Grundthema: Macht/Ohnmacht, Kontrolle/Kontrollverlust

Manchmal muss man sich Schriftsteller Zeit nehmen und reflektieren, welche Grundthemen die eigenen Geschichten verbinden. Nicht immer ist das vorher klar und nicht immer ist es direkt zu erkennen. Man ist während der Arbeit zu nah am Text, um derartige Fragen im Blick zu haben. Nach Abschluss des Schreibprozesses steht dann meist das nächste Projekt an. Daher sollte man sich aktiv Zeit nehmen, so wie ich es beispielsweise gestern mal wieder bei einem langen Spaziergang getan habe.

Meine Prosa behandelt durchgehend einen Themenbereich aus verschiedensten Perspektiven und mit unterschiedlichen Ansätzen: Macht (beziehungsweise Kontrolle). Neben einer aufs Individuum bezogenen Ebene, auf die ich später zu sprechen kommen werde, erhält das Thema heutzutage wieder große Aktualität aufgrund der damit verbundenen Datenschutzproblematik, Big Data, Fake News und anderen kontrollierender, einordnender und manipulierender Kräfte und Mechanismen. Mit den Daten, die Firmen wie Amazon, Google oder Facebook über ihre Kunden sammeln, ist soziale Kontrolle und Manipulation bis ins Persönlichste hinein möglich. Wenn man genug über eine Person weiß, kann man sie lenken. Die Kunden selbst geben diese Macht weitestgehend freiwillig ab. Staaten beginnen diese und eigene Systeme zu nutzen, um ihre Bürger zu kontrollieren.

Ein weiterer Aspekt der Thematik wäre die bewusste oder unbewusste soziale Kontrolle. Moden, Einstellungen und Verhaltensweisen werden von der Gesellschaft gefordert. Wer abweicht, wird bestraft durch soziale Ausgrenzung. Der gesamte Komplex rund um Sexualität, Geschlechterrollen, psychischer und körperlicher Gesundheit (bzw. Krankheit) usw. fällt in diesen Bereich.

Der Bezug des Grundthemas zum Individuum ist vermutlich der Auslöser meiner Beschäftigung damit. Kontrolle im Sinne von Selbstkontrolle: steuern können, was man selbst tut, sagen können, was man denkt, mitteilen können, was man fühlt, Sucht, Abhängigkeit, Zwangsstörungen. All das fällt für mich hinein.

Man könnte weitere Punkte anführen und über jeden einzelnen der drei besprochenen Punkte könnte beinahe endlos schreiben und diskutieren (denn so mancher Aspekt hat auch Vorteile). Außerdem ist alles,was ich aufgezählt habe, untrennbar miteinander verwoben. Sucht ist nicht nur ein persönliches Problem, sondern auch ein soziales und damit politisches. Längst sind soziale Medien ein einflussreicher Part des gesellschaftlichen Lebens…

An dieser Stelle breche ich ab. Es juckt mir in den Fingern den direkten Bezug zu Sorck herzustellen und zu zeigen, inwiefern Kontrolle/Kontrollverlust und Macht/Ohnmacht aufgegriffen und verarbeitet werden. Das werde ich auch noch tun, aber nicht in nächster Zeit. Detaillierte Besprechungen des Romans werden folgen, sobald meine Leserinnen und Leser die Chance hatten, das Buch auch tatsächlich zu lesen. Übrigens werden auch die nächsten Projekte allesamt mit Macht und Ohnmacht zu tun haben.

Bevor mir vollends klar wurde, dass es dieses Thema ist, das ich bearbeite, wunderte es mich selbst, dass meine Geschichte häufig ins Dystopische abdrifteten. Das ist nun geklärt.

Eine Leseprobe des Romans gibt es hier: Sorck: Leseprobe

Einen ausführlicheren Artikel findet ihr hier: Sorck – Unsortierte Infos zum Debütroman

Unter der Kategorie “Sorck” (im Klappmenü rechts) finden sich weitere Beiträge zum Roman.

Bestellen könnt ihr Sorck auf Amazon (Taschenbuch | Ebook)

Alternativ ist es möglich, das Taschenbuch direkt bei Twentysix oder im Autorenwelt-Shop zu erwerben.

Außerdem ist es möglich, im Buchladen vor Ort ein Exemplar zu bestellen.

Sorck: Fehler und Probleme im Herstellungsprozess

Als Selfpublisher*in begegnet man mehr als einer Hürde auf dem Weg von der Idee zum fertigen Manuskript und von dort aus zur Veröffentlichung. Um die zweite Hälfte des Weges, die Probleme, Schwierigkeiten und Fehler, die auftraten, soll es jetzt gehen. Ich werde dabei die Reihenfolge der tatsächlich aufgetretenen Probleme beibehalten, soweit es geht – denn, wie es immer ist, traten einige gleichzeitig auf. Die persönlichen Schwierigkeiten, die nicht ausblieben, lasse ich beiseite.

Zu früh gefreut: das Manuskript

Mit Fertigstellung des ursprünglichen Manuskripts war ich natürlich fest von seiner Qualität überzeugt und missachtete eine Regel, die ich damals noch nicht kannte. Ich überarbeitete einmal (kurz) und zwar direkt nach Beendigung des Schreibprozesses und verschickte das Werk dann an Agenturen und Verlage. Klappte nicht – komisch. Als ich mich Monate später nochmal ausführlich daran machte, das Manuskript zu überarbeiten, wusste ich auch, warum. Es war roh und fehlerhaft und einfach nicht bereit. Mehrere Monate später hatte ich dann aber doch ein fertiges (fertigeres?) Werk, aber keine Adressen mehr, die die unfertige Version noch nicht kannten.

Korrektorat: kommunizieren!

