Wort und Ton: Über Stimmen

Stimme, Stimmung, Erzählstil und Geschrei. Über das Sprechen und Schreiben.

Meine Sprechstimme ist nicht meine Schreibstimme, die Schreibstimme nicht immer die Gleiche, meine Vorlesestimme härter als die Sprechstimme, obwohl sich diese immer mal wieder ändert.

In diesem Blogeintrag soll es um Stimmen gehen und um Wörter: geschriebene und gesprochene.

Stimmung und Stimmen

Aufgeregt spreche ich schnell, hektisch, wie auf Speed. Verängstigt bin ich leise, die Stimme ist schwächer noch als bei Müdigkeit. Spreche ich am Telefon mit Ämtern, klinge ich anders als am Telefon mit Freund*innen, bei diesen jeweils unterschiedlich, und persönlich nochmal anders als am Telefon. Viele Menschen bemerken es nicht, aber man kann einiges an ihren Stimmen ablesen, besonders wenn man sie besser kennt.

Das Gleiche gilt für Schreibstimmen. Wir machen es oft unbewusst, passen unseren Stil an die Begebenheiten des Textes an, werden schneller an spannenden Stellen, werden langsamer in ruhigen Sequenzen. Man entwickelt ein Gespür dafür, vermutlich verstärkt durch gute Lektüre, vielleicht aber auch einfach aus dem Alltag heraus. Erzählpraktiken sind Alltagskommunikationspraktiken. Zwar erzählen wir literarisch eine Geschichte anders als im persönlichen Gespräch, aber dennoch wenden wir auch dort Erzähltechniken an. Wir nutzen Spannung erzeugende Wörter wie „plötzlich“, untermalen unsere Worte mit Gestik und Mimik (was wir beim Schreiben kopieren oder umgehen), setzen seltener ab an spannenden Stellen (schriftstellerisch würde man beispielsweise weniger Unterbrechungen durch Punkte einfügen, sondern längere, hastige Sätze nutzen) oder setzen absichtlich eine Pause vor einem Höhepunkt, um die Spannung weiter zu heben und zu halten.

Gesang und Musik in der Literatur

Es gab mehr als eine Person, die Lyrik mit Musik verglichen hat. Der Rhythmus macht’s. Keine Sorge, ich werde jetzt keinen Vortrag über Metrik und all das hier hinklatschen, sondern nur darauf hinweisen, dass der Rhythmus, mit dem wir etwas persönlich erzählen, sich in der Lyrik widerspiegelt (wenn wir es wollen). In meinem Fall erinnert der Rhythmus der Gedichte eher an den Rhythmus meines Gedankenstroms. Ich spreche sortierter, weil ich schweige, bis ich zusammenhabe, was ich sagen möchte. Aber ich denke sprunghaft, chaotisch, auf mehreren Ebenen zeitgleich. Das gilt zumindest für die Zeiten, in denen ich emotional engagiert und nicht völlig entspannt bin. Gedichte wiederum würde ich nicht schreiben, wäre ich völlig entspannt (was ich ohnehin im Grunde niemals bin). Manchmal durchbreche ich lyrisch meinen Gedankenstrom absichtlich, zerteile ihn, leite ihn um. Auch das ist meine literarische Stimme: Sie widerspricht all meinen anderen Stimmen, wenn sie es will oder muss oder beides, also: soll.

Dass die Ursprünge der Lyrik in frei vorgetragenen Gesängen liegen, wundert wohl niemanden. Die Verbindung zur Musik ist deutlich. Doch schwieriger ist es, Musik in Prosa umzusetzen oder zu übersetzen. Manche Autor*innen machten und machen es sich einfach, indem sie es für die Leser*innen schwierig machen. Sie werfen mit Fachbegriffen aus der Musik um sich, mit denen manche Leser*innen nichts anfangen können. Sie nennen Songs und Stücke, aber bleiben dabei bei einer reinen Nennung, die keineswegs das Gefühl auslöst, das ebendieser Song oder ebendieses Stück selbst auslösen würde. Wie also Musik beschreiben? Schwierige Frage. Ich kann es nicht (oder nicht gut). Die beste Umsetzung beschriebener Musik habe ich bisher bei Proust gefunden in In Swanns Welt, dem ersten Buch der Reihe Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. (Über dieses erste Buch hinaus habe ich es übrigens nie geschafft.)

Geschrei und wirklich lautes Schreiben

Manchmal muss man laut werden, manchmal will man es bloß. Man könnte eine laute Erzählstimme nun mit einer Vielzahl von (falsch gesetzten?) Ausrufezeichen zu erreichen versuchen. Aber das sieht nun einmal behämmert (und alles andere als gekonnt) aus!!! Auch CAPSLOCK ist nicht wirklich eine Option. Doch wann und warum sollte man überhaupt literarisch schreien wollen? Eine erste Antwort wäre recht wörtlich in Dialogen zu finden: eine Figur schreit. Etwas abgehobener fielen mir Lyrik und andere Kurzformen ein, die allgemein etwas freier sind und häufig Gefühle direkter übertragen beziehungsweise direkt von diesen handeln. Ein Gedicht ist ein Schrei, wenn di*er Autor*in es so will oder di*er Leser*in es so versteht.

