krieg. Wie stellt man es besser dar als durch die Darstellung von Kriegsgeschehen? Die Mischung aus dem, was die meisten als Alltag erleben (und einige als Kampfgebiet), und dem, was alle als Kriegsgebiet verstehen, ist daher der perfekte (paradoxe) Ort für eine entsprechende Geschichte. Martin Sorck ist eine der Personen, die permanent mit der Welt im Clinch liegen. Seine Welt ist ein Schlachtfeld. Erleben wir nun im Roman, wie er die Welt sieht oder was wirklich geschieht? Das lasse ich offen.

Charakter- und Feldzüge

Der Gedanke des Lebens als Kampf ist natürlich nicht neu, wurde allerdings traditionell anders gedacht: Aus darwinistischer oder (schlimmer noch) aus sozialdarwinistischer Perspektive. Ich allerdings meine keinen tatsächlichen Wettstreit zwischen Personen oder Personengruppen, sondern denke an eine reine Erlebensebene. Der Kampf ist nicht real, sondern nur im Kopf einer Person, in diesem Fall Martin Sorck.

Man kann die Kriegsszenen im Roman Sorck auf vielerlei Weise interpretieren und das ist auch so gewollt. Eine wichtige Lesart ist die angesprochene, dass der Krieg bildhaft für die inneren Umstände des Protagonisten zu verstehen ist. Dass Martin nicht in seine Umgebung passt und ernsthaft mit dem Leben ringt, wird im Roman wohl schnell klar. Eine andere Lesart bezieht sich daher auf die Struktur, die ich im Blogeintrag Sucht und Struktur besprochen habe. Der Aufbau und Ablauf der Landgänge spiegelt den Weg durch die Sucht wider. Die Kämpfe ebenso wie die Zwangssituationen sind Teil der Darstellung. Daher ist, wie im Beitrag gezeigt, auch der Rückschlag für die Reisegesellschaft in Stockholm der erste große Sieg im Kampf gegen die Sucht. Diese beiden Lesarten widersprechen einander nicht, sondern ergänzen sich sogar.

Viele haben die Landgänge und die damit zusammenhängenden Kriegsszenen auch als gesellschaftskritisch gelesen, was absolut legitim ist. Ich kann mir keine gelungene Darstellung eines Krieges oder kriegsähnlicher Zustände vorstellen, die nicht als Kritik an etwas gelesen werden könnte oder müsste. Kritik ist fraglos Teil des Werkes.

Persönliche Aspekte

Ja ja, natürlich spiegelt die Darstellung von Krieg und Zerstörung persönliche Aspekte des Autors wider. Es jetzt noch abzustreiten wäre unsinnig angesichts der Einleitung. Immerhin habe ich bereits verraten, dass es anfangs nicht bewusst geschehen ist. Ich hatte und habe meine Kämpfe, wenn ich auch glücklicherweise niemals im Krieg gewesen bin. Hätte ich Krieg wirklich erlebt, würde ich wohl davon absehen, ihn in meinen Geschichten als Symbol zu missbrauchen.

Die Wahrheit ist, dass mich der besprochene Themenkomplex seit Kindergartentagen interessiert. Ich erinnere mich, wie ich in dem Alter Soldaten und Kriegertypen gezeichnet habe, wie ich fasziniert ein Buch über den Zweiten Weltkrieg durchgeblättert und später heimlich Kriegs- und Actionfilme (deren Genregrenzen in den 90ern oft verwischt waren) geschaut oder (nicht heimlich) mit Action Man Figuren gespielt habe. Der Krieg war überall: Krieg auf Cybertron bei den Transformers (also in Zeichentrickfilmen/-serien), in Filmen, als Teil der Bildung und im Spielzeug (auch wenn ich nicht mit Spielzeugwaffen spielen durfte). Wie kam das? War das eine Mode? Ist das so ein Blödsinn, der passiert ist, weil ich ein Junge war? Habe ich als ausschlaggebendes Elemente genau in dem Moment zufällig einen Kriegsfilm gesehen, als ich herauszufinden versuchte, was man als Junge/Mann auf der Welt so treibt?

