Literaturzeitschrift: Edit

Über die Literaturzeitschrift Edit (Edit Nr. 83, Frühjahrsausgabe).

Im dritten Teil der Blogreihe über Literaturzeitschriften soll es um die Edit gehen, genauer um Edit Nr. 83 (Frühjahrsausgabe 2021). Angefangen hatte die Reihe mit der Queer*Welten Nr. 5, gefolgt von BELLA triste Nr. 59. Auch diesmal werde ich zunächst auf das Konzept der Edit eingehen, anschließend auf das Design, den Inhalt als Überblick und schließlich einige Beiträge der Edit Nr. 83 genauer besprechen. Packen wir‘s an.

Konzept der Edit

Die Edit besteht bereits seit 1993 und druckt Lyrik, Prosa (Kurzgeschichten, Essays etc.), Dramen und Erstübersetzungen. Außerdem sind Visuals aus den Bereichen Kunst und Design zu finden, mit interessanten Erklärungen dabei. 3 mal im Jahr erscheint das etwa 125 Seiten starke Literaturmagazin. Im Vergleich zur Queer*Welten und auch noch zur BELLA triste scheinen die Macher*innen der Edit einen komplizierteren, weniger direkten Stil zu bevorzugen. Eine Ausgabe kostet 9 €.

Aufmachung der Edit Nr. 83

Die Frühjahrsausgabe der Edit wurde von Studio Pandan gestaltet. Das Format ist 22 cm x 15.5 cm. Die Visuals sind farbig gedruckt (sofern sie im Original farbig sind), der Rest in schwarz-weiß gehalten. Die Schrift ist übersichtlich und gut lesbar, der Buchsatz jeweils an die Texte angepasst.

Inhalt der Edit Nr. 83

Literatur:

  • Jenny Hval – GIRLS AGAINST GOD
  • Stine Diane Sampers – KEEPS CRASHING DOWN THE SAME PERIOD IN MY TEXT BETWEEN THE PARAGRAPHS AND I FORGOT ABOUT THE CRUSH
  • Uta Gosmann – FREUDS GÖTTER
  • Sandra Gugić – WACHEN
  • Adrienne Herr – MUSEUM ISLAND
  • Jana Krüger – HIER, HIER
  • Carlo Spiller – GEGEN DIE WEICHE EWIGKEIT MEINER UNSTERBLICHEN WENIGKEIT
  • Katharina Mevissen – PLATZ DA!

Kunst:

  • Pati Hill
  • Evelyn Taocheng Wang
  • Ruth Wolf-Rehfeldt

Jenny Hval: Girls Against God

Girls Against God ist ein Roman der norwegischen Autorin Jenny Hval, hier als Auszug in einer Übersetzung von Clara Sondermann. Was mich zuerst gepackt hat, ist die Wut in diesem Textauszug. Die Wut und dann der Stil, der wild umherspringt zwischen Filmideen, Musik, wieder Wut, Schreiben als Thema und noch mehr Wut. Sobald das Buch in deutscher Übersetzung zu haben ist, werde ich es kaufen.

Uta Gosmann – Freuds Götter

Uta Gosmann erzählt in Freuds Götter von der Figurensammlung (Göttinnen und Götter und andere) von Sigmund Freud und den Mythen, die hinter den dargestellten Gött*innen stehen, streut Zitate von Autor*innen ein, mischt Gedichte und Gedichtfragmente darunter und kreiert ein Gesamtwerk aus Einzelteilen. Ein nicht leicht zu fassendes Prosawerk und dennoch faszinierend.

Sandra Gugić – Wachen

Wenn Mann und Kind schlafen, wacht die Mutter – sie wacht über ihre Lieben, sie wacht, weil sie nicht schlafen kann. Am Tage versucht die Mutter, obwohl die Familie im Urlaub ist, zu arbeiten, zu schreiben, schickt Mann und Kind los, bleibt allein, kriegt nichts geschafft. Wachen ist eine kurze Erzählung von Sandra Gugić, die von der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit (gerade kreativer Arbeit, die kein Büro, keinen speziellen Arbeitsplatz zu erfordern scheint) handelt, aber auch von Liebe, Schlaflosigkeit und dem Festhalten an sich selbst, auch und gerade wenn der Alltag mit all seinen Regeln anrückt. Hier sind es die Nähe und der triste Ton, die mich angesprochen haben.