Ein Lektorat konnte ich mir nicht leisten, was sehr schade ist, aber leider nicht zu ändern. Dafür leistete ich mir ein professionelles Korrektorat. Dummerweise gab es im Vorfeld Missverständnisse, was den Stil und den Arbeitsumfang anging. Die Schuld dafür lag bei keiner der Parteien, aber Probleme gab es dennoch. Die Arbeit musste weitergegeben werden, was schnell und problemlos geschah. Im Endeffekt kostete mich dieses Problem bloß ein paar Nerven und ein oder zwei Tage, aber es wäre zu verhindern gewesen. Wenn man mit anderen zusammenarbeitet, sollte man also mit sich und ihnen ehrlich sein, damit von vornherein alles geklärt ist. (Anmerkung: die Zusammenarbeit mit beiden Korrektorinnen lief super, sehr professionell und alle Schwierigkeiten wurden schnell geklärt. Eine klare Empfehlung.)

Cover

Eine der wichtigsten Lektionen dieser Veröffentlichung lautet: kümmere dich rechtzeitig ums Cover! Nicht nur für Werbezwecke ist es (eigentlich) unverzichtbar. Es ist außerdem ausgesprochen ärgerlich, wenn alles Weitere bereit ist und nur noch dieser Part fehlt für die Veröffentlichung. Mit dem Ergebnis bin ich ausgesprochen zufrieden und habe positive Rückmeldungen bekommen. Da ich allerdings 1. zu spät mit der Planung begann, 2. anfangs keine klaren Vorstellungen hatte, sie 3. nicht gut kommunizieren konnte und 4. nicht jeder so viel Zeit für mein Projekt hat wie ich, kam das Ergebnis erst recht spät zustande. Danach gab es natürlich noch Probleme mit dem Farbraum und mein Buch hätte anders ausgesehen als die Vorlage. Die Gründe dafür herauszufinden, brauchte meinen Designer wieder ein paar Tage (und ich habe keine Ahnung von diesen Dingen, weshalb ich für seine Hilfe in allen Schritten ausgesprochen dankbar bin). Wieder gingen Zeit und Nerven unnötig drauf.

Ebook

Beim Upload des Ebooks durfte ich dann feststellen, dass die Formatierung nicht hinhaute, wie sie sollte. Ein Ebook braucht im Grunde keinen richtigen Buchsatz, da es auf jedem Gerät anders aussieht (da Schriftart und -größe z.B. individuell eingestellt werden kann), aber Impressum, Schmutztitel und Beginn der Geschichte sollten nicht auf einer Seite stehen. Man konnte nicht ohne großes Überlegen herausfinden, wo welcher Part endete und der nächste begann. Leider fand ich den Fehler nicht und musste die Datei neu anlegen. Dabei lernte ich wieder ein bisschen mehr über die Benutzung von Word und die Effekte unnötiger Aufregung.

Taschenbuch

Der Buchsatz des Taschenbuchs machte keine Probleme, das Cover irgendwann (s.o.) auch nicht mehr. Leider akzeptierte das System meines Distributors meine Steuernummer nicht, was sich allerdings auch irgendwann lösen ließ – wieder Zeit und Nerven. Der letzte Fehler war, dass ich auf die Info vertraute, dass es 1-2 Wochen dauern würde, bis das Taschenbuch überall erhältlich sein würde. Ebook und Taschenbuch werden auf zwei verschiedenen Plattformen veröffentlicht. Damit beide Version ungefähr zeitgleich zu haben wären, nutzte ich die Vorverkaufsoption fürs Ebook und stellte sie auf zwei Wochen ein. Am übernächsten Tag bekam ich die Info, dass das Taschenbuch nun erhältlich sei. Jetzt ist das Taschenbuch zu haben, aber das Ebook nur im Vorverkauf. Doof gelaufen. Allerdings würde jemand (dank Print on Demand) eine Druckausgabe, die er heute bestellt, etwa gleichzeitig mit dem Ebook bekommen, wenn er es ebenfalls heute vorbestellen würde. (So I got this going for me, which is nice)

Fazit

Plant mehr Zeit ein! Plant mehr! Plant!

Am Ende ist ja alles gut geworden (sage ich jetzt, ohne das Druckwerk bisher selbst in der Hand gehalten zu haben). Viel ist schiefgelaufen und daher durfte ich einiges lernen. So sollte man es sehen und so sehe ich es (im Nachhinein, bestimmt nicht währenddessen) auch.

Eine Leseprobe gibt es hier: Sorck: Leseprobe

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Sorck: Das Cover

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Das erste, was jede*r potentielle Leser*in von einem Buch sieht, ist das Cover. Ein kurzer Blick und schon ist eine Entscheidung gefallen: näher hinsehen oder weiterscrollen. Daher gilt es in diesem Bereich vieles zu beachten. In diesem Beitrag möchte ich die Geschichte hinter dem Buchcover von Sorck erzählen.

Es gibt Konventionen für jedes Genre, wie ein Buch ungefähr auszusehen hat. Jeder erkennt beispielsweise Fantasy-Cover an Schwertern/Äxten und verschnörkelter Schrift. Dummerweise rutscht mein Roman ein bisschen zwischen die Stühle, was eine Genreeinordnung betrifft. Es handelt sich um einen Reiseroman, aber wer dabei an das Traumschiff oder Beschreibungen hübscher Örtchen an der Küste denkt, wird massiv enttäuscht werden. Als anspruchsvoll und witzig, absurdistisch und satirisch oder skurril könnte man Sorck beschreiben. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Findung eines Bildes und eines Aufbaus, um das alles zu repräsentieren.

