Podcast: Das Maurerdekolleté des Lebens

Oder:

https://laurasattelmair.podigee.io/7-maurerdekolletedeslebens

Vor Kurzem wurde die Erzählung Das Maurerdekolleté des Todes im Podcast Sieerzählt von Laura Sattelmair vorgestellt. Nun gibt es auch die Schwestererzählung Das Maurerdekolleté des Lebens dort zu hören. Wie bereits im Eintrag zur ersten Geschichte erwähnt, handelte es sich eigentlich um die als zweites geschriebene, während Das Maurerdekolleté des Lebens die erste Erzählung war. Im Folgenden wird es etliche Spoiler geben, also empfehle ich, zuerst den Podcast zu hören und erst dann weiterzulesen. Sieerzählt findet man außerdem auf Spotify, Soundcloud und iTunes.

Nicht erst seit einer entsprechenden Vorlesungsreihe während des Komparatistik-Studiums bin ich fasziniert von Labyrinthen in Erzählungen sowie labyrinthischen Konstruktionen von Erzählungen selbst. Neben Jorge Luis Borges fällt dem interessierten Leser bei diesem Thema natürlich sofort Kafka ein. Dass ich mich ein wenig an Zweiterem orientiert habe, kann ich wohl kaum abstreiten und sehe auch keinen Grund dazu. Spätestens mit dem Ladenbesitzer K. wird es wohl offensichtlich. Mein erster Gedanke zur Namensgebung des Ladenbesitzers war übrigens: Name einer Figur aus Der Prozess. Der zweite Gedanke: Kafka benannte seine Figuren im Grunde alle nach sich selbst. Genommen habe ich K. als Namen trotz des kürzeren Weges von der Bezeichnung zum Ursprung dennoch, obwohl dieser Aspekt dadurch wenig labyrinthisch ist.

Der Titel dieser Erzählung machte mir einige Mühe. Er sollte aus dem Umfeld der Baustellenthematik stammen und idealerweise mehrdeutig sein. Also probierte ich viel herum, spielte mit dem Wort unbefugt (beziehungsweise befugt) in etlichen Varianten (beispielsweise Nur für Befugte in Anlehnung an das Schild Nur für Verrückte aus Hesses Der Steppenwolf), stolperte über einige andere Möglichkeiten wie Nicht unter schwebende Last treten (was mich an den Titanen Atlas erinnerte) oder Ausweg Tag und Nacht freihalten, aber fand an all dem wenig Freude. Am Ende dachte ich mir schlicht, dass Theo ziemlich am Arsch ist. Das führte zum Maurerdekolleté des Lebens (auch in Anlehnung an den Ausdruck Am Arsch der Welt, da Theo eben auch durch die Eingeweide der Baustellenwelt kriecht).

Auslöser der langen Gedankenkette, die schließlich in Das Maurerdekolleté des Lebens uferte, war eine Baustelle, die direkt vor meiner Tür dafür sorgte, dass eine neue Ampelschaltung implementiert wurde, die wiederum an verdreifachten Wartezeiten schuld war. Innerhalb des Entstehungsjahres war dies die vierte Baustelle dort. Vermutlich war also ein Teil von mir einfach genervt und wollte meckern. Das ist natürlich nicht alles. Ein wichtiges Element der Geschichte ist die Orientierung und die Suche nach dem richtigen Weg. Mein eigener Orientierungssinn ist so gut wie nicht existent und gerade betrunken habe ich mich in meinem Leben bereits unzählige Male verlaufen. In einem Fall landete ich nach der Entscheidung für eine Abkürzung etwa 45 Minuten später wieder am Startpunkt der vermeintlichen Abkürzung. Ich habe also passende Erfahrungen aus erster Hand. Besonders Theos Pausen, um seine Abweichungen vom Weg zu registrieren, was ihm zunehmend schwerfällt, können über meine Erinnerungen hinaus als Rückblick aufs Leben und auf begangene Fehler gelesen werden. Also im Sinne von: was muss ich ändern und welche Fehler darf ich nicht nochmal begehen, um wieder auf die richtige Spur zu kommen? Oder auch: Welche Schritte in meinem Leben würde ich im Nachhinein ändern, wenn ich es könnte?

