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Über eine Idee und warum sie nicht funktioniert

Eine Romanidee und ihre Fehler.

Vor Kurzem bin ich über ein älteres Roman-Manuskript gestolpert und habe es gelesen. Anfangs war ich begeistert, dann verwirrt und schließlich etwas enttäuscht. Mir fiel wieder ein, welche Konzept-Idee hinter allem stand und erst mit viel Abstand habe ich erkannt, warum dieses Konzept nicht funktionieren kann.

Die Geschichte ist im Grunde auf drei Parts aufgeteilt. Zunächst wird eine Geschichte erzählt, die von einem fiktiven Autoren stammt. Im zweiten Teil werden die Poetik, sein Warum und seine Herangehensweise in Ich-Perspektive beschrieben. Im Dritten Teil zieht der fiktive Autor los und macht eine Reise rückwärts durch sein Leben.

Die Idee war, schrittweise durch ein Werk zu seinem Ursprung zu zoomen: Geschichte – bewusste Idee – unterbewusste Ursprünge; oder: Werk – Idee des Autors – Leben des Autors. Es sollte immer Bezüge geben zwischen den Ebenen, sodass man sehen kann, wie sich Erlebnisse zu Ideen und dann zu Geschichten entwickeln (für diesen einen Fall). Es sollte also um die alte Frage gehen, wie viel vom Schreibenden im Geschriebenen steckt. Gleichzeitig hätte das Buch im gleichen Verhältnis zu mir gestanden wie der erste Part des Buches zum fiktiven Autoren. Ich hatte für mich wiederum eine Poetik (und eine konstruierte Idee) erschaffen und konnte diese auf meine Erlebnisse zurückführen, beziehungsweise die Leser*innen hätten die Existenz meiner Ideenkonstrukte und der vorausgehenden Erlebnisse als Möglichkeit im Kopf gehabt.

Das angesprochene Konzept funktioniert allerdings nicht, jedenfalls nicht in der Form, wie ich es mir gedacht hatte. Problematisch ist zuallererst die Einteilung in voneinander weitestgehend gelöste Parts. Das ist für viele Leser*innen ungewohnt. Episoden-Romane gibt es natürlich, aber die wenigsten Autor*innen können ihren Leser*innen so etwas vorsetzen (und positive Rückmeldungen erwarten). Ohne das Konzept zu erklären und damit darauf hinzuweisen, dass man auf Parallelen und Details zu achten hätte, wäre es schwierig nachzuvollziehen gewesen.

Noch schwieriger ist der Poetik-Part, weil er für die allermeisten Lesenden ziemlich langweilig sein könnte (und in der vorliegenden Manuskript-Form sogar für mich war). Es liest sich, als hätte man zwei interessante Geschichten gehabt und dann einen Vorlesungsentwurf dazwischen gezwängt.

Der Mittelteil müsste also geändert werden, das heißt, er müsste vollends getilgt und ersetzt werden, wenn man überhaupt noch das Buch als ein einziges Werk zusammenhalten wollte. Immerhin sollte man nicht vergessen, dass der erste und der dritte Part jeweils auch als Geschichten für sich funktionieren. Diese beiden Teile müssten ebenfalls stark überarbeitet werden, aber würden eben funktionieren, während der Mittelteil komplett anders zu sein hätte. Man müsste ihn mindestens aufpeppen. Beispielsweise könnte man ihn als Interview oder Dialog schreiben, als Szene in einem Dokumentarfilm, beziehungsweise könnte man es so darstellen, als würde diese Szene gerade gedreht oder vorbereitet werden. Dadurch gäbe es mehr Action, mehr zu sehen sozusagen. Allerdings läge der Fokus nicht mehr auf den Infos, die für das Gesamtkonzept, sofern man es beibehalten möchte, nötig sind. Man könnte außerdem die Infos aus dem Poetik-Teil direkt als Reflexion in den Erlebnis-Part einbauen. Das würde möglicherweise die Erlebnisse weniger spannend machen und den Dreischritt der Ideenentwicklung verzerren, da Part Eins eigenständig dastünde und Part Zwei und Drei zusammengepresst und verdreht wären. Die Auftrennung, die das Projekt problematisch macht, scheint für das Grundkonzept notwendig zu sein.