Im Falle von Dialogen wäre die simpelste Lösung, das Geschrei in Form einer passenden Inquit-Formel zu verdeutlichen: „F*** dich!, schrie sie.“ Oder man lässt di*en Dialogspartner*in etwas Entsprechendes antworten („schrei doch nicht so“). Doch an dieser Stelle könnte man wenigstens die Erregung in der Stimme der sprechenden Figur mit anderen Mitteln darstellen. Ist man wütend, spricht man Sätze oft nicht zu ende, verhaspelt sich, nutzt Kraftausdrücke und Beleidigungen (je nach Situation) und gestikuliert bei alledem. Geschrei ist die Grenze zwischen verbaler Kommunikation und einer Handlung. Näher kommt eine Stimme nicht mehr an eine Tat heran. Gesten kann man in Einschüben beschreiben. Hier kann man stark den Leser*inneneindruck einer Figur beeinflussen, indem man die Gesten gerade in hocherregten Zuständen neutral, ernst, weniger ernst oder sogar lächerlich beschreibt (bewegen, schlagen, wedeln, fuchteln etc.).

Zeit mich zu korrigieren: in stilistisch im Grunde völlig freien Texten wie Gedichten kann man sehr wohl Capslock verwenden oder beispielsweise (nicht gerade für Geschrei, aber generell) die zum Meme gewordene abwechselnde Groß- und KleinScHrEiBuNg, wobei man bei letzterem die Vorkenntnisse der Leser*innen und deren Verständnis und Assoziationen miteinbeziehen muss. Auch damit imitiert man im Grunde einen Sprechakt und ein Augenrollen zugleich.

Macht, was ihr wollt! Die Kunst ist frei. Ich persönlich bin übrigens ein Fan von sparsam aber gezielt gesetzten Kraftausdrücken in Gedichten.

Lesungen & Angst

Wie in der Einleitung erwähnt, klinge ich Gedichte vorlesend völlig anders als im Alltag sprechend. Aus mir nicht wirklich ersichtlichen Gründen, außer vielleicht der deutlicheren Betonung der einzelnen Silben, klinge ich bei Lesungen wie ein Radiosprecher aus den 1950er Jahren, aber mit einer verschmitzten, moderneren Note, weil meine Texte diese erfordern. Das ist natürlich kein Problem, nur eine Feststellung. Problematischer und mit Stimmung und Stimme zusammenhängend ist meine Angst vor Lesungen. Ich spreche nicht gern vor Menschen, spreche manchmal generell nicht gern, und werde leise, sobald ich bemerke, dass mehr als eine Person zuhört.

Warum erzähle ich das? Möchte ich authentischer wirken? Vielleicht. Vielleicht möchte ich mich aber auch pushen, wenn ich jetzt nachtrage, was ich zu tun gedenke, um in Zukunft Lesungen halten zu können:

  • Schritt 1: Texte laut vorlesen, wenn ich allein bin.
  • Schritt 2: Texte laut vorlesen und mich dabei filmen.
  • Schritt 3: Aufgenommene Lesungen, die geglückt sind, hochladen und teilen.
  • Schritt 4: Online Lesungen zu Zeiten, in denen wahrscheinlich niemand zusehen wird.
  • Schritt 5: Lesung (online oder live) vor Freund*innen.
  • Schritt 6: Online Lesungen halten zu Zeiten, in denen potenziell Leute zusehen könnten.
  • Schritt 7: Schritt 6, aber mit Vorankündigung, oder: eine richtige Online-Lesung.
  • Schritt 8: Live-Lesung.

Einzelne Schritte könnte man austauschen oder überspringen, aber grundsätzlich ist das mein hier mein Plan hin zur ersten richtigen Lesung. Da ich bereits mehrfach Angebote bekommen habe, Lesungen zu halten, sollte ich langsam mal loslegen.

Genre-Switch / From Dusk Till Dawn

Über die Voraussetzungen eines Wechsels des Genres in einer Geschichte.

Vor einer Weile habe ich auf Twitter gefragt, ob ein Roman mit einem kompletten Genre-Switch in der Mitte oder noch später funktionieren könne. Auslöser war, dass ich den Film From Dusk Till Dawn mal wieder gesehen hatte. Hier möchte ich darüber nachdenken, wie und unter welchen Umständen ein solcher Wechsel des Genres funktionieren kann. 

Allen, die From Dusk Till Dawn aus mir unverständlichen Gründen noch nicht gesehen haben, wird nun die Überraschung verdorben: Nachdem der Film wie ein Roadmovie über die Flucht zweier Bankräuber beginnt, wird er im letzten Drittel zu einem Vampir-Splatter-Streifen. Wieso funktioniert das? Und wieso sollte es nicht funktionieren? Das größte Hindernis in der Verwendung eines derartigen Wechsels besteht in der möglicherweise zerstörten Erwartung der Leserschaft/des Publikums. Möchte jemand eine Geschichte lesen, die tatsächlich stattfinden könnte, wird er mit Vampiren nicht zufrieden sein. Erwartet jemand Romance, will er keinen Mord. Der größte Vorteil des Wechsels wäre allerdings etwas, das dennoch alle Leser*innen wollen: Sie wollen überrascht werden. Ergo benötigt man einen Mittelweg. Wie könnte der aussehen? Diese Antwort gibt uns eventuell die Antwort auf die erste Frage: Wieso funktioniert es bei From Dusk Till Dawn?