Vorhanden war also das Bild einer Baustelle, die viele Umleitungen mit sich bringt und den Protagonisten nicht dort ankommen lässt, wo er hin möchte. Sein Ziel war für mich von vornherein zweitrangig. Es ist ein Ziel und das reicht. Ursprünglich sollte es um das Gefühl gehen, gefangen und wehrlos, einer anonymen Apparatur unterworfen zu sein – einem pervertierten Mechanismus. Das klingt doch bereits nach Kafka: ein wenig bekanntes Ziel, das nicht erreicht werden kann, und jede Menge Frustration obendrauf. Daraus folgte fast zwangsläufig die Idee eines Labyrinths oder Irrgartens. Ich nannte den Protagonisten übrigens Theo nach Theseus, der ebenfalls in ein Labyrinth zur Arbeit ging. Allerdings wusste er vorher vom Ort seines Unterfangens und schaffte es auch wieder heraus.

Insgesamt ist aus der Ursprungsidee schnell eine größere Allegorie geworden. Wiederum, wie ich es ja gerne mache, mit etlichen versteckten Kleinigkeiten, die alle ihre Bedeutung haben. Nicht immer bedenkt ein*e Autor*in all das, was die Leserschaft in den Text hineininterpretiert, aber häufig steckt auch mehr darin, als Leserinnen und Leser bemerken. Grundsätzlich sollte man Autor*innen so weit vertrauen, dass sich das, was geschrieben wurde, absichtlich und geplant entwickelt hat, und eventuell überflüssig scheinende Details eben nicht überflüssig sind. Derartig erscheinende Parts sollte man möglicherweise länger durchdenken. Ich jedenfalls bilde mir ein, dass ein großer Teil der Qualität meiner Texte in Details steckt und diese bei einer flüchtigen Lektüre leicht übersehen werden können – oder, was eben noch schlimmer ist, für Fehler gehalten werden.

Neben der Erzählung selbst ist wohl auch dieser Eintrag etwas labyrinthisch geworden. Das ist schon recht passend und wird deswegen so bleiben.

Hier nochmal der Link zum Eintrag zur Schwestererzählung Das Maurerdekolleté des Todes.

Podcast: Das Maurerdekolleté des Todes

oder hier:

https://laurasattelmair.podigee.io/6-destodes

Außerdem ist Lauras Podcast auf Spotify, iTunes und Soundcloud zu finden.

Die kurze Erzählung Das Maurerdekolleté des Todes ist eigentlich der zweite Teil von Das Maurerdekolleté des Lebens. Für sich stehend funktioniert sie jedoch auch, denke ich. Geschrieben hatte ich die Geschichte vor etwa zwei Jahren. Seitdem habe ich einiges dazugelernt und würde sie heute wohl nicht mehr auf diese Weise schreiben. Dennoch macht es mich stolz, dass eine meiner Geschichten nun auch in dieser Form konsumiert werden kann. In diesem Text werde ich einige Gedankengänge und Ideen der Erzählung darstellen. Lest ihn also erst, nachdem ihr die Folge gehört habt! [Spoileralarm]

Vorab zur Schwestererzählung Das Maurerdekolleté des Lebens: Die Geschichte ist geprägt von einem schier endlosen Labyrinth aus Baustellen und ist sehr kafkaesk geraten. Der Protagonist Theo geht dort am Anfang nach rechts, während er in dieser Fassung nach links geht. Von der Baustelle stammt der Titel, den man ohne Erklärung in dieser Version nicht verstehen wird.