Jana Krüger – Hier, Hier

Eine Metamorphose, in der Innen und Außen, der Körper, die Körperlichkeit, Zeit, Menschsein und Sprache sich verlieren, zerfließen, sich wiederfinden, transzendieren. Immer wieder wird etwas transzendiert und verändert. Aus einem Menschen wird ein Tier, scheinbar entgegen den Ideen des Transhumanismus, doch durch die Verschmelzung von Innen und Außen wieder innerhalb des Rahmens. Hier, Hier liest sich nicht nur wie eine Abrechnung mit Denkkonzepten, sondern auch wie eine mit den Menschen an sich, mit der Gesellschaft. Da wird nach Würde gefragt – der Würde des Menschen und des Tieres – und nach Rache geschrien, da wird der Körper verschönert, um angepasst zu sein, weil man den Körper hasst, und dann wächst ein Fell, wachsen Flügel.

Katharina Mevissen – Platz da!

Mit Platz da! liefert Katharina Mevissen einen Essay über den körperlichen Aspekt des Schreibens, über die Notwendigkeit von Räumen, bequemen Sitzgelegenheiten, finanzieller Unterstützung. Schreiben und alles, was daran hängt, benötigt den Körper, der wiederum Nahrung benötigt, der sitzen muss, idealerweise in gesunder Haltung, der mit Fingern tippt und mit Augen schaut. Einige Mythen über das Schreiben werden beiseitegeräumt, einige vermeintliche Selbstverständlichkeiten betont, um sie ins Licht zu rücken, damit sie nicht mehr übersehen werden. Zwischendrin werden immer wieder Zitate von Autor*innen zum gleichen Thema eingestreut. Informativ und unterhaltsam geschrieben macht Platz da! einige sehr gute Punkte, die man bedenken sollte.

Fazit

Obwohl ich einige Beiträge in der Edit sowie das Gesamtkonzept sehr cool finde, trifft die Auswahl insgesamt nicht ganz meinen Geschmack, passt nicht zu meinem Stilempfinden (und entsprechend würde ich meinen eigenen Schreibstil nicht dort verorten). Der Nebenfokus auf Erstübersetzungen ist zwar kein besonderes Interesse von mir – ich suche zuallererst nach deutschsprachiger (originaler) Literatur in Literaturzeitschriften –, dennoch habe ich mit Girls Against God ein Buch gefunden, das ich kaufen werde, sobald es in deutscher Sprache veröffentlicht ist. Das alles sagt nicht das Geringste über die Qualität der Edit aus, sondern ist rein subjektiv. Denn qualitativ gibt es bei dieser Literaturzeitschrift nichts zu meckern. Ich werde weiterhin bei Gelegenheit, Lust (und ausreichenden Finanzen) Ausgaben kaufen.

Literaturzeitschrift: BELLA triste

Über die Literaturzeitschrift BELLA triste Nr. 59 (Frühjahrsausgabe).

In der lockeren Blogreihe rund um Literaturzeitschriften, die mit der Queer*Welten angefangen hat, geht es heute weiter mit der BELLA triste, und zwar der Frühjahrsausgabe 2021 (Nr. 59). Da die BELLA triste weit mehr Beiträge enthält als die Queer*Welten, werde ich nicht zu jedem etwas schreiben, sondern nur zu einigen ausgewählten.

Konzept der BELLA triste

Als Zeitschrift für junge Literatur fördert die BELLA triste vor allem Gegenwartsliteratur, bietet neben Prosa, Lyrik, Dramatik, Essays, Interviews und Reflexionen auch Visuals, also Bildbeiträge. Seit 2001 besteht die BELLA triste und seit 2003 der gemeinnützige Verein BELLA triste e.V., der auch das Literaturfestival Prosanova veranstaltet.

Design der BELLA triste

Die Frühjahrsausgabe der BELLA triste wurde vom Design Kollektiv Jung & Dynamisch aus Berlin gestaltet. Es gibt etliche Bilder und farbige Seiten. Die Textbeiträge zeigen verschiedene Schriftbilder, es wird mit dem Buchsatz gespielt. Die Zeitschrift ist über 100 Seiten stark bei einem Format von 22 cm x 15.5 cm. Man bekommt also einiges für den Preis von 7 €.

Inhalt der BELLA triste Nr. 59

  • Editorial
  • Norwin Tharayil: JÜNGSTE MESSUNGEN
  • Clara Werdin: 100 billionen einzelteile
  • Cecily Ogunjobi: Dem Erdboden gleich (Prosaminiaturen)
  • Alexander Kappe: kein ingrimm
  • (Mohammad) Adika Rahman: revisting visual childhood memories
  • Interview mit dem Verbrecher Verlag: (Jörg Sundermeier & Kristine Listau interviewt von Armin & Simoné)
  • Arpana Aischa Berndt: tropical (Auszug)
  • Paul Jennerjahn: lazarus in den dingen
  • Kara Bukowski: Beobachtungen
  • Sven Schaub: Erst kommt der Wind, dann kommt die U-Bahn
  • Nathalie Eckstein: Wurzeln
  • Rezensionen
  • Viten
  • Impressum