Ursprünglich wollte ich einen Aufbau haben, der an die anspruchsvolleren Bücher von Rowohlt, Suhrkamp und Fischer erinnert: ein Bild (meist schwarz/weiß und ohne großen inhaltlichen Bezug) in der oberen Hälfte, unten einfarbig (rot oder grau), in der Mitte der Autorenname in serifenloser Schrift und in der unteren Hälfte der Titel. Das direkte Vorbild war dabei Der Fremde von Albert Camus. Als Bild hatte ich die Anfangsszene, wie sie auch in der Leseprobe nachzulesen ist, im Kopf. Der Protagonist steht mit zwei Koffern vor einem brennenden Gebäude, Sicht von hinten auf ihn. Dieses Coverbild sollte idealerweise etwas verschwommen gemalt sein, beispielsweise mit Wasserfarben. Um ehrlich und fair zu sein, waren diese Ideen noch nicht wirklich ausgereift und wurden entsprechend schwammig kommuniziert. Daher waren die ersten Ergebnisse und Entwürfe auch nicht wirklich nach meinem Geschmack. Allerdings fand sich eine gute Variation des ursprünglichen Bildes, nämlich die Konzentration auf die Figur und den Schatten, der vom Feuer geworfen wird. Diese Idee verfolgten wir weiter, entschieden jedoch, auf Fotos umzusatteln. Nach Testaufnahmen machten wir eine Reihe richtiger Fotos – und ja, das bin ich auf dem Cover. Noch immer stand allerdings der oben beschriebene Aufbau (obere Hälfte Bild, untere einfarbig). Bei der Begutachtung der Fotos fiel mir plötzlich der eigentlich offensichtliche Zusammenhang zwischen den verschiedenen Motiven (beide Koffer auf dem Boden, ein Koffer in der Hand, beide Koffer in den Händen) auf. Nach kurzem Vergleich wurde deutlich, dass der neue Aufbau, derjenige, der es jetzt aufs Cover geschafft hat, definitiv der bessere ist.

Die Idee der Bilder, des Aufbaus und der Typografie ist für mich folgende: Das schrittweise Aufnehmen des Gepäcks deutet auf einen Aufbruch hin, der zur Reise (und etlichen Aspekten der restlichen Story) passt. Die Farbgebung zeigt die Grundstimmung, die trotz Humor gegeben ist, beziehungsweise die seelische Grundsituation des Protagonisten. Durch die serifenlose Typografie drückt sich für mich eine gewisse Ernsthaftigkeit und Geradlinigkeit aus – Es ist nicht einfach ein nettes Geschichtchen, sondern es steckt einiges dahinter. Letzten Endes wirkt die Gesamtkomposition meines Erachtens künstlerisch und erweckt den Eindruck eines gewissen Anspruchs – jemand brachte den Begriff Film Noir ins Spiel –, was einfach gut passt.

Natürlich bin ich damit der ursprünglichen Genre-Frage etwas ausgewichen. Fans von Genres mit eindeutigen Cover-Merkmalen (Fantasy, Sci-Fi, Romance etc.) werden allerdings sofort erkennen, dass es kein Buch aus ihrem Spektrum ist. Sorgen machten mir mögliche Assoziationen mit Krimis oder Spionage-Thrillern, weshalb ich den sehr eindeutigen Untertitel Ein Reiseroman hinzugefügt hatte.

Letzten Endes kommt es doch wieder auf eines hinaus: ich selbst fühlte mich vom Cover angesprochen, bin zufrieden mit dem Ergebnis und halte es für stimmig. Ich hoffe sehr, dass es hilft, die richtigen Leserinnen und Leser auf Sorck aufmerksam zu machen.

Eine Leseprobe gibt es hier: Sorck: Leseprobe

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Sorck: Leseprobe

Flurbrand

So, wie Martin Sorck am Bordstein stand, hätte man ihn für vieles halten können. Oder auch für sehr wenig.
Im Schein der Flammen und Blaulichter feierten seine speckig-ledernen Koffer ein stilles Fest, an das sich seine Mimik anpasste. Gesichtslos starrte er die backsteinerne Häuserfront auf der anderen Straßenseite an. Es brannte. Er spürte die Hitze des Feuers deutlich auf der Stirn und konnte nicht fassen, wie pompös das Feuerwerk war, das seine Wohnung sich leistete. Eine Befreiungsfeier mit musikalischer Begleitung. Knarzend, krachend und knackend fraß sich der Brand durch die Dachbalken. Da oben hing bisher seine Wäsche zum Trocknen. Was vorhin noch dort war, war jetzt nicht mehr.

In mehreren Grüppchen leisteten Schaulustige dem dauerhaft Ausgesperrten Gesellschaft, deuteten mit erregten Fingern, filmten mit schwarzen Kameras. Andere verlangsamten für eine Weile den Schritt auf dem Weg zur Arbeit. Mit jedem lauten Krachen zuckten sie zusammen, raunten auf. Ungläubig hielten sie die Hände vor den Mund. Oder versteckten sie ein Lächeln?
Im Rhythmus eines weiteren gebrochenen Balkens bewegten die Gaffer ihre Köpfe, versteckten sie zwischen den Schultern, versanken in halbe Kniebeugen. Dann reckten sie sich wieder neugierig vor.
Nur Martin Sorck stand still.
Wortlos, ausdruckslos, fassungslos stand er still.
Doch konnte er sich in der Tragödie der Schönheit nicht erwehren. Rot und gelb züngelten Flammen in den Himmel, gaben beulenden Rauchtürmen Hilfestellung zur Flucht in die Wolken. Wie ein pulsierender, grauer Wurm, der wächst und sich dann auflöst, sich von unten ununterbrochen neu bildet, seinen eigenen Kopf sucht und dann zerstäubt.
Einstweilen schloss die örtliche Feuerwehr im Eilschritt ihre Schläuche an, bewässerte die Dächer der Nachbarhäuser, und richtete danach Wasserstrahlen punktgenau durch Sorcks Fensterfront. Was für eine Sauerei. Pampig verklebten Papiere und Polster, Teppiche und Tapeten. Was noch nicht verbrannt war, ertrank in Löschwasser oder erstickte in schwarzen Rußwolken.