Die im Podcast vorgelesene Geschichte hat sich genau wie ihre Schwestererzählung stark allegorisch entwickelt. Nach dem Verfassen hat sie mich allerdings weniger an Kafka erinnert, sondern mehr an Hesse oder Nietzsches Zarathustra. An Hesse wegen des Hinwegs und der Abgeschiedenheit, an Nietzsche wegen des Berges. Bewusst verbaut habe ich diese beiden Einflüsse nicht, weswegen sie auch bei der Interpretation nicht unbedingt hilfreich sein werden.

(Und ja, ich träume davon, dass Leser zuhause sitzen und meine Werke bewusst durchdenken, interpretieren, und dass irgendwann Professoren und Lehrer ihre Student*innen und Schüler*innen zwingen werden, meine Texte auf diese Weise zu verwursten, und dadurch möglicherweise Interesse oder lebenslange Abneigung wecken.)

Theo war so clever, auf sein Bauchgefühl zu hören und auf den „richtigen“ Weg zu gehen. In der anderen Richtung hätte er wenig Erfreuliches gefunden, wie man möglicherweise in einer weiteren Folge von Lauras Podcast feststellen wird. Das innere Bedürfnis nach links zu gehen führt den Protagonisten Schritt für Schritt in Gebiete mit immer weniger Einwohnern, immer weniger Verkehr und schließlich auf bisher unbetretenes Gelände. Dort findet er Frieden. Vorerst.

Die Welt der anderen holt Theo auf seinem Gipfel ein. Jeder will Frieden haben, also kann man – so die Theorie herzloser Geister – Frieden zu einem Produkt oder einer Dienstleistung machen und verkaufen. Der Grund, aus dem die meisten nicht haben, was Theo hat, ist der aufwändige Weg dorthin und, wenn wir ehrlich sind, der unbequeme Aufenthalt vor Ort. Es ist zu schwierig, gesund, frei, friedlich und – hier übertreibe ich – erleuchtet zu sein. Es ist schwierig, derartige Zustände zu erreichen, und schwierig, sie zu halten. Dadurch, dass der Weg erleichtert und der Ort für alle, die es sich leisten können, zugänglich wird, verlieren beide ihren Wert. Nicht bloß ist Theos Idylle zerstört, sondern auch für alle anderen unbrauchbar geworden.

Vage gingen mir Bilder von Touristenschwärmen in abgelegenen Tempeln und Menschen, die für ihren Instagram-Account vor Buddha-Statuen Selfies schießen, durch den Kopf. Auch an die Myriaden von Sinnsprüchen auf kitschigen, filterüberlagerten Bildern vom Sonnenuntergang dachte ich, die den Anschein von Weisheit und einen winzigen Rest von Kontemplation vorgaukeln wollen. Fotos von Menschen, die in Meditationspose auf einem Felsen sitzen und in die Weite schauen: Hätten sie gefunden, was sie ohne Kamera und die Person dahinter eventuell hätten finden können, wären die Bilder nicht entstanden. Manchmal denke ich an die Möglichkeit von Frieden – wenn auch nur für Momente –, die für einen Schnappschuss, für etwas Aufmerksamkeit durch andere, geopfert wurde.

Die Bauarbeiter verstehen Theo nicht und missverstehen, was er gefunden hat. Persönliche Freiheit lässt sich nicht optimieren oder verkaufen.

Auch die Expedition, die sich dem Einsiedler näherte, hatte ja schließlich die Chance, ihrem Labyrinth aus Absperrungen und Lärm zu entkommen, aber sie trugen ihren Käfig mit sich und brachten ihn an einen der wenigen Orte, die noch nicht zugemüllt waren mit den offensichtlichsten Spuren der Zivilisation.

Letzten Endes bleibt noch zu sagen, dass der Budenbesitzer (K. genannt in der Schwestergeschichte) ein zynischer Mistkerl ist, aber durchaus kein Lügner.