1. Buchensemble-Artikel

Hinweis auf meinen 1. Artikel beim Buchensemble, eine Diskussion mit Magret Kindermann über den Roman Pixeltänzer von Berit Glanz.

Ab heute ist es offiziell: Ich bin aktives Mitglied des Buchensembles. Mit einem gemeinsamen Artikel von Magret Kindermann über den Roman Pixeltänzer von Berit Glanz geht es los:

Wie wichtig ist Figurentiefe? – Pixeltänzer

Auslöser für diesen Artikel war eine Diskussion, die Magret und ich über das Buch geführt haben. Sie wusste aus dem Blogeintrag Berit Glanz: Pixeltänzer, dass mir der Roman sehr gefallen hatte. Magret hat Pixeltänzer dann ebenfalls gelesen und war anderer Meinung. Welche Gründe aus ihrer Sicht gegen den Roman sprechen und was ich darauf erwidere, könnt ihr im Artikel fürs Buchensemble lesen.

Cees Nooteboom: Die folgende Geschichte

Rezension des Romans “Die folgende Geschichte” von Cees Nooteboom.

Wie schreibe ich über dieses Buch, ohne die Auflösung zu verraten? Ich bin mir noch nicht sicher, werde es aber versuchen.

Oft gehe ich wenig emotional an Texte und besonders Buchbesprechungen heran. Im Falle von Die folgende Geschichte wird das schwierig werden. Es wäre keine Schwierigkeit, die Brillanz und Tiefe dieses Werkes aufzuzeigen und es rein sachlich zu analysieren. Aber ich habe das Buch vor 5 Minuten ausgelesen und meine Augen sind noch ein wenig feucht.

Neulich habe ich einen kurzen Absatz des Buches besprochen. Dort ging es weniger gefühlsduselig zu: Ein einziger Ansatz von Cees Nooteboom. Noch davor hatte mich die Geschichte zu Überlegungen über Figurenbeschreibung und -kommunikation animiert. Hier wird es möglicherweise anders aussehen.

147 Buchseiten umfasst meine Ausgabe von Die folgende Geschichte und ich habe 4 Tage gebraucht, um sie durchzulesen. Einer der Gründe dafür war, dass Stil und Rhythmus der Geschichte wie ein einziger, ruhiger Abschied wirken. Oder wie ein Tanz. Die Sätze bewegen sich in leichten Erhebungen und nach jedem einzelnen setzt man kurz ab. Eine Bewegung, eine Pause, die nächste Bewegung, immer einfühlsam, immer leichtfüßig. Wie ein Paar beim Tanz.

Grundthema des Buches ist Verwandlung, Veränderung. Herman Mussert, ehemaliger, begeisterter Lateinlehrer, einer von denen, die wirklich in ihrem Stoff aufgehen, übersetzt passenderweise in seiner Freizeit Ovids Metamorphosen. Immer wieder erwähnt er dieses Werk sowie andere Werke aus der griechischen und römischen Antike. Wenn er seine Schülerinnen und Schüler unterrichtet, durchlebt er die Szenen, als würde er sich an sie erinnern, als wären es seine Erlebnisse und nicht die Erfindungen von Menschen, die seit Jahrtausenden tot sind. Nooteboom schafft es, die Begeisterung, die Mussert als Lehrer vermitteln kann, darzustellen und die Leserschaft mitfühlen zu lassen.

Mussert erinnert sich an sein Leben, an den Unterricht, eine besonders gute Schülerin und an eine Liebesbeziehung.

– CUT –

Es sind 2 Wochen vergangen, seit ich diesen Artikel zu schreiben begonnen hatte. Noch immer habe ich das Buch positiv in Erinnerung, aber die emotionale Distanz ist längst hergestellt. Ich finde diesen Cut passend, da Nooteboom in seinen Büchern gern den einen oder anderen Schnitt einbaut, der keine echte Kapiteleinteilung darstellt, sondern beispielsweise einen Perspektivwechsel zwischen den Figuren einleitet oder plötzlich auf die Sicht des Autors statt des Erzählers wechselt. Manchmal klärt erst dieser Wechsel die Geschichte auf und vervollständigt sie. Da ich nun ebenfalls eine andere Perspektive – von emotional beeinflusst zu emotional Abstand haltend – einnehme, erlaube ich mir diesen Schnitt.

