„Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland“: Eine Analyse

Eine Analyse des Songs “Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland” der Band “Terrorgruppe”.

1997 hat die inzwischen zum musikalischen Kanon Deutschlands gehörende Kapelle Terrorgruppe ein episches Meisterwerk von knapp 3 Minuten Länge unter dem Namen Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland veröffentlicht. In diesem Blogartikel möchte ich eine dosenbierzischende Analyse versuchen.

Weder ein Vergleich mit der orchestralen Schwere von Brahms noch mit der tänzerischen Leichtigkeit Mozarts werden Terrorgruppe wirklich gerecht. Dies mag daran liegen, dass sie Deutschpunk spielten oder aber an der Tatsache, dass sie die Klassik und die mit ihr verbundenen Einschränkungen längst hinter sich gelassen haben.

Der Songtext beginnt mit der Verkündigung der Unwissenheit des Großteils der deutschen Bevölkerung, die Tätigkeiten des lyrischen Ichs anbelangend,

Millionen dumme Deutsche wissen nichts davon.
Tausend Politessen hab’n nichts mitbekommen.

gefolgt von einem Ausdruck des Außenseitertums, der fehlenden Wertschätzung eines einschränkenden Systems bis hin zum völligen Unverständnis für dessen Regeln und die Akzeptanz jedweder daraus erwachsenden Konsequenz:

Ich breche alle Regeln, Ampeln kenn’ ich nicht,
Fahr täglich eine Oma um, die dann zusammen bricht.

Die spüren die Ehrlichkeit der Aussage und irgendwo tief in uns regt sich das Verlangen, es dem rebellischen lyrischen Ich gleichzutun, durch die Straßen zu gleiten, frei zu sein von der Oppression der Politessen und der eingefahrenen Meinung von Millionen dumme(n) Deutsche(n). Die simple Erkenntnis, dass ein Brett mit Rollen, ein sogenanntes Skateboard, die Freiheit repräsentieren und damit wichtiger werden kann als alles andere im Leben, verdient einer mehrfachen Betonung, und mit Recht ist der lyrische Ich stolz auf seine Entdeckung:

Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland uuhuuhu
Das hab ich schon vor vielen Jahren erkannt uuhuuhu

Man beachte die lautmalerische Unterstützung der Worte! Klingt nicht der Schrei eines Vogels in freier Natur heraus? Hören wir nicht das Zischen des Skateboarders und damit seine Kritik an der Schnelllebigkeit unserer Zeit? Möglicherweise. Das lyrische Ich jedenfalls gibt sich mit einem einfachen Leben zufrieden, denn es will nur gleiten, nach allen Seiten, schließlich sei das Skateboard […] wichtiger. An dieser Stelle, Ende der ersten Strophe, wird noch offen gelassen, was am anderen Ende des Vergleiches steht: wichtiger als was?

Strophe Zwei verdeutlicht die Nichtanerkennung und den offen ausgesprochenen Widerstand der Öffentlichkeit gegen das Vorhaben freien Lebens innerhalb einer indoktrinierten Gesellschaft, bis hin zur Forderung nach einer Rückkehr zum dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Diese Forderung kann als Aufgabe der Freiheit und der Akzeptanz sich als Sicherheit verkaufender einschränkender und quasi-faschistoider Überwaschungsstrukturen gelesen werden. Die Frage wird aufgeworfen: Sind wir bereit, unsere Freiheit für etwas mehr Sicherheit zu verkaufen? Sind wir bereit, unsere Jugend, verkörpert durch das lyrisch Ich, der uniformen Gesellschaftsordnung zu unterwerfen, notfalls mit Gewalt? Ist es wirklich das, was wir wollen? Angesichts der Veröffentlichungszeit (1997), also vor 9/11, erscheint der aufgeworfene Gedanke beinahe prophetisch. Hier nun die eben analysierten Zeilen:

Millionen dumme Deutsche haben ein Problem,
Wenn sie mich auf meinem Skateboard fahren seh’n.
Sie schreien mir nach der gehört ja ins KZ,

Doch Obacht! Hier kommt der Konter, der Präventivschlag des lyrischen Ichs und die Betonung der in Sexualität ausgelebten Freiheit, die mit der im Text propagierten Lebensform einherkommt und diese betont:

Dabei hatte ich schon fast alle ihre Töchter im Bett.