Auffallend an Martin Sorck, wie er an der Straße verharrte und mit Anwohnern und Passanten dem Vergehen des Gebäudes zuschaute, war der Umstand, dass er zwei Koffer trug, in denen sich nun alles befand, was er besaß.
Man könnte in Hinsicht auf das Gepäck von einem glücklichen Zufall sprechen, und doch war Sorck nicht imstande, sich die Frage zu beantworten, ob er nicht lieber mit seinem Eigentum und ohne Kenntnis der Katastrophe im Schlaf durch giftige Gase krepiert wäre. Denn Martins einzig wahre Aktivität der letzten Jahre bestand darin, Nachlass zu betreiben, aktiv zu hinterlassen. Um Geld und Güter handelte es sich keinesfalls. Er hatte sein Dasein gefristet und aufgelistet, sodass irgendwann jemand die Daten finden und erfassen könnte, und besser nutzen würde als er selbst. Ein Glücksfall für imaginierte Biographen. Die vage Überzeugung, wegen oder für etwas oder jemanden bekannt, berühmt und wichtig zu werden (Kunst, Politik oder die Gründung einer Familie), schwebte stets wie flaumiges Haar um seinen Hinterkopf, wo nun ein kalter Wind einen Kontrast zur Fronthitze bot.
Er begann zu schwitzen.

Während andere Leben führten, führte Martin Sorck Listen über seines. Er verzeichnete, was und wann er aß und ob es ihm schmeckte, seine Laune, Träume, gesundheitliche Beschwerden, wo er mit wem Zeit verbracht hatte, wie oft und wann er mit wem Sex gehabt hatte (wobei diese Liste seit Längerem unberührt herumlag) und viele weitere nutzlose Daten.
Ursprünglich, meinte er sich zu erinnern, begann es mit To-Do-Listen, als Hilfe zur Regelung des Alltags, wurden anschließend nicht weggeworfen und stattdessen für zukünftige Biographen aufbewahrt.
Stück für Stück verloren die Listen ihren kurz- und mittelfristigen Sinn. Seine Mühe zielte auf eine Periode, in der alles doch wieder Sinn ergäbe, in der alle Daten für kurze Augenblicke nützlich sein könnten. Diese Zeit fand sich bequemerweise nach Martins Ableben. Was man damit anfinge, kümmerte ihn kaum. Er machte sich Sorgen, dass seine Arbeit als solche nicht anerkannt und als Müll vernichtet würde, was sie nicht bloß aktuell, sondern auch zukünftig absurd erscheinen ließe, was auch seine Existenz der Absurdität preisgäbe. Gegen derartige Gedanken wehrte er sich.
Zu diesem Zeitpunkt allerdings, mit gepackten Koffern an der Straße, waren derartige Sorgen ebenfalls absurd geworden, da es keine Zukunft für die Daten geben sollte. Sein Leben war ruiniert, sein Werk verbrannt, sein Zuhause bald ein nasser Klumpen modriger Asche.
Wie zum Beweis für diese Tatsache brach der Dachstuhl unter lautem Getöse zusammen und hagelte glühend auf das Restgerümpel der Sorck‘schen Heimstatt, trat wie ein rußiger Stiefel das ohnehin zerstörte Anwesen weiter zu Schund. Diesmal zuckten die Schaulustigen nicht allein. Auch Martin bewegte sich, drehte sich vom Inferno seiner Wohnung weg und trat eine Reise an.

Sorck ist erhältlich als Taschenbuch (z.B. bei Amazon, Twentysix & dem Autorenwelt-Shop) und als Ebook (z.B. bei Amazon oder Thalia).

Zusätzliche Informationen findet man unter dem Menüpunkt Sorck im Klappmenü rechts.

Sorck: Unsortierte Infos zum Debütroman

Vorab: könnte den ein oder anderen Spoiler enthalten!

 

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Sorck – Ein Reiseroman ist erschienen oder ist im Zustand des Erscheinens (denn bis alle Händler den Roman gelistet haben, dauert es eine Weile). Bei Amazon kann man ihn bereits vorbestellen, die Taschenbuch-Version wird ebenfalls in Kürze erhältlich sein. Aus diesem Grund erzähle ich ein wenig über dieses Buch.

Sorck hieß als Arbeitstitel Otakus in Finnland. Warum? Weil üblicherweise niemand Finnland mit Otakus in Zusammenhang bringt und meine Geschichte ebenfalls an allen Ecken und Enden Überraschungen und ungewohnte Mischungen haben würde. Das ist natürlich gelogen, zumindest zur Hälfte. Zuerst stand dieser Arbeitstitel und dann begann ich zu schreiben, noch ohne großes Konzept – anders als sonst. Finnland erinnerte mich an eine Kreuzfahrt, die ich mit der Familie vor etlichen Jahren gemacht habe. Damit stand bereits die Route und somit das Grundkonstrukt – Einordnung in Reisetage, die jeweiligen Ziele und der Bogen, der durch die Rückkehr geschlossen werden musste. Schnell folgte die Idee eines Mannes vor seiner brennenden Wohnung. Letztendlich wurde der Arbeitstitel übrigens verworfen, weil kaum jemand in meinem Bekanntenkreis das Wort Otaku kannte und es die Leserschaft auf eine falsche Fährte gelockt hätte.

Als ich mit der Arbeit an Sorck / Otakus in Finnland begann, hatte ich gerade viel von Hermann Burger gelesen. Er verbindet häufig scheinbar nicht zueinander passende Elemente miteinander (eine Kur in einem engen Stollen, Friedhof und Todesthematik mit einer dörflichen Schule etc.) und hatte mich damit angesteckt. Als der Protagonist also aufs Schiff kam, fand er eine Broschüre, aus der – inhaltlich und aus der Sprache – hervorging, dass das Kreuzfahrtschiff früher einmal ein Schlachtschiff gewesen ist. Diese Skurrilität wollte ich ursprünglich bloß wenige Male aufblitzen lassen. Der Einfall hat jedoch plötzlich das gesamte Werk ausgemacht und verändert, schlug Wellen vor und zurück durch den Roman: alles fortan wurde davon geprägt und durch die Überarbeitungsphasen auch alles, was davor geschah.