Die Gecko-Brüder, Protagonisten des Films, sind nicht eben zimperlich, und besonders Richie hat eine Tendenz zu unnötiger und ausufernder Gewalt. Beide sind aggressiv, sind (weitestgehend) skrupellos und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Was sie tun, spiegelt ihre Charaktere wider. Die Figuren sind im Fokus.

Man sollte meinen, dass dies immer das Verhältnis von Aktion und Figur sei, aber manche Geschichten orientieren sich an den Handlungen und ziehen die Figuren mit, während manche eben von den Figuren getragen werden. Ich behaupte, From Dusk Till Dawn wird von den Figuren getragen, und (da es ein Film ist) zusätzlich vom Soundtrack und vom allgemeinen Stil. Hier hätten wir eine Erklärung, warum der Switch zum Vampir-Splatter funktioniert: Die Figuren bleiben die gleichen, ziehen weiterhin den Fokus auf sich und, was sehr wichtig ist, man ist durch ihre vorherigen Aktionen bereits an die Gewalt gewöhnt. Der Sprung von dem, was die Gecko-Brüder auf ihrer Flucht anstellen, zum Vampir-Massaker ist im Grunde nicht so groß, wie er scheint. Die Gewalt eskaliert weiter, allerdings sind die Opfer keine Menschen mehr. Witzigerweise erscheinen die beiden gerade dadurch menschlicher als zuvor. Sie sind immerhin noch Menschen und keine Monster.

Der Schluss liegt nahe, dass die Genres, zwischen denen gewechselt wird, kompatibel sein müssen. Das schränkt zwar den Grad der möglichen Überraschung ein, aber gerade deshalb stößt man die Leserschaft weniger vor den Kopf. Ein Roadmovie voller Gewalt kann sich zum Vampir-Splatter verwandeln, aber Romance kann nicht zu einem Sci-Fi-Albtraum a la Event Horizon werden – jedenfalls nicht, ohne etliche Leser*innen auf der Strecke zu lassen. Oder? Natürlich muss eine logische Verbindung zwischen den Bestandteilen bestehen …

Ein nicht kleiner Teil von mir sehnt sich danach, meinen Leser*innen den Tag zu ruinieren, aber auf eine Weise, die sie lieben. Ich möchte eine Liebesgeschichte schreiben, die so furchtbar endet, dass man nie wieder einer Romanze vertrauen kann. Ich möchte ein Märchen schreiben, dass Albträume verursacht, und eine Dystopie, die allen zeigt, dass es längst zu spät ist. Einerseits möchte ich das aus blanker Grausamkeit und aus Rache, aber auch und vielleicht noch mehr aus dem Verlangen heraus, die Welt zu verbessern. Enttäuschung ist nichts Schlechtes. Die zerstörte Romanze feit uns vor Fehlern in der Zukunft, das Märchen warnt uns vor unangebrachtem Vertrauen und die Dystopie bringt uns zum Nachdenken und idealerweise auf die Straße (sofern nicht gerade eine Pandemie unterwegs ist).

Hier finden wir eine weitere mögliche Erklärung, wie oder warum ein derartiger Switch funktionieren könnte: Der Ruf des/der jeweiligen Autor*in. Bei mir kann man im Grunde alles erwarten, daher dürften meine Leser*innen von einem Genre-Wechsel innerhalb des Buches nicht allzu sehr verwirrt sein. Dann aber verliert der Wechsel gewissermaßen seine Wirkung und seinen Reiz. Wie man’s macht, macht man’s falsch.

Das ganze Gerede von Genres erinnert mich an Daniel Kehlmann, der einmal erwähnte, dass er Genreregeln deshalb möge, weil man damit spielen und sie brechen könne. Leser*innen erwarten ganz bestimmte Dinge in einem Genre und erleben daher jeden Ausbruch aus dem erwarteten Spektrum als Neuerung. In Kehlmanns Fall hat beispielsweise eine Figur eines historischen Romans eine (aus unserer Sicht) korrekte Zukunftsvision.

Haben wir Ergebnisse gefunden? Kompatible Genres, Geschichten, die von Figuren getragen werden, und der Ruf des Autors/der Autorin ermöglichen halbwegs reibungslose Genre-Wechsel innerhalb eines Werkes. Am Ende stürzen alle Überlegungen jedoch zusammen und man muss zugeben: Wenn man es kann, kann man es. Ist der Autor/die Autorin gut im Schreiben derartiger Experimente, wird sich das Publikum dafür finden lassen.

Habe ich etwas übersehen? Was meint ihr dazu?