Offen gestanden, ich habe keine Antworten auf diese Fragen. Waren die Symbole, die ich heute verwende, also unumgänglich? Wer weiß. Sie haben jedenfalls eine von meiner Kindheit völlig losgelöste Bedeutung.

Krieg in der Literatur

Natürlich habe ich irgendwann Im Westen nichts Neues von Remarque gelesen und es hat mir ebenso gefallen wie die anderen Bücher, die ich von ihm kenne. Hesse hat eine Weile auch mit futuristischen Gedanken und Kriegssymbolik gespielt, bis der große Krieg dann kam und Hesse seine Fehler einsah. Von Sun Tzu (Kunst des Krieges) über Mao (Theorie des Guerillakrieges) bis zu Carl von Clausewitz (Vom Kriege) und Winston Churchill habe ich einiges zum Thema gelesen. Teils lag es an den in meiner Jugend im Haus befindlichen Bücher und teils an einem Interesse, das sich unter anderem aus der Lektüre dieser Bücher ergeben hat. Aber wo steckt nun der Kern meiner Faszination?

Vielleicht ist es das schier unfassbare Ausmaß an Leid, Organisation, generationenlangen und Kontinenten überspringenden Auswirkungen, Propaganda und immer wieder Leid, das mit Kriegen zusammenhängt und das wohl niemand geistig ganz erfassen kann. Ein Krieg, gerade in den letzten 200 Jahren, ist ein so enormes und derart grässliches Ereignis, dass es sich ins Gedächtnis und die Seele der Menschheit für Generationen einbrennt. Angesichts dessen schämt man sich für jede symbolische Verwendung des Krieges. Ich bin mir sicher, dass es noch Rückstände der Erfahrungen meines Urgroßvaters aus dem Ersten Weltkrieg in mir gibt, ob nun durch Erziehung oder die Gene weitergegeben, und ebenso welche meiner Großväter aus dem Zweiten Weltkrieg.

Vielleicht war Sorck am Ende ein Ventil, um einen Teil dieser Grässlichkeit in mir loszuwerden, und wenn es auch in verdrehter Form geschehen ist.

Abschließend sollte ich eine Selbstverständlichkeit betonen: Ich hoffe, niemals in den Krieg ziehen zu müssen und dass ich weder mit diesem Blogeintrag noch mit meinem Roman Personen zu nahe getreten bin, die echte Kriegserlebnisse durchmachen mussten.

Ameisen

Über Ameisen als Symbol in der Literatur.

In der Anime-Serie Neon Genesis Evangelion gibt es eine Szene, in der Shinji in der Bahn sitzt, durch die Stadt fährt und eine Ameise sieht. Er sagt, dass es ein Zeichen der wirklich Einsamen sei, dass sie Ameisen sähen. Dieses Bild habe ich immer geliebt und nie wieder vergessen. Es gibt nichts Einsameres als eine einzelne Ameise ohne Anschluss an die anderen.

Wenn in einem meiner Texte eine Ameise auftaucht, kann man sich sicher sein, dass Einsamkeit eine Rolle spielt. In Das Maurerdekolleté der Gefräßigkeit, der dritten Geschichte in Das Maurerdekolleté des Lebens, läuft Theo an Verletzten vorbei, die sich wie verletzte Schnecken über den Boden schleifen, während er wie eine Ameise an ihnen vorbeiläuft. Hier steht die Ameise auch für das Kriegerische in ihm und schlicht die Art, wie er stakst. Doch die Friss oder stirb-Attitüde, die er an den Tag legt, führt zwangsläufig zu einer Abkapselung, auch wenn diese nicht groß thematisiert wird. Sie klingt jedoch in der Kälte des Umgangstons, den er pflegt, mit, wie ich finde.