Warum ich besonders stolz bin auf dieses Werk:

Es ist mein Erstling – natürlich.

Aber ich bin ein Vertreter versteckter Ebenen und Details in Geschichten und habe davon etliche verbaut. Da ich nicht spoilern will an dieser Stelle, fällt es mir schwer, ins Detail zu gehen. Dennoch ein paar grobe Beispiele: jede ausdrücklich genannte Zahl (sofern sie nicht die Jahreszahl eines erwähnten Ereignisses o.ä. ist) trägt eine codierte Bedeutung, mal für sich und mal im Zusammenhang mit anderen erwähnten Zahlen. Alle Bilder und Dekorationen tragen Bedeutung, alle (wichtigen) Namen und manche scheinbar unbedeutenden Geschehnisse ebenfalls.

Außerdem habe ich mir viele sprachliche Spielereien erlaubt: Wortneuschöpfungen, Verwendung alter oder anderweitig spezieller Begriffe, Umdeutungen, Spiele mit dem Satzbau und vieles mehr. Tatsächlich führte dies zur Meldung von Amazon, dass beinahe 600 mögliche Rechtschreibfehler gefunden wurden. Natürlich durchlief das Manuskript ein professionelles Korrektorat und keiner dieser möglichen Fehler ist tatsächlich ein Fehler.

Etliche weitere Aspekte, die ich an Sorck sehr mag, könnte ich hier noch anführen, aber spare sie mir für weitere Beiträge auf. Auch Details der erwähnten Punkte werde ich an anderer Stelle nochmal besprechen (dann mit einer Spoiler-Warnung davor).

Im Augenblick bin ich der Überzeugung, dass Sorck in seiner Art weitestgehend allein stehen wird und meine nächsten und übernächsten Projekte einen gänzlich anderen Stil haben werden. Dennoch bin ich stolz auf das Ergebnis und freue mich über jeden Leser und jede Leserin.

Literarisches Versteckspiel – Ein Gedanke

Heute habe ich Gedanken Ingeborg Bachmanns gelesen bezüglich des Ichs in der Literatur. Einerseits ging es um das scheinbar ehrliche Ich der Tagebücher, das dennoch stets sortiert. Andererseits ging es um Céline und Miller, die in Werken keinen Unterschied machten zwischen Autor, Erzähler und Protagonist. Immer wieder tauchten dieses und anderen Themen im Laufe des Tages in meinen eigenen Gedanken auf und verbanden sich schließlich zur altbekannten Frage, inwiefern sich Autor*innen hinter Worten verstecken oder durch sie offenbaren.

Autor*innen sind Menschen, die etwas zu sagen wünschen, ohne den Mut zu haben, es auszusprechen. Sie erfinden stattdessen einen Erzähler, den sie manchmal benennen wie sie sich selbst im Kopf benennen, der Geschichten erzählt, die wiederum verstecken, was ursprünglich gesagt werden sollte. Auf diese Weise stellen Autor*innen Instanzen zwischen sich und ihre Wahrheiten oder zwischen sich und ihre Gesprächspartner*innen. Sie stellen Schrift dazwischen.

Die Methode ist uralt und sehr simpel. Ein Kind geht zur Mutter und sagt: „Ich kenne jemanden, der hat XY angestellt“, dann wartet es die Reaktion ab. Da die Mutter erraten könnte, dass das Kind XY selbst angestellt hat, wird die Info ersetzt und aus „Kekse geklaut“ wird „Apfel weggenommen“. Wir stellen Instanzen zwischen die Wahrheit und die Beurteiler der Wahrheit, um uns selbst zu schützen. Doch wir plaudern auch gern und zu viel. Je mehr wir reden, desto mehr sagen wir auch und zwar über uns selbst. Während das Ich einer Geschichte zum Erzähler erklärt wird und uns die Last der Verantwortung (nicht für seine Worte, aber für die Meinung hinter den Worten, die Echtheit der Worte) abnimmt, droht die Geschichte selbst mit jedem neuen Wort uns zu enttarnen. Hinter einzelnen Wörtern verstecken wir uns bequem, doch durch viele Worte verraten wir uns.

Schreiben ist wie das Gespräch eines Einsamen mit einem Stummen. Es ist nicht wahrscheinlich anzunehmen, dass der Einsame nicht im Laufe der Zeit all seine Geheimnisse preisgeben wird, und zwar schneller und sicherer als bei einem Verhör. Wenn niemand etwas von uns wissen will, fangen wir an zu reden, immer mehr und immer lauter, bis wir es nicht mehr kontrollieren können.

Ich glaube, Schriftsteller*innen stellen ihre Schriftstücke wie Schilder auf, um ihr Dasein zu bekunden, ihren Wert zu beweisen und ihre Einzigartigkeit und Einsamkeit kundzutun. Sie stellen ihre Schriftwerke zwischen sich und die Welt, um einen Kampf weniger schlagen zu müssen, um sich in der Illusion des Verstecktseins hinter den eigenen Worten sicherer zu fühlen und somit die Kraft zu haben für ihren großen Streit mit der Welt. Indem sie dieses Versteckspiel spielen, geben sie den Leser*innen nicht nur, was sie ihnen geben wollen, sondern auch noch alles, was diese darin zu finden glauben, obendrauf. Die Illusion funktioniert in beide Richtungen. Wir Schriftsteller*innen geben uns der Illusion hin, dass kein*e Leser*in bemerkt, dass wir über uns schreiben. Ihr Leser*innen wandelt diese Illusion dankbar um und glaubt, wir schrieben über euch. Das macht Literatur zu einem Dialog und flicht sie ein in die Zeit. Sie wächst mit den Menschen, nicht mit den Autor*innen (denn sie schreiben längst etwas Neues). Jedes Mal, wenn man ein Buch in die Hand nimmt, ist man ein anderer Mensch und auch das Buch wird dadurch ein anderes.