Können wir eine Andeutung der Vermehrung des freiheitlichen Gedankenguts herauslesen? Ist es möglich, dass nicht bloß Hedonismus gepriesen, sondern sogar Missionsarbeit für die freie Liebe gefordert wird? Vergessen wir nicht die bekannte Missionarsstellung! Vergessen wir auf der anderen Seite nicht ein weiteres Lied von Terrorgruppe: Hedonistische Heilsfront.

Was nun folgt, ist die ultimative Erklärung der Wichtigkeit der individuellen Freiheit, besonders aber nicht ausschließlich im Vergleich mit anerkannten und nicht mehr hinterfragten Institutionen. Außerdem Religionskritik.

Mein Skateboard ist wichtiger…
…als…
…Deutschland…
…Europa…
…Amerika…
…die Welt…
…das Universum…
…der Verkehrsminister…
…Gott……und das Geld

Nachdem wir diese eindrucksvollen Zeilen auf uns haben wirken lassen, betrachten wir für einen Moment die Reihenfolge der Aufzählung. Erkennen wir eine Klimax? Eindeutig. Das Skateboard, das heißt die Freiheit, ist wichtiger als der Staat, wichtiger als die Völkerverständigung (repräsentiert durch Europa), wichtiger als die Popkultur und die kulturell-hegemonisch verbreiteten und akzeptierten Kulturgürter (Amerika – gemeint sind natürlich die USA, die sich selbst häufig als America bezeichnen und damit den Kontinent als ihnen zugehörig betrachten; es liegt also eine doppelte Kritik und Betonung der kulturellen Hegemonie vor), wichtiger als all das, sogar als der Verkehrsminister (hier, um im Bild zu bleiben, die Sicherheit, die Kontrolle, die Staatsgewalt) und die Religion. Dass das Geld noch nach Gott und dem Staat (Verkehrsminister) aufgezählt wird, also Höhepunkt der Liste, verdeutlicht nicht bloß eine allgemeine Kapitalismuskritik, sondern sagt aus, dass Kapitalismus der Freiheit des einzelnen im Wege steht. Des Weiteren wird das sich gegenseitig stützende Dreigespann aus Religion, Staat und Wirtschaft in dieser Aufzählung entblößt.

Doch das lyrische Ich zeigt durch das singuläre Verlangen (Ich will nur gleiten) die Bedeutungslosigkeit der kritisierten Institutionen im Angesicht der individuellen Freiheit. Und wird hier nicht eine tiefe Wahrheit offenbart? Wollen wir nicht alle gleiten? Wollen wir nicht alle schwerelos sein in unserer eigenen Geschwindigkeit und losgelöst von Normen und Vorschriften? Mir jedenfalls geht es so. Mein metaphorisches Skateboard ist wichtiger. Vielen Dank.

Sorck: Warum Humor?

Sorck behandelt kein leichtes Thema und stellt mit Martin Sorck einen Protagonisten vor, dem es, ganz allgemein gesagt, nicht gut geht. Dennoch ziehen sich humoristische Elemente durch das ganze Werk. Warum ist das so?

Kurze Antwort: Weil Humor das Leben erträglich macht.

Möchte man eine ausführliche Antwort haben, sollte man zwei Aspekte betrachten, die ich hier behandeln möchte: Humor und Lächerlichkeit. Eine Lektüre, die von Anfang bis Ende trist und deprimierend ist, wirkt meiner Meinung nach weniger stark als eine, die gute Laune aufbaut, um sie dann zu ruinieren. Je höher man läuft, desto tiefer kann man stürzen. Als gutes Beispiel für eine solche Technik fällt mir der Film Die Kunst des negativen Denkens ein, der den Zuschauer zum Lachen bringt, um ihn im nächsten Moment emotional zu zerschmettern. Bei mir als Rezipient wirkt das ausgesprochen effektiv. Als Autor kann ich dies leider noch nicht in solchem Ausmaß umsetzen, aber es interessiert mich. Eine solche Lenkung der Leserschaft muss ich mir erst noch antrainieren.