Clara Werdin: 100 billionen einzelteile

In kurzen Prosasequenzen beschäftigt sich Clara Werdin mit dem Körper. Körpererinnerungen aus der Kindheit und Körpererfahrungen von heute, Vergleiche, Blicke in Spiegel, Probleme und vermeintliche Probleme, die Person im Spiegel als fremde Person, die man doch irgendwoher kennt, entfernt. Stil, Sprache und Thematik gefallen mir sehr. „ich sage mir oft sätze vor, immer wieder die gleichen sätze. sie werden geformt von der gesellschaft, aber getragen von meiner stimme“, heißt es da beispielsweise, und man könnte argumentieren, eine spezifisch weibliche Perspektive in den Texten zu lesen (und das ist auch gut so), aber dennoch fühle ich mich angesprochen, weil ich nicht selten ähnliche Sätze in eigener Stimme höre, die nicht die eigenen sind, sondern vorgesprochen worden sind vor langer Zeit. Eine Videolesung des Textes findet ihr übrigens über die Seite der Frühjahrsausgabe oder hier: 100 billionen einzelteile.

Interview mit dem Verbrecher Verlag

Der Verbrecher Verlag besteht seit nunmehr 20 Jahren und anlässlich des Jubiläums wurden die Verlagsleiter*innen Jörg Sundermeier und Kristine Listau interviewt. Man erhält einen interessanten und sympathischen Einblick in den Verlag, seine Geschichte und Werke. Neben Buchempfehlungen, die meinen Stapel ungelesener Bücher noch höher wachsen ließen, habe ich den Eindruck erhalten, dass ich gern mit dem Verbrecher Verlag zusammenarbeiten würde, aber leider auch die Erkenntnis gewonnen, dass man bereits Teil eines ausgesuchten Kreises sein muss, um das bewerkstelligen zu können. Ein spannendes Interview.

Arpana Aischa Berndt: tropical (Auszug)

Was für die einen Entspannung ist, ist für andere Horror. In zunehmend beklemmenderen Bildern erzählt Arpana Aischa Berndt einen Spa-Besuch. Ein Strudel von Alltagsrassismus, unsensiblen Gesten und Aussagen, Aufdringlichkeiten und nervigem Alman-Gehabe zieht die Erzählerin und mit ihr die Leser*innen hinab in ein labyrinthartiges Horrorgefühl. tropical ist auf genau die richtige Weise unangenehm.

Nathalie Eckstein: Wurzeln

Vom Zahnschmerz hat schon Dostojewski geschrieben. Hier aber geht es um die Buddenbrooks und das Buddenbrook-Syndrom, um den gesamten Mundraum, um das Schreiben als solches. Ein nicht leicht zu fassender Text, der dadurch nicht weniger faszinierend wirkt. Und manchmal liegt das Herz offen da wie eine entzündete Zahnwurzel.

BELLA triste Nr. 59: Fazit

Ich habe ein Abo abgeschlossen. Das sagt vermutlich alles. Nicht alle Beiträge haben mir gefallen, aber das kann man auch kaum erwarten. Jedenfalls bin ich bereits auf Nr. 60 gespannt.

Literaturzeitschrift: Queer*Welten

Blogartikel über die Literaturzeitschrift Queer*Welten (Ausgabe 5/2021).

Neulich habe ich mich entschieden, einige Literaturzeitschriften zu testen. Einerseits ging es mir darum, Neues in Sachen Literatur zu finden, andererseits aber auch um eine Recherche, wohin ich in Zukunft meine Texte schicken könnte, und zu guter Letzt darum, mitreden zu können. Warum, dachte ich mir dann, sollte ich meine Erkenntnisse nicht mit euch teilen? Es wird also eine kleine, unregelmäßig erscheinende Blogreihe mit Texten über Literaturzeitschriften geben. Der Einstieg bietet die Queer*Welten mit Ausgabe 5. Vorweg möchte ich betonen, dass ich üblicherweise keine Fantasy- oder Science-Fiction-Literatur lese und diese Genres (und damit die Geschichten der Zeitschrift) nicht im Detail bewerten kann.

Konzept der Queer*Welten

Wie der Name bereits sagt, dreht sich in Queer*Welten alles um queere Welten, und zwar hauptsächlich in den Genres Fantasy und Science Fiction. Sie erscheint alle 3 Monate im Ach Je Verlag und enthält Kurzgeschichten (die nicht immer ganz kurz geraten sind), Debattenbeiträge und Neuigkeiten über queere Fantasy- und Science-Fiction-Literatur. Der Preis liegt bei 7.99 € pro Printausgabe, 5.99 € fürs E-Book.