Philosophie und Literatur

Während meines Studiums (Philosophie/Komparatistik) hatten viele Kommiliton*innen Philosophie gewählt, weil sie es als einfaches Zweitfach fürs Lehramt ansahen. Das zeigt ganz gut, welchen Status das Fach in den Augen der meisten heutzutage hat. Einige Disziplinen der Philosophie (Ethik, Politik usw.) bleiben aktuell, während andere (Metaphysik etc.) zugegebenermaßen weniger zeitgemäß sind. In diesem Beitrag möchte ich einige Argumente anführen für die Philosophie, besonders im Hinblick auf Autor*innen. Dabei wähle ich hauptsächlich Beispiele von Schopenhauer als Stellvertreter aller anderen Philosoph*innen.

Das allererste Argument, das man immer für die Philosophie finden und nennen kann, ist die Übung im Denken. Einerseits lernt man, neue Perspektiven einzunehmen und Probleme von allen Seiten zu betrachten. Geistige Flexibilität ist eine notwendige Voraussetzung, um philosophische Probleme anzugehen. Andererseits wird man geschult, strukturiert zu denken, Gedankengänge auseinanderzunehmen, Fehler aufzuspüren und die Gesetze der Logik anzuwenden. Warum das für absolut jeden und nicht für Schreibende gut ist, erklärt sich von selbst.

Das zweite Argument – hier kommen wir zu Schopenhauer – handelt vom Aufbau komplexer geistiger Bauten, die gesamte Welten (die gesamte Welt) umschließen können. Schopenhauers Hauptwerk ist Die Welt als Wille und Vorstellung, ein metaphysisches Werk. Der Duden definiert Metaphysik als philosophische Disziplin oder Lehre, die das hinter der sinnlich erfahrbaren, natürlichen Welt Liegende, die letzten Gründe und Zusammenhänge des Seins behandelt. Ganz ganz grob und knapp zusammengefasst bedeutet das bei Schopenhauer: Ich (mein Geist/Wille) bin von der Welt getrennt durch meinen Körper, erfahre sie nur über meine Sinne. Was hinter den Gegenständen, Tieren, Mitmenschen steckt, kann ich nicht wissen, sondern nur aus dem, was ich kenne (der eigene Geist/Wille), schließen, was dort ist. Er kommt zu dem Ergebnis, dass alles (Menschen, Tiere, Gegenstände, Welt) Ausprägungen oder Vorstellungen eines einzigen großen Willens sind, der sich dadurch selbst kennenlernt. (Nochmal: das ist wirklich sehr vergröbert; Schopenhauer braucht hunderte eng bedruckter Seiten für dieses Ergebnis.) Von diesem Punkt aus baut und begründet er die gesamte Welt und bespricht Kunst, Literatur, Musik und vieles Anderes.

Aus heutiger Sicht sind viele Bausteine seiner Argumentation weit überholt und seinen Ergebnissen wird sich kaum noch jemand anschließen, aber das Konstrukt ist überaus interessant. Hier kommen wir zum Nutzen für die Literatur. Schopenhauer nimmt einen einzigen Gedanken (ich kenne nur mich, alles andere ist im Grunde unbekannt) als Ausgangspunkt, um daraus einen riesigen Gedankenpalast zu bauen und Erklärungen für sämtliche existierenden Dinge zu finden. Erinnert dieses Vorgehen nicht an den Weg von einer Idee zur fertigen Geschichte? Denken wir beispielsweise an Tolkien. Bekanntermaßen erschuf er zuerst den gesamten mythologischen Hintergrund zu Lord of the Rings, bevor er auf dieser Basis die eigentliche Story schrieb. Ein analoger Vorgang. Wir lernen durch die Philosophie also einen strikten, disziplinierten und konstruktiven Weg zu gehen von einer einzigen Idee zu einer riesigen Welt.

Das dritte Argument ist simpel: auf dem eigentlich nüchternen Weg, den Philosophen einschlagen, findet sich Schönheit. Schopenhauer schrieb beispielsweise, dass Musik uns so sehr anspricht, weil sie ein anderer Weg des Willens ist, sich selbst zu erkennen. Mit anderen Worten, Musik ist unsere Welt in anderer Form. Hier zwei Zitate dazu:

Über Musik (Beethoven): […] die größte Verwirrung, welcher doch die vollkommenste Ordnung zum Grunde liegt, den heftigsten Kampf, der sich im nächsten Augenblick zur schönsten Eintracht gestaltet: es ist rerum concordia discors, ein treues und vollkommenes Abbild des Wesens der Welt, welche dahin rollt, im unübersehbaren Gewirre zahlloser Gestalten und durch stete Zerstörung sich selbst erhält. Und: Der Rhythmus ist in der Zeit was im Raume die Symmetrie ist, nämlich Theilung in gleiche und einander entsprechende Theile, und zwar zunächst in größere, welche wieder in kleinere, jenen untergeordnete, zerfallen.

Schönheit in den Worten und Gedanken anderer zu erkennen und zu lieben, ist eine Grundeigenschaft von Leser*innen und Autor*innen zugleich. Der Unterschied zwischen Literatur und Philosophie liegt hauptsächlich im Ausdruck: Literatur versteckt Erkenntnis hinter Schönheit, während die Philosophie Schönheit hinter Erkenntnis versteckt.

Am Ende füge ich noch einige Zitate von Schopenhauer an. Sie wurden allesamt in der ursprünglichen Schreibweise belassen:

Was dem Herzen widerstrebt, läßt der Kopf nicht ein.

Zwischen dem Thiere und der Außenwelt steht nichts: zwischen uns und dieser stehen aber immer noch unsere Gedanken über dieselbe, und machen oft uns ihr, oft sie uns unzugänglich.

Wort und Sprache sind also das unentbehrliche Mittel zum deutlichen Denken.

Der Denker soll sie [Irrtümer] angreifen; wenn auch die Menschheit, gleich einem Kranken, dessen Geschwür der Arzt berührt, laut dabei aufschrie.