Lassen wir diese Aspekte mal eben beiseite.

Ihr kennt das Manuskript nicht, was es schwieriger macht, darüber zu berichten. Teil Drei des Buches ist eine relativ straighte Fortsetzung einiger Punkte, die in Teil Zwei bereits erwähnt werden, kann aber auch für sich stehen. Wäre er ein Film, würde ich diesen Part als Road Movie bezeichnen. Eine chronologisch ablaufende Reise über einzelne Stationen, die jeweils einen zeitlichen Schritt zurück in die Kindheit darstellen, bis der Protagonist im Elternhaus ankommt. Somit können die Leser*innen den Lebensweg des fiktiven Autors der ersten beiden Parts nachvollziehen. Der erste Teil des Buches aber ist ein hochkomplexes Spiel mit Identität(en) und Realität(en) auf mehreren Ebenen. Das bedeutet, dass dieser erste Part für sich bereits schwierig ist und als Element innerhalb des Romans kaum handzuhaben ist. Ein Teil der Komplexität entsteht dadurch, dass bereits Aspekte des Gesamtkonzepts, also Vorgriffe in die restlichen zwei Drittel des Buches, mit eingearbeitet sind. Die Komplexität ist wiederum notwendig und problematisch. Zwar könnte man den Aufbau des Romans erklären, indem man sagt, dass das Chaos immer weiter aufgeräumt wird, indem es sozusagen doppelt gefiltert und erklärt wird: durch die Poetik und durch die Erlebnisse. Aber praktisch betrachtet, wäre das Ergebnis schwer zu ertragen. Dem Konzept steht also nicht nur der Mittelteil im Weg, sondern in diesem Fall auch das erste Drittel.

Ich könnte wohl eine neue, einfachere Geschichte fürs erste Drittel erfinden, den Mittelteil ersetzen und den letzten Part hart überarbeiten, aber sinnvoller wäre es wohl, das arme Ding zu erschießen. Als ich das Manuskript damals fertiggestellt hatte, wusste ich, dass ich es nicht veröffentlichen kann, aber ich wusste noch nicht recht, warum eigentlich nicht. Genau deshalb lasse ich Manuskripte eine Weile ruhen, bevor ich mich nochmals an die Arbeit setze. Ich lerne in der Zwischenzeit dazu und bekomme Abstand vom Werk. Wichtig ist dies auch für meine manchmal etwas überzogenen Ideen: Wenn ich 6 Monate nach Fertigstellung des Manuskripts nicht mehr verstehe, was ich gemeint hatte, werden es die Leser*innen wohl auch nicht verstehen können. Und ja, das kommt vor.

Ich betrachte diesen Blogeintrag übrigens nicht als Geschichte eines Scheiterns, sondern als Zusammenfassung eines Entwicklungsschrittes. Man soll und muss bereit sein, die Arbeit von vielen Monaten nachträglich als Übung zu betrachten, anstatt sie in die Welt zu zwingen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass als Nachhall der Gedanken, die ich hier zusammengefasst habe, tatsächlich eine Lösung auftreten wird. Geschieht dies nicht (wovon ich ausgehe), werde ich das Manuskript ausschlachten und die Einzelteile recyclen. Part Eins und Part Drei jeweils als Erzählungen zu veröffentlichen, wäre eine Idee. Man könnte sie in einem Buch zusammenfassen, Part Zwei überspringen (beziehungsweise in den Kopf der Leser*innen verlagern) und die Parallelen zwischen beiden Erzählungen verdeutlichen. Packen wir’s an!

Die ständige Suche nach dem Warum

Über Selbstsuche und Literatur.

Auf diesem Blog geht es häufig um mögliche Begründungen: Warum ich gewisse Musik oder Literatur mag, warum ich überhaupt schreibe, warum irgendwer schreibt, warum ich dieses und jenes in Texten verwendet habe und nun, warum ich alles zu begründen versuche. Die Antwort könnte sein, dass ich mich selbst suche. Das klingt jetzt esoterisch und etwas kitschig, aber ist nichtsdestotrotz vermutlich korrekt.

