Wie bereits im Text über den Künstler Nick Alm bespreche ich heute ein weiteres Bild, das im Roman Sorck vorkommt. Diesmal ist der Maler bekannter und das Bild eventuell auch. Es handelt sich um den alten Gitarristen von Pablo Picasso (1881 – 1973).
Dieses Bild sorgt noch deutlicher für eine passende Hintergrundstimmung als The Great Implosion von Nick Alm. Gezeigt wird ein alter, blinder Gitarrist, der in gekrümmter Haltung im Schneidersitz mit seinem Instrument in der Hand an der Straße kauert. Abgesehen von der Gitarre ist das gesamte Bild in Blautönen, gemischt mit Grau und Schwarz, gehalten. Es wurde am Ende von Picassos Blauer Phase gemalt, die sich durch ihre tristen Motive (und natürlich die Farbgebung) auszeichnete. Picasso hatte vor Beginn der Blauen Phase einen guten Freund durch Selbstmord verloren und lebte in großer Armut. Entsprechend melancholisch stimmt der Anblick des alten Gitarristen und passt damit sehr gut zur zwischenzeitlich hoffnungslosen Stimmung des Protagonisten Martin Sorck.
Die erste Antwort auf die Frage, warum ich gerade dieses Bild in Sorck erwähnte, ist damit beantwortet. Eine weitere Antwort wäre, dass es eins meiner Lieblingsbilder ist. Ein Kunstdruck hängt an meiner Wand. Wenn ich also etwas, das ich täglich betrachte, in mein Buch einbaue, stecke ich auch ein bisschen mehr von mir selbst hinein. Viele Schichten liegen dazwischen und als Leser*in erkennt man mich nicht dahinter, doch das Bild ist im Buch, weil es hier hängt und es hängt hier, weil es zu mir passt.
Ein weiterer Aspekt ist der Fokus des Bildes auf die Kunst, hier in Form einer Gitarre. Der alte Mann ist angewiesen auf seine Kunst, um zu überleben, er klammert sich daran, wie es für Picasso vermutlich auch war. In meinem Leben ist die Kunst, diesmal als Literatur, ebenfalls im Zentrum. Alles andere ordnet sich konzentrisch darum.
Erwähne ich den alten Gitarristen in meinem Roman, handelt es sich also um Kunst in Kunst, um etwas über Kunst und Künstler auszusagen, wenn man so will. Schicht über Schicht über Schicht und Aussage in Aussage. Ich schreibe nicht über mich selbst, sondern erscheine hier und da in Details, die mich verraten.
Als letzten Punkt wäre noch zu erwähnen (wie schon bei Nick Alm), dass ich Dinge, die ich mag, gerne populärer machen möchte. Jeder kennt den Namen Picasso, aber nicht jeder kennt dieses Bild. Vielleicht tue ich ja jemandem etwas Gutes, indem ich ihn/sie auf Neues (oder neues Altes) aufmerksam mache. Nutzt man sozusagen das vollständige Potenzial meines Buches aus, wird es zu einem multimedialen Ereignis, das aus Literatur, Bildern, Filmen und Musik besteht. Auch wenn ich kein großer Technikfreund bin, kann es eine Menge bringen, das Smartphone in Griffweite zu haben, während man Bücher liest: Schlagt unbekannte Wörter nach, schaut euch angesprochene Bilder an und hört die erwähnte Musik! Ich habe unheimlich viel durch Bücher gelernt und möchte mit Sorck etwas weitergeben.
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Ich lese hier so rein und denke, ja, der alte Mann hält sich an seiner nicht umsonst andersfarbig dargestellten Gitarre = Musik/Kunst fest. Denn ja, er lebt von ihr, erbärmlich, aber er tut es. Aber noch mehr, er hält sich an ihr fest als dem einzigen Fixpunkt, der dem blinden Alten noch bleibt, übertragen auf Picasso können wir ähnlich in gerade dieser Situation vermuten: die Kunst hielt ihn, anders als seinen Freund, im Leben fest. Der Griff zum Pinsel verhinderte schwärzere Gedanken. Die Gitarre steht hier für die Stütze, die die Kunst dem arg verzweifelten, an der Kargheit seines Lebens und der auf ihn einstürmenden Schlechtigkeit der Welt verzweifelnden feinfühligen Mann gibt. Andere Stützen (seine Frauen) waren ja eher vorübergehende, phasenhafte Erscheinungen, nichts festes, fixes wie die Farben, die Pinsel, die LEinwand.
Da stimme ich zu. Der Kommentar liest sich allerdings so, als habe Picassos Freund im Gegensatz zu ihm keine Kunst im Leben gehabt, an der er sich hatte festhalten können. Er war aber Maler und Poet. Manchmal nutzt auch die beste Stütze nichts, wenn die Welt zusammenstürzt.
Das ist klar! Ein persönlicher Zusammenbruch, egal ob durch externe Faktoren verursacht oder von innen kommend ist durch keine Krücke – das sei hier die Kunst oder eben irgend etwas anderes Wichtiges – aufhaltbar. Und gerade viele Künstler, per Definition empfindsame Menschen, haben sich davongemacht, weil sie Etwas als nicht mehr aushaltbar empfanden. Ob Hemingway (der zumindest die damalige Medizin durchprobierte bis hin zu den beliebten Elektroschocks) oder Tucholsky oder wer auch immer. Andere aber klammern sich an ihre Krücke und kämpfen weiter, ob dies nun ein kranker Heinrich Heine oder ein Picasso oder wer auch immer ist. Und kommen dann oft auf eine neue Ebene in der die Gefahr des Selbstmordes offenbar schwindet, diese Flucht nicht mehr erstrebenswert scheint. Es ist übrigens egal ob der Gemeinte selbst Künstler war – auch nicht künstlerisch veranlagte Menschen fallen in diese Gefahr und müssen sich eben andere Hilfen, Stützen suchen und wehe dem, der da nichts oder nichts mehr findet, nichts mehr sieht das interessant, lebenswert wäre.