Der Geist ist seiner Natur nach ein Freier, kein Fröhnling

Daher je mehr ein Mensch des ganzen Ernstes fähig ist, desto herzlicher kann er lachen. Menschen, deren Lachen stets affektirt und gezwungen herauskommt, sind intellektuell und moralisch von leichtem Gehalt

Ohne die Schule der Alten wird eure Literatur in gemeines Geschwätze und platte Philisterei ausarten.

das Ich ist eine unbekannte Größe, d.h. sich selber ein Geheimniß

[…] daß die Qualität des Wissens wichtiger ist, als die Quantität desselben. Diese ertheilt den Büchern bloß Dicke, jene Gründlichkeit und zugleich Stil: denn sie ist eine intensive Größe, während die andere eine bloß extensive ist.

Wie in Zimmern der Grad der Helle verschieden ist, so in den Köpfen. […] Man werfe das Buch weg, bei dem man merkt, daß man in eine dunklere Region geräth, als die eigene ist; es sei denn, daß man bloß Thatsachen, nicht Gedanken aus ihm zu empfangen habe.

Denn der Intellekt ist ein differenzirendes, mithin trennendes Princip: seine verschiedenen Abstufungen geben, noch viel mehr als die der bloßen Bildung, Jedem andere Begriffe, in Folge deren gewissermaaßen Jeder in einer andern Welt lebt, in welcher er nur dem Gleichgestellten unmittelbar begegnet, den Uebrigen aber bloß aus der Ferne zurufen und sich ihnen verständlich zu machen suchen kann.

Je niedriger ein Mensch in intellektueller Hinsicht steht, desto weniger Räthselhaftes hat für ihn das Daseyn selbst: ihm scheint vielmehr sich Alles, wie es ist, und daß es sei, von selbst zu verstehen.

Von der Peinlichkeit alter Texte

Sartre schrieb sinngemäß, dass sein bester Text immer derjenige sei, an dem er gerade arbeite, doch wenige Monate später würde er ihm doch wieder peinlich sein. Dürrenmatt verglich Romane mit Bildern, da er auch malte, und stellte fest, dass man jahrelang an einem Bild arbeiten könne und es schließlich perfekt würde. Ein Roman wiederum würde niemals fertig, sondern muss abgebrochen werden. Literatur befindet sich im Zeitfluss. Das simple Grund ist, dass wir Autor*innen uns verändern.

Heute habe ich viele Gedichte gelesen, die ich im Laufe der letzten zwei bis drei Jahre geschrieben hatte. Je älter die Texte waren, desto weniger gefielen sie mir. Mein Stil hat sich gewandelt, meine Themen ebenfalls (ein wenig) und ich bin eine andere Person. Dieses Phänomen werden fast alle kennen, die schreiben. Wie geht man damit um? Um das zu beantworten hole ich etwas weiter aus.

Ihr kennt sicherlich die Frage, die ihr euch selbst oder vielleicht jemand anders gestellt hat: Was würdest du in deinem Leben ändern, wenn du eine zweite Chance hättest? Möglicherweise kennt ihr auch den Film Butterfly Effect. Der Gedankengang ist simpel. Verändere ich einen Aspekt meiner Vergangenheit, ändere ich auch alle nachfolgenden Ereignisse. Hat man schwere Fehler zu korrigieren, ist das genau der Punkt, weshalb man etwas ändern würde. Doch wer sagt, dass die neue Version der Ereignisse besser wäre? In meiner Jugend hatte ich große Probleme in der Schule (korrekter: mit meinen Mitschülern) und brach irgendwann ohne Abitur ab. Ich machte eine schreckliche Ausbildung und arbeitete in einem schrecklichen Job. Dann holte ich mein Abitur nach und studierte ein wenig. Auf dem Abendgymnasium lernte ich gute Freundinnen und Freunde kennen, über sie wiederum andere Personen, die für eine Weile noch wichtiger waren. Ich möchte nicht auf die Erinnerungen verzichten. Nicht auf die schönen Erinnerungen aus offensichtlichen Gründen und nicht auf hässlichen, weil ich aus diesen Erfahrungen lernte. Ich wäre nicht hier, nicht an diesem speziellen Punkt in meinem Leben und meinem Schreiben, wenn ich nicht auch viel Mist hinter mir hätte.

Das Gleiche gilt für Literatur. Wir entwickeln uns, wir lernen. Wenn ich die aus heutiger Sicht schlechteren Texte nicht verfasst hätte, würde ich heute keine besseren schreiben können. Der Trick ist vermutlich nur, schnell genug zu veröffentlichen, bevor man es sich selbst verbietet.

Außerdem darf man nicht vergessen, dass es häufig einen riesigen Unterschied in der Wahrnehmung gibt zwischen einem selbst und allen anderen. Schaue ich in den Spiegel, sehe ich häufig noch den mopsigen Jungen der frühen Jugend oder den dürren Kerl einige Jahre später, während ich längst gut trainiert bin – das weiß ich aus guten selbstbewussten Momenten und durch die Aussagen anderer. Vielleicht sind die Texte also bloß in meinen Augen nicht gut genug.

Literatur befindet sich im Zeitfluss, weil die Verfasser*innen sich verändern. Wir können letztendlich nur hoffen, dass wir die Leser*innen zur richtigen Zeit mit dem richtigen Werk erwischen.

Interview und Update

Heute wurde das erste Interview, das ich geben durfte veröffentlicht. Es freut mich sehr, dass Menschen mehr und mehr Interesse an mir und meinen Werken zeigen. Der Zeitpunkt ist ebenfalls passend gewählt, denn in Kürze wird auch Sorck, mein erster Roman, endlich erscheinen. Dank des Fluchs unvorsichtiger Zeitplanung habe ich das leider schon mehrmals angekündigt. Hier also ein aktuelles Update für alle Interessierten:

Der Roman hat ein Korrektorat durchlaufen bei den beiden Korrektorinnen Kia Kahawa und M.D. Grand. Danach wurde ein Buchsatz erstellt (ebenfalls von Kia). Mit beidem bin ich sehr zufrieden. Die Zusammenarbeit lief angenehm und sehr professionell ab.