Design der Queer*Welten

Für euer Geld bekommt ihr ein etwa 50 Seiten starkes Heft im Format 21 cm x 15 cm. Das Coverdesign stammt jeweils von einer*m queeren Künstler*in. Ansonsten ist die Queer*Welten schlicht gehalten und ohne Bilder im Innenteil, sondern besteht aus meist doppelspaltigem Text. Auf den Inhalt selbst komme ich jetzt zu sprechen.

Inhalt der Queer*Welten 5

  • Vorwort
  • Romy Wolf: Stadt der Sündigen [Kurzgeschichte]
  • Rebecca Westkott: Das letzte Marzipanbrot [Kurzgeschichte]
  • Jol Rosenberg: Rechter Haken [Kurzgeschichte]
  • Alex Prum: Historisch korrekte Drachenreiter [Essay]
  • Der Queertalsbericht 02/2021

Romy Wolf: Stadt der Sündigen

In einem post-apokalyptischen Setting, wobei die Apokalypse frei nach dem Evangelium des Johannes stattfand, befinden sich die Menschen, die überlebt haben, in einer Stadt, die von Engeln errichtet worden ist und von diesen mit Gewalt regiert wird. Im Kern der Geschichte steht ein Gespräch zwischen Salome und Leah. Es geht um das Ausloten von moralischen und persönlichen Grenzen.

Rebecca Westkott: Das letzte Marzipanbrot

An Rebecca Westkotts Kurzgeschichte Das letzte Marzipanbrot oder vielmehr daran, dass die Geschichte in Queer*Welten abgedruckt worden ist, zeigt sich der intersektionale Ansatz der Zeitschrift. Im Zentrum der Kurzgeschichte steht ein*e Ich-Erzähler*in mit schweren psychischen Erkrankungen und die Diskriminierung psychisch und physisch behinderter Menschen durch Behörden. Mir gefällt besonders der verrückt-surreale Erzählstil, in dem sich jede Menge Fantasiewesen in einen Tag drängen, der ohne sie hauptsächlich grau und unangenehm gewesen wäre.

Anmerkung: Stil und Story haben mir so gut gefallen, dass ich nach Büchern von Rebecca Westkott gesucht habe, aber leider vergebens.

Jol Rosenberg: Rechter Haken

In der Science-Fiction-Geschichte Rechter Haken von Jol Rosenberg geht es um den Klon Nori, der eigentlich nur für die Arbeit in einem Schlachthaus erschaffen worden ist, aber entkommen konnte und nun versucht, sich unter Menschen zurechtzufinden. Grundthema der Geschichte ist Andersartigkeit. Andersartigkeit im Sinne von Außenseiterrollen, aber auch im Sinne körperlicher und geistiger Unterschiede.

Alex Prum: Historisch korrekte Drachenreiter

Der Essay Historisch korrekte Drachenreiter von Alex Prum greift das häufig auftauchende Argument gegen die Repräsentation queerer oder nicht-weißer Figuren in Fantasy-Settings auf, dass sie nicht historisch korrekt sei, da man sich am realen Mittelalter orientiert hätte, und demontiert dieses Argument schrittweise. Dabei entlarvt Alex Prum das Argument auch als getarntes Vorurteil (oder Ansammlung einer ganzen Reihe von Vorurteilen). Eine spannende Betrachtung herrschender und weit verbreiteter Bilder und undurchdachter Meinungen in den Köpfen der Autor*innen (und aller anderen Menschen).

Queertalsbericht

Der Queertalsbericht stellt in Ausgabe 5 der Queer*Welten Novellen vor, und zwar Fantasy- sowie Science-Fiction-Novellen, die zwischen 2018 und 2021 erschienen sind und queere (Haupt)Figuren aufzuweisen haben. Aus meiner Twitter-Bubble weiß ich, dass es nicht immer leicht ist, Bücher mit guten Repräsentationen queerer Figuren zu finden. Wer also entsprechende Literaturempfehlungen sucht, ist hier an der richtigen Stelle.

Queer*Welten 5: Fazit

Die Queer*Welten habe ich mir wegen des Konzepts gekauft und nicht wegen der vertretenen Genres. Trotzdem hatte ich Freude am Lesen, ganz besonders an Das letzte Marzipanbrot von Rebecca Westkott sowie am Essay von Alex Prum. Für 7.99 € kommt mir die Queer*Welten etwas schmal vor, aber für die Unterstützung des Konzepts zahle ich die Summe trotzdem gern.