Erschütterungen. Dann Stille.: Bad Luck II

Über die Sci-Fi-Kurzgeschichte “Bad Luck II” im Sammelband “Erschütterungen. Dann Stille.”

Nein, das ist keine Fortsetzung von Bad Luck I – es gibt kein Bad Luck I –, sondern ein mittelschlechter Scherz. Bad Luck II ist die einzige Science-Fiction-Geschichte in Erschütterungen. Dann Stille. und generell die einzige, die ich bisher geschrieben habe. An dieser Stelle wieder die Spoiler-Warnung für alle, die die Geschichte noch nicht gelesen haben.

Der Name

Schiffe haben gerne seltsame Namen und vermutlich irgendwann auch Raumschiffe. Meines Wissens nach kann man ein privates Schiff nennen, wie man will. Ich denke gerne an die unbemannte schwimmende Landungsplattform (also quasi ein Schiff) von SpaceX namens Of Course I Still Love You, deren Name (wie auch der des Vorgängerschiffes) aus der Science-Fiction-Story The Player of Games von Iain M. Banks stammt. Eine Inspiration für den Namen meines Raumschiffs (Bad Luck II) war ein Schiff, das ich irgendwo (Film? Meme? Foto?) gesehen habe und das Unsinkable II hieß, was mich wiederum an lustige Filmtitel wie Titatic II erinnerte.

Bad Luck bedeutet übersetzt „Pech“, „schlechtes Glück“. Die zweite Version eines Schiffes mit diesem Namen deutet bereits auf das Schicksal des ersten hin, so wie viele zweite Versionen an das Scheitern der ersten gemahnen. Für mich handelt es sich hauptsächlich, wie oben erwähnt, um einen Scherz.

Der Weltraum, unendliche Weiten …

Im Weltraum gibt es nichts. Der Weltraum ist die Leere zwischen den kleinen Gefährten und etwas größeren Monden und Planeten, die uns Sicherheit und Leben schenken. Fast überall im Universum ist es zu kalt, zu heiß, zu sauerstoffarm (das wäre dann wohl ein Euphemismus) oder sonstwie zu tödlich für uns. Ich kann mir kein brutaleres Bild für Einsamkeit vorstellen als ein Raumschiff mit nur einer einzigen Person an Bord, weit entfernt von allem, was eine Heimat sein könnte.

Das liegt erstens an der Kälte, die innerhalb von Sekunden einen menschlichen Körper gefrieren lässt, zweitens an der Dunkelheit, die lediglich von winzigen, weit entfernten Punkten durchbrochen wird, und drittens an der absoluten Stille des jeden Ton verschluckenden Vakuums. Diese drei Punkte habe ich in Bad Luck II darzustellen versucht, insbesondere Punkt Nr. 3, die Stille. Einsamkeit ist jedoch nur ein Nebenthema der Geschichte.

Homo Homini Lupus Est

Homo Homini Lupus Est: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, das stellte der Philosoph Thomas Hobbes fest. Später korrigierte er den Satz zu Homo Homini Lepus Est: Der Mensch ist dem Menschen ein Hase. So oder so hat der Mensch den Menschen zu fürchten oder fürchtet ihn wenigstens zu Recht. Doch darum geht es nicht. Hobbes ist berühmt für sein Werk Leviathan aus dem Jahr 1651. Leviathan ist ein Werk des Staatstheorie, also der philosophischen Richtung, die der Frage nachging, wie es ursprünglich zur Gründung von Staaten (Reichen, Nationen, großen Gemeinschaften) gekommen ist. Hobbes stellte die Theorie auf, dass der Mensch im Naturzustand, also in uneingeschränkter Freiheit, seine niedersten Instinkte ausleben würde. Absolute Freiheit bedeutete also das Recht der/des Stärkeren und eine Unterwerfung unter eine gemeinsame Regierung wäre zum Vorteil aller (außer der Allerstärksten). Alle geben einen Teil ihrer Freiheit auf, um sicher leben zu können.

Brachiale Freiheit

Hobbes stellt innerhalb seiner Ausführungen außerdem das Offensichtliche fest: Im Naturzustand, also in scheinbar absoluter Freiheit, ist niemand frei. Die ständige Todesangst, der fehlende Schutz vor anderen und der fehlende Zusammenhalt stürzen einen Menschen in einen Zustand, in dem er zwar keinen offiziellen Regeln folgen muss, aber auch niemals sich selbst verwirklichen kann, niemals beruhigt oder für einen Moment unvorsichtig sein darf. Echte Freiheit ist etwas anderes.