Ein (Neben)Thema, das in Die folgende Geschichte vorkommt und das mir gefallen hat, vielleicht weil ich selbst gelegentlich darüber nachdenke, ist die Gegenüberstellung eines Buchmenschen und einer Realistin, zwischen fiktiven Welten und realem Leben. Verpasst man etwas im Leben, wenn man seine Zeit mit Büchern verbringt, anstatt die Welt real zu erkunden? Mussert, könnte man argumentieren, hat nicht richtig gelebt, sondern nur gelesen. Aber er liebt seine Bücher. Und es stimmt auch nicht ganz, denn im Alter reist er viel, um für Reiseführer zu schreiben, verbindet die Elemente, die er aus den Büchern mit sich trägt, mit der Realität. Er erlebt die Welt anders. Seine Liebesbeziehung, die zeitlich vor den Reiseführern angesiedelt ist, währendderer er ebenfalls reist (wenigstens nach Lissabon), scheint oft definiert durch den Unterschied zwischen Mussert als Kopfmenschen, der alles als Referenz zu alter Literatur betrachtet, und seiner Partnerin Maria Zeinstra, die seine Träumereien und Literaturbezüge mit pragmatischen (und teils groben) Äußerungen lächerlich zu machen versucht oder als unsinnig darstellt. Kurzer Einschub: Im Artikel über Figurenbeschreibung und – kommunikation habe ich erwähnt, dass Mussert recht unsympathisch dargestellt wird in manchen Aspekten. Seine Partnerin, wie ich finde, kommt erheblich schlechter weg – nicht in den Augen von Mussert, aber in denen der Leser*innen, durch ihre fiese, beleidigende Art mit Mussert umzugehen. Man bekommt den Eindruck, dass Nooteboom selbst keine Antwort gefunden hat auf die Frage, ob Mussert – vermutlich stellvertretend für ihn selbst – sein Leben gut verbracht oder verschwendet hat. Er sieht wunderschöne Dinge, wo andere nur Touristenattraktionen sehen und wo er ihnen in den Reiseführern nur diese vermitteln kann, weil seine Assoziationen kaum jemand nachempfinden kann. Hier könnte man eine gewisse Hochnäsigkeit herauslesen, muss man aber nicht.

Ich persönlich tendiere dazu, Mussert als gutes Leben zu attestieren, in dem er getan hat, was er liebt, und dadurch eine einzigartige Sicht auf die Welt erlangt hat. Allerdings kann ich nicht umhin die innere Diskussion immer mal wieder selbst zu führen – sollte ich mehr leben, anders leben, besser leben? Die Antwort ist: Nein. Ich lebe ein gutes Leben, wenn ich tue, was ich liebe.

So kann man sich in Texten und Gedanken verlaufen. Es gibt wichtigere und dominantere Aspekte in Die folgende Geschichte als die genannten. Die Erinnerung Musserts an die Liebe, an Maria Zeinstra, und an die Zuneigung zu seiner Lieblingsschülerin. Auch wenn das Menschliche für den in Büchern lebenden Protagonisten nie einfach ist, ist dieser Teil des Lebens auch für ihn von größter Bedeutung.

Was fangt ihr jetzt mit dieser chaotischen Buchbesprechung an? Ich weiß es nicht, hoffe aber, dass sie mindestens als Leseempfehlung und bestenfalls als Denkanregung nehmt.

Das Maurerdekolleté des Lebens: Rezension

Hinweis auf eine Rezension des Werkes “Das Maurerdekolleté des Lebens” von Matthias Thurau.

Hinweis!

Der Betreiber des Reisswolfblogs hat sich die Zeit genommen, Das Maurerdekolleté des Lebens: Drei surreale Geschichten intensiv zu lesen, darüber nachzudenken und eine Rezension zu verfassen:

“Das Maurerdekolleté des Lebens” von Matthias Thurau

Für alle, die interessiert sind und es verpasst haben, hier erneut der Link zur Rezension von KeJas Wortrausch:

“Das Maurerdekolleté des Lebens” | Matthias Thurau

Autor*innenpodcast: “Bücher und Leseempfehlungen”

Kia Kahawa hat auf ihrer Patreon-Seite die zweite Folge des Podcasts von und mit Autorinnen und Autoren hochgeladen. Thema diesmal sind “Bücher und Leseempfehlungen”. Neben mir sind Andreas Hagemann und S. M. Gruber zu hören.

Wir sprechen über Lieblingsgenres, Leseorte und Bücher, die unsere Leben verändert haben.

Wer hören möchte, wie Schreibende über Gelesenes sprechen, findet die aktuelle Podcast-Folge hier:

Bücher und Leseempfehlungen – Matthias Thurau, Andreas Hagemann und S. M. Gruber

Ein einziger Absatz (von Cees Nooteboom)

Analyse eines Absatzes aus “Die folgende Geschichte” von Cees Nooteboom.

Noch immer, während ich dies schreibe, habe ich Die folgende Geschichte von Cees Nooteboom nicht ausgelesen und schreibe bereits den zweiten von diesem Buch inspirierten Blogeintrag. Den ersten findet ihr hier: Figurenbeschreibung und -kommunikation. Doch jetzt soll es um Gedanken zu einem kurzen Abschnitt des Werkes gehen:

»Abend in meiner Erinnerung, Abend in Lissabon. Die Lichter der Stadt waren angegangen, mein Blick war ein Vogel geworden, der ziellos über die Straßen flog. Es war kühl geworden, da oben, die Stimmen der Kinder waren aus den Gärten verschwunden, ich sah die dunklen Schatten von Liebenden, Standbilder, die sich aneinanderklammerten, sich träge bewegende Doppelmenschen. Ignis mutat res, murmelte ich, doch kein Feuer der Welt würde meine Materie noch verwandeln, ich war bereits verwandelt. Rings um mich wurde noch geschmolzen, gebrannt, da entstanden andere zweiköpfige Wesen, doch ich hatte meinen anderen, so rothaarigen Kopf schon vor so langer Zeit verloren, die weibliche Hälfte von mir war abgebrochen, ich war eine Art Schlacke geworden, ein Überbleibsel.« [Cees Nooteboom: Die folgende Geschichte; übersetzt von Helga von Beuningen; bei Suhrkamp]

Zur Situation: Der Ich-Erzähler ist begeisterter Lateinlehrer, ein großer Fan der Metamorphosen des Ovid, befindet sich in Lissabon und erinnert sich einer Liebschaft. Ignis mutat res ist ein altes, römisches Sprichwort und bedeutet: „Das Feuer verändert die Dinge“.