Ameisen überleben durch Zusammenarbeit, ein gemeinsames Ziel und klare Aufgabenverteilung. Jede einzelne Ameise ist Bestandteil von etwas Größerem. Denken wir besonders an jene Ameisenarten, die keine festen Bauten haben, sondern Konstrukte aus ihren eigenen Leibern erstellen, um sich zu schützen. Alle ineinander gehakt, alle gemeinsam. Das einzelne Wesen ist nur im Zusammenhang mit den anderen von Bedeutung. Ohne die anderen verliert eine Ameise alles. Das ist der Kern des Bildes der einsamen Ameise: Nicht nur ist eine Ameise meist mit Artgenossen zusammen, sondern sie verliert jeden Lebenssinn, jede Aufgabe, wenn sie von den anderen getrennt ist. Fühlt sich echte Einsamkeit nicht genau so an? So abgekapselt zu sein, dass jeder Sinn sich auflöst.

Uns im Westen könnte der Vergleich mit Ameisen übel aufstoßen, da wir viel von unseren Individualität halten. Wir sehen uns zuallererst als Einzelwesen und erst danach als Teil der Gesellschaft, in der wir leben. Ich bin Künstler, ich sehe das mit Sicherheit so. Doch nicht überall auf der Welt trennt man das eigene Wesen so sehr von Gesellschaft und Staat. In Kulturen, die diese Einbindung des Individuums in die Gesellschaft und seine Identifikation mit dieser stärker ausgeprägt leben, werden Menschen den Lebenssinnverlust durch Vereinzelung deutlicher spüren, vermute ich. Dennoch können auch wir das Bild verstehen.

Manchmal frage ich mich, ob die Suche oder Frage nach einem Lebenssinn nicht erst mit der Einsamkeit kommt, oder ob diese Suche Einsamkeit verursacht beziehungsweise verstärkt. Findet man keine Antwort auf die Frage, hilft es dem Ego sicherlich nicht.

Mir ist gerade ein anderer Ameisen-Vergleich eingefallen. Vorweg: Ich bin kein Biologe und erzähle das Folgende aus meiner Erinnerung an Dokumentationen. Also: Im Regenwald gibt es interessante Pilzarten, die sich auf Insekten (einige auf Ameisen) spezialisiert haben für ihre Fortpflanzung. Die Sporen des Pilzes setzen sich in einer Ameise fest und manipulieren diese wie ein Parasit. Eine befallene Ameise wird sich in der Nähe anderer Ameisen auf eine Erhöhung begeben. Dort sprießt der Pilz aus ihrem Körper heraus und verbreitet schließlich neue Sporen, die Ameisen befallen. Dies kann eine ganze Kolonie auslöschen. Daher wird eine befallene Ameise, sobald sie entdeckt worden ist, von anderen Ameisen aus dem Bau getragen und in ausreichender Entfernung liegen gelassen. Wo ist das Bild? Betrachten wir die Sporen als Ideen und jede Ameise, aus der ein Pilz bricht, als Ideen-Multiplikator (Künstler*innen, Politiker*innen etc.) wird es interessant. Vor manchen Ideen muss man den Bau schützen und manchmal werden neuartige Ideen mundtot gemacht, die gehört werden sollten. Man könnte die befallenen Ameisen auch als Außenseiter in Sachen Kunst oder Mode betrachten, deren Ideen, Optik, Sound o.ä. schließlich vom Mainstream absorbiert wird, wenn sie populär genug geworden sind (also wenn die Sporen weit genug getragen worden sind). Durch die Ausrottung der Ameisenkolonie als Folge wären allerdings giftige Ideen die bessere Wahl als implizierte Bedeutung. Generell sollte man vorsichtig sein, Menschen mit Tieren und besonders mit parasitären Lebensformen zu vergleichen.

Was mache ich jetzt mit diesen Gedanken? Was macht ihr damit? Vielleicht sitzt ihr bald auf einer Wiese (mit ausreichend Abstand zu anderen Personen), schaut auf den Boden, seht eine Ameise und stellt fest, dass ihr weniger einsam seid, als ihr sein könntet. Seht euch um! Ihr seid noch immer Teil der Kolonie.