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Syltse / Ich rezensiere mich

Über den Text “Ich rezensiere mich” in der Winterausgabe des Literaturmagazins Syltse, über Selbstbild und Fremdbild und gute Rezensionen.

Letzte Woche habe ich an dieser Stelle über Kurzprosa geschrieben als Teil einer längeren Blogreihe rund um den Erzählband Erschütterungen. Dann Stille.. In der Winterausgabe des Literaturmagazins Syltse ist ein weiterer kurzer Prosa-Text von mir veröffentlicht worden. Ihr erinnert euch vielleicht an den Hinweis hier auf dem Blog und vorher den Blogeintrag Wie ich Ausschreibungen angehe? Das dort erwähnte Beispiel gehörte zur Ausschreibung für Syltse. Hier soll es also um den Text Ich rezensiere mich gehen. Als Print zu kaufen oder kostenlos (beziehungsweise bezahlt durch eine freiwillige Spende) online einzusehen, gibt es das Magazin hier: Syltse: Anders.

Ich rezensiere mich

Wie ist der Text entstanden? Man kann sich unschwer zusammenreimen, dass meine Tätigkeit als Rezensent für das Buchensemble eine Rolle gespielt hat. In der Entstehungszeit des Textes habe ich mich nicht nur mit dem Verfassen von Rezensionen befasst, sondern auch mit ihrem Sinn und Aufbau. Ich dachte darüber nach, wie viel Bedeutung eine Skala mit 5 Sternen hat und ob sie überhaupt eine echte Bedeutung haben kann. Gerade komplexe Produkte wie Bücher sind kaum in einem solchen Schema greifbar. Man benötigt einen sinnigen Begleittext, eine Rezension eben. Aber wer hat im Normalfall Zeit und Lust? Außerhalb der Rezensententätigkeit rezensiere ich so gut wie nie Produkte.

Hinzu kommt die seltsame Tendenz, Produkte und Erlebnisse in Superlativen zusammenzufassen und entsprechend zu bewerten. Dinge sind in den Augen vieler entweder fantastisch oder unglaublich schlecht. Man vergibt 1 Stern oder 5 Sterne. Autorenkollege Marco M. Anders hat das ungefähr zur gleichen Zeit gut analysiert und veröffentlicht im Blogeintrag: Wie bewertet man eigentlich schlechte Medien?

Einschub: Fast schon Lyrik

Es gibt Streit um den Begriff der Prosadichtung, da einige Literaturwissenschaftler*innen ein Gedicht einzig durch die Einteilung in feststehende Verse konstituieren. Ohne Vers kein Gedicht. Andere suchen die Definition eines Gedichts an anderer Stelle. Es gibt als Gedichte vorgestellte Texte, die lediglich aus der Aufstellung einer Fußballmannschaft bestehen. Auch ein Kassenbon wäre nach der Vers-Definition ein Gedicht, würde es dazu erklärt werden. Die Kritik daran und die Suche nach anderen Kriterien (Sprache, lyrische Subjektivität etc.) erscheint sinnig, ist aber schwierig und meines Wissens nach nicht abgeschlossen.

Was unumstritten ist, ist die Existenz von Prosa-Texten, die an Lyrik erinnern, obwohl sie nicht in Versen verfasst sind. Mir wurde mindestens einmal gesagt, dass sich manche meiner Texte (wie z.B. Der Mitatmer in Erschütterungen. Dann Stille.) unter diese Kategorie fassen ließen. Ich wage nicht recht, das zu bestätigen, da sich für mich eigene Texte verständlicherweise anders lesen als für andere. Aber, sofern die Aussage korrekt sein sollte, zählte Ich rezensiere mich ebenfalls zu den Prosagedicht-ähnlichen Texten. Damit wäre meine mehrmals getroffene Aussage, dass Erschütterungen. Dann Stille. eine Vermittlerrolle zwischen den reinen Prosa-Texten (Sorck und Das Maurerdekolleté des Lebens) und der Lyrik (Alte Milch darstellt, ein wenig bestätigt. Vielleicht kann man diese Aussage auf alle Kurzprosa-Texte ausweiten.

Die Sache mit dem Selbstbild

Die Beobachtung des eigenen Selbstbildes und des Bildes, das verschiedene Fremde von einem haben, kann hochinteressant sein. Für manche Freund*innen, bist du noch immer die gleiche Person wie vor 15 Jahren, als sie dich kennengelernt und sich ein Bild von dir gemacht hatten. Personen, die dich noch nicht so lange kennen, halten dich für eine*n andere*n. Kennt man dich nur oder zuerst online und erst dann persönlich, kann der Eindruck ein völlig anderer sein, als wenn man sich direkt persönlich (IRL) kennenlernt. Das Selbstbild ist nicht weniger tückisch. Man hatte als Teenager Übergewicht, das aber seit vielen Jahren verschwunden ist. Trotzdem hält man sich für dick. Nach dem Sport fühlt man sich attraktiver (was auch an der Ausschüttung von Hormonen liegt). Abends ist man nicht die gleiche Person wie morgens. Die Perspektive wandelt sich manchmal sehr schnell und manchmal ändert sich das Bild überhaupt nicht. Es spielen zu viele Faktoren mit rein.

Sich selbst erklären

Und dann gibt es diesen Drang, sich selbst zu rechtfertigen und sich zu erklären, darzustellen, wer man eigentlich ist, Werbung zu machen für die eigene Lebensart, sich positiv darzustellen oder die anderen nicht zu viel erwarten zu lassen. Bekommst du ein Kompliment, machst du dich selbst schlecht. Beleidigt man dich, verteidigst du dich. Gleichzeitig fragst du dich aber, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit an der Beleidigung steckt? Gef**kt von der eigenen Psyche.

Manche von uns verbringen ihr Leben damit, herauszufinden, wer wir eigentlich sind. Glauben wir dann, etwas herausgefunden zu haben, wollen wir die Info teilen und dann wollen wir wieder nicht auffallen und nicht stören und uns nicht zu wichtig nehmen. Wir zerfressen uns selbst.

Wer zur Hölle bin ich?

Vor dieser Frage stehen wir dann. Nicht erst am Ende, sondern auch am Anfang und in der Mitte, immer wieder und wieder. Wer zur Hölle bin ich und was bin ich wert? In solchen Momenten möchte ich die Welt einreißen und mich gleichzeitig entschuldigen. Feuer entfachen und mich wegkerkern. Darum geht es. Ich rezensiere mich ist ein Aufmerksammachen, ein Fingerzeig auf genau diese Mechanismen und Probleme. Es ist kein spezifisch persönlicher oder gar autobiographischer Text, aber er behandelt ein Thema, das mich durchaus selbst betrifft. Mein Selbstbild ist gestört und keineswegs festgelegt.

Die grundlegenden Fragen und das kreisförmige Zerdenken, das in Ich rezensiere mich zelebriert wird, ist mir eindeutig bekannt, aber die angesprochenen Details sind fiktiv. Ich schütze mich, indem ich eine Erzählerfigur vorschicke. Das gehört sich so.

Es tut gut

Hören wir auf mit der Negativität und konzentrieren uns auf den Erfolg: Ich wurde von einer Literaturzeitschrift abgedruckt, die es schon eine ganze Weile gibt. Syltse ist nicht völlig unbekannt. Auf diese Veröffentlichung bin ich stolz und würde meinen Namen gerne häufiger in fremdem Druckwerk lesen. Idealerweise dann in der korrekten Schreibweise.

Kurzprosa

Leseempfehlungen und Gedanken zum Thema Kurzprosa.

Mit dem Blogeintrag über Derrière la Porte von Michael Leuchtenberger habe ich bislang nur einen einzigen Text über Kurzgeschichten und kürzere Erzählungen veröffentlicht. Das sollte sich angesichts der Veröffentlichung meines eigenen Erzählbandes Erschütterungen. Dann Stille. ändern. Es folgt also ein Text über Kurzprosa, die mich bewegt, beeindruckt, inspiriert oder mir nur gefallen hat.

Definitionen

Es gibt Erzählungen, die lang genug sind, um ein eigenes Buch zu ergeben. Hesse hat beispielsweise ein paar gute davon verfasst. Darum soll es hier aber nicht gehen. In diesem Blogeintrag geht es um Texte, die grob ein Maximum von 50 Buchseiten erreichen. Die meisten sind erheblich kürzer.