Wer sein Leben verbessern will, muss zunächst verstehen, wie das eigene Leben aussieht und warum man die Entscheidungen trifft, die es leiten. Mit Verbesserung meine ich keine Optimierung im Sinne von Zeitoptimierung, Selbst- oder Arbeitsoptimierung, also mehr, besser, schneller Dinge zu erledigen, sondern hauptsächlich die Erreichung und Verstärkung von Zufriedenheit und Entscheidungsfreiheit. Verstehe ich nicht, warum ich mich für oder gegen Dinge entscheide, habe ich auch keine richtige Freiheit in den Entscheidungen, und verstehe ich nicht, was mich zufrieden oder unzufrieden macht, kann gefundene Zufriedenheit immer nur zufällig und für kurze Zeit gegeben sein. Indem ich also beispielsweise begründe, weshalb mir Slipknot und aggressive Musik dermaßen zusagt oder zu ergründen suche, warum Menschen schreiben, ist es meine Absicht, durch Erkenntnis größere Kontrolle über mein Leben ausüben zu können. Das ist jedenfalls meine aktuelle Vermutung. Das könnte außerdem der Grund dafür sein, dass Kontrolle und Kontrollverlust sich als Komplex zum Grundthema meiner Werke entwickelt hat. Mir reicht es nicht, zu wissen, dass ich etwas mag oder tue, sondern brauche einen Grund dafür, wie ich generell einen Sinn in allem bis hin zum Leben an sich brauche. Literatur wurde von mir für mich als Lebenssinnersatz auserkoren und auch dafür muss es Gründe geben.

Vielleicht umgehe ich den Kern des Problems, wenn ich dessen Symptome untersuche und begründe, anstatt tiefer zu gehen. Allerdings nähere ich mich der Grundproblematik und erhasche immer wieder Blicke darauf, wenn ich dieses und jenes aus der Peripherie untersuche. Dass ich beispielsweise überzeugt bin, dass Autor*innen grundsätzlich aus einer Unzufriedenheit heraus schreiben und abstrakt persönliche Probleme verarbeiten oder umgehen, zeigt mir mindestens, dass es in meinem Fall so ist. Wir schreiben nicht über uns, sondern überdecken uns wieder und wieder, bis etwas ganz anderes herauskommt. Das ist Teil des Problems und gleichzeitig die Schönheit der Tätigkeit.

Seit Jahrzehnten ist es im Literaturbetrieb üblich, dass Autor*innen gefragt werden, warum sie schreiben, und noch länger haben sie es sich selbst gefragt. Vermutlich ist die Antwort: Wir wissen es nicht, sonst würden wir nicht schreiben. Es ist denkbar, dass die Frage von Außenstehenden gestellt wird, weil sie sich selbst im Werk wiederfinden und nun selbst ein Warum dafür und für ihr Leben suchen. Meines Wissens nach wurde die Frage niemals vollständig oder wahrheitsgemäß beantwortet, hat aber viele interessante Wahrheiten zutage gefördert. Offenbar haben Autor*innen einen Hang zur Beichte. Sie wollen ihr Leben an die Öffentlichkeit tragen, aber verstecken sich entweder hinter ihrem Werk oder wissen schlichtweg nicht, welcher Teil ihres Lebens denn so sehr offenbart werden will oder warum er das will. Das soll keineswegs bedeuten, dass wir etwas zu verbergen hätten und Absolution suchten. Ich glaube eher, dass wir Entlastung suchen, indem wir unsere Seele in die Werke verlagern und diese dann an andere weitergeben. Dass wir gleichzeitig stolz auf die Leistung sind und von außen belohnt und gelobt werden, verstärkt die Tendenz nur noch. Auch diese Überlegungen helfen mir, mich selbst zu finden, und vielleicht liege ich für andere Autor*innen völlig falsch damit. Das muss jede*r für sich entscheiden.

