Eine Erfahrung aus Schmerz und Glück

 

Ausnahmsweise geht es in diesem Text nicht um Literatur, sondern um Musik beziehungsweise eine Musikerfahrung. Gestern besuchte ich ein kleines Festival im Junkyard in Dortmund. Letzter Act des Abends war Dopethrone. Auf ihrer Website beschreiben sie sich selbst so: Dopethrone plays Slutch Metal. It’s a foul Canadian mix of yellow snow, crackhead diarrhea, blood, tears and broken dreams.

Ich finde es schwierig, das Genre „Sludge“ generell zu beschreiben, und noch schwieriger, zu sagen, was Dopethrone innerhalb des Genres besonders machen. Wer sie also nicht kennt, sollte sich beispielsweise den Song da oben anhören, ihn sich vielfach lauter und härter vorstellen (weil live) und dazu Gestalten, von denen man nicht einmal Crack kaufen würde.

Das Level der Abgefucktheit innerhalb des Genres kann immense Ausmaße annehmen. Es ist dreckig, es ist laut und es ist (selbst)zerstörerisch. Die Ansage zwischen zwei Songs Kill everybody! Destroy everything! war nicht untypisch, genausowenig die Forderung, auch im Falle einer Legalisierung von Drogen weiterhin von Kriminellen zu kaufen. Woher stammt meine Faszination? Ich argumentiere gerne so, dass Musik (unter anderem) dazu dient, Gefühle in anderer Form darzustellen, um sie verarbeiten zu können (von Künstlerseite und von Seiten des Publikums). Wie viele Lieder handeln von gebrochenen Herzen…? Daher ist es legitim, wenn Musik Verzweiflung, unerträgliche Wut und ähnlich extreme Emotionen aufgreift. Viele Songs im Genre handeln von den eben beschriebenen Gefühlen und Themen wie Sucht, Einsamkeit und Abstürzen jeder Art. Damit kann ich mich identifizieren. Musik muss manchmal wehtun! Jedenfalls für mich. Manchmal muss alles wehtun, damit es besser werden kann. Musik kann Therapie sein und gestern war es endlich mal wieder so.

Während der Bass bis in den Magen dröhnte, kam ich schnell in einen Zustand, in dem ich losließ. Tanzen, wenn man es so nennen kann, Headbangen, Anspannen aller Muskeln kann helfen, Dinge hervorzuholen, die ich zu lange versteckt habe. Ich füge mir Schaden zu (ein kleines Stück weit) und zahle die nächsten Tage dafür. Zuerst wurde ich wütend. Sehr sehr wütend. Beinahe hätte ich weinen können. Es ist keine spezifische Wut, sondern die Summe negativer Gefühle, die in mir schlummert. Alles kommt an die Oberfläche. Manchmal, wenn die Texte passen, schreie ich mit (singen kann man es nicht nennen, weder bei den Musikern noch bei mir). Ich bin ganz allein auf Welt und doch umringt von Menschen, denen es ähnlich geht – vielleicht. Die Bewegung schüttelt und schmettert alles negative heraus wie es gelegentlich bei harten Workouts geschieht. Es ist ähnlich wie eine Schlägerei mit sich selbst. Und dann kommt die Erlösung. Der Körper ist erschöpft und macht trotzdem weiter, während irgendwelche Stoffe ausgeschüttet werden. Aus all dem Dreck und der Wut, dem Lärm, Schwindel und Schmerz entsteht Glück. Das Bild eines Vorschlaghammers kommt mir in den Sinn, mit dem eine dicke Schicht Eis zerschlage, weil es nötig ist. Etwas war eingefroren und gefangen und ich muss Gewalt anwenden, um es herauszuholen. Und es wird alles gut.

Nach dem Konzert wankte ich aus der ungeschmückten Betonhalle ins Freie und war so zufrieden und fröhlich wie lange nicht mehr. Zusammen mit einem guten Freund ging ich zu seinem Wagen und wir fuhren heim. Er machte Musik an, eine CD. Zuerst hörten wir The Man In Me von Bob Dylan und danach sangen wir mit bei Total Eclipse of the Heart. Reden mussten wir nicht mehr. Alles war gesagt. So muss ein Abend sein.

Sorck: Rauschmittel

In Sorck wird nicht wenig getrunken und auch andere Rauschmittel kommen vor. Hier möchte ich einige Gedanken zu Alkohol und Drogen in der Literatur loswerden. Zuallererst sollte jedoch angemerkt werden, dass Rauschmittel in der Literatur und auch sonst nicht unnötig verherrlicht werden sollten. Außerdem hilft es vielleicht meiner Glaubwürdigkeit, wenn ich vorab zugebe, dass ich in meinem Leben eine ganze Menge (um nicht zu sagen zu viele) Erfahrungen mit Rauschmitteln gemacht habe.