Leider haben das viele Menschen noch nicht verstanden. Gerade Corona hat wieder einmal gezeigt, wie wenig überlegt das Wort Freiheit benutzt werden kann und wird. Man wird nicht weniger frei durch die Verwendung einer Maske oder die Vorschrift dieser Verwendung. Im Gegenteil. Die Regelung schützt alle vor einem chaotischen Zustand, vor unkontrollierter Ausbreitung einer (viel zu häufig tödlichen oder schwere Folgen habenden) Krankheit. Wie frei fühlt man sich noch, wenn jede Begegnung das Leben kosten könnte? Freiheit oder Tod kann man für sich selbst fordern (und es gibt Situationen, in denen das nachvollziehbar ist), aber man kann es nicht von anderen verlangen. Besonders dann nicht, wenn diese vermeintliche „Freiheit“ aalglatter Bullshit ist. Deine Freiheit, keine Maske tragen zu müssen, ist meine Unfreiheit in Angst zu leben. Deine „Freiheit“ oder dein Tod? Von mir aus. Mein Tod für deine „Freiheit“? Nein, danke.

Keine Heldengeschichte

Trip, der Protagonist von Bad Luck II, ist kein Held und die Erzählinstanz lügt und manipuliert. Mit der Aussage Wirkliche Freiheit ist nur möglich, wo Sicherheit gering ist beginnt die Geschichte. Diese Aussage ist extrem relativ. Sie ist keine glatte Unwahrheit, aber sie darf nicht unkritisch gelesen werden. Wann ist Freiheit wirklich? und wann ist Sicherheit gering? Natürlich darf man nicht alle Freiheit für Sicherheit opfern. Bekanntlich verliert man auf diese Weise beides. Aber eine derart willkürliche und lockere Behauptung darf man nicht akzeptieren!

Trip ist nicht frei oder sogar ein Freiheitskämpfer, er ist ein Krimineller. Er tötet ohne Reue, raubt, was er braucht. Er ist kein Held, aber die Prämisse, der erste Satz der Geschichte, will ihn zu einem machen. Freiheit benötigt keine Gefahr, um zu existieren, und Sicherheit fußt nicht zwangsläufig auf Unfreiheit.

Was soll das dann?

Bad Luck II ist für mich eine Übung in kritischem Lesen für alle Lesenden und eine Übung in einem fremden Genre für mich. Ich hoffe, dass die Geschichte gefällt, ohne dass ihre kalten Inhalte als wahr angenommen und vielleicht sogar ins eigene Denken übernommen werden.

Sicherlich, als es noch kein Google gab, keine guten Antivirus-Programme und so gut wie gar keine Regulierung des Internets, konnte man alles kostenlos finden, wenn man nur wusste, wo man zu suchen hatte – und bereit war, Gesetze zu übertreten. Es war ein riesiger digitaler Spielplatz. Aber man war auch Angriffen schutzlos ausgeliefert, und alles, was man kostenlos heruntergeladen hat, hat irgendwo Schaden verursacht. War das wirklich Freiheit? Ich glaube nicht. Aber fühlt sich die komplette Überwachung aller Verbindungen, Gespräche, der Tastenanschläge, Websitebesuche und Einkäufe etwa wie Freiheit an? Fühlt sie sich sicher an?

Erschütterungen. Dann Stille.: Heimweg

Über die Kurzgeschichte “Heimweg” in “Erschütterungen. Dann Stille.”

Wohin geht der Weg, wenn man getrieben ist und sucht, ohne zu wissen, wonach man suchen sollte, oder, schlimmer noch, wissend, dass das, was man sucht, nicht gefunden werden kann, nicht gefunden werden will? Manchmal verläuft man sich. Heimweg ist eine Kurzgeschichte aus Erschütterungen. Dann Stille.. Im Folgenden werde ich um Spoiler zur Geschichte und auch zu Sorck nicht herumkommen. Zweitere sind jedoch von geringer Wichtigkeit. Lest am besten erst die Erzählung und dann diesen Blogeintrag.

Verlaufen

Schon in Das Maurerdekolleté des Lebens drehte sich vieles um das Bild des Verlaufens, des Suchens nach etwas, ohne genau zu wissen, was es ist. Martin stolpert durch die Stadt, immer auf der Flucht vor der Leere in den eigenen vier Wänden und der Sehnsucht nach dem Alleinsein. Er hat kein Zuhause mehr, weil sie sein Zuhause gewesen ist und das Gefühl der Geborgenheit mitgenommen hat. Martin hat sich verlaufen, weil er nirgendwo mehr hingehört. Die Punkte auf der Landkarte, an denen er rastet und Zeit verbringt, könnten willkürlich andere sein. So fühlt es sich manchmal an, wenn man verlassen ist. Gerade jetzt erinnert es mich an den großartigen Song Spiral Wings von John Doran & Gnod auf dem Album Hubris. Besonders die Stelle, an der der Sprecher realisiert: I ain’t even f*cking moving, obwohl er ein Leben lang die eigenen Spuren zu verfolgen gesucht hatte.