Klappentext und Keywords (zur Einordnung bei Amazon und für Buchhändler) sind bereits erstellt.

Was fehlt also noch?

Das Cover! Vor mir liegt ein aktueller Entwurf, der nur noch minimale Verbesserungen benötigt. Eine Sache, die mich heute verunsichert hat, ist die Frage der Helligkeit. Das Cover wirkt unterschiedlich je nach dem, wo ich es betrachtet habe: auf dem Monitor des Designers, auf meinem Monitor, auf dem Smartphone und ausgedruckt. Da es insgesamt relativ dunkel gestaltet ist und alle Details erkennbar sein sollen, ist es natürlich ein gewichtiger Punkt, wie die Umsetzung am Ende auf dem Buch aussehen wird. Welcher Eindruck ist also derjenige, welcher am nächsten am Endprodukt liegt? Entscheidungen aufgrund unsicherer Grundlagen zu treffen, stört mich sehr. Dennoch muss es natürlich geschehen. Ich vertraue auf den besten Monitor für die Betrachtung und auf die Professionalität der Druckerei.

Sobald das Cover fertig ist, folgt die Veröffentlichung. Ich rechne in den nächsten zwei Wochen damit.

Für die zukünftigen Selfpublisher unter euch: kümmert euch frühzeitig um euer Cover! Es kann länger dauern, als ihr vielleicht glaubt, bis es fertig ist. Außerdem ist es wichtig für ordentliche Werbung im Vorfeld der Veröffentlichung. Das habe ich (zu spät) gelernt.

In der Zwischenzeit lese ich endlich wieder mehr und kümmere mich um andere Projekte. Vor zwei Tagen stellte ich eine Erzählung fertig, die in Kürze überarbeitet werden wird und laut Plan im vierten Quartal des Jahres veröffentlicht werden soll.

Wenn ihr bis zur Veröffentlichung von Sorck mehr von lesen wollt, bleibt euch nur, mir auf Social Media zu folgen (die Links findet ihr rechts), weiterhin hier vorbeizuschauen oder eben mein Interview zu lesen. Hier nochmal der Link:

Matthias Thurau #ProjektArbeistitel

Ein Anschlag auf Adolf Muschg

Ich bin kein glücklicher Mensch. Wer mich kennt, weiß das. Wer mich liest, kann es sich denken. Das ist kein Ruf nach Mitleid, sondern die Einleitung in eine knappe Rollenidee.

Autorinnen und Autoren verarbeiten häufig persönliche Traumata, Sehnsüchte, Probleme und Erlebnisse in ihren Texten. Indem sie das tun, werfen sie ein Licht auf Aspekte unserer Gesellschaft. Entgegen des persönlichen Gefühls sind sie nicht allein mit ihren Problemen. Ihre Probleme – und damit die aller anderen – wiederum sind ein Symptom der Leiden ihrer Umwelt. Was sie besonders macht, ist, dass sie schreiben. So simpel, so kompliziert.

Adolf Muschg sagte in seiner Frankfurter Poetik Vorlesung Literatur als Therapie?: Kunstwerke sind im Grenzfall die einzigen Beweisstücke, wieviel wir aus dem machen können, was uns angetan wird. Seine Theorie ist, dass Schriftsteller*innen nicht vollständig therapierbar sind, da sie durch eine vollständige Heilung ihre Besonderheit und den Grund ihres Schreibens verlören. Sie verweigern sich ein Stück weit das eigene Glück, um weiterhin ihr Unglück verarbeiten zu können. Was mich angeht, liegt er richtig.

Wie Schmerz bloß ein Symptom ist und nicht die Krankheit, ist die Gesamtproblematik eines Menschen lediglich ein Symptom der Krankheit seiner Umwelt. Der einzelne Mensch – und damit auch der Autor/die Autorin – weiß nicht klar zu sagen, was in seiner Umgebung ihn krank gemacht hat, was übergeordnet falsch läuft. Doch die Literatur vermag Wahrheiten auszudrücken, deren sich ihre Erschaffer nicht bewusst sind. Dadurch deutet sie auf Missstände und eröffnet Veränderungsmöglichkeiten. Literaturschaffende ändern die Welt nicht. Doch Leserinnen und Leser vermögen dies – schon durch ihre Anzahl.

Es ist ein faszinierender Ablauf: Eine einzelne Person erfindet eine Geschichte. In dieser Geschichte versteckt sich ein Teil des Schicksals dieser Person. In diesem Schicksal spiegeln sich Aspekte der Gesellschaft. Andere Personen lesen die Fiktion, entdecken die Missstände, ändern diese – und ich denke auch an unbewusste Veränderungen – und verbessern damit die Lage für alle kommenden Generationen. Leserinnen und Leser verhindern die Wiederholung des Schicksals der Autorin/des Autors.

Dies alles sind Gründe für das Verfassen intensiver Literatur und für das intensive Befassen damit. Kafka sagte Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Einerseits entspricht dies meinem persönlichen Geschmack, was wiederum meine Philosophie beeinflusst, und umgekehrt. Andererseits spricht Kafka hier von Selbstverbesserung und damit indirekt von der Verbesserung unserer Gesellschaft. Niemand leidet gern und doch ist es notwendig. Drückt der Arzt bloß an Stellen, an denen es nicht weh tut, wird er den Patienten für gesund erklären und diesem wird nicht geholfen werden.

Ich stelle mich als Symptom zur Verfügung: findet die Krankheit und heilt sie!

Wir brauchen die Hinweise auf unser Leiden, die Erinnerung an Fehltritte und die schmerzhaften Einsichten. Wir brauchen gute Literatur.