Die Sortierung wird ebenfalls eher grob gestaltet sein. Etwas Ordnung muss bekanntlich sein. Nehmt alle erwähnten Geschichten gerne als Leseempfehlung. Auf geht es!

Nach dem Krieg

Für Kurzgeschichten und Kurzprosa allgemein war Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ein fruchtbares Pflaster. Schicksale konnten nicht mehr geteilt werden, Erfahrungen waren nicht mehr erzählbar, nicht so kurz danach. Kurzgeschichten geben Abrisse wieder, stellen sie in den Raum und deuten ein ganzes Schicksal dahinter und drumherum an. Eine gute Kurzgeschichte ist wie ein Schlüsselloch, geradezu winzig, aber es öffnet einen Raum, lässt uns viel mehr entdecken, schenkt uns eine neue Perspektive.

Wolfgang Borchert

Für mich gab und gibt es in deutscher Sprache keine besseren Kurzgeschichten als die wenigen von Wolfgang Borchert geschriebenen. Das Theaterstück Draußen vor der Tür ist ebenfalls eine klare Empfehlung. Der Autor verarbeitet Erfahrungen aus dem Krieg und besonders jene der Heimkehrer, die kein Zuhause mehr haben, in das sie zurückkehren können. Armut, Trauma und das Gefühl, nicht mehr dazu zu gehören, durchziehen das Werk. Leider ist Borchert nur 26 Jahre alt geworden. Sein Tod war ein Verlust für die deutsche Literatur. Da man alle von Borchert verfassten Werke in ein einziges Buch packen kann, sage ich einfach: Kauft euch dieses Buch (in meinem Fall sind es 2 dünne Bücher) und lest es!

Anna Seghers: Der Ausflug der toten Mädchen

Die Erinnerung an einen Schulausflug, verwoben mit dem Wissen, was aus den Mädchen geworden ist im Dritten Reich, was aus den Jungs, die in sie verliebt waren und aus Lehrerinnen und Lehrern geworden ist. Man schwingt von sanften Betrachtungen junger Freund- und Liebschaften zu Deportationen und Verrat, von Herzlichkeit zu Kälte, von Liebe zu Hass, von frischem jugendlichen Leben zu so viel Tod.

Anna Seghers war rechtzeitig die Flucht geglückt und konnte aus dem Exil (Schweiz, Frankreich, schließlich Mexiko) arbeiten. Ein derart naher Blick aus solcher Entfernung ist mehr als faszinierend.

Ingeborg Bachmann

Intelligenz und Gefühl. Das sind die ersten Wörter, die mir einfallen, wenn ich an Bachmanns Werk denke. Ihre Lyrik und Essays (allen voran Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar) sind eben so empfehlenswert wie ihre Kurzprosa. Wieder geht es häufig um die Nachbearbeitung der Zeit des Dritten Reichs. Doch wieder wirkt die Perspektive anders als bei Borchert und Seghers. Wer sich in Sachen Kurzprosa und/oder deutschsprachiger Literatur allgemein (weiter)bilden möchte, kommt um Ingeborg Bachmann nicht herum. Kauft euch einen Sammelband und lest! Lest!

Englischsprachiger Raum

Thematisch, stilistisch und eigentlich in jedweder Hinsicht anders sind die drei Autoren, die mir aus dem englischsprachigen Raum am meisten mitgegeben haben. Zeitlich befinden wir uns mit den dreien einige Jahrzehnte später als bei den drei Autor*innen aus dem vorherigen Segment. Legen wir los!

Hunter S. Thompson

Wenn ich jemandem Hunter S. Thompson erklären will, weise ich auf die Verfilmung von Fear and Loathing in Las Vegas hin. Nicht nur ist die Umsetzung sehr nah an der Buchvorlage dran, Johnny Depp verkörpert Raoul Duke, das Alter Ego von Thompson, perfekt. Depp und Thompson waren Freunde. Vergleicht man Interview-Aufnahmen des Autors mit der Darstellung im Film, ist die Ähnlichkeit geradezu beunruhigend.

Hunter S. Thompson war wahnsinnig, ständig high, lieferte sich Feuergefechte mit Nachbarn, während er ein Interview über den American Dream gab. Seine Kurzprosa besteht weniger aus reiner Fiktion als aus Essays. Die große Haifischjagd wäre ein guter Einstieg. Nie weiß man ganz genau, wie viel Wahrheit in den Berichten steckt, aber man traut ihm alles zu (und einiges ist offensichtlich halluziniert). Thompson begleitet Politiker auf Wahlkampftouren und beschreibt, wie besoffen und zugedröhnt er währenddessen ist. Wer keine Lust auf Drogenstorys hat, ist bei Thompson eindeutig falsch. Seine Texte sind irre Trips, chaotisch, aber dennoch intelligent, voller interessanter und kritischer Beobachtungen und stets auf der Suche nach Wahrheit. Hunter S. Thompson war zuallererst Journalist und versuchte, das Herz der USA zu finden und darzustellen.

Charles Bukowski

Wenig könnte Bukowski egaler sein als das Herz der USA. Wo die nächste Flasche Whiskey herkommt, ist wichtiger. Während Thompson high und aufgedreht ist, ist Bukowski wütend und müde. Er schuftet und trinkt und trinkt noch etwas mehr. Wir machen einen Schritt hinab, was Stimmungsfarbe und Action angeht.

Die Tristesse des hässlichen Säufers, der mit Schlachthausarbeitern und Arbeitslosen abhängt, weil er selbst dazu gehört, vermischt mit Galgenhumor, mag ich. Einerseits glaube ich mich manchmal selbst darin zu sehen und andererseits wirken Bukowskis Werke ehrlich und ungefiltert. Bei aller Liebe zu „großer Kunst“ (was auch immer das sein soll) sind mir Dreck, Ehrlichkeit und Direktheit doch immer lieb gewesen.

Irvine Welsh

Meine erste Assoziation zu Irvine Welsh: Auf dem Rückweg von der Uni, mittags in der S-Bahn habe ich eine seiner Geschichten gelesen und dann abgebrochen, als mir die Tränen gekommen sind. Hätte ich weitergelesen, wäre es peinlich geworden.

Irvine Welsh tut weh. Wenn Bukowski von Thompson aus gesehehen einen Schritt in Richtung Dunkelheit bedeutet, schreiten wir mit Welsh weiter und weiter und weiter. Viele werden von Irvine Welsh eher die Verfilmungen kennen: Trainspotting, Filth usw. Diese Filme sind schon gute Indikatoren, wohin die literarische Reise mit Irvine Welsh geht. Drogensucht, Depression, die tiefsten Abgründe des Menschen, Randexistenzen, Verzweiflung. Dort treibt er sich herum. Manchmal muss Literatur eben doch die Axt für das gefrorene Meer in uns sein, oder? Sie darf jedenfalls.

Anders, brillant

Ein bisschen Weltliteratur fehlt natürlich noch. Ein paar Beispiele werden noch folgen, aber bei weitem nicht alles Erwähnenswerte kann erwähnt werden.

Kafka

Klar. Kafka hat keinen seiner Romane fertiggestellt. Allein schon deshalb muss man ihn im Rahmen von Kurzprosa-Schwärmerei erwähnen. Wer meine Texte kennt, wird vielleicht Grundgefühl, Farbe und Stil ähnlich finden wie bei Kafka, obwohl ein Vergleich für mich schlecht ausfallen würde. Figuren, die suchen, ohne jemals zu finden. Rätsel, die nicht gelöst werden können. Geschichten nicht als Geschichten, sondern als Symbole. Kafka zu empfehlen, ist schon fast kitschig, so selbstverständlich sollte das sein. Also weiter.