Martin, Martin Sorck?

Martin, der Protagonist in der Kurzgeschichte Heimweg ist, obwohl es nicht als Nebengeschichte zu Sorck gedacht ist, auch nicht ganz zufällig mit dem gleichen Namen bedacht wie Martin Sorck. Die Probleme des nachnamenlosen Martin aus Heimweg sind artverwandt und teilweise sogar die gleichen wie jene Sorcks. Beide sind unterwegs, trinken zu viel und sind einsam. Doch die Partnerin macht den Unterschied. Dieser Martin hier vermisst seine ehemalige Partnerin, während Martin Sorck sich nach der möglicherweise zukünftigen Partnerin Eva sehnt.

Wollte man Heimweg ins Sorck-Universum – was für ein geiler Begriff, oder? – einfügen, so wäre die Geschichte vermutlich eine frühere Episode. Der Martin Sorck nach der Kreuzfahrt wäre sich vermutlich der Theatralik der Szene bewusst und würde sie ironisch betrachten, anstatt sie auf gleiche Weise zu durchleiden. Satzfetzen wie eine Nacht, über die man am besten nur sagt, dass es nieselte hätten allerdings auch zum Protagonisten der Kreuzfahrt gepasst.

Inspiration

Wie ich im Blogartikel Verlaufen über einige Ideen hinter Das Maurerdekolleté des Lebens bereits geschrieben habe, habe ich mich im Leben häufiger verlaufen. Nicht selten ist das auf ähnlichen (ähnlich besoffenen) Spaziergängen passiert, wie jenem in Heimweg. Dass ich schon mehr als einmal verliebt gewesen und verlassen worden bin und hartnäckig vermisst habe, kann man sich wohl denken. Manche Gedichte in Alte Milch zeugen sehr deutlich davon. So viel oder so wenig zum persönlichen Hintergrund.

Eine weitere Inspirationsquelle, von der ich allerdings nicht mehr 100 % sicher bin, ob sie wirklich dazu beigetragen oder mich bloß sehr berührt hat, ist das Video eines Auftritts von Neil Hilborn: Neil Hilborn – OCD. Ob nun aus Interesse an meiner Arbeit oder warum auch immer, schaut es euch mal an! Mir hat es wehgetan, weil ich das grundsätzliche Gefühl gut nachempfinden konnte. Und auch in Heimweg ist nicht das Thema des Videos eingeflossen, sondern das Gefühl der kaum erträglichen Sehnsucht und der Hoffnung, die doch nichts als Schmerz bringt. Martin nutzt den Namen seiner ehemaligen Partnerin wie eine Beschwörungsformel, um Albträume fernzuhalten, und doch sind es die Träume, in denen sie auftaucht, die ihn am meisten mitnehmen.

Letzte Worte

An dieser Stelle würde ein Teil von mir gern einen Absatz über die Macht von Namen anfügen, geheimen Namen, mächtigen Namen und all das. Auch könnte ich an Albert Camus und Der Fremde erinnern, an die Szene, in der der Protagonist das einzige Mal im ganzen Roman laut wird und die Unfairness seines Schicksals beklagt, und wie diese Szene möglicherweise dem Ende von Heimweg ähnelt. Aber emotional gehört das nicht mehr hierhin, wäre es nicht mehr stimmig. Ich schließe an dieser Stelle, weil ich mich im Text verlaufen habe.

Ameisen

Über Ameisen als Symbol in der Literatur.

In der Anime-Serie Neon Genesis Evangelion gibt es eine Szene, in der Shinji in der Bahn sitzt, durch die Stadt fährt und eine Ameise sieht. Er sagt, dass es ein Zeichen der wirklich Einsamen sei, dass sie Ameisen sähen. Dieses Bild habe ich immer geliebt und nie wieder vergessen. Es gibt nichts Einsameres als eine einzelne Ameise ohne Anschluss an die anderen.

