Joker: What We F*ing Deserve

Besprechung des Films “Joker” und Interpretation einiger Szenen.

Aus zwei Gründen gehe ich selten ins Kino: 1. Kinobesuche sind teuer und 2. viele Kinofilme sind den Ticketpreis nicht wert. Joker habe ich mir jedoch im Kino angesehen und ich habe es nie bereut. Beim zweiten Sehen habe ich mir Notizen gemacht, um euch diesen Blogeintrag präsentieren zu können. Es wird einige dicke Spoiler geben. Fazit vorweg: Guckt euch den Film unbedingt an!

Während Marvel-Filme eine gewisse Konsistenz aufweisen, indem sie fast alle mittelmäßig (und unterhaltsam) sind, gibt es bei DC-Verfilmungen eine Bandbreite von schlechten und vorhersehbaren Filmen bis zu brillanten Kunstwerken. Wer ist daran Schuld? Ist mir egal. Ich ertrage 5 Green Lanterns für einen Dark Knight oder Joker. Also sprechen wir über das neueste Kunstwerk aus den Comic-Tiefen von DC.

Der Film beginnt und wir sehen Arthur, der später zum Joker werden wird, vor dem Spiegel sitzen. Gebrochen, traurig, bereits zu Beginn des Films am Ende seiner Kräfte. Er trägt die weiße Grundierung seines Clown-Make-Ups auf, hakt die Finger in die Mundwinkel und zieht sein Gesicht in Falten, kreiert ein grauenhaftes Lächeln unter schmerzerfüllten, halbtoten Augen. Ich liebe dieses Bild. Was Joaquin Phoenix für diese Figur leistet, seine Mimik, seine Gestik, sein Körper und seine Körperhaltung erinnern mich an die Leistungen von Christian Bale in The Machinist, für den er sich auf unglaubliche Maße heruntergehungert hatte. Leiden für die Kunst ist bekanntlich etwas, womit man mich beeindrucken kann. Das tote Lächeln vorm Spiegel ist eines der Bilder, die hängen bleiben.

Die Treppe ist ein anderes dieser Bilder. Wer den Film gesehen hat, weiß sofort, von welcher Treppe ich spreche. Es gibt eine lange Treppe, die Arthur auf dem Heimweg mühsam hinaufsteigen muss. Die gleichen Stufen tanzt er später, nach seiner Transformation zum Joker, hinab. Mehrmals kehrt der Film an diesen Ort zurück, doch niemals geht Arthur hinab, immer nur hinauf. Der Joker steigt hinab. Es scheint so schwierig für Leute wie Arthur aufzusteigen, während es so furchtbar einfach ist, nach unten zu gelangen. Arthur müht sich ab, aber der Joker tanzt – und zwar nicht verkrochen in der Wohnung, wie Arthur es gelegentlich tut.

Der mühsame Aufstieg passt zu Arthurs jahrelangen Versuchen, es hinzukriegen und positiv zu bleiben. Denn Arthur ist im Grunde zutiefst positiv und optimistisch: Er arbeitet, er glaubt, dass die Welt mehr Lachen braucht, er träumt von Bedeutsamkeit und Zustimmung, er nimmt seine Medikamente und geht zur einzigen Form von Therapie, die er sich leisten kann, bei den Social Services. Die Welt lässt ihm seinen hartnäckigen Optimismus nicht. In seiner letzten Therapiesitzung wirft er der Therapeutin vor, „you don’t listen, do you?“ und das sagt er tragischerweise zur einzigen Person, die wenigstens aus Professionalität halbwegs zuhört. Er gesteht ihr: „All I have are negative thoughts.“ Dann wird ihm mitgeteilt, dass fortan Therapie und Medikamente wegfallen werden. Der Absturz ist vorgezeichnet.

Doch gehen wir ins Eingemachte. Mehrmals sagten Batman oder Psychiater in den Comics über den Joker, dass er selbst kaum unterscheiden könne zwischen Realität und Einbildung, und besonders, dass er immer wieder neue Vergangenheiten zusammenspinnt. Dadurch wird jede Origin-Story potenziell zum Kopfkino des Jokers. Das gilt auch für diesen Film. Am Ende sieht man Arthur, den Joker, vor einer Psychiaterin sitzen – gleiches Gesicht wie die Therapeutin der Social Services, andere Frisur, anderes Auftreten – und sie fragt, worüber er lache. Es wird angedeutet, dass er sie umbringt und ausbricht. Damit ist eine naheliegende Interpretation, dass alle Geschehnisse des Films im Kopf des Jokers passiert sind. Das wiederum hieße, dass diese Origin-Story nicht stimme, dass nicht die Gesellschaft ihn über die Klippe zum totalen Wahnsinn, manifestiert im Joker, getrieben hat, sondern im Grunde er selbst – natürlich beeinflusst von Arthurs tatsächlicher Vorgeschichte. Der Name Arthur taucht allerdings in der einzigen mir bekannten Origin-Story in den Comics auf: in The Killing Joke (einem absoluten Must-Read für alle Joker- und Batman-Fans).

Im Film geht Arthur zum Anwesen der Waynes, weil er von seiner ebenfalls geisteskranken Mutter überzeugt worden ist, dass Bruce Wayne sein Halbbruder sei, Thomas Wayne also sein Vater. Hier musste ich im Kino stutzen. Bruce ist ein kleiner Junge, Thomas und Martha leben noch, wir befinden uns pre-Batman-Origin. Der Altersunterschied zwischen Bruce, Batman, und Arthur, Joker, ist im Film enorm, während beide in den Comics ungefähr das gleiche Alter haben müssten, weil Batman sonst einen Joker nahe der 60 bekämpfen würde, was nie so zu sein scheint. Allerdings glaubte der Joker in allen Comics an eine tiefe Verbindung zwischen ihm und Batman. Er wusste in vielen Geschichten sogar, dass Bruce Wayne Batman ist. Die scheinbare Verbindung der beiden wäre durch die Illusion einer Verwandtschaft betont. Eine weiterer Verknüpfungspunkt wird gegeben, wenn sich Joe Chill, der Mörder von Thomas und Martha, am Ende des Films in einer Joker-Maske und am Rande der vom Joker inspirierten Straßenschlachten an sein Werk begibt. Damit wäre in Jokers Fantasie, sofern der Film eine Einbildung des Jokers darstellt, er selbst sowohl mit Batman verwandt als auch mitverantwortlich für dessen Entstehung.

Die Kopfkino-Theorie wird außerdem unterstützt durch die Darstellung von Alfred, dem Butler der Waynes, und von Thomas Wayne. In den Comics werden beide meist extrem positiv gezeichnet: Alfred ist überaus höflich, immer eloquent, aber keineswegs schwach. Thomas ist meist ein Quasi-Heiliger, der zwar zu den Superreichen zählt, aber gleichzeitig als Arzt in den übelsten Vierteln arbeitet und/oder Bahnstrecken errichtet, um das Leben in der Stadt zu verbessern. Im Film sind beide unsympathisch und elitär. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Comics die Perspektive von Batman/Bruce, die Sicht des Waisen auf seinen echten Vater und seinen Ziehvater, zeigt, während der Film die Perspektive des Jokers einnimmt.

Ich merke gerade, dass ich noch seitenweise weiterschreiben könnte: über eine Hommage an Dark Knight, über manche Zitate, über die Subjektivität von Humor (einem extrem wichtigen Thema des Films), über die Wahl der Musik, das Oldschool-Flair des Films oder über die Diskussion „gebrochene Lanze für alle mit psychischen Erkrankungen versus die angebliche Verherrlichung von Gewalt und Rache“. Eine meiner Notizen sagt: „Joker ist der Taxi Driver unserer Generation, aber mit passenderem Ende“, was heißen soll, dass die Stile durchaus ähnlich sind und es inhaltliche Parallelen gibt, aber Taxi Driver es sich damals nicht traute, realistisch, ehrlich, brutal, verstörend zu enden (obwohl man auch hier interpretieren könnte, dass das Ende des Films ebenfalls nur im Kopf des Protagonisten stattgefunden hätte und er tatsächlich im Bordell verblutet ist oder möglicherweise in einer Psychiatrie dahinsiecht). Allein über die Szene, in der Arthur in den Kühlschrank steigt, könnte ich einen kompletten Blogeintrag schreiben … Vielleicht werde ich das auch.

Was bleibt noch zu sagen? Send in the clowns … there should be clowns …

Batman vs. Sorck

Gestern las ich in der Buchensemble-Rezension, man hätte Sorck zuerst für den Namen eines Sturms gehalten. Ganz falsch ist das in Bezug auf mein Leben auch nicht. Aber findet ihr nicht auch, dass Sorck ebensogut der Name einer Comic-Figur sein könnte? Vom Klang her käme er General Zod, einem Gegner von Superman, am nächsten. Das ist aber Zufall. Hier und jetzt möchte ich über Comics schreiben und inwiefern sie mitverantwortlich sein könnten für die erreichten und überschrittenen Skurrilitätslevel in Sorck: Ein Reiseroman.

Meine Beziehung zu Graphic Novels und Comics begann im Laufe meines Literaturstudiums. In einer Vorlesung wurden die Werke von Marc-Antoine Mathieu empfohlen. Für diejenigen, die ich ihn nicht kennen: stellt euch vor, Kafka hätte Bilder und weniger Worte verwendet, und gebt einen Schuss französischen Stil dazu. Die Bücher sind intelligent, abgefahren, witzig und auf traumartige Weise bedrückend. Sämtliche Grenzen werden gesprengt. Ich empfehle dringend, sich auf sein Werk einzulassen!

Danach folgte Batman. Ich liebe Batman. Ein Held ohne Superkräfte, aber mit inneren Dämonen, die ihn plagen und vorantreiben. Seine Gegner sind ebenfalls nur selten riesige Monster, sondern hochintelligente Menschen mit komplexem Innenleben und psychotischer Ausstrahlung. Batman ist nichts ohne Gotham oder ohne seine Feinde. In einer anderen Umgebung und mit weniger bestialischen Gegenspielern fiele eines schnell auf: Batman ist nicht so sehr anders als diejenigen, die er bekämpft. Aber ich verliere den Faden hier.

Wo bestehen denn nun Parallelen zwischen (Batman-)Comics und meinem Roman? Zunächst einmal das Drumherum und die Farbe. In meinem Kopf hat die Geschichte von Sorck ungefähr die gleiche Färbung wie das Cover und somit wie Gotham City. Es ist nicht immer Nacht und es ist nicht immer dunkel, aber der Roman ist für mich innerlich dunkel eingefärbt. Meist denke ich zuerst an Martin Sorck, wie er nachts über das Deck läuft. Dazu nasse Planken. Setzt Batman einige Meter über ihn und ihr habt ein Comic-Panel. Zur Farbe kommt das „Drumherum“, womit ich hauptsächlich die Orte und das Grundgefühl meine. Es gibt im Roman viele Orte, die einem bekannt vorkommen, und einige, die es sogar gibt, aber an allen stimmt etwas nicht. Sie sind anders, als sie sein sollten. Mir gibt das ein Gefühl von subtilem Grusel und einem unterschwelligen Unwohlsein. Die Welt ist nicht in Ordnung. Batman befindet sich ständig an solchen Orten und bewohnt sogar einige davon: Seine Höhle, in der er neben riesige Erinnerungsstücken (Joker-Karte, Riesen-Penny usw.) seine Rüstungen und Waffen ausstellt, oder sein Haus, das voller Erinnerungen und Traumata steckt. Die Krone des Umgebungshorrors stellt aber Arkham Asylum dar.

Den vermutlich wichtigsten Berührungspunkt zwischen Comics und Sorck ist die Skurrilität. Beides ist over-the-top und geht einen Schritt weiter, als man es für möglich hält. Figuren, die in Comics zum Standard-Inventar gehören, wirken losgelöst davon vollkommen abgedreht und falsch, weshalb viele Menschen Vorurteile gegenüber Graphic Novels haben und nicht hineinfinden können. Ich akzeptiere keine Grenzen für meine Werke. Man sollte sich auf alles gefasst machen. In Comics gibt es beinahe unbegrenzte Freiheit. Das Spektrum an verschiedenen Stilen, Themen und Erzählweisen ist riesig. Bleiben wir bei Batman: vergleicht man Year One mit Death of the Family und Arkham Asylum, sieht man den gleichen Protagonisten in einer romanesken Origin-Story, einer Psychohorror-Geschichte und (vom Stil her) dem Tagebuch eines Serienmörders. Und die Fans nehmen es dankend an. Diese Freiheit wünsche ich mir auch für meine Werke. Lasst mich tun, was ich für richtig halte, außerhalb, innerhalb und zwischen Genregrenzen, in ausgefallenem Stil, mit abgedrehten Figuren, Orten und Plots. Sorck kann als Statement für diese Form von künstlerischer Freiheit gelesen werden: ich lege Feuer.

In der zu Anfang erwähnten Rezension heißt es, das Buch meine alles und nichts ernst. Aber ich meine es bitterernst, ich nehme es nur nicht so. Sorck funktioniert ein bisschen wie der Joker: es gibt einen großen Plan, den man nur schwer erkennt, der aber durchgängig verfolgt wird, und zwischendurch bleibt Zeit für ein paar Witze und ein wenig Kollateralschaden.

Unter der Kategorie “Sorck” (im Klappmenü rechts) finden sich weitere Beiträge zum Roman.

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