Ein wichtigerer Aspekt für mich war, dass Humor hilft, schwierige Themen zu vermitteln, ohne zu schwerfällig zu wirken. Natürlich verdienen derartige Themen eine ernsthafte Behandlung, verdienen es ernst genommen zu werden. Um aber Menschen zu erreichen, sollte man sie nicht mit zu großem Ernst abschrecken. Daher kann eine Erzählweise mit einem zwinkernden Auge durchaus hilfreich sein.

Es gibt einen interessanten Effekt, sobald man realisiert, dass hinter etwas, über das man gelacht hat, eine Ebene verbirgt, die eine gegenteilige emotionale Reaktion auslöst. In gewisser Weise kann man das bei schwarzem Humor beobachten. Für so manchen sind Witze dieses Spektrums nicht zum Lachen, da sie einen größeren Fokus auf den Hintergrund richten als auf die Oberfläche des Witzes. Ausgereifter ist es bei der Satire. Es wird ein Scherz gemacht, der eine Wahrheit verzerrt oder zu verbergen scheint und dadurch verstärkt. Gute Satire bringt dich zunächst zum Lachen und bleibt dann wie ein Stachel zurück, der dich noch eine ganze Weile quält. Vielleicht ist es so, weil man ein schlechtes Gewissen hat, dass man gelacht hat, oder wegen der Vermischung unterschiedlicher Reaktionen (haha – oh) oder aber, weil man für einen Moment die eigenen Schutzmaßnahmen fürs Lachen fallen lässt. Der Grund spielt keine Rolle, solange es funktioniert.

Kommen wir zur Lächerlichkeit. Schaut man sich in der Welt um und betrachtet, was Menschen tun und sagen und was ihnen wichtig ist, so kommt man häufig nicht darum herum, diese Dinge albern zu finden. Dabei handelt es sich natürlich um eine gänzlich subjektive Ansicht. Aber ich behaupte, dass (fast) jeder in (fast) allem lächerliche Aspekte entdecken kann. Manche sind nur offensichtlicher als andere. Schwingen sich Deutsche gehobenen Alters auf Segways, um eine mittelalterliche Stadt zu erkunden, und fahren als dichter Schwarm durch die Straßen, verbirgt sich die Lächerlichkeit nicht besonders tief unter der Oberfläche. Doch auch andere Situationen haben zum Glück ihre albernen Aspekte. Wenn der Suchtdruck einen trockenen Alkoholiker packt und er sich in hartem, deprimierendem Kampf gegen die niemals wieder verschwindende Abhängigkeit wehrt und ihm dann der Gedanke Das Nervigste daran, trocken zu sein, ist eigentlich, dass man nicht mehr trinken kann durch den Kopf schießt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er über sich selbst und seine Situation lachen kann. Wer das Leben zu ernst nimmt, hat verloren. Ohne Humor ist es nicht zu ertragen. Und noch eine Phrase: es gibt kaum etwas Befreienderes in den schlimmsten Momenten des Lebens, als über sich selbst und die Gesamtsituation lachen zu können.

Martin Sorck weiß das und der Erzähler, der seine Geschichte weitergibt, weiß das ebenfalls. Daher darf (und sollte manchmal) die Realität bis ins Lächerliche überzeichnet werden, um gleichzeitig die Wahrheit zu sagen und aufzuzeigen, wie sie ausgehalten werden kann.

Eine Leseprobe des Romans gibt es hier: Sorck: Leseprobe

Einen ausführlicheren Artikel findet ihr hier: Sorck – Unsortierte Infos zum Debütroman

Unter der Kategorie “Sorck” (im Klappmenü rechts) finden sich weitere Beiträge zum Roman.

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