Content Notes: Trauma, Suizid
Die begründete Ahnung, dass sich hinter der Lebensfassade anderer Menschen Höllen auftun könnten, fühlt sich grässlich an. Und doch bleibt den meisten von uns nur eine Ahnung, denn Wahrheiten tendieren dazu, sich desto seltener zu offenbaren, je schlimmer sie sind. Mehr als eine solche Ahnung einer furchtbaren Hintergrundgeschichte bleibt den Leser*innen der Geschichte Trümmer in Erschütterungen. Dann Stille. nicht als Erklärung.
In diesem Blogeintrag geht es um die Dinge, die man sieht, und solche, die verborgen bleiben. Spoiler sind unvermeidbar. Lest die Geschichte zuerst und dann diesen Text!
Was man sieht
Ein namenloser Protagonist zerstört die Welt, die er kennt. Moment, das ist schon interpretiert. Was man sieht? Ein namenloser Protagonist steht inmitten einer Explosion, die das Haus, in dem er aufgewachsen ist, zerreißt. Er selbst wird mindestens schwer verletzt, sein Tod wird am Ende angedeutet. Deutlich sind Freude und Friede im Angesicht des Untergangs zu sehen. Warum das alles? Wieso zur Hölle freut er sich so?
Was man hört
Die Explosion des Hauses ist keinesfalls der erste Anschlag des Protagonisten auf das Haus. Im Laufe seines Lebens verübte er mehrere, zunehmend ernsthaftere und erfolgversprechendere Angriffe. Zuerst sind es Feuchtigkeit und Schimmel, die jedoch das Gebäude nicht ruinieren können. Dann werden Türen und Fenster geöffnet, in der kindlichen Hoffnung, das Bild der Räuber, die ein ganzes Haus klauen, würde wahr. Vergebens. Am Ende des Rückblicks folgt die einzige Erklärung für die Zerstörungswut, welche über eine Geisteskrankheit hinausgeht: der Vater. Feuer, um Tränen zu trocknen. Denn das Haus sei des Vaters Leben gewesen.
Was man ahnt
Wie viel Wut und Ohnmacht muss man spüren, um ein Haus und sich selbst zu sprengen? Heutzutage ist viel zu häufig bewiesen worden, dass es für eine solche Wut nicht unbedingt Traumata bedarf, sondern dass Indoktrination und Gehirnwäsche ausreichen. [Man könnte Verbindungen herstellen zwischen Suizid, begleitetem Suizid (beispielsweise School Shootings) oder Suicide by Cop (was den Selbstmord durch tödliche Gewalt von Polizist*innen bezeichnet, provoziert durch einen Angriff) und Selbstmordattentaten herstellen, wobei jeweils die „Bühne“ größer wird und die Verschiebung der Probleme auf entferntere Bereiche (vom tatsächlichen Problem zum Glaubenskrieg).]
Rache ist zuallererst eine mentale Reaktion auf Machtlosigkeit in Form einer Fantasie. Ich erinnere mich nicht mehr, von wem ich es gelesen habe – Imre Kertész vielleicht? In jedem Fall ein KZ-Überlebender –, aber es hieß, dass die Ausführung der Rachefantasie im Moment, da sie machbar wird, keinen Sinn mehr ergibt, da sich die Ursache der Fantasie (die Machtlosigkeit) aufgelöst hat. Das scheint mir eine edle Idee zu sein, aber die unbeschreibliche Wut, die manche Erlebnisse (und Lebensphasen) mit sich bringen, wird nicht ausgelöscht durch den Fakt, dass die Phasen vorüber sind. Wut kann bleiben. Das führt meist zu desaströsen Konsequenzen, kann aber auch gut sein und die Zukunft retten.
Derartige wütend machende Phasen, um es mal kalt und euphemistisch zugleich auszudrücken, scheint es im Leben des Protagonisten gegeben zu haben. Ob er noch immer in einer solchen Phasen steckt oder ob sie durchstanden ist, kann man nicht wissen. Aber in beiden Fällen erscheinen mir Wut und Rache angebracht, wenn auch nicht in der dargestellten Form. Es gibt immer einen besseren Weg als jenen, der in die Literatur Einzug erhält, weil der literarische Weg zumeist überzogen und wirkungsstark designt ist. Er soll unterhalten und/oder symbolisch wirken. Die Taten meines Protagonisten stehen für seine Gefühle und damit wiederum für die Gefühle so vieler ruinierter Leben. Sie sind nicht dargestellt, damit sie nachgemacht werden oder um ähnliche Taten zu rechtfertigen. Ganz im Gegenteil. Sie sollen auf jene Taten hinweisen, die zu den dargestellten Taten geführt haben, und sie bestenfalls verhindern. Hört auf, Menschen zu Tätern zu machen, die ohne eure Einwirkung keine geworden wären!
Was am Ende übrig bleibt
Trümmer. Schutt und Asche. Ruinen, wo man hinblickt. Ich weiß, dass mein Blick auf die Welt zu häufig zu düster ist, aber ich weiß auch, dass Menschen mir mehr vertrauen als anderen. Ich habe Menschen zugehört, die mir die Hölle erzählten oder andeuteten. So viele gebrochene Menschen. Wer ohne zuzuhören durch die Welt geht, Signale übersieht und ganz besonders Freundinnen, Schwestern, Bekannten, Frauen nicht zuhört, kann nicht erkennen, was überall passiert. Mag sein, wer so durchs Leben geht, ist zufriedener (und ziemlich sicher ein Mann). Aber sch**ß auf deinen Komfort und schau hin!
Falsches Setting, oder?
Oh man. Auf Twitter habe ich es in der Entstehungsphase dieser Blogreihe mehrmals angedeutet, aber ich schreibe mich tatsächlich in Rage. Sicherlich wurde ich beim Verfassen von Trümmer inspiriert von den wirklich vielen Erzählungen mir bekannter Frauen über (zumeist) sexuelle Gewalt und der von mir bekannten Männern über Mobbing und nicht auslebbare Gewaltfantasien aufgrund kaum erträglicher Wut. Jedoch kann ich nicht ehrlich behaupten, dass diese Erfahrungen direkt in die Erzählung eingeflossen sind. Nicht immer habe ich ein komplettes Konzept. Das häusliche, familiäre Setting der Geschichte passt eigentlich nicht zu den Erfahrungen, von denen mir berichtet worden ist. Doch ich kam im Laufe der Gedanken über Trümmer auf diese Themen und so kann es den Leser*innen auch gehen.
Am Ende ist meine eigene Wut vermutlich entscheidender für die Geschichte als jede mir berichtete. Ändert das irgendetwas an Angst, Frustration und Widerlichkeiten, die andere regelmäßig durchleben? Ich denke nicht. Also ist auch dieser Text so in Ordnung.