Was steckt alles in diesem wunderbaren Absatz? Mir geht es besonders um die Bezüge zu den Themengebieten, die den Erzähler ausmachen, also alles Lateinische, Griechische, Mythologische, Philosophische. Fangen wir mit den Doppelmenschen an. Platon ließ in seinen Dialogen andere für sich sprechen. In Symposion lässt er Aristophanes erzählen, dass Menschen früher 4 Arme, 4 Beine und 2 Gesichter hatten, bis Zeus sie aus Rache in Mann und Frau aufgespalten hat. Fortan suchten die Menschen ihre zweite Hälfte und mussten immer unvollständig bleiben. Dieses Bild steht im Zusammenhang mit der Seelenverwandtschaft. Zwei Menschen sind füreinander bestimmt, sie sind zwei Teile des gleichen Wesens. (Kurzer Ausflug: Laut Emanuel Swedenborg werden Liebespaare nach dem Tod im Himmel zu einem einzigen Wesen vereint werden, der dann ein Engel ist.) Auf diese Seelenverwandtschaft beziehungsweise den Verlust eines Teiles seiner selbst spielt der Erzähler hier meiner Meinung nach an. Einerseits versuchen die Liebespaare in der Stadt, zu vervollständigen, was bereits vor ihrer Geburt gespalten worden ist, sich gegenseitig zu komplettieren. Andererseits betont der Erzähler seine eigene Zerrissenheit. Er hat seinen seinen anderen, so rothaarigen Kopf schon vor so langer Zeit verloren, die weibliche Hälfte war von ihm abgebrochen.

Ich habe versucht, eine genauere Herkunft für das Sprichwort ignis mutat res zu finden als „römisches Sprichwort“, aber wurde leider nicht fündig. Die Herkunft solcher Sprüche ist oft unklar, aber zum Glück nicht immer. Nooteboom leitet damit jedenfalls eine Reihe von Ausdrücken, die mit dem Feuer in Zusammenhang stehen, ein. Worauf bezieht er sich hiermit?

Im ersten Gesang des zweiten Buches von Ovids Metamorphosen, der wichtigsten Grundlage unserer Kenntnisse der griechischen Mythologie, einem Werk, das sich, wie der Name sagt, um Verwandlungen dreht, geht es um Phaethon, den Sohn des Sonnengottes Helios. Phaethon besucht Helios eines Tages und nimmt seinem Vater das Versprechen ab, ihm einen Wunsch zu erfüllen, bevor er ihn geäußert hat. Dumme Idee, aber versprochen ist versprochen. Phaethon wünscht sich, eine Spritztour mit dem Sonnenwagen seines Vaters zu machen, mit dem dieser jeden Tag am Himmel entlangfährt – schließlich ist er die Sonne. Helios versucht es ihm erfolglos auszureden. Dann warnt er Phaethon, dass er weder zu hoch fliegen soll, um nicht den Himmel zu verbrennen, noch zu niedrig, um nicht die Erde zu zerstören. Was passiert? Phaethon kann die feuerspeienden Götterpferde vorm Wagen nicht kontrollieren und verbrennt die Welt, verändert sie.

Doch kein Feuer der Welt würde meine Materie noch verwandeln, sagt der Erzähler und greift damit nochmal das Sprichtwort auf. Das Feuer spielt auf die Geschichte von Phaethon an und das Wort verwandeln weist eindeutig auf die Metamorphosen hin. Kein Feuer der Welt kann man in diesem Fall auf das Feuer der Sonne beziehen, wodurch die Verwandlung des Erzählers vollkommen ausgeschlossen wird. Alle Paare, die er beobachtet, sind Einzelmenschen, die sich zu Doppelmenschen verwandeln, die einander finden und dadurch verändern. Aber der Erzähler verändert sich nicht mehr. Seine Sache, seine Lebensmaterie, (res) ist starr geworden. Es kann kein Zusammenführen der beiden Seelenhälften mehr geben. Tatsächlich hatte es sie bereits gegeben, gefolgt von einem weiteren Riss, einer Trennung (welcher Form auch immer).