Das Warum, das wir niemals vollends erfassen, ist entscheidend. Manchmal glaube ich, ganz nah dran zu sein, aber erreichen kann ich es nie. Klügere Menschen als ich haben sich daran versucht und sich spätestens an sich und dem eigenen Stolz gescheitert. Manche versuchten es mit brutalster Ehrlichkeit, indem sie die Grenze zwischen Erzähler und Autor*in aufzulösen, was natürlich niemals ganz gelang. Plötzlich stand die Kunst dazwischen oder die Sprache oder einfach die Unfähigkeit, mit Sprache das auszudrücken, was wirklich in uns vorgeht. Auch eine Autobiographie ist im besten Fall eine Mischung aus Handlungen und Erklärungsversuchen, wobei die Handlungen längst durch Sprache, verstellte Erinnerungen und Stolz gefiltert worden sind, und die Erklärungen stets im Nachhinein rationalisiert entstehen. Dadurch werden auch autobiographische Schriften zumindest zur Teilfiktion. Ich kann euch versprechen, dass meine Tagebücher stilisiert sind und ich damit (teils bewusst und teils unbewusst) Wirkungen bei imaginären Leser*innen erzielen will. Wir suchen also uns selbst, ohne uns selbst finden zu wollen. Ist das Selbstschutz oder die leise Erkenntnis, dass unser Vorhaben unmöglich ist?

Ich habe mir vorgenommen, mich in der Literatur nicht zu hemmen und damit die Gefahr in Kauf zu nehmen, dass ich zu viel über mich selbst verrate, und gleichzeitig breche ich Projekte ab, die mir zu nahe gehen, überarbeite und filtere. Ist das Betrug an mir selbst und meinem Versprechen oder ist das wiederum Selbstschutz? Fakt ist, dass ich der Welt mein gesamtes Leben offenbaren könnte, ohne dass man mich verstehen würde. Damit ist kein universelles und arrogantes Niemand versteht mich oder ein Ich bin ein unverstandenes Genie gemeint, sondern die simple Tatsache der Unmöglichkeit, das eigene Wesen oder ein anderes vollends zu begreifen. Die schiere Komplexität des Zusammenspiels aus genetischen, psychologischen, erzieherischen und zufälligen Faktoren verbietet ein solches Vorhaben. Versucht man auch nur eine einzige Entscheidung vollständig und mit allem, was dazu gehört, zu ergründen, verrennt man sich schnell im Infinitesimalen und müsste am Ende die gesamte eigene Existenz bis hin zu Wetterfaktoren bedenken, käme irgendwann bei der eigenen Geburt und den Eltern an und müsste, wenn man wirklich gründlich sein wollte, dort weitermachen. Nebenbei bemerkt: Über die eigenen Eltern und deren Psyche und Geschichte nachzudenken, kann einiges im eigenen Leben aufklären.

Warum ich schreibe, warum ich die Menschen als Begleitung für meine Zeit auf Erde gewählt habe, warum ich bestimmte Musik mag oder gewisse Entscheidungen treffe, wird im Hinblick auf das Ganze meiner Existenz winzig und doch verrät es mir viel. Ich untersuche die Dachpfannen, weil ich wissen will, was im Keller geschieht. Mit etwas Glück kann ich erahnen, wie es auf dem Dachboden aussieht und nach vielen Jahren des Stöberns und Schließens hoffentlich bis ins Wohnzimmer vordringen. Damit wäre viel erreicht. Zufriedenheit und Freiheit sind meiner Meinung nach die Kernfaktoren eines guten Lebens und sie sind wert erkämpft zu werden (in der Außen- wie der Innenwelt).

Ich weiß nicht, ob ich mit solchen Gedanken allein dastehe, aber ich glaube es kaum. Bewusst oder unbewusst versucht doch jede*r, zufrieden und frei zu sein. Zu verstehen, was uns daran hindert, mag schmerzhaft sein, aber das mögliche Ergebnis rechtfertigt jede Unannehmlichkeit.

Status & Pläne

Meine Pläne 2020.

Schreibe ich über meine Werke, handelt es sich immer um Rückblicke. Heute soll es einmal anders sein. Es soll darum gehen, woran ich derzeit arbeite, was ich in nächster Zeit zu veröffentlichen plane und wie generell meine literarischen Pläne aussehen.