Jorge Luis Borges

Einer der Autor*innen mit dem größten Einfluss auf meine Gedankenwelt ist Jorge Luis Borges. Er ist kein Herzensbrecher und Action gibt es auch wenig. Borges liebt Bücher und Ideen. Mit ruhiger Stimme konstruiert er Gedankenpaläste, die auf philosophischen Ideen fußen. Daher wundert es kaum, dass neben den Kurzgeschichten (allen voran die Bände Fiktionen und Das Aleph) Borges besonders für seine Essays berühmt ist. Es ist hochgradig faszinierend, wie er verschiedenste Themen zusammenbringt. Man kommt nicht umhin, immer etwas zu lernen (und meistens nicht das, was man erwartet hätte). Wer Freude hat an gedanklichen Experimenten und Hirnverdrehungen, ist bei Jorge Luis Borges eindeutig richtig. Lest alles von ihm!

Hermann Burger: Diabelli, Prestidigitateur

Der Meister der schwierigen Satzkonstruktionen. Burger hat einige gute Erzählungen geschrieben, aber Diabelli bleibt mein Favorit. Diabelli ist Prestidigitateur (Schnellfingerkünstler, Bühnenmagier) und schreibt seinem Gönner einen Brief. Er erklärt die Tricks und Kniffe der Zauberei, besonders die Technik der Ablenkung, um den Zaubertrick zu vertuschen. Gleichzeitig setzt Burger das Programm perfekt um. Er beschreibt detailliert die Tricks Diabellis, während er sie so ausdrückt und so gut ablenkt, dass man ihnen dennoch kaum oder gar nicht folgen kann. Das Programm ist deutlich, wird sogar erklärt und doch zaubert Burger durch seinen Diabelli im Kopf der Leser*innen herum, dass einem schwindlig wird.

Noch mehr

Es gibt von Dürrenmatt eine Sammlung mit nicht fertiggestellten Stoffen und Gedanken dazu unter dem Titel Labyrinth: Stoffe I-III. Darin findet sich die Geschichte Der Winterkrieg in Tibet. Ich habe eine sehr ähnliche Geschichte einmal geträumt, aber weiß nicht mehr, ob es vor oder nach der Lektüre gewesen ist. Borges hätte das gefallen. Hat der Traum die Lektüre beeinflusst oder die Lektüre den Traum? Jedenfalls denke ich immer mal wieder an die Geschichte.

Daniel Kehlmann ist Romancier. Er kann auch Essays und Kurzprosa schreiben, aber sein Talent liegt eher in längerer Prosa. Im Rahmen der Lektüre sämtlicher Werke von Kehlmann (ja, ich hatte so eine Phase) habe ich auch seine Erzählungen gelesen. Manche nahmen mich gefangen. In der Zeit sogar genug, um Kehlmann im Romanmanuskript zu erwähnen. Das ist das gleiche Manuskript, das schließlich zur Erzählung Der Spinner in Erschütterungen. Dann Stille. geworden ist. Ich habe den Part nicht gestrichen, vielleicht aus Nostalgie. Deshalb ist er hier erwähnt.

Fazit?

Kurzprosa hat den Vorzug, dass sie kurz ist, und den Nachteil, dass sie kurz ist. Da Kurzprosa dennoch nicht weniger tief sein darf als Romane, muss getrickst werden. Der Trick besteht darin, dass eine größere Leistung von den Leser*innen erbracht und dass diese Leistung herausgekitzelt werden muss, ohne dass es bemerkt wird. Man beschreibt einen Baum und lässt einen Wald im Kopf entstehen. Man beschreibt eine einzelne Lebensszene und lässt ein Schicksal im Kopf erwachsen. Das ist die große Kunst von Kurzgeschichten. Autor*innen wie Borchert benötigen dafür nur eine einzige Buchseite. Das wird niemals aufhören, mich zu faszinieren.

Auch etwas längere Kurzprosa muss auf ähnliche Weise tricksen, Andeutungen verbauen, mit Assoziationen arbeiten wie Lyrik und Gefühl mit dem richtigen Ausdruck verbinden, um mehr darzustellen als beschrieben wird. Ob mir das gelungen ist, weiß ich nicht.

Hinweis: Gewinnspiel

Das Buchensemble bietet zur Adventszeit ein Gewinnspiel an und damit am 1. Advent bereits das erste Buchpaket verschenkt werden kann, beginnt das Gewinnspiel bereits jetzt. Im ersten Paket wird neben 4 anderen Büchern auch eine Ausgabe von Alte Milch mitverspielt. Versucht euer Glück unter folgendem Link:

Der Buchensemble-Adventskranz: Kerze #1

Erschütterungen: Das Cover

Blick hinter die Kulissen: Entstehung des Covers von Erschütterungen. Dann Stille.

Ohne Buchcover geht es nicht. Es ist das erste Element eines Buches, das Leser*innen sehen, sein Gesicht. Besonders für mögliche Leser*innen, die Buch und Autor*in noch nicht kennen, ist das Cover ein Verkaufsargument oder wenigstens ein verkaufsförderndes Argument. Es soll Aufmerksamkeit auf sich ziehen und bereits eine Vorstellung des Genres vermitteln. Ich bin kein Fan von Covern und schreibe keine Literatur, die man am Cover erkennen oder mit Hilfe des Covers besser einordnen könnte. Dennoch habe ich viel Freude an der Entwicklung eigener Cover zusammen mit einem guten Freund. Hier also soll es um das Cover der Kurzgeschichtensammlung Erschütterungen. Dann Stille. gehen.

Elemente

Auf der Suche nach einem Motiv fürs Cover von Erschütterungen. Dann Stille. musste ich diesmal noch intensiver überlegen als im Falle von Sorck, Das Maurerdekolleté des Lebens oder Alte Milch. Das lag hauptsächlich an der Natur des Buches. Es handelt sich nicht um eine einzige Geschichte oder einen dicht zusammenhängenden Komplex von Geschichten, sondern um 29 einzelne Erzählungen, die lediglich ein Oberthema teilen.

Das wichtigste Element, das irgendwie vertreten sein sollte, war logischerweise die Erschütterung. Außerdem wird in den Geschichten nicht wenig Alkohol konsumiert. Das wäre also ebenfalls ein guter Punkt, den man einbauen könnte. Schließlich hätte ich noch gern einen konkreten Bezug zu mindestens einer Geschichte gehabt. Das waren die drei sehr groben Elemente, die ich gern im Covermotiv vereint hätte. Wie die ersten Ideen aussahen und wie sich daraus das Cover entwickelt hat, werde ich gleich darstellen, aber zuvor zeige ich es euch mal.

Erschütterungen. Dann Stille.: Das Cover

Was sehen wir? Klar im Fokus steht ein Weinglas, das auf einer ausgestreckten Hand ruht und auf dessen Kante wiederum ein umgekehrtes Kartenhaus balanciert wird. Im Weinglas befinden sich einige Weintrauben. Fertig.

Das dominierende Element des Bildes ist Gleichgewicht, ein großer Balanceakt, der für sich schon kaum (oder realistischerweise gar nicht) gehalten werden kann und durch eine – Achtung! – Erschütterung vollends ruiniert werden würde. Man kann sich denken, dass eine Idee dahintersteckt. Am besten kann man diese Idee verstehen, wenn ich etwas aushole und die Entwicklung der Idee nachzeichne.

Die erste Idee

Eine Art Stillleben: Ein Stück Pizza liegt auf aufgerissenem Asphalt, ein Strunk Weintrauben daneben und ein leeres Glas (Whiskey Tumbler oder Weinglas). Mir gefällt die Idee noch immer.

Der gerissene Boden würde sich auf die Erschütterungen beziehen, die Folgen eines Erdbebens oder einer Explosion. Die Pizza bezöge sich auf die Erzählung Übler Nachgeschmack und damit auf eine ganz andere Art von Erschütterung. Die Weintrauben können unschwer der Kurzgeschichte Trauben zugeordnet werden, während sich das Glas auf den Alkoholkonsum in mehreren Storys in Erschütterungen. Dann Stille. bezieht.

Leider ist diese Version, die ich mir wie ein surreales Stillleben vorstelle, nie bis zum Fotostadium vorgedrungen. Daher müsst ihr jetzt eure Fantasie anstrengen und euch das Bild vorstellen.

Warum habe ich diese Idee verworfen? Einerseits gab es einige Fragen bezüglich der technischen Umsetzung, dann war es bereits Herbst geworden und obwohl sich dieser Herbst wie ein missratener Sommer anfühlt, erschwerte der Regen doch unsere Pläne, und letztlich befürchtete ich, dass das Motiv zu random und langweilig erscheinen könnte für ein Buchcover.