Die Feuerbegriffe hören hier noch nicht auf. Um ihn herum wird noch geschmolzen, gebrannt. Meine Assoziation sind Ton und Metall. Feuchter Ton wird geformt und dann gebrannt, um fest zu werden. Metall wird erhitzt, um geformt werden zu können, und erkaltet danach in neuer Form. Zwei Wesen werden zu einem. Zum Ton assoziiere ich weiter, dass es mehrere Schöpfungsmythen, auch bei den alten Griechen, gab, nach denen die ersten Menschen aus Lehm geformt worden sind. Ton ist ein Teil der Lehmerde und daher passt es doch wieder. Zum erhitzten und dann erkalteten Metall im Bezug auf die Liebe habe ich eher die Assoziation, dass die Beziehung anfangs heiß ist, es dann zu einer dauerhaften Beziehung (Ehe) kommt und alles erkaltet. Das ist wenig romantisch. Nooteboom schreibt aber intelligent und humorvoll genug, um eine solche Idee einzuschmuggeln. Außerdem würde es einen schönen Rahmen ziehen: Die Beziehung des Erzählers zur Geliebten wurde unterbrochen, bevor sie völlig gefestigt oder komplett erkaltet war, sondern zu einem Zeitpunkt, als alles stimmte, einem Zeitpunkt, an dem es richtig wehtut.

Der Erzähler bezeichnet sich selbst als Schlacke, also als der nutzlose Rest, der bei der Verbrennung von Kohle oder der Verhüttung von Erzen übrig bleibt – Überbleibsel, sagt er ja selbst. Er bleibt im Bild des Feuers, des Schmelzens und der Verwandlungen.

Deshalb wollte ich über diesen Absatz schreiben. Er hat auf so vielen Ebenen etwas zu bieten und ich habe noch nicht einmal vom wunderschönen Bild des Vogels am Anfang – Prophetischer Vogelflug? Verwandlungen des Zeus in Tiergestalten? –, von der poetischen Sprache oder der perfekten Verknüpfung der sprachlichen Bilder und der Figurencharakterisierung gesprochen. So sieht richtig gute Literatur aus. Sprache, Gefühl, Figur, Spielerei und Tiefe bilden eine Einheit, verwandeln sich wie ein Liebespaar zu mehr als der Summe ihrer Einzelteile.

Bernie Krause: The Great Animal Orchestra

Rezension des Buches “Das große Orchester der Tiere” von Bernie Krause.

Atmet durch und hört auf, die Geräusche um euch zu filtern. Was hört ihr? Läuft Musik? Fahren Autos? Arbeitet die Lüftung des Laptops? Wird draußen der Rasen gemäht? Jetzt achtet darauf, was diese Geräusche in euch auslösen.

Ich habe Bernie Krauses Buch in den ersten Tagen meiner freiwilligen Corona-Quarantäne gelesen. Das Wetter war sonnig, es gab weniger Verkehr, keine Betrunkenen an der Kneipe gegenüber, weniger Spaziergänger, und die Vögel sangen. Am offenen Fenster habe ich gelesen und konnte halbwegs nachfühlen, wie Krause sich gefühlt haben musste, als er zum ersten Mal die Geräusche der freien Natur bewusst erlebte. Als ich zwei Tage später das Ende des Buches las, hörte ich erst einen Hochdruckreiniger, dann Menschen, die sich lautstark unterhielten, und einen Rasenmäher. Ich war angespannt – zugegebenermaßen bin ich recht geräuschempfindlich – und es passte gut zu den Infos über Lärmverschmutzung und die Zerstörung natürlicher Klangwelten durch menschliche Eingriffe.

Bernie Krause ist Bioakustiker und nimmt natürliche Klanglandschaften, Soundscapes, auf, um sie, das heißt einen Ausschnitt von ihnen, für die Nachwelt zu erhalten sowie akustische Vergleichsdaten zu sammeln, um Entwicklungen aufzuzeigen, Einflüsse und Zerstörungen zu verdeutlichen und zu verstehen, wie es zu diesen hochkomplexen Geräuschkombinationen kommt, bevor sie verstummen. Er zeigt auf, dass die Klänge der Natur nicht bloß aus verschiedenen Tierlauten bestehen, die willkürlich losbrüllen, sondern dass je nach Habitat sämtliche Lebewesen akustisch aufeinander abgestimmt sind und bestimmte Gebiete auf der Klangskala oder zeitlich besetzen. Jeder Eingriff, beispielsweise durch ein vorbeifliegendes Flugzeug, stört die Abstimmung, bringt sie durcheinander oder lässt sie verstummen, was die Kommunikation, Orientierung und Paarung der Lebewesen im Habitat beeinträchtigen kann. Das Besondere an diesem Buch ist wohl, dass nicht bloß trocken über diese Dinge berichtet wird, sondern dass man auf der Homepage des Verlages passende Tracks zu Stellen des Textes finden kann. Diese sind leider etwas durcheinander geraten in der Reihenfolge, aber das ist halb so wild.

Im Rahmen seiner Untersuchungen geht Bernie Krause, der ursprünglich Musiker gewesen ist, auch auf kulturelle Aspekte ein, theoretisiert über die Entstehung der Musik, unterstützt seine Gedanken mit Aufnahmen und Beschreibungen der Musik von naturverbundenen Völkern, gibt einen historischen Überblick über das Verhältnis der westlichen Welt zu Musik und Naturgeräuschen und gibt nebenbei Auskunft über die großen Etappen seines Lebens. Das klingt hochinteressant und etwas durcheinander, oder? Ist es auch. Beides. Gelegentlich wiederholt sich Bernie Krause und einiges hätte er besser strukturieren können. Das störte mich aber weniger als die Übersetzung. Einige Stellen, über die ich gestolpert bin, kann ich nicht klar zuordnen. Lag es am Original oder Übersetzung, dass manchmal das Tempus nicht ganz korrekt war? Hätte man es in der Übersetzung korrigieren sollen/dürfen? Was jedenfalls an der Übersetzung lag, waren Dinge wie, aus The Who, die Who zu machen, und aus Muscle-Cars, Muskelautos, den Filmtitel No Country For Old Men, der im Deutschen auch so heißt, zu übersetzen oder auch die etwas unglückliche Wahl mancher Kapitelüberschriften (Jedem Tierchen sein Pläsierchen – im Original: Different Croaks for Different Folks) und des deutschen Titels, der nach einem Kinderbuch klingt: Das große Orchester der Tiere. Manche Übersetzungen würde ich als Fehler einstufen, da es sich um Eigennamen (oder Teile davon) handelt, die nicht übersetzt werden dürften, und anderes scheint einfach ungeschickt gewählt zu sein. Wie treu soll/darf/muss man dem Original sein bei der Übersetzung? Für die Debatte ist hier kein Platz.

Dass es hier und da lange Aufzählungen von Tieren und Pflanzen gibt, sehe ich als Zeichen für Krauses Leidenschaft und Sorgfalt, und wird manche interessieren und manche nicht (die können das überspringen).

Es handelt sich um ein Sachbuch und das Wichtigste an einem Sachbuch ist die Sache, um die es geht, oder? Ich habe viel gelernt, habe Interessantes erfahren und für eine Weile ein aufmerksameres Gehör gewonnen (um mir des Lärms um mich herum noch stärker bewusst zu werden, aber auch angenehme Feinheiten zu bemerken). Deswegen gefiel mir das Buch trotz etlicher kleiner Macken, die sich anhäuften.

Daniel Kehlmann: Vier Stücke

Rezension des Buches “Vier Stücke” von Daniel Kehlmann.

Dass ich gerne Werke von Daniel Kehlmann lese, ist kein Geheimnis. Ich schreibe absichtlich „Werke“ statt „Romane“, denn auch die Erzählungen, Vorlesungen und Gespräche gefallen mir. Jetzt habe ich das Buch Vier Stücke gelesen, in dem die vier Theaterstücke Geister in Princeton, Der Mentor, Heilig Abend und Die Reise der Verlorenen abgedruckt sind.

Das erste der vier Stücke dreht sich um den Logiker Gödel, einen Mann der Wissenschaft, der jedoch an Geister glaubte und daran, dass er vergiftet werden würde. Diese Angst trieb ihn dazu, im Alter komplett die Nahrungsaufnahme zu verweigern, bis er verhungerte. Bereits in der Vorlesung Kommt, Geister erwähnt Kehlmann dieses Zusammentreffen absoluter Logik und paradoxen Handelns.

Der Mentor behandelt die Probleme unerfahrener und eigentlich längst überholter Autor*innen, die Fehler, die beide Gruppen begehen, die Gemeinsamkeiten, die sie haben, und was sie voneinander lernen können. Als noch unbekannter Autor habe ich mich häufig erwischt gefühlt.

Man könnte die vier Stücke in zwei Hälften teilen, denn Der Mentor und die Geister von Princeton könnte man grob philosophisch/literarisch verorten, während Heilig Abend und Die Reise der Verlorenen eher politischer Natur und gerade im Rahmen der Flüchtlingsproblematik und um sich greifender rechter Tendenzen in Europa zu verstehen sind. Heilig Abend ist angelegt als Verhör. Ein Aspekt, der für mich besonders hervortritt, ist Macht der Behörden beziehungsweise die Willkür in der Ausübung von Rechten und Pflichten. Wie weit darf man gehen, um eine wichtige Information, ein Geständnis, zu bekommen? Rechtfertigt die Feststellung der Schuld von Verdächtigen, wie die Schuld festgestellt wurde? Letztlich geht es um Moral und strukturelle Gewalt.

Am beeindruckensten der vier Stücke empfand ich Die Reise der Verlorenen, das vollständig (und das wird als Stilmittel häufig wiederholt) auf realen Begebenheiten basiert, auf historischen Dokumenten, Tagebucheinträgen, Telefonprotokollen usw. Das Kreuzfahrtschiff St.Louis legt 1939 mit knapp 1000 jüdischen Flüchtlingen, die ihre Tickets zu horrenden Preisen kauften, von Hamburg Richtung Kuba ab. Es geht um die Behandlung der Passagiere, die Tugend mancher Crew-Mitglieder, die Untugend anderer, den Unwillen vieler Regierungen, die Flüchtlinge aufzunehmen, um Propaganda und ein brutales Schicksal. Es werden keine großen Reden geschwungen, wie man es manchmal von Theaterstücken befürchtet. Die Figuren berichten über ihr Leben und ihren Tod wie Geister, die alles gesehen haben, und mit einer Ruhe, die nicht emotional kalt wirkt, sondern die Brutalität der Situation unterstreicht.

Ich bin kein Theatergänger, aber ich lese gelegentlich Theaterstücke. Manchmal passen die Regieanweisungen zu den Bildern in meinem Kopf und manchmal nicht. Kehlmanns Stücke sollen minimalistisch aufgeführt werden: leere Räume, mal ein Tisch und zwei Stühle. Gerade in den geisterhaften Monologen oder Dialogen, wenn eine Figur vorgreift und vom eigenen Tod spricht, passt diese Leere perfekt. Ich stelle sie mir losgelöst von allem vor, ruhig und sich dennoch der Ungerechtigkeit bewusst, die sie zu durchleben hatten, ohne Verurteilung, ohne Rachegelüste.

Berit Glanz: Pixeltänzer

Rezension des Romans “Pixeltänzer” von Autorin Berit Glanz.

[…] etwas zu suchen, auch wenn man nie eine Antwort erhalten wird, sagt mehr aus über die eigene Hoffnung als über den Sinn und Zweck der Suche.

Auf der Buchmesse in Frankfurt 2019 besuchte ich mit zwei befreundeten Autoren die Lesung von Berit Glanz, in der sie ihren Roman Pixeltänzer vorstellte. Ich wurde neugierig, wünschte mir das Buch zu Weihnachten und habe es Anfang Februar 2020 gelesen. Hier meine Eindrücke.

Bereits am Titel erkennt man einen gewissen Hang zu schöner Sprache. Nicht kalt beobachtend, sondern warm betrachtend und poetisch formulierend sollte sie sein. Das war mein erster Eindruck. Wie eine hauchdünne Schicht legt sich diese feine Poesie immer wieder auf den Text, ohne ihn unmodern oder überzogen wirken zu lassen. Beinahe hätte ich mir ein wenig mehr dieser schönen Formulierungen gewünscht, auch und weil sie wenig in die Welt der Start Ups, in der die Haupterzählebene der Geschichte angesiedelt ist, passen.

Die Erzählebenen fielen mir als nächstes auf. Über das Internet kommuniziert die Protagonistin mit einem ihr nur durch ein dreiminütiges Telefonat bekannten Mann, der jedoch nie direkte Antworten gibt, sondern kleine Rätsel oder Geschichten hinterlässt, und manchmal Geschichten in Geschichten. Auf der Hauptebene guckt die Protagonistin in den Quelltext ihrer Website, der verändert wurde von ihrem Gesprächspartner und in den eine Erzählung eingefügt wurde, in der es einen Rückblick gibt – eine Erzählung in einer Erzählung in einem versteckten Text in der Erzählung. Ich liebe diese Spielereien. Im Buch sind derartige Rückblicke und Einschübe nicht kompliziert oder schwer nachzuvollziehen, sondern bilden einen natürlichen Teil der Struktur.

Das dritte große Eindruckspaket stammt aus der Haupterzählebene, die, wie gesagt, in der Start Up-Szene und ihrer Modernität, ihren Ticks und Ritualen spielt. Es werden subtil Themen angeschnitten oder angedeutet, die zum Denken anregen, weil sie inzwischen Teil unseres Lebens sind und leider kaum noch hinterfragt werden, wie beispielsweise die Frage nach der Echtheit oder Überprüfbarkeit von Informationen. Wir haben schnellen Zugriff zu einer unglaublichen Masse an Informationen, aber kaum die Möglichkeit zu prüfen, ob man sich auf sie verlassen kann. Andere Beispiele für Denkanregungen sind hier und da auftretende Gegensatzpaare wie Schnelllebigkeit versus Entschleunigung, die Anonymität des Internets (beziehungsweise unserer heutigen Kommunikation allgemein) und der Sehnsucht nach Nähe, die Auflösung des Besonderen – das Internet zeigt uns, dass wir mit unseren Besonderheiten nicht allein sind, aber dadurch auch, dass wir nichts Besonderes sind. All das ist subtil eingearbeitet und taucht einfach hinter der Erzählung auf, ohne sich vorzudrängen oder besondere Aufmerksamkeit zu fordern. Angebote, die man annehmen kann, wenn man möchte, oder ignorieren, wenn man kein Interesse an der Fragestellung hat, wie so vieles heutzutage: Die Auswahl ist endlos, die Verpflichtung gleich null.

Was mir als Autor gefallen hat, ist der Umgang mit dem Problem moderner Technik. Was ich meine, ist, dass viele altbekannte Erzählstrukturen nicht mehr gut funktionieren, wenn man beispielsweise ein Smartphone einfügt. Flucht, Abgeschiedenheit, Unwissenheit, viele Horrorszenarien können durch einen Anruf, eine Nachricht oder eine Google-Suche aufgelöst werden, weswegen es plötzlich Funklöcher auftauchen, Akkus leer sind, Smartphones vergessen oder geklaut werden. Anstatt diese Probleme zu umgehen, zeigt uns Berit Glanz, wie man diese modernen Techniken in die Geschichte einbauen und sie damit bereichern kann: Kommunikation über Blogs, Quelltext, Links, Apps. So wurde aus einer möglichen Einschränkung eine große Erweiterung der Möglichkeiten.

Passend zu dieser Modernität wurde dafür gesorgt, dass alle Dinge, von denen berichtet wird, alle Google-Suchanfragen, alle Websites zugänglich oder nachvollziehbar sind. Das verankert den Roman in der Realität und die beschriebenen Gegenstände erhalten Nachprüfbarkeit. Während sich die Protagonistin fragt, welche Anteile der ihr erzählten Geschichten wahr sind, fragen sich Leser*innen des Romans dasselbe und können dem nachspüren, wie auch sie es versucht. Eine Schatzsuche auf mehreren Ebenen.

Was jetzt? Braucht jemand eine abschließende Einschätzung? Mir gefiel das Buch aus oben genannten (und weiteren) Gründen, ich habe etwas gelernt und Denkanstöße erhalten. Viel mehr gibt es nicht zu sagen.

Nika Sachs: Schneepoet

Rezension des Romans “Schneepoet” von Nika Sachs.

Männer mit echten Gefühlen – eine gewagte These. Schneepoet ist der erste Band einer Reihe, kann aber auch solo gelesen werden. Solche Infos sind für mich wichtig, weil ich ein sehr langsamer Leser bin und mich Buchreihen immer abschrecken. Vielleicht geht es euch ja ähnlich.

Steigen wir ein. Das große Talent von Nika Sachs ist die Analyse von Gefühlen. Ihre Figuren analysieren sich selbst und ihre Mitmenschen permanent. Das klingt trocken, ist es aber nicht. Ich selbst halte mich für einen reflektierenden Menschen, aber habe keineswegs einen solchen Zugang zu Emotionen und ihren Hintergründen, wie Nikas Figuren. Das führte dazu, dass ihr Buch in Teilen eine therapeutische Wirkung auf mich hatte. Ich habe plötzlich Verhaltensweisen und Vorgänge verstanden, mit denen ich mich über Jahre beschäftigt hatte, die teilweise noch aktuell sind, und andere, die ich fast vergessen hatte. Ein solcher Effekt ist aus meiner Sicht ein riesiger Pluspunkt für ein Buch.

Der Protagonist Lukas (oder Luc) verlässt seine Freundin, weil er ihr ein Geheimnis nicht verraten kann, und flüchtet aus Deutschland und aus der Realität mithilfe von Alkohol, Drogen und sinnlosem Sex. Diese Realitätsflucht kennen vermutlich viele Männer und besonders jene, die ihre eigenen Emotionen nicht verstehen und/oder nicht ordentlich verarbeiten können. Luc hat den Vorteil (und wenn es auch nur ein Vorteil für die Leser*innen ist), dass er von Kindheitstagen an eine beste Freundin hatte, die ihm geholfen hat, einen Blick für seine Emotionen zu entwickeln, der leider für viele Männer noch immer einem Tabu gleicht. Wir haben stark zu sein und unsere Gefühle in Schach zu halten. Unsere Aufgabe ist nicht, sie zu verstehen, sondern Stärke zu zeigen. So ein Bullshit. Es ist vielsagend, dass eine Frau aus der Perspektive eines Mannes schreiben muss, um Männern zu zeigen, was und wie sie fühlen. Zwar kenne ich viele emotionale Bücher, die von Autoren verfasst worden sind, aber keines enthält eine derart reife und analytische Sicht auf diese Emotionen wie Schneepoet von Nika Sachs. Stattdessen geht es meist um das unerträgliche Leid, leben zu müssen, mit sich selbst, ohne eine ordentliche Reflexion oder gar einem Lösungsangebot. Die große, klassische, emotionale Männergrippe in der Literatur.

Der Sprachstil des Buches ist ebenfalls ungewöhnlich, hier und da schwierig (auch aufgrund von Neologismen und Metaphern, die man nicht immer sofort versteht), aber immer interessant. Neben der inhaltlichen Tiefe ist die verwendete Sprache für mich einer der wichtigsten Aspekte in der Literatur. Ich will nicht die Fahne derer schwenken, die nur komplexe und sprachgewaltige Werke als echte Literatur akzeptieren, sondern meine, dass jeder Sprachstil akzeptabel und gut sein kann, solange er zum Werk passt. Der Stil von Schneepoet ist nicht simpel, er ist frisch, neu, modern und frei von Konventionen, passend zum verwendeten Tagebuchformat. Was ich sagen will, ist, dass meine Ausgabe nun gespickt ist mit Klebezetteln, die interessante Passagen und schöne Sätze markieren.

Was den Aufbau betrifft, so könnte man sich streiten. Im vorliegenden Format wirkt er stimmig. Ein Zeitraum von 3 Jahren und 6 Monaten wird in Form von Tagebucheinträgen abgedeckt. Es wird ein Leben dargestellt und eine emotionale und geistige Entwicklung, kleinschrittig. Man hätte sicherlich die Essenz der Geschichte herauslösen können und sie geordneter darstellen können, aber dann hätte man ein anderes Werk mit einem anderen Effekt gehabt. Hier wird kein kunstvoller Bogen geschlagen, sondern ein Leben dargestellt. Für die Geschichte und ihren Fokus war das die richtige Wahl. Andere hätten es anders gemacht, aber andere wollen auch andere Dinge erzählen.

Was noch? Sex, Sex, Sex, interessante Figuren und viele Gefühlskatastrophen. Wer Bock hat, fröhliche Menschen durchs Leben tänzeln zu sehen, ist hier fehl am Platz. Da ich darauf aber fast nie Bock habe, bin ich sehr zufrieden mit der Lektüre wie auch schon bei Namenlos. Also gebt dieser großartigen und ungewöhnlichen Autorin eine Chance, lest ihre Bücher und folgt ihr bei Twitter unter Karmasagtnein oder Nika Sachs.

Nika Sachs: Namenlos

Rezension der Novelle “Namenlos” der Selfpublisherin Nika Sachs.

Poetisch und verdichtet, geschmackvoll, intelligent und voller Hoffnung auf eine zweite Chance. So könnte mein Fazit lauten für Namenlos von Nika Sachs.

Es fällt mir nicht leicht, meinen Eindruck von diesem Buch auf den Punkt zu bringen. Einerseits liegt es daran, dass man beim Lesen keinen Moment unkonzentriert sein sollte, weil man sonst Gefahr läuft, etwas nicht zu verstehen, interessante Details zu übersehen oder einen schönen Moment unter so vielen zu verpassen. Andererseits liegt es an der Mischung aus großer Wärme und trockener, analytischer Formulierung, die das Werk durchzieht.

Zwei Menschen lernen sich kennen und verzichten darauf, ihre Namen zu nennen. Jede Information könnte einen Teil des Zaubers nehmen, der zwischen ihnen aufflammt und wächst. Beide analysieren sich und ihr Gegenüber im Laufe tiefsinniger und humorvoller Gespräche und ungewöhnlicher Treffen. Wer fährt welches Auto und was sagt das aus? Ist es ein Klischee und damit ein Zeichen von Anpassung oder vom Ausleben eigenen Geschmacks, selbst wenn dieser ein Klischee erfüllt?

Im Grunde wird ein Date von hinten nach vorne durchlebt, von vertrauten Gesprächen und Nähe und dem möglichen Ende Ausgang eines ersten Dates zum Ausgehen und schließlich zur Nennung des Namens. Die Frage, die mich nach Beendigung des Buches beschäftigt hat und die ich für mich beantworten konnte, war, ob die klassische Reihenfolge des Kennenlernens zum gleichen Ergebnis geführt hätte. Um keine Details zu verraten, lasse ich meine Antwort offen.

Das erste, was ich nach der Lektüre und einigen Gedankengängen tat, war, einige der vielen schönen Formulierungen und Denkanreize zu notieren. Ich habe eine Datei für solche Dinge, die sich im Ordner „Inspiration“ befindet und in der Zeilen und Passagen einiger großer Autor*innen und Denker*innen stehen und nun auch 14 ausgesuchte Zitate von Nika Sachs. Beispielsweise hat mich dieser Satz fasziniert, der kommt, als die beiden Namenlosen vom Goetheturm und von einem Gespräch über der Stadt herunter auf die Straße treten: Dort angekommen greift die Realität wieder und hinterlässt ein paar Schlieren im Glanz des Moments. Sie waren für kurze Zeit der Welt entkommen und müssen nun wieder zurück, realisieren dabei, dass sie ihr eigentlich nie wirklich fern waren, und dennoch war dort Glanz und Glück und Romantik.

Das ist es vielleicht, was Namenlos ausmacht: eine ständige Analyse, warme Romantik und eine gewisse Traurigkeit – oder ist es ein Zweifel an der Möglichkeit von Glück, wie es die meisten definieren würden? Denn Glück ist doch nur die Abwesenheit von Unglück. Aber ist dem so oder soll man bloß darüber nachdenken? Oder ist es am Ende eine Herausforderung an das Leben und das Gegenüber?

Ich kann nicht behaupten, alles verstanden zu haben, worüber die namenlosen Figuren sprechen, ich kenne nicht alle Bücher oder Künstler, die sie erwähnen, und manchmal schien ich die Figuren aus der Ferne zu beobachten, zu verstehen, was passiert, ohne es völlig zu durchblicken. Beim zweiten Lesen, das sicherlich kommen wird, werde ich wagen, mich ihnen etwas weiter zu nähern, noch etwas mehr oder etwas Anderes mitzunehmen und es sicherlich wieder genau so sehr zu genießen wie beim ersten Mal.

Neben ihrem unübersehbaren Talent für das Schriftstellerische ist Nika Sachs übrigens auch eine interessante Person und wert, ihr auf Twitter zu folgen, auf einem ihrer beiden Accounts:
Nika Sachs
Karmasagtnein