Die nächste Veröffentlichung wird eine Mini-Trilogie dreier zusammengehöriger Erzählungen sein. Der Umfang wird 54 Buchseiten aller Wahrscheinlichkeit nicht überschreiten. Entsprechend wird dieses Werk lediglich in Form eines E-Books für die allermeisten zu haben sein. Nur einige Auserwählte werden ein gedrucktes Exemplar erhalten. Aber was wird drinstehen? Die Geschichten sind surreal, vielleicht sogar allegorisch, und handeln von der (scheinbaren) Freiheit in unserer Gesellschaft, von aufoktroyierten Lebenswegen und dem Gefühl, sich darin verirrt zu haben. „Labyrinthisch“ wäre ein guter Begriff, um die Texte, besonders den ersten, zu beschreiben. Alle drei Texte gehen vom gleichen Startpunkt aus und variieren stark, nachdem eine simple Entscheidung getroffen wird.

Mit diesen drei Texten sowie dem Buchsatz, den ich zum ersten Mal mit dem Programm SPBuchsatz erstelle (und dabei viel lerne, fluche und mich freue), beschäftige ich mich seit einer ganzen Weile. Mit dem gleichen Programm werde ich dieses Jahr wohl noch die Neuauflage von Sorck basteln. Inhaltlich und stilistisch soll es keine Veränderungen geben, sondern lediglich ein paar Kleinigkeiten und übersehene Fehler sollen ausgebügelt werden. Es handelt sich also mehr um ein Projekt, um das eigene Ego zu beruhigen, als dass es für Leser*innen ernstlich spürbare Unterschiede machen würde. Daher handelt es sich auch um ein Nebenprojekt, etwas, das keine Deadline hat und das immer mal wieder nebenbei gemacht wird.

Das nächste echte Projekt ist der neue Roman. Geschrieben ist er und hat auch bereits mehrere Überarbeitungsrunden hinter sich, aber noch nicht so viele, dass ich zufrieden wäre. In Kürze beginnt eine weitere Überarbeitungsphase, danach die Testleserphase, und nach Abschluss aller Arbeiten wird das Manuskript an Verlage und Agenten geschickt werden. Bis die Öffentlichkeit dieses Buch in Händen halten wird, wird es also noch dauern. Sollte sich kein Verlag an mein Manuskript trauen, werde ich es wieder in Eigenregie herausbringen. Irgendwann werdet Ihr es also lesen können!

Die Arbeit am Roman wird einige Tage unterbrochen werden, während ich die Leipziger Buchmesse besuche. Wer mich dort treffen möchte, kann entweder Ausschau halten und auf das Beste hoffen, oder mich rechtzeitig vorher kontaktieren, damit wir etwas ausmachen können. Geplant ist ein Besuch der Messe an allen Tagen außer Sonntag. Signierte Bücher bringe ich auf Anfrage gerne mit.

Damit meine Leserschaft nicht zu lange auf das nächste größere Werk zu warten hat, plane ich für Herbst/Winter 2020 einen Erzählband. Die Kurzgeschichten und Erzählungen für diesen Band habe ich bereits. Es fehlen noch Überarbeitungen, Cover, Buchsatz und alles weitere, das man für ein fertiges Buch nunmal braucht. Je nach Geschwindigkeit der Arbeiten an allen vorhergehenden Projekten könnte der Erzählband auch schon früher erscheinen. Da die Geschichten fast alle sehr kurz sind – Kurzgeschichten eben – könnte es sein, dass um 40 verschiedenen Texte ins Buch kommen werden. Titel, Oberthema usw. stehen noch nicht fest, allerdings habe ich für mehrere Themen genügend Texte in der Schublade und schreibe zwischendurch immer wieder neue.

Und was dann? Ich habe zwei alte Romanmanuskripte, die ich gerne durch- und verarbeiten würde. „Überarbeitung“ wäre der falsche Ausdruck, da die Texte massiv zusammengestrichen, umstrukturiert und zu großen Teilen neu geschrieben werden müssten. Konzepte für mehrere weitere Romane und Erzählungen warten geduldig auf ihre Zeit, und Gedichte schreibe ich ebenfalls immer mal wieder zwischendurch. Das Material geht mir so schnell nicht aus. Würde ich nur abarbeiten, was bereits vorhanden ist, hätte ich genug für die Veröffentlichungen der nächsten Jahre.