Eine neue Idee

Die nächste Idee benötigte ähnliche Elemente, sollte aber 1. indoor umsetzbar sein und 2. einen weniger platten (wörtlich zu verstehen) Aufbau haben. Die erste Idee hätte komplett auf dem Boden, fast zweidimensional, stattgefunden. Ich wollte etwas, das in die Höhe steigt.

Statt die Auswirkungen einer Erschütterung zu zeigen (wie den aufgerissenen Boden), habe ich mich dafür entschieden, zu zeigen, was erschüttert werden könnte. Das Leben, symbolisch dargestellt. Okay, okay, das klingt etwas übertrieben, aber ist möglich. Das Leben ist eine instabile Konstruktion, die wir errichten auf Gewohnheiten, Gelerntem, Beziehungen, Traumata und vielem mehr. Ich brauchte etwas, das man stapelt, aus dem man Konstruktionen baut. Zuerst dachte ich an Bauklötze. Die hätten dem Cover Farbe gegeben, was allerdings nicht zum Stil meiner sonstigen Cover gepasst hätte. Bauklötze sind außerdem zu klotzig. Ich mochte allerdings, dass man sie sofort mit der Kindheit in Beziehung bringen kann, was zum Aufbau eines Lebens passt, da viele Bausteine des eigenen Lebens und Erlebens in der Kindheit gelegt werden.

Nur Steine oder anderes Stapelbares allein wäre langweilig und unsinnig gewesen. Also hätte ich gern ein Glas mit eingebaut. Ich dachte an einen Whiskey Tumbler, an den sich die Steine als Stütze lehnen und den sie einmauern. Da es im Zusammenhang mit Alkohol in Erschütterungen. Dann Stille. um Sucht geht, wäre die symbolische Aussage interessant gewesen. Eine Erschütterung bringt die Ordnung durcheinander, wirft die Steine um und das Glas bleibt stehen als sei es eine Lösung. Rückkehr zu schlechten Verhaltensweisen.

Statt der Bauklötze kam ich relativ bald auf Spielkarten. Sprichtwörtlich bauen wir ständig Kartenhäuser, die uns schützen sollen, unterstützen sollen. Argumente, die keine sind, werden übereinander gestapelt und wir hoffen, dass wir uns selbst irgendwann glauben werden. Sucht funktioniert manchmal so. Aber auch viele andere Verhaltensweisen. Außerdem kann man mit Spielkarten spielen, was wiederum auf die Kindheit bezogen werden kann. Spielkarten passen wunderbar in Kneipen, die ebenfalls im Buch vorkommen. Als Element passte es also. Dass man das Glas füllen könnte, fiel mir natürlich auch bald ein – halb voll, halb leer? Damit waren wir wieder bei Trauben (wobei die schon ins Wanken geraten waren).

Der künstlerische Blick

Obwohl ich mir ganz gut etwas Ahnung im literarischen Bereich andichten kann, fehlt mir diese Ahnung, was optische Medien angeht. Es fällt mir schwer, mir Bilder vorzustellen oder mir Bilder anders vorzustellen als sie sind. Sagt man mir: „Das ginge auch etwas dunkler, würde dir das gefallen?“, habe ich keine Ahnung, weil ich es mir nicht vorstellen kann.

An dieser Stelle kommt mein Freund Toby ins Spiel. Toby hat genau die Ahnung, die mir fehlt, und das nicht nur in Sachen bildliche Vorstellungskraft, sondern auch in der Umsetzung (Fotografie, Zeichnen, Grafikprogramme, Handwerkliches etc.) dieser Vorstellungen. Er hat sich meine (sehr sehr groben) Skizzen angesehen und sich angehört, wieso ich welche Elemente verbaut habe. Nach kurzer Überlegung hat er die Komposition komplett umgestellt, das künstlerische Level der Idee massiv erhöht, sie weniger offensichtlich gemacht, und dennoch alle wichtigen Elemente beibehalten.

Die neue Komposition

Kartenhaus, Weinglas, Trauben, leicht zu erschütterndes Gleichgewicht. Während meine Idee einer ungelenken Kinderzimmerkonstruktion ähnlich sah, wirkt die neue Komposition zerbrechlich, künstlerisch und symbolkräftig. Jetzt mussten wir das Monstrum nur noch umsetzen. Es war erheblich komplizierter, als es hier klingen wird.

Das Glas hatten wir, eine Leihgabe aus Tobys Küchenschrank. Weintrauben waren schnell besorgt. Die Hand ist meine. Bleibt das Kartenhaus, aber *+%$ war das nervig. Wie ich jemals Modellbau als erheblich jüngerer Mensch zum Hobby haben konnte, wundert mich. Ein Kartenhaus ohne Klebstoff zu bauen, ist schwierig, und mit Klebstoff ist es auch nicht viel leichter. Egal. Ich habe zum ersten Mal eine Heißklebepistole in die Hand genommen und ein Kartenspiel zerstört.

Diese unschöne Version hat mich etwa eine Stunde gekostet. Die Version, die wir für das richtige Foto gebrauchen konnten, nötigte mir fast drei Stunden ab, und ich bin kein geduldiger Mensch. Aufgehängt haben wir das Kartenhaus an dünnen Bändern an der Decke. Grundsätzlich funktionierte es. Fehlte nur noch der richtige Hintergrund, die Beleuchtung, der Winkel … Also fast alles.

Fotos

Wir entschieden uns für Aufnahmen in meiner Wohnung, um Hintergründe auszutesten. Zunächst wollten wir einen volleren Background, der „inhaltlich“ passte. Die Entscheidung fiel auf meine Bücherregale.

Man beachte die schöne Ausleuchtung und das Schattenspiel. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir dahin gekommen waren. Es kostete uns außerdem eine Lampe, die im Eifer des Gefechts zerschmettert ist.

Da ich bereits vermutete, dass das Bücherregal als Hintergrund zu unruhig sein könnte, versuchten wir es noch an einer anderen Stelle. Wiederum etliche Versuche später, entstand dieses schöne Bild.

Hier gefallen mir die zueinander passenden Winkel der Wand und des Kartenhauses. Leider ist das keine Absicht gewesen, sondern wunderschöner Zufall. Fast schade, dass die helle Fläche nicht zum Cover, der Schrift usw. gepasst hat. Fehlte „nur“ noch die Nachbearbeitung.

Nachbearbeitung

Helle Fläche passend zur dunklen, Fäden entfernen, weitere Kleinigkeiten, Schrift (Position, Stärke, Wirkung und und und), Buchrücken und Rückseite (bei beiden wieder Einpassung des jeweiligen Textes mit allem drum und dran) nach Vorgaben des Distributors und dann noch einmal in anderer Version für E-Books. Punkt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass ich keinen fairen Lohn für diese ganze Arbeit bezahlen muss und dass ich gleichzeitig das jedes Mal wieder spannende Erlebnis einer gemeinsamen Entwicklung und Umsetzung eines Bildprojekts, das dann zum Buchcover wird, miterleben darf. Mein herzlichster Dank geht an dieser Stelle erneut an meinen guten Freund Toby!

Und weil es so schön ist, kommt das Cover von Erschütterungen. Dann Sille. hier noch einmal:

Verkaufslinks

Kaufen könnt Ihr Erschütterungen. Dann Stille. als E-Book oder Taschenbuch beispielsweise hier:

Amazon (TB) | Amazon (Kindle) | Books on Demand (TB) | Weltbild (E-Book)

Erschütterungen. Dann Stille.: Leseprobe

Erschütterungen. Dann Stille.: Leseproben

Erschütterungen. Dann Stille. ist ein Buch mit insgesamt 29 Erzählungen unterschiedlicher Länge. An dieser Stelle werden Ausschnitte mehrerer Geschichten (Anfänge oder Parts aus der Mitte) als kostenlose Leseprobe zu lesen sein. Doch zuvor der Klappentext:

Klappentext

»Was halten wir aus? Wann zerbrechen wir? Manchmal wollen wir alles in Schutt und Asche legen, nur um zu vergessen oder erinnert zu werden …

Ich werde dir nicht sagen, dass du dich in die 29 Erzählungen dieses Bandes fallen lassen sollst. Sich fallen lassen in Geschichten, die von Erschütterungen handeln, die das Leben bereichern, ärmer machen oder zerstören? Wie spannend.

Auch werde ich dich nicht marketingwirksam dazu einladen, die Figuren zu den Epizentren ihrer eigenen Geschichten zu begleiten und mitzuerleben, wie sie durch die Erschütterung von Körper, Geist und Realität stärker, freier, euphorisch werden oder einfach nur kaputt gehen.

Nein. Dieses Buch ist anders. 29 Geschichten, ja. Erschütterungen? Definitiv. Aber: Lass dich nicht fallen, niemals, sondern beiße dich fest! Nutze die Stille für eigene Gedanken! Werde wütend, traurig, laut und erschüttert! Erschüttert!«

Leseproben

Am Fluss

Kruppke stoppte seine Arbeit und sah mir ins Gesicht.
»Babykatzen? Wirklich?« Er überlegte.
»Wie im Zeichentrickfilm?«
»Ja, einen kleinen, jaulenden Sack voll Kätzchen.«
Mein Gedächtnis spielte mir die Szene noch einmal vor. Die Frau, die Brücke, das Fiepen vor und nach dem Aufklatschen aufs Wasser, dann Stille. Langsam trieb der Sack flussabwärts und verschwand. Ich ersparte Kruppke die Details. Auch wenn er keineswegs so aussah, hatte er einen weichen Kern. Manchmal geradezu matschig. Hätte ich ihm alles genau geschildert und ihm noch etwas zugeredet, hätte ich ihm nur noch eine Adresse geben müssen und er hätte den gerechten Zorn Gottes zur Katzenfrau getragen. Doch das war nicht mehr nötig.

Der Mitatmer

Er atmet mit mir, durch meinen Mund, durch meine Nase, immer knapp vor dem Gesicht. Er atmet meinen Atem, isst die Krümel aus den Mundwinkeln, leckt mir die Sauce von den Lippen und lässt sie bitter schmecken. Er kommt mit wenig aus. Manchmal vergesse ich ihn fast. Dann ruft er sich leise in Erinnerung, wackelt mir liebevoll an den Zähnen, kreischt wie Reifen in den Ohren. Ich würde mich gern wegdrehen und nicht immer diese Augen sehen. Wie ein dünner Film auf den Pupillen, wie Schwimmer in den Augen. Sieht man ihn einmal, verschwindet er nicht mehr. Nur manchmal ist da ein Schimmern, ein Umriss. Er steht zwischen mir und der Welt. Er atmet meinen Atem, erstickt meine Stimme und kommt mit wenig aus. In einem langsamen Tanz hält er mich umschlungen, presst mir die Luft aus den Lungen, führt mich spazieren wie einen Hund und dreht sich manchmal wie die Reflexion der Sonne in einem Fenster, das man öffnet. Doch immer sind die Augen auf mich gerichtet. Ich werde langsam blind. Er ist so nah. Seit damals. Seit damals ist er geblieben. Wie ein Zerrspiegel aus Dunst, der mir direkt vor den Augen schwebt. Fahre ich Auto, ist es am schlimmsten. Ich fahre nicht mehr mit dem Auto. Beinahe kann ich seine Haut erkennen, seine Kälte spüren. Der Mitatmer ist eingestiegen. Ich habe ihn eingeladen. Wie ein Reh. Scheinwerferkegel, dunkle Straße, wie ein Reh. Er war plötzlich auf der Straße wie ein Reh und dann auf der Windschutzscheibe. Nur für einen Moment. So kurz. Er sah mir in die Augen. So schnell. Dann flog er weiter. Er flog und schlug auf und er schrie und ich drückte das Pedal durch, doch er blieb bei mir. Er blieb. Er steht mir direkt vor den Augen. Er atmet meinen Atem. Bitte, nicht mehr. Er ist so nah. Es tut mir leid. Er will nicht gehen …

Double Cheese

[…]

Ein seltsamer Kontrast bestand zwischen dem strahlenden Grün der Wiese neben dem geharkten Fußweg und dem schwarz verrußten Grauhimmel über mir. An manchen Stellen schien er hölzern-fleckig zu sein, als klebten Wolken hinter der Himmelskuppel anstatt davor, oder als ließen Fahrlässigkeit und Alter dieser Welt die Leinwand Gottes unter seiner Arbeit durchschimmern. Konzentrierte ich mich auf den Horizont, war es, als stünde man in der Tür zwischen einem Konzertsaal, in dem Bach gespielt wird, und einer Werkshalle, in dem Steinbrocken geschreddert werden. Man konnte das Geschrei des Himmels sehen und den Gesang des Bodens spüren. Zugleich war es totenstill. Aufgrund der Stille kam mir mein Puls lauter vor. Plötzlich vernahm ich Schritte. Sie näherten sich schnell von hinten. Als ich mich umdrehte, bekam ich eine heftige Ohrfeige und sank in die Knie. Vor mir schüttelte eine Frau, die ein aufgeschlagenes Buch auf dem Kopf balancierte, ihre Hand, als hätte sie sich verbrannt. Sie bemerkte meinen Blick, holte tief Luft und begann folgende Worte in großer Geschwindigkeit und ohne Atempausen herunterzurattern:

»Sehen Sie, mein Herr oder meine Dame, ich urteile nicht, Sie fragen sich nicht, womit Sie eine Ohrfeige verdient haben in dem Sinne, ob Sie überhaupt eine verdient hätten, sondern vielmehr im Sinne einer zu großen Auswahl an Auslösern oder Gründen oder Schuldzugeständnissen, aber in Wirklichkeit ist es unerheblich, ob Sie Schuld haben oder nicht, denn es zählt nur, ob Sie welche tragen, das heißt, glauben, Schuld zu haben und gestehen zu müssen, weshalb Sie nicht protestieren, sondern insgeheim dankbar sind, dass ich Ihnen den Gefallen getan habe, Ihre Schuld, welche auch immer es sei, zu bestätigen, zu bestrafen, damit schließlich zu läutern, und das ist meine Aufgabe: Ich helfe den Leuten.«

Sie beugte sich schwer atmend vor und stützte die Hände auf die Knie. Mit der erhobenen Hand bat sie wortlos um einen Moment der Erholung. Dann sprach sie weiter:

»Wenn Sie es wünschen, kann ich das Szenario verkomplizieren und beispielsweise einen Gerichtssaal improvisieren, ich sehe es schon vor mir, eine Tribüne mit 12 Geschworenen – warum eigentlich immer 12? Hat das etwas mit Jesus zu tun? – dort drüben und eine Richterbank hier vorn, das Publikum würde ‘runter mit dem Kopf’ brüllen, aber vielleicht verwechsele ich hier die Albträume, und am Ende würden alle einsehen, dass es ihre einzige Aufgabe ist, bei Ihrer Selbstanklage und Ihrem Gejammer zugegen zu sein – Das hatten wir alles schon, ein weiterer Albtraum! –, und alle gehen gelangweilt nach Hause außer Ihnen, weil Sie etwas gelernt haben oder glauben, etwas gelernt zu haben, oder auch bloß zufrieden sind mit einer weiteren durchstandenen Jammerrunde, Sie Käse fress… en… d«.

Plötzlich sank sie mit blau angelaufenem Gesicht zu Boden und regte sich nicht mehr. Aus der Wiese zu meiner Rechten erhoben sich kleine Erdhügel und aus jedem blickte ein kleiner Kopf. Ein paar Männchen gruben sich selbst aus und, als sie mich entdeckten, begannen mich breit anzugrinsen. Während sie zur Frau mit dem Buch auf dem Kopf schlichen, hielten sie permanent Blickkontakt mit mir. Einige begannen zu tanzen und zu hampeln. Mein einziger Gedanke, dessen Herkunft ich mir nicht erklären konnte, lautete: Ihr schon wieder. Die grinsenden Männchen packten die Frau an den Hand- und Fußgelenken und zerrten sie zur Wiese links von mir. Wie in Wasser tauchten sie unter und während die Männchen plantschende Geräusche verursachten, ließ die Frau den Klang von knisterndem Bonbonpapier zurück.

Schlammläufer

[…]

Max starrt auf die Fliesen vor sich. Manchmal steht er direkt vor mir, aber ich kann seinen Atem nicht riechen. Was er ausatmet, ist die Abwesenheit von Luft. Ich kann nicht atmen, was er atmet. Er atmet Ersticken. Max lächelt unsicher. Will er mir Angst machen? Ich suche die Wände und die Decke nach versteckten Kameras ab, denke an die Möglichkeit einer Prank-Show. Wer weiß schon, was man alles unterschreibt, ohne es genau zu lesen? Wenn es keine Show ist und ich nicht im Koma liege (ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht im Koma liege), steckt Max möglicherweise alleine hinter der Nummer. Nicht nur das verfallene Gebäude ist mir nicht geheuer, sondern auch, es mit einem fast nackten Typen teilen zu müssen.

Max? Ich werde mich im Gebäude umschauen. Max nickt, dann schüttelt er heftig den Kopf. Lass mich nicht direkt wieder allein! Kann ich mitkommen? Falls er schauspielern sollte, macht er einen guten Job. Ich kriege Mitleid. Hör zu! Wenn du unbedingt mitkommen willst, läufst du bitte vor mir. Ich weiß nicht, was hier Sache ist, und ich kenne dich nicht. Während ich das sage, suche ich den Boden nach lockeren oder abgebrochenen Fliesen ab, die ich als Waffe einsetzen könnte. Nichts zu machen. Ich werde unterwegs Ausschau halten.

Dann signalisiere ich Max aufzustehen und deute auf einen Durchgang genau in der Mitte der Wand. Max erhebt sich und ich kann mich nicht entscheiden, ob er mich dabei an einen kleinen Jungen oder einen alten Mann erinnert. Er wirkt schwerfällig, aber auch flapsig. Während er vor mir läuft, fällt mir auf, wie albern die Mischung aus Badehose, Laufschuhen und Socken wirkt. Vor dem Durchgang bleibt er stehen und schaut mich an. Er braucht eine Bestätigung. Ungeduldig nicke ich und er geht hindurch. Gefliester Flur, Schilder mit Hygiene-Hinweisen und Verboten, links und rechts Türen zu Gruppenduschen. Sollte ich Raum für Raum inspizieren?

[…]

Verkaufslinks

Kaufen könnt Ihr Erschütterungen. Dann Stille. als E-Book oder Taschenbuch beispielsweise hier ODER Ihr kontaktiert mich direkt und könnt signierte Exemplare erwerben:

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Erschütterungen. Dann Stille.

Über das vierte Buch von Matthias Thurau: Erschütterungen. Dann Stille. Eine Sammlung von Kurzgeschichten und Erzählungen.

Zum vierten Mal ist es soweit. Ein von mir verfasstes Buch wird veröffentlicht (am 15.11.2020). Mit Erschütterungen. Dann Stille. kommt zum allerersten Mal eine Sammlung von Kurzgeschichten und Erzählungen auf den Markt. 29 Texte auf 194 Seiten. In diesem Blogeintrag möchte ich ein wenig auf den Titel eingehen, darauf, was die Leser*innen im Buch erwartet und welche Blogartikel begleitend hier erscheinen werden.

Erschütterungen. Dann Stille?

Meine Literaturprojekte entwickeln sich im Geheimen, schleichen sich an und stehen plötzlich da. Dass aus einem Romanmanuskript ein Roman werden wird, ist offensichtlich, aber dass eine kurze Geschichte (und dann noch eine und noch eine) schließlich zum Teil eines Erzählbandes wird, ist mir im Moment der Bearbeitung nicht bewusst. Daher benötigte ich im Nachhinein eine Überschrift. Zuerst waren die Geschichten da, dann das Buch.

Die Überlegung, was alle Geschichten miteinander gemein haben, führte mich zu Erschütterungen. Ein Testleser merkte einmal an, dass er gerade jene Erzählungen von mir besonders schätze, in denen es Explosionen gibt. In Sorck gibt es einige davon, in Erschütterungen. Dann Stille. ebenfalls. Das wäre eine Art von Erschütterung. Die meisten Geschichten drehen sich aber um erschütterte Leben, erschütterte Menschen, Traumatisierte und Traurige. Durch Ereignisse aus dem Gleichgewicht geratene Personen, erschütterte Existenzen.

Wenn eine Explosion oder das emotionale Äquivalent zum ersten Mal vorüber ist, kehrt manchmal eine seltsame Stille ein. Die Ohren haben Schaden getragen oder das Hirn kann das Chaos nicht verarbeiten oder man ist einfach allein mit den Trümmern. Ein Streit endet, eine Tür knallt, plötzlich ist es still. Ein Gebäude stürzt in sich zusammen, überall ist Staub und es wird still.

Ich stelle mir meine Protagonist*innen und Erzählinstanzen gern in einer solchen Stille vor. Auch die Leser*innen möchte ich in eine ähnliche, wenn auch abstraktere und beschütztere, Stille versetzen, um sie zum Nachdenken zu bewegen, sie auf sich zu stellen für einen Moment. Es geht mir nicht um Action, sondern um das, was danach kommt.

Weniger ErzählER

Ob es überhaupt erwähnenswert ist, weiß ich nicht, aber nicht alle Figuren in Erschütterungen. Dann Stille. sind männlich und eben so wenig alle Erzählinstanzen. Ich wollte ein wenig weg von der Eindimensionalität dieser Gewohnheit oder Tradition oder wie immer man es sonst nennen möchte. Über viele Jahre hinweg habe ich unbewusst nur Bücher von Männern gelesen und diese wiederum nutzten nur männliche Protagonisten und Erzähler. Ich bin froh, dass ich den Automatismus für mich gebrochen habe.

In Erschütterungen. Dann Stille. gibt es zwar noch immer Protagonisten und Ich-Erzähler, aber auch Perspektiven weiblicher Figuren und Geschichten, die keine Hinweise auf das Geschlecht der Ich-Erzählinstanz geben. Das geht manchmal unter, weil Leser*innen eben doch unbewusst ein Geschlecht auswählen oder herauszulesen meinen. Es ist durchaus interessant, wenn verschiedene Personen die gleiche Geschichte unterschiedlich lesen, weil sie das Geschlecht der Erzählinstanz verschieden interpretieren.

Mehr Herz, weniger Kopf?

Erschütterungen. Dann Stille. enthält mehr Geschichten, die man mitfühlen kann, als verkopfte Storys. Wer Sorck oder Das Maurerdekolleté des Lebens gelesen hat, wird bestimmte Erwartungen an den Erzählband haben. Diese Erwartungen werden nicht enttäuscht, aber auch nicht vollends erfüllt werden. Meiner Meinung nach liegt Erschütterungen. Dann Stille. ungefähr auf halbem Weg zwischen den beiden Prosa-Veröffentlichungen und dem Gedichtband Alte Milch.

Das liegt einerseits an der Kürze der Texte, die eher einen emotionalen Abriss zulassen als eine tiefere Idee. Dass dennoch beides möglich ist, wird man in manchen Erzählungen bemerken. Andererseits sehe ich dieses Buch als weiteren Schritt meiner literarischen Entwicklung an. Während Sorck noch sehr gekünstelt und gewollt erscheint, zwar gut und mit Recht veröffentlicht, aber für mich nicht ganz natürlich, ist Erschütterungen. Dann Stille. deutlicher und fühlt sich zum jetzigen Zeitpunkt richtiger an. Der Erzählband enthält weniger Selbstzwang zur Arbeit und mehr Erzählfreude, denke ich.

Gerade sprachlich spürt man das deutlich. Es gibt auch hier Ausreißer in absichtlich komplexe (oder verwirrende?) Formen, aber Erschütterungen. Dann Stille. ist kein Kraftakt mehr wie der Roman. [An dieser Stelle sollte ich noch anmerken, dass ich verdammt stolz bin auf Sorck und den Roman nicht niedermachen will, sondern heute eine andere Sicht auf ihn habe als zur Entstehungszeit. Das erscheint mir normal.]

Genremix

Da die Kurzgeschichten und Erzählungen in Erschütterungen. Dann Stille. im Laufe mehrerer Jahre entstanden sind und zum Teil ursprünglich für andere Projekte gedacht waren, besteht das Buch aus einem Mix verschiedener Genres. Viele Geschichten sind Ausschnitte aus Leben, die es tatsächlich geben könnte, und haben wenig Fantastisches an sich. Einige überschreiten die Grenzen des Logischen, um dem Symbolischen zu dienen. Dann gibt es die offen surrealen Werke, die schön abgedreht sind, wie man es von mir kennt. Ein Text könnte als Grusel- oder Horrorliteratur durchgehen und eine einzige Geschichte muss man als Science-Fiction bezeichnen.

Diese Mischung dient der Abwechslung und gibt Erschütterungen. Dann Stille. eine größere Auswahl möglicher Perspektiven und Betrachtungen. Chaos entsteht dadurch nicht, da auch in unterschiedlichen Genres eine Verbindung zwischen den Geschichten besteht. Stil, Ideenwelt und Autor bleiben sich erkennbar ähnlich (ohne langweilig zu werden).

Pläne für den Blog

Wie man es schon von mir kennt, wird es auf dem Blog begleitende Texte zu Erschütterungen. Dann Stille. geben. Diesmal hatte ich das bereits bei der Entstehung der Geschichten mitbedacht. Daher ist einiges bereits vorgearbeitet. Geplant ist ein Blogeintrag zum Cover (wie schon bei Sorck und Das Maurerdekolleté des Lebens geschehen), Blogeinträge zu jeder einzelnen der 29 Geschichten, ein Text zum Thema Namen (Suche, Bedeutung, Charakterisierung), einen Eintrag über Kurzprosa allgemein und eventuell noch Blogeinträge über die Erstellung eines guten und kostenlosen Buchsatzes sowie .epub-Formatierung.

Die Texte zu den einzelnen Geschichten wird es allerdings erst später geben, ab Dezember oder Januar. Sie enthalten alle Spoiler, die nicht vermieden werden konnten, und sollten entsprechend nicht vor den Geschichten selbst gelesen werden. Zwar werde ich die Blogeinträge in der Reihenfolge der Erzählungen im Buch veröffentlichen, aber dennoch kann ich von niemandem erwarten, Erschütterungen. Dann Stille. an den allerersten Tagen zu kaufen und sofort zu lesen. Daher die Wartezeit. Wer doch so schnell kauft und liest, wird es mir hoffentlich verzeihen.

Hinweis: Syltse-Magazin

In der aktuellen Ausgabe des Literaturmagazins Syltse wird ein kurzer Text unter dem Titel Ich rezensiere mich veröffentlicht. Thema der Ausgabe lautet Anders. Die PDF-Version gibt es kostenlos auf der Seite von Syltse. Print kann man ebenfalls kaufen. Ich empfehle, entweder eine gedruckte Ausgabe zu kaufen oder das Magazin mit einer kleinen Spende zu unterstützen. Wir brauchen unabhängige Kultureinrichtungen wie das Syltse-Magazin, um weniger bekannten Künstler*innen eine Plattform zu geben!

Syltse #004 2020

Top 5 Zeichentrickserien für Erwachsene

Top 5 Zeichentrickserien, die nichts für Kinder sind.

Diesmal gibt es etwas anderes zu lesen und doch etwas, das zum Blog passt. Meine Top 5 der besten Zeichentrickserien, die nichts für Kinder sind. Vorweg: Animes habe ich bewusst außen vor gelassen. Das Gebiet ist zu groß, um nicht irgendwann eine eigene Top 5 zu kriegen. Außerdem habe ich alle Serien ausgelassen, die auch von Kindern konsumiert werden können, auch wenn diese nicht die erste Zielgruppe sein sollten (wie z.B. Simpsons).

5. Primal

Im Oktober 2019 wurde die erste Folge von Primal ausgestrahlt. Über Meme-Plattformen bin ich darauf aufmerksam geworden und war sofort begeistert. Primal ist weit in der Vergangenheit angesiedelt, in einer erfundenen Zeit, in der Höhlenmenschen und Dinosaurier zusammen existierten.

Ohne Pause rennen, kämpfen und leiden die Figuren (ein Höhlenmensch und sein T-Rex). Mich erinnerte die Serie häufig an Musikvideos oder Computerspiele, aufgrund der Schnitte und der ständigen Bewegung.

Interessant ist am Konzept außerdem, dass es keine Sprache in Primal gibt, sondern lediglich Gebrüll und rudimentäre Verständigung durch Zeichen und Blicke. Der Höhlenmensch und sein T-Rex sind durch ein brutales Schicksal zusammengeführt worden. Sie reden nicht.

Primal ist eine Mischung aus Fantasy, Action und Horror, mit viel Gewalt und guten Ideen. Nichts zum Nachdenken, aber definitiv spannend. Man könnte sagen, dass Primal die am wenigsten anspruchsvolle Serie dieser Liste ist. Aber dennoch lohnt es sich, mal reinzuschauen.

4. The Midnight Gospel

The Midnight Gospel hat eine geniale Grundidee, die zugleich verwirrend und spannend ist. Der Protagonist Clancy Gilroy reist in verschiedene Dimensionen des Multiversums, um für seinen Podcast Wesen zu interviewen. Und tatsächlich besteht eine Ebene von The Mightnight Gospel vollständig aus einem Podcast-Interview zwischen Mitentwickler und Comedian Duncan Trussell sowie verschiedenen Gästen. Gleichzeitig laufen im Vordergrund actiongeladene und völlig abgedrehte Abenteuer ab. Die Mischung aus oder der Widerspruch zwischen tiefgehenden, intelligenten, ruhigen Gesprächen und endloser Action (z.B. einer Zombie-Apokalypse) gefällt mir. Das Konzept ist einzigartig. Zu sehen ist The Midnight Gospel seit April 2020 auf Netflix.

3. Rick and Morty

Rick and Morty wird den allermeisten inzwischen ein Begriff sein. Die Serie ist seit Jahren Kult. Rick, Mortys Großvater, nimmt ihn auf interdimensionale Reisen mit und hat dabei weder Skrupel noch einen Fitzel Moral. Lustig und skurril geht es manchmal zu, aber immer mit furchtbar schmerzhaften Seitenhieben oder Abstechern in Gewaltexzesse. Beispielsweise leben Rick und Morty ab einem Zeitpunkt mit Blick auf ihre eigenen Gräber, in denen ihre Versionen aus einer anderen Dimension vergraben liegen.

Wieder macht die Mischung alles aus. Witzig, skurril und auf jedweder Ebene brutal präsentiert sich Rick and Morty eindeutig als Serie, die nicht jugendfrei ist oder auch nur einen Moment lang sein will.

2. Harley Quinn

Es gibt eine Folge von Harley Quinn, die mit einem Blick auf 2 DC-Fans beginnt, die die Serie analysieren (und viel meckern). Einer der beiden trifft es auf den Punkt, wenn er sagt, dass der eigentliche Gegner in der Serie immer das Patriarchat sei. Harley Quinn ist in dieser Serie keineswegs das Anhängsel vom Joker, sondern eine eigenständige Person, die zusammen mit einer kleinen Crew (unter anderem Poison Ivy) ihr Unwesen treibt.

Die Witze, die Gewalt und die Sprache lassen keinen Zweifel daran, dass Harley Quinn nie für wirklich junges Publikum konzipiert worden ist. Es gibt aber weit mehr als nur Gefluche und eingeschlagene Schädel. Soziale Ungerechtigkeit, besonders Gender Inequality, das Patriarchat als Unterdrückungsmechanismus (auch gerade in der DC-Welt) sind ständige Themen. Es wird nicht zurückgescheut vor ironischen Kommentaren zu den eigenen Figuren: Batman, die fast rein männlich besetzten Ligen der Superhelden und Superbösewichte.

Neben dieser erfrischenden Perspektive bringt mich Harley Quinn häufig zum Lachen. Das allein ist ja schon ein riesiger Pluspunkt. Anfangs wurde Harley Quinn nur auf dem Streaming-Dienst DC Universe ausgestrahlt und läuft jetzt auf HBO Max. Ob und wann die Serie für deutsche Zuschauer*innen (vielleicht sogar synchronisiert) leichter verfügbar sein wird, konnte ich leider nicht herausfinden. Wer kann, sollte sich Harley Quinn allerdings im Original ansehen, allein schon um das komplette Spektrum der witzigen Darstellung Banes mitzubekommen.

1. BoJack Horseman

Wieder Kult und zwar absolut zu Recht. BoJack Horseman ist auf Ebene der schieren Verrücktheit weniger überladen als beispielsweise Rick and Morty und The Midnight Gospel. Die Härte und Qualität von BoJack Horseman erwachsen aus der Darstellung der menschlichen, psychischen und körperlichen Probleme der Figuren. Der Protagonist ist ein von Selbsthass zerfressener Alkoholiker (ehemaliger Schauspieler und Pferd), immer an der Klippe stehend. Allein dafür liebe ich die Serie. Aber auch die Probleme anderer Figuren sind aus dem Leben gegriffen und niemals einfach so abgetan. Es gibt unter den Figuren Frauen, die Karriere und Familie unter einen Hut bekommen müssen, Asexuelle und Depressive. Figuren nehmen ab und nehmen zu, ihre Situationen verbessern und verschlimmern sich. BoJack Horseman schont das Publikum nicht, wenn es um emotional aufwühlende Inhalte geht.

Manche Folgen von BoJack Horseman sind außerdem reinste Kunstwerke. Hier möchte ich nicht spoilern. Aber es gibt beispielsweise eine Folge, die aus einer einzigen Grabrede besteht. Für eine Zeichentrickserie ist das geradezu verrückt, bedenkt man, wie spannend der Monolog geschrieben sein muss, damit das Publikum nicht das Interesse verliert. Diese und andere Folgen können schmerzhafte Wunden reißen und gleichzeitig zeigen, dass man nicht allein ist.

Meine persönliche Sicht auf BoJack Horseman ist, dass die Serie eine Zeichentrickserie mit Tierfiguren sein muss, um erträglich zu sein. Als Realserie und ohne die abgedrehten Elemente gäbe es nichts als Dunkelheit und Schmerz. Die offensichtliche Fiktionalität vermittelt die Problemrealität besser als eine realistische Darstellung es könnte. Das macht BoJack Horseman so gut. Zu sehen auf Netflix.

Schlussworte

Solche Listen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Sie spiegeln meinen eigenen Geschmack wider und den schmalen Blickwinkel, den ich auf die Welt habe. Ich kann nicht alles kennen. Ich kann auch nicht alles nennen oder mögen. Das sollte klar sein. Wenn ihr noch weitere Vorschläge oder eine andere Meinung zu meiner Liste habt, hinterlasst mir gerne einen Kommentar!

Wie meine Texte klingen

Über Musik, die klingt, wie sich meine Texte für mich anfühlen.

Am 21.10.2020 durfte ich zu Gast sein beim Podcast Buch und Bühne (Spotify | Apple Podcasts | Anchor) des Thriller-Autors S.D.Foik: Der Krieg des Autors mit der leeren Seite. Vorab hatte er mir angekündigt, dass ich ein Musik-Ranking zu einem passenden Thema aufzustellen hätte. Ich habe mich für „Alben, die wie meine Texte klingen“ entschieden. Da ich nur 5 Alben nennen durfte, sehe ich mich gezwungen, ergänzend diesen Artikel zu verfassen.

Alben, die wie meine Texte klingen

  • Eels: Blinking Lights and Other Revelations | Song: Ugly Love
  • Battle of Mice: A Day of Nights | Song: Bones In The Water
  • Tom Waits: Small Change | Song: The Piano Has Been Drinking
  • Igorrr: Savage Sinusoid | Song: Probleme d’Emotion
  • Dopethrone: Hochelaga | Song: Sludgekicker

Wie im eingebetteten Tweet oben zu sehen, verbinde ich Musik und Bücher im Kopf mit Farben (und manchmal mit räumlichen Dimensionen). Eindrücke sind verwoben. Deshalb klingen die 5 Alben oder viele Songs davon für mich tatsächlich wie Texte von mir, beziehungsweise sehen so aus. Das trifft allerdings auch auf andere Songs zu. Deshalb hatte ich mich hingesetzt und überlegt, welche Aspekte ich unterbringen wollte. Folgende Liste kam dabei herum:

  • Traurig
  • Versoffen
  • Verzweifelt
  • Dreckig
  • Mit Humor
  • Verdreht/Weird

So sehe ich meine Gedichte und Geschichten. Sie tragen alle mindestens einen der Aspekte, meist mehrere in sich. Traurig auf verschiedenen Levels sind auch alle 5 Beispielsongs der Alben, versoffen klingen besonders The Piano Has Been Drinking und Sludge Kicker, verzweifelt wäre definitiv Bones In The Water (die Schreie kriegen mich jedes Mal), dreckig ist erneut Dopethrone, humorig Tom Waits und weird ist wohl die passendste Beschreibung für alle Tracks von Igorrr.

Subjektivität

Vermutlich nehme ich Texte als auch Musik anders wahr als andere. Sicherlich sogar. Dadurch, dass ich extremere Genres zu hören gewohnt bin, lösen die 5 Songs möglicherweise nicht das in mir aus, was sie in anderen auslösen (oder umgekehrt). Das ist mir klar, weshalb ich die Erklärung sowie den doppelten Ansatz (Gefühl und Aussagenliste) für nötig gehalten habe.

Enge Konkurrenz

Von allen 5 Künstler*innen(-gruppen) gäbe es noch weitere Beispielsongs und Alben, die ich hätte wählen können. Außerdem gab es auch noch enge Konkurrenz mit anderen Interpret*innen und Bands. Platz 5 beispielsweise ist nur sehr knapp nicht an Saint Vitus mit I Bleed Black gegangen. Da fehlte mir ein wenig der „dreckig“-Aspekt. Anstelle von Ugly Love hätte beinahe Not In Love von Crystal Castles gestanden. Außerdem wurden A Solitary Reign von Amenra, Stress Builds Character von Dystopia und Bleed Me An Ocean von Acid Bath aus der Liste verdrängt. Sie hätten alle eine Erwähnung verdient. In einer 10er-Liste wären sie aufgetaucht.

Andere Listen

Zwei weitere Listen waren optional angedacht, aber nie vollständig ausgearbeitet worden. Songs, die mich aktiv zu Texten inspiriert haben, wären Sad Eyes und Not In Love von Crystal Castles. Beide liefen auf Repeat, während ich die Geschichte Not In Love für den neuen kommenden Erzählband geschrieben habe.

Eine Liste mit großartigen Tracks, die entweder von Literatur beeinflusst worden sind oder selbst als Spoken Word Tracks literarische Qualitäten besitzen, sollte niemandem vorenthalten werden. Vielleicht arbeite ich diese noch vollständig aus. Bisher habe ich:

  • John Doran: Hubris (Album; Spoken Word Tracks)
  • Santana: Abraxas (Album; inspiriert von Hermann Hesses Demian)
  • Tom Waits: What’s He Building? (Track auf Mule Variations)
  • Clutch: Release The Kraken (Track auf Jam Room; inspiriert von griechischer Mythologie)

Musik in Sorck

Im Roman Sorck tauchen ebenfalls einige Songs und Bandnamen auf, besonders in der Bar-Szene, als Martin Sorck Eduardo kennenlernt. Martin will zu Bohemian Rhapsody von Queen abgehen, während die Prollo-Urlauber Schlager fordern. Monday Monday von The Mamas And The Papas wird als Kompromiss gespielt. Später wird Martin verwöhnt mit Black Sabbath, Led Zeppelin und sogar Slayer. Nicht viel später hören wir die wummernden Bässe einer Techno-Party andernorts.

Gegenseitige Inspiration

Dass Autor*innen und deren Arbeit andere Autor*innen inspirieren, ist logisch. Eben so logisch ist es eigentlich, dass sämtliche Künste sich gegenseitig beeinflussen und inspirieren. Schon immer hat es Musik zu Texten und umgekehrt gegeben, Skulpturen von literarischen Figuren und Bilder natürlich auch. Auch wenn ich leider keine Musik machen und auch nicht zeichnen/malen kann, genieße ich diese und andere Künste mit voller Kraft. Das merkt man meinen Texten immer wieder an und mit Sicherheit auch meinem Auftritt im Podcast „Buch und Bühne“ von S.D.Foik.