Eine positive Darstellung des Rausches an sich betrachte ich noch nicht als Verherrlichung. Es steht wohl außer Frage, dass sich ein gelungener Rausch gut anfühlt. Sonst gäbe es ein sehr viel kleineres Suchtproblem. Wichtig ist aber, dass auch die Kosten für einen solchen Rausch beschrieben werden. An einer Stelle ist das in Sorck umgesetzt: großer Rausch, hohe Kosten. Auf Details der Behandlung des Suchtmittel-Themas im Roman gehe ich an dieser Stelle nicht ein, werde es aber noch nachholen, wenn ausreichend Zeit seit der Veröffentlichung verstrichen sein wird.

In der Literatur werden Bestandteile der Handlung häufig mit Hintergedanken (z.B. als Symbole) eingesetzt oder als Interpretationsansatz angeboten. Die Verwendung von Rauschmitteln innerhalb einer Geschichte kann die Quelle einer Vielzahl von daraus resultierenden Lesarten sein. Natürlich kann schlicht das Thema Sucht besprochen werden, was ich persönlich als legitim und sogar wichtig empfinde. Der nächste Schritt wäre, von Sucht zu Abhängigkeit allgemein zu springen. Kann beispielsweise der Genuss (besser: Konsum) von Rauschmitteln in einem bestimmten Kontext ein Hinweis sein auf eine abhängige, ungesunde Beziehung (Figur A schreit, Figur B trinkt Wein)? Sind die Drogen in Brave New World auch als Symbol der Abhängigkeit der Bürger vom Staat und dadurch der beinahe uneingeschränkten Kontrolle des Staates über die Bürger zu interpretieren?

Es kommt natürlich auf die Ausmaße, Regelmäßigkeit und die Wirkung der Drogen an, wenn es um eine tiefere Analyse geht. Das tägliche triste Feierabendbier, das ohne Rausch und gewohnheitsmäßig konsumiert wird, eignet sich als unterschwelliger Hinweis auf Abhängigkeit, aber besser auf schlechte Gewohnheiten im Allgemeinen und noch besser als Symbol für Abgestumpftheit und Fatalismus. Die von der Werbung verkaufte Entspannung durch eine Flasche Bier sollte man in der Literatur enttarnen und nicht noch weiter untermauern. Wir verbreiten Wahrheit, nicht Werbung! Jeden Abend zu trinken (auch wenn es nur ein oder zwei Flaschen Bier sind), ist Selbstzerstörung. Tut man es vermeintlich zur Entspannung, ist es unbewusste Selbstzerstörung. Denn wer ernsthaft täglich Alkohol braucht, um runterzukommen, hat ein Problem. Als Hinweis auf selbstzerstörerische, möglicherweise (para)suizidale Tendenzen einer Figur kann Rauschmittelkonsum also ebenfalls verwendet werden.

Kommen wir zu einem ganz anderen Aspekt: Realitätsverschiebung. Daniel Kehlmann beherrscht sein Handwerk zweifelsohne. Was mich allerdings mehrfach besonders beeindruckte, waren Geschichten, in denen er schleichend die Realität verzerrt, anfangs höchstens durch ein unbewusstes Gefühl bemerkbar, und sie weiter und weiter verändert, bis es nicht mehr zu übersehen ist, dass etwas nicht stimmt. Dann wird manchmal der Leserin/dem Leser die Auflösung in Form eines Hinweises auf Drogen gegeben. In anderen Fällen hat man plötzlich die Aufgabe, selbständig zu interpretieren. Zweiteres ist mir am liebsten.

Eine verwandte Möglichkeit der Nutzung von Rauschmitteln in Geschichten ist, sie als Interpretationsansatz anzubieten, aber ohne sie als eindeutige Erklärung hinzustellen. Die Entscheidung bleibt beim Leser. Stellen wir uns eine Figur vor, die immer müde ist, möglicherweise psychische Probleme hat und gelegentlich Drogen nimmt. Sieht diese Figur nun ungewöhnliche Dinge, entstehen sofort mehrere gleich gültige (nicht gleichgültige) Lesarten:
1. Die Dinge geschehen wirklich;
2. Die Figur ist auf einem Trip (→ Halluzinationen);
3. Die Figur nimmt die Realität falsch wahr (→ unzuverlässig, schwammig, aufgrund von Müdigkeit);
4. Die Figur interpretiert die Realität falsch (→ z.B. paranoid: glaubt, alle Leute blicken sie an, während sie das eigentlich nicht tun);
5. Der Erzähler lügt (→ unzuverlässige Erzähler sind selten, aber es gibt sie); weitere Möglichkeiten lassen sich sicherlich finden und jede einzelne hat Auswirkungen für das Gesamtverständnis des Textes.

Drogen, Rausch, Kater, Abhängigkeit und alles, was noch daran hängt, war oder ist Teil meines Lebens und wird sich in meinen Geschichten wiederfinden. Entsprechend halte ich es, wie bereits anfangs erwähnt, für legitim und manchmal sogar notwendig, darüber zu schreiben. Sorck habe ich eine Triggerwarnung hinzugefügt, in der unter anderem Drogen und Alkohol erwähnt werden. Mir ist bewusst, dass Trigger sich eigentlich nicht auf Suchtproblematik beziehen, sondern auf Angststörungen. Dennoch können Personen, die abhängig sind oder waren, von Auslösern (wie der Beschreibung eines Rausches) in große Schwierigkeiten (Heulkrämpfe, Suchtdruck, Panikattacken etc.) gestürzt werden. Daher halte ich es für angebracht, auch auf solche Elemente hinzuweisen. Ich hoffe sehr, dass Leser*innen die Szenen, in denen Rauschmittelkonsum vorkommt, nicht als Verherrlichung missverstehen, sondern sie (ungefähr) so auffassen, wie ich sie meinte.

Eine Leseprobe des Romans gibt es hier: Sorck: Leseprobe

Einen ausführlicheren Artikel findet ihr hier: Sorck – Unsortierte Infos zum Debütroman

Unter der Kategorie “Sorck” (im Klappmenü rechts) finden sich weitere Beiträge zum Roman.

Bestellen könnt ihr Sorck auf Amazon (Taschenbuch | Ebook)

Alternativ ist es möglich, das Taschenbuch direkt bei Twentysix oder im Autorenwelt-Shop zu erwerben.

Außerdem ist es möglich, im Buchladen vor Ort ein Exemplar zu bestellen.

Von der Peinlichkeit alter Texte

Sartre schrieb sinngemäß, dass sein bester Text immer derjenige sei, an dem er gerade arbeite, doch wenige Monate später würde er ihm doch wieder peinlich sein. Dürrenmatt verglich Romane mit Bildern, da er auch malte, und stellte fest, dass man jahrelang an einem Bild arbeiten könne und es schließlich perfekt würde. Ein Roman wiederum würde niemals fertig, sondern muss abgebrochen werden. Literatur befindet sich im Zeitfluss. Das simple Grund ist, dass wir Autor*innen uns verändern.

Heute habe ich viele Gedichte gelesen, die ich im Laufe der letzten zwei bis drei Jahre geschrieben hatte. Je älter die Texte waren, desto weniger gefielen sie mir. Mein Stil hat sich gewandelt, meine Themen ebenfalls (ein wenig) und ich bin eine andere Person. Dieses Phänomen werden fast alle kennen, die schreiben. Wie geht man damit um? Um das zu beantworten hole ich etwas weiter aus.

Ihr kennt sicherlich die Frage, die ihr euch selbst oder vielleicht jemand anders gestellt hat: Was würdest du in deinem Leben ändern, wenn du eine zweite Chance hättest? Möglicherweise kennt ihr auch den Film Butterfly Effect. Der Gedankengang ist simpel. Verändere ich einen Aspekt meiner Vergangenheit, ändere ich auch alle nachfolgenden Ereignisse. Hat man schwere Fehler zu korrigieren, ist das genau der Punkt, weshalb man etwas ändern würde. Doch wer sagt, dass die neue Version der Ereignisse besser wäre? In meiner Jugend hatte ich große Probleme in der Schule (korrekter: mit meinen Mitschülern) und brach irgendwann ohne Abitur ab. Ich machte eine schreckliche Ausbildung und arbeitete in einem schrecklichen Job. Dann holte ich mein Abitur nach und studierte ein wenig. Auf dem Abendgymnasium lernte ich gute Freundinnen und Freunde kennen, über sie wiederum andere Personen, die für eine Weile noch wichtiger waren. Ich möchte nicht auf die Erinnerungen verzichten. Nicht auf die schönen Erinnerungen aus offensichtlichen Gründen und nicht auf hässlichen, weil ich aus diesen Erfahrungen lernte. Ich wäre nicht hier, nicht an diesem speziellen Punkt in meinem Leben und meinem Schreiben, wenn ich nicht auch viel Mist hinter mir hätte.

Das Gleiche gilt für Literatur. Wir entwickeln uns, wir lernen. Wenn ich die aus heutiger Sicht schlechteren Texte nicht verfasst hätte, würde ich heute keine besseren schreiben können. Der Trick ist vermutlich nur, schnell genug zu veröffentlichen, bevor man es sich selbst verbietet.

Außerdem darf man nicht vergessen, dass es häufig einen riesigen Unterschied in der Wahrnehmung gibt zwischen einem selbst und allen anderen. Schaue ich in den Spiegel, sehe ich häufig noch den mopsigen Jungen der frühen Jugend oder den dürren Kerl einige Jahre später, während ich längst gut trainiert bin – das weiß ich aus guten selbstbewussten Momenten und durch die Aussagen anderer. Vielleicht sind die Texte also bloß in meinen Augen nicht gut genug.

Literatur befindet sich im Zeitfluss, weil die Verfasser*innen sich verändern. Wir können letztendlich nur hoffen, dass wir die Leser*innen zur richtigen Zeit mit dem richtigen Werk erwischen.