Natürlich wird der Blog weitergeführt. Mit der Veröffentlichung der Mini-Trilogie werde ich ein drittes Werk haben, deren Entstehung und Ideenwelt ich hier breittreten kann. Weitere Themen sind ebenfalls nicht schwer zu finden, auch weil ich 2020 wieder mehr lesen will als in den Vorjahren. Falls Ihr Themenvorschläge oder Fragen habt, schreibt mir! Ich setze mich dann mal wieder an die Arbeit.

Nika Sachs: Schneepoet

Rezension des Romans “Schneepoet” von Nika Sachs.

Männer mit echten Gefühlen – eine gewagte These. Schneepoet ist der erste Band einer Reihe, kann aber auch solo gelesen werden. Solche Infos sind für mich wichtig, weil ich ein sehr langsamer Leser bin und mich Buchreihen immer abschrecken. Vielleicht geht es euch ja ähnlich.

Steigen wir ein. Das große Talent von Nika Sachs ist die Analyse von Gefühlen. Ihre Figuren analysieren sich selbst und ihre Mitmenschen permanent. Das klingt trocken, ist es aber nicht. Ich selbst halte mich für einen reflektierenden Menschen, aber habe keineswegs einen solchen Zugang zu Emotionen und ihren Hintergründen, wie Nikas Figuren. Das führte dazu, dass ihr Buch in Teilen eine therapeutische Wirkung auf mich hatte. Ich habe plötzlich Verhaltensweisen und Vorgänge verstanden, mit denen ich mich über Jahre beschäftigt hatte, die teilweise noch aktuell sind, und andere, die ich fast vergessen hatte. Ein solcher Effekt ist aus meiner Sicht ein riesiger Pluspunkt für ein Buch.

Der Protagonist Lukas (oder Luc) verlässt seine Freundin, weil er ihr ein Geheimnis nicht verraten kann, und flüchtet aus Deutschland und aus der Realität mithilfe von Alkohol, Drogen und sinnlosem Sex. Diese Realitätsflucht kennen vermutlich viele Männer und besonders jene, die ihre eigenen Emotionen nicht verstehen und/oder nicht ordentlich verarbeiten können. Luc hat den Vorteil (und wenn es auch nur ein Vorteil für die Leser*innen ist), dass er von Kindheitstagen an eine beste Freundin hatte, die ihm geholfen hat, einen Blick für seine Emotionen zu entwickeln, der leider für viele Männer noch immer einem Tabu gleicht. Wir haben stark zu sein und unsere Gefühle in Schach zu halten. Unsere Aufgabe ist nicht, sie zu verstehen, sondern Stärke zu zeigen. So ein Bullshit. Es ist vielsagend, dass eine Frau aus der Perspektive eines Mannes schreiben muss, um Männern zu zeigen, was und wie sie fühlen. Zwar kenne ich viele emotionale Bücher, die von Autoren verfasst worden sind, aber keines enthält eine derart reife und analytische Sicht auf diese Emotionen wie Schneepoet von Nika Sachs. Stattdessen geht es meist um das unerträgliche Leid, leben zu müssen, mit sich selbst, ohne eine ordentliche Reflexion oder gar einem Lösungsangebot. Die große, klassische, emotionale Männergrippe in der Literatur.

Der Sprachstil des Buches ist ebenfalls ungewöhnlich, hier und da schwierig (auch aufgrund von Neologismen und Metaphern, die man nicht immer sofort versteht), aber immer interessant. Neben der inhaltlichen Tiefe ist die verwendete Sprache für mich einer der wichtigsten Aspekte in der Literatur. Ich will nicht die Fahne derer schwenken, die nur komplexe und sprachgewaltige Werke als echte Literatur akzeptieren, sondern meine, dass jeder Sprachstil akzeptabel und gut sein kann, solange er zum Werk passt. Der Stil von Schneepoet ist nicht simpel, er ist frisch, neu, modern und frei von Konventionen, passend zum verwendeten Tagebuchformat. Was ich sagen will, ist, dass meine Ausgabe nun gespickt ist mit Klebezetteln, die interessante Passagen und schöne Sätze markieren.

Was den Aufbau betrifft, so könnