Content Notes: Grusel, Angst
Im Erzählband Erschütterungen. Dann Stille. gibt es 2 Texte, die in die Kategorie Grusel/Horror gehören. Neben Der Mitatmer ist das Schlammläufer. In diesem Blogartikel soll es nun um die Ideen hinter Schlammläufer gehen und um die Herkunft des Titels. Ohne Spoiler ist das nicht zu machen. Seid also gewarnt und lest zuerst die Geschichte, bevor ihr hier weiterlest!
Die, die im Dreck spielen
Üblicherweise habe ich wenig übrig für Sportveranstaltungen, an denen ich mitmachen könnte (und auch für die meisten anderen). Zwar trainiere ich gern, wie es auch schon im Blogeintrag zur Geschichte Masse erwähnt habe, aber Gruppensport und Veranstaltungen sind nicht meins. Veranstaltungen wie der Tough Mudder allerdings, der wohl nicht mehr stattfindet, reizen mich schon länger. Es handelt sich dabei um Hindernisläufe, die an Boot Camps erinnern und bei denen man garantiert nicht sauber bleibt. Man hangelt über Matsch, kriecht durch Röhren, klettert Wände hoch und läuft zwischendurch auch. Eine umfassende Fitness ist also Voraussetzung für die Teilnahme.
Dass die Gruselgeschichte Schlammläufer oder die einleitende Handlung auf solchen Sportveranstaltungen basiert, ist kaum zu übersehen. Auch der Titel ist natürlich angelehnt. Witzigerweise dachte ich bis vor 10 Minuten, dass der Tough Mudder eigentlich Mud Runner hieße. Es handelte sich also zuerst um eine Übersetzung eines falschen Namens. Klingt aber auch gut.
Die Sache mit dem Geschlecht
In Schlammläufer wollte ich nicht schon wieder einen Protagonisten handeln und Angst haben lassen, sondern eine toughe Frau verbauen. Dazu gleich mehr. Aber man könnte sich fragen, warum die Story dann nicht Schlammläuferin heißt. Ich hatte darüber nachgedacht. Allerdings hat sich der Titel niemals auf die Protagonistin/Ich-Erzählerin bezogen, sondern zuallererst auf die Veranstaltung. Möchte man den Titel aber auf Figuren beziehen, hat man nun die Auswahl zwischen Max, dem Badehosen-Dude, und dem Hirschmann. Hat man da wirklich eine Wahl? Gibt es am Ende noch einen Unterschied zwischen beiden? Wer begrüßt die Ich-Erzählerin am Ende wieder auf unserer Seite?
Die andere Sache mit dem Geschlecht
Es ist eigentlich längst überholt, muskulöse Machos auf Monster zu hetzen, um unschuldig hilflose Fräuleins zu retten. Daher ist es wohl kaum eine Revolution, dass ich eine Heldin gewählt habe, die auf einen weniger starken Mann trifft. Als „starke Frau“ wollte ich jedoch keine Figur schreiben, die sich lediglich verhält, als sei sie ein Standard-Männerheld, der nur zufällig hier zur Frau gemacht wurde. Das scheint noch immer ein gängiges Konzept zu sein. Stattdessen wollte ich eine passendere Perspektive aufbauen. Ob mir das gelungen ist, müssten Leserinnen mir sagen. Ein Aspekt, der mir wichtig war, ist ihre Vorsicht Max gegenüber. Die oben beschriebene Standard-Heldin wäre permanent tough, als ob ihr nichts zustoßen könnte. Meine Ich-Erzählerin allerdings ist sich, wie vermutlich alle realen toughen Frauen, der Gefahr durch Max bewusst. Er mag halbwegs harmlos wirken, aber er ist groß, fit, halb-nackt und mit ihr allein (an einem seltsamen Ort). Mehr als genug Gründe, um vorsichtig zu sein.
Ihre Toughness zeigt sich im Ruhigbleiben, dem klaren Denken (z.B. dass sie alles Mögliche als potenzielle Waffe durchdenkt) und dem Durchsetzen ihrer Pläne und Maßnahmen Max gegenüber. Dass sie beispielsweise darauf besteht, dass er vorgeht, damit sie weiterhin so sicher wie eben in der Situation möglich sein kann.
Tempus
Im Präsens schreibe ich eigentlich selten (und ungern). Hier schien es mir aber passend. Es wirkt aktiver und unsicherer. Auch wenn in Prosatexten die Verwendung des Präteritums keine Anzeige dafür ist, dass die Handlung in der Vergangenheit spielt oder bereits abgeschlossen ist, kann die Vergangenheitsform dennoch genau das suggerieren: Die Sache ist bereits gelaufen (und der/die Erzähler*in hat überlebt). Das Präsens ist zwar auch nicht mehr besonders selten, wirkt aber dennoch näher dran und gibt der Story etwas mehr Tempo und eben Unsicherheit.
Übrigens kann man die scheinbare Sicherheit der Verwendung des Präteritums auch nützen, um die Leser*innen zu überraschen, indem man die erzählende Figur beispielsweise sterben lässt. Wäre die Erzählinstanz tatsächlich in einer sicheren Situation, die zeitlich nach der Handlung angesiedelt ist, könnte sie kaum im Präteritum sterben. Aber sie kann.
Der Hirschmann
Aufmerksamen Leser*innen könnte bei der Erwähnung des Hirschmanns der Gedanke an Sorck und den Wolfsmann gekommen sein. Das ist nachvollziehbar und nicht ganz falsch. Allerdings stammt der Wolfsmann als Idee aus einer Traumreise, die ich irgendwann mal mitmachen durfte, und der Hirschmann ist angelehnt an einen (erfundenen) Drogentrip, der in meinem allerersten (niemals veröffentlichten) Manuskript Der König der Maulwürfe vorkommt. In diesem Manuskript wiederum ist der Mensch-Hirsch-Hybrid ein friedliches Zeichen, in Schlammläufer ist er das auf keinen Fall. Er ist eine reine Horrorfigur: An mehreren Orten gleichzeitig, in verschiedenen Größen und unangreifbar.
Der Horror in uns
Ich bin davon überzeugt, dass die besten Horrorfiguren jene sind, die man auch als innere Dämonen interpretieren kann oder die tatsächlich in uns sind/sein sollen (z.B. Freddy Krueger in den Träumen). Daher sind meine Horrorfiguren auch meist ähnlich zu lesen. Man kann sie als Manifestationen von Traumata interpretieren oder als in die Realität eingreifende Albtraumwesen oder als Erinnerungen, die zurückkommen, obwohl sie ungewollt sind.
Den Hirschmann lese ich gern als Verkörperung der Angst von Max, und die Ich-Erzählerin erhält einen Einblick, den sie nicht hätte haben dürfen. Sie rutscht quasi in Max’ Kopf. ABER: Diese Interpretation ist erst nach Fertigstellung und Überarbeitung der Geschichte entstanden. Lest Schlammläufer also auf eure Weise und erzählt mir vielleicht davon!