Wie ich Ausschreibungen angehe

Über meine Heransgehensweise an Ausschreibungen anhand eines Beispiels.

Vor Kurzem habe ich mal wieder bei einer Ausschreibung mitgemacht. Um welche es sich handelt, lasse ich außen vor. Allerdings wurde unter anderem nach „experimentellen Texten“ gefragt. In diesem Blogeintrag möchte ich euch meine Herangehensweise anhand einiger kurzer (und nicht endgültig ausgearbeiteter) Texte, die ich nicht eingeschickt habe, zeigen.

Oft starte ich die Arbeit für Ausschreibungen oder Anthologien, indem ich alles notiere, was mir einfällt. Man könnte sagen, ich stürze mich einfach rein. Das kann entweder bedeuten, dass ich Ideen sammele, die ich später ausarbeite, oder einfach losschreibe. Sortieren kann ich später noch. Häufig suche ich zusätzlich noch bereits fertige Texte heraus, die passen könnten. Diese lasse ich hier ebenfalls außen vor. Die genaue Herangehensweise hängt davon ab, was gefragt ist, wie offen Thema und Textform sind und wie lang die Texte sein sollen. In diesem Fall war das Thema sehr offen, die Textform frei, die Länge mit „bis 4 Seiten“ angegeben und die Anzahl einzusendender Beiträge unbegrenzt. Ich hatte also freie Hand.

Der erste gedankliche Stolperstein war der Ausdruck „experimentelle Texte“. Was versteht man, was verstehen die Verantwortlichen der Ausschreibung darunter? Ich war mir unsicher. Also habe ich mit einer befreundeten Autorin diskutiert, die mir leider auch nicht groß weiterhelfen konnte. Allerdings kam ich darauf, dass es Textformen und Herangehensweisen gibt, die ich noch nie in der gedruckten Literatur gesehen habe: Greentext Storys. Greentext stammt von Boards wie 4Chan und folgt ganz bestimmten Konventionen, an die man sich zunächst gewöhnen muss. Beispielweise beginnt jede Zeile mit dem Zeichen > und fast jede Story beginnt mit der Zeile >be me, oft gefolgt von einer kurzen Beschreibung a la >beta as fuck oder >15yo beta dude. Vollständige Kleinschreibung und Kraftausdrücke sind häufig, der Einschub (oft von Reaktionen und Gefühlen) in Form von Dateinamen (*.jpg o.ä., also beispielsweise whatthefuck.jpg) gehört zum Standard. In deutscher Sprache habe ich Greentext Storys nie gesehen, was an der Dominanz des Englischen im Internet liegen mag oder an mangelhafter Recherche.

Jedenfalls hielt ich es für „experimentell“ genug, eine der großen Öffentlichkeit unbekannte, aber sehr interessante Textform zu verwenden. Um es interessanter zu machen und eben doch keine richtige Greentext Story zu verfassen, bin ich meta gegangen und habe eine Greentext Story über die Verwendung von Greentext Storys als Antwort auf die Frage, was experimentelle Texte seien, geschrieben und sie grün & meta genannt. Möglicherweise fiel mir auch nichts besseres ein, diese Auffassung lasse ich gelten. Hier der Text:

>be me
>meta as fuck
>habe bücher veröffentlicht, aber ohne erfolge
>literaturzeitschrift sucht experimentelle texte
>thehell.jpg
>was zum fick sind ‘experimentelle texte’?
>frage kollegin
>’lautmalerei und shit’ sagt sie
>wielahm.png
>antworte ‘vor 100 jahren vielleicht’
>handgemenge
>entscheide mich für greentext geschichte
>werde veröffentlicht
>herfacewhen.jpeg

Damit war ich also auf den Meta-Zug aufgesprungen und bin für einige Texte dabei geblieben. Literatur, die von Literatur handelt, ist nichts Neues. Aber witzig kann sie trotzdem sein. Um etwas Kritik an übertrieben konzipierten Werken (und damit auch an mir selbst) zu üben, habe ich einen Text als Entwurf/Pitch für einen Roman entworfen. Wem der Inhalt bekannt vorkommt, liest bei Twitter sehr aufmerksam mit. Solche Texte betrachte ich hauptsächlich als literarische Scherze. Hier also Strobofeuer XVII:

