Bereits im Titel des Gedichtbands Alte Milch findet sich der erste Hinweis auf eine Eigenheit des Werkes: Vergleiche, Bilder und Metaphern aus ungewöhnlichen Bereichen, beispielsweise Essen. Wieso ich diese Bilder wählte, möchte ich kurz erläutern.
Jede*r Schreibende möchte sich auszeichnen, möchte anders sein als andere, möchte einzigartig sein. Das ist bereits der wichtigste Grund dafür, dass ich selten (und meist nur ironisch) bekannte und ausgelutschte Bilder in meinen Texten verwende. Ich will eigene Wege gehen. Das Gleiche gilt neben der angesprochenen Ebene auch für andere Bereiche des Schreibens. Es gibt allerdings abseits gängiger Komplexe (z.B. Blumen, um es auf die Spitze zu treiben), aus denen man Bilder wählen könnte, unzählige andere Möglichkeiten.
Dass ich mich bei manchen Texten für Nahrungsmittel entschieden habe, erwuchs aus mehreren Faktoren. Ernährung ist ein Thema, mit dem ich mich phasenweise viel beschäftige und mit dem ich zu kämpfen habe. Meine Impulssteuerung ist daneben, wenn es um Rauschmittel und Süßigkeiten geht. Essen war also bereits in meinem Kopf als Themenkomplex dominant. Das wäre der eine Faktor. Der andere entscheidende Punkt war ein Gefühlsdilemma. In einer Beziehung jedweder Art fühlt man meist ein einziges Gefühl, das alle weiteren in den Schatten stellt: Liebe, Freude, Wut etc. Zwar gibt es immer einen Mix, aber üblicherweise dominiert eine Emotion oder ein Emotionsverbund. Was mir zu schaffen machte, war ein in sich widersprüchlicher Mix aus verschiedensten Gefühlen, von denen jedes erfolglos um die Vorherrschaft kämpfte. Es war ein einziger, nicht mehr auftrennbarer Brei. Da sind wir bereits im richtigen Bereich. Was man mit Brei verbindet, ist zuerst die Konsistenz, aber ansonsten verknüpft man kaum negative Aspekte damit. Dieses Bild ist also unvollständig. Mein Gefühlsbrei war Gefühlshack, durch den Fleischwolf gedreht, blutig, matschig und klebrig, aber ein Nahrungsmittel, Grundlage für leckere Burger, nicht unbedingt ungesund, sofern es rechtzeitig verarbeitet wird. Es schien mir damals so einleuchtend. Dieses Bild passte.
Die letzten Zeilen des ersten Gedichts, in dem Nahrungsmittelbilder im Vordergrund standen, lauten:
Und sie lächelte so süß
So bitter
Zwei Geschmacksrichtungen tauchen auf, von denen die eine meine Impulse durcheinander bringt, von der ich immer mehr will, als gut für mich ist. Die andere erinnert an Medizin. Oder den Schierlingsbecher? (Denken wir auch an die letzten Worte des Sokrates.) Die Vermischung endet nicht.
Dieses erste Gedicht voller Lebensmittelbilder hat es aus mehreren Gründen nicht in den Gedichtband geschafft. Aber es hat mir gezeigt, wie weit ich damit gehen kann. Gerade die ungewöhnliche Mischung aus unappetitlichen Schlachtbegriffen und Liebe(skummer) faszinierte mich eine ganze Weile. Es existieren dermaßen viele Gefühle und Zustände rund um die Liebe, die nicht passend beschrieben werden können, wenn man abstoßende, aggressive und morbide Bilderwelten meidet. Mit Dunkelheit und Regen ist es einfach nicht getan.
Alte Milch ist nicht vollgestopft mit unappetitlichen Wortspielen. Keine Sorge. Aber sie kommen vor, weil sie nötig sind, wie in anderen Texten Anglizismen, Neologismen oder Aufzählungen nötig sind.
Wäre es nicht so furchtbar kitschig, könnte man zuletzt noch fragen: Ist Liebe nicht auch ein Lebensmittel?
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