Wenn in einem meiner Texte eine Ameise auftaucht, kann man sich sicher sein, dass Einsamkeit eine Rolle spielt. In Das Maurerdekolleté der Gefräßigkeit, der dritten Geschichte in Das Maurerdekolleté des Lebens, läuft Theo an Verletzten vorbei, die sich wie verletzte Schnecken über den Boden schleifen, während er wie eine Ameise an ihnen vorbeiläuft. Hier steht die Ameise auch für das Kriegerische in ihm und schlicht die Art, wie er stakst. Doch die Friss oder stirb-Attitüde, die er an den Tag legt, führt zwangsläufig zu einer Abkapselung, auch wenn diese nicht groß thematisiert wird. Sie klingt jedoch in der Kälte des Umgangstons, den er pflegt, mit, wie ich finde.

Ameisen überleben durch Zusammenarbeit, ein gemeinsames Ziel und klare Aufgabenverteilung. Jede einzelne Ameise ist Bestandteil von etwas Größerem. Denken wir besonders an jene Ameisenarten, die keine festen Bauten haben, sondern Konstrukte aus ihren eigenen Leibern erstellen, um sich zu schützen. Alle ineinander gehakt, alle gemeinsam. Das einzelne Wesen ist nur im Zusammenhang mit den anderen von Bedeutung. Ohne die anderen verliert eine Ameise alles. Das ist der Kern des Bildes der einsamen Ameise: Nicht nur ist eine Ameise meist mit Artgenossen zusammen, sondern sie verliert jeden Lebenssinn, jede Aufgabe, wenn sie von den anderen getrennt ist. Fühlt sich echte Einsamkeit nicht genau so an? So abgekapselt zu sein, dass jeder Sinn sich auflöst.

Uns im Westen könnte der Vergleich mit Ameisen übel aufstoßen, da wir viel von unseren Individualität halten. Wir sehen uns zuallererst als Einzelwesen und erst danach als Teil der Gesellschaft, in der wir leben. Ich bin Künstler, ich sehe das mit Sicherheit so. Doch nicht überall auf der Welt trennt man das eigene Wesen so sehr von Gesellschaft und Staat. In Kulturen, die diese Einbindung des Individuums in die Gesellschaft und seine Identifikation mit dieser stärker ausgeprägt leben, werden Menschen den Lebenssinnverlust durch Vereinzelung deutlicher spüren, vermute ich. Dennoch können auch wir das Bild verstehen.

Manchmal frage ich mich, ob die Suche oder Frage nach einem Lebenssinn nicht erst mit der Einsamkeit kommt, oder ob diese Suche Einsamkeit verursacht beziehungsweise verstärkt. Findet man keine Antwort auf die Frage, hilft es dem Ego sicherlich nicht.

Mir ist gerade ein anderer Ameisen-Vergleich eingefallen. Vorweg: Ich bin kein Biologe und erzähle das Folgende aus meiner Erinnerung an Dokumentationen. Also: Im Regenwald gibt es interessante Pilzarten, die sich auf Insekten (einige auf Ameisen) spezialisiert haben für ihre Fortpflanzung. Die Sporen des Pilzes setzen sich in einer Ameise fest und manipulieren diese wie ein Parasit. Eine befallene Ameise wird sich in der Nähe anderer Ameisen auf eine Erhöhung begeben. Dort sprießt der Pilz aus ihrem Körper heraus und verbreitet schließlich neue Sporen, die Ameisen befallen. Dies kann eine ganze Kolonie auslöschen. Daher wird eine befallene Ameise, sobald sie entdeckt worden ist, von anderen Ameisen aus dem Bau getragen und in ausreichender Entfernung liegen gelassen. Wo ist das Bild? Betrachten wir die Sporen als Ideen und jede Ameise, aus der ein Pilz bricht, als Ideen-Multiplikator (Künstler*innen, Politiker*innen etc.) wird es interessant. Vor manchen Ideen muss man den Bau schützen und manchmal werden neuartige Ideen mundtot gemacht, die gehört werden sollten. Man könnte die befallenen Ameisen auch als Außenseiter in Sachen Kunst oder Mode betrachten, deren Ideen, Optik, Sound o.ä. schließlich vom Mainstream absorbiert wird, wenn sie populär genug geworden sind (also wenn die Sporen weit genug getragen worden sind). Durch die Ausrottung der Ameisenkolonie als Folge wären allerdings giftige Ideen die bessere Wahl als implizierte Bedeutung. Generell sollte man vorsichtig sein, Menschen mit Tieren und besonders mit parasitären Lebensformen zu vergleichen.

Was mache ich jetzt mit diesen Gedanken? Was macht ihr damit? Vielleicht sitzt ihr bald auf einer Wiese (mit ausreichend Abstand zu anderen Personen), schaut auf den Boden, seht eine Ameise und stellt fest, dass ihr weniger einsam seid, als ihr sein könntet. Seht euch um! Ihr seid noch immer Teil der Kolonie.