Bei Strobofeuer XVII – der Titel ist planhaft willkürlich gewählt – handelt es sich um eine ineinander geschachtelte Literaturkonstruktion, die in ihrer Struktur an das Sphärenmodell Aristoteles’ erinnern und ultimativ argumentationslos Gott zu widerlegen strebt, und das mithilfe Gottes selbst, denn – so viel sollte klar sein – nur Gott kann den Beweis seiner Nicht-Existenz erbringen. Die Rahmenhandlung besteht aus einem Roman, der von Gott verfasst wird, der sich anstrengt, von uns verstanden zu werden. Der Inhalt des Romans ist die Aufführung eines Theaterstücks in Echtzeit, das aus einem Dialog besteht zwischen einem Mann und Gott, durch ein Huhn dargestellt. Auf einer schwarzen Bühne steht der Mann in dunkelgrauem Overall, während das Huhn, Gott, in natürlichem Braun ihm gegenübersteht, gackernd, sich wie ein Huhn verhaltend. Der Mann, stellvertretend für die Menschheit und, da er ein Mann ist, kritisch zu betrachten, weil er unmöglich die gesamte Menschheit repräsentieren kann, stellt Fragen an Gott, die sich durch ihre Simplizität auszeichnen. Gott antwortet. Da jedoch die Antworten Gottes auf die Fragen, die die Menschheit interessieren, für humane Gehirne unverständlich sind, werden seine Antworten im Theaterstück durch verzerrte Geräusche dargestellt und gedruckt durch geometrische Formen. Sämtliche Regieanweisungen lauten gehet hin und mehret euch. Der nicht funktionierende Dialog führt zu einem Wutausbruch des Mannes, der im letzten Akt nur noch flucht, was von Gott mit einem Dreieck beantwortet wird. Um das Werk massentauglicher zu gestalten, werden die Kraftausdrücke zensiert und durch #!?* in unterschiedlicher Reihenfolge ersetzt. So kommt es zum letzten Wortgefecht und Höhepunkt des Stückes:

Mann: Verf#!!?e F*?#e!

Gott:

Ultimativ ist Gott Regisseur, Huhn und Autor – Trinität! – sowohl des Theaterstückes als auch des Romans – wie im Himmel so auf Erden –, der den Rahmen von Strobofeuer XVII bildet. Es steht noch zur Debatte, ob das Werk auf Latein veröffentlicht werden sollte.

Und um noch einen Schritt weiterzugehen, folgte ein Text, der als scheinbarer Entwurf eines Textes, der wie ein Film funktionieren soll, erscheint, um dann aus diesem Bereich wiederum auszubrechen. Ich habe ihn schlicht Entwurf genannt:

Entwurf filmvergifteter Literatur: Man nehme einen Text über die Gewalt, die ein Vater seinem Kind antut, und einen weiteren von Goethe, der beispielsweise über die positive Wirkung sanft-sülziger Iphigenie-artiger Werke referiert, und kombiniere beide wie zusammengeschnittene Szenen im Film. Papa holt aus, Schnitt zu Goethe, Kind weint, Papa greift sich den Gürtel, Goethe: wären | nicht Kinder und Bettler | Hoffnungsvolle Narren, Kind schreit, kauert am Boden, Papa holt erneut aus, Goethe kann die Fresse nicht halten, jetzt schreit es nicht mehr, hofft im Stillen, dass es für diesmal vorbei ist, und ihr Bastarde wollt nicht hinsehen? Goethe-Zitate? Wirklich?

Die 2 Texte, die ich schließlich eingeschickt habe, sind weniger verkopft, sind intensiver, direkter und wenigstens in einem Fall dennoch experimentell. Nach 2 Tagen, in denen ich Ideen gesammelt und ausgearbeitet habe, hatte ich 9 neue Texte. Hinzu kamen 5 fertige Texte, die thematisch gepasst hätten. Nach 2 Überarbeitungsrunden folgte die erste grobe Sortierung: 9 Texte verblieben. 2 weitere Überarbeitungsrunden und eine Sortierung später war ich bloß auf 8 runter, was mir noch immer zu viel erschien. Die nächste Durchsicht und Sortierung reduzierte auf 6, dann auf 4 und schließlich auf 2, mit denen ich zufrieden bin. Die Zeit war diesmal sehr knapp, weil ich zu spät auf die Ausschreibung aufmerksam geworden bin. Am Mittwoch habe ich mit der Arbeit angefangen, sie Donnerstag fortgesetzt, am Freitag hatte ich wenig Zeit und am Samstagvormittag habe ich die Texte abgeschickt.

Es ist bei mir üblich, dass ich für Anthologien und Ausschreibungen, mit deren Themen ich etwas anfangen kann und die nach kurzen Texten fragen, in kürzester Zeit etwa 10 Ideen entwickele und mindestens die Hälfte umsetze, bevor ich mich für die besten entscheide und mich in ihnen festbeiße.

Sofern ihr selber schreibt: Wie macht ihr das? Entscheidet ihr euch sofort für einen Ansatz und verfolgt ihn oder sammelt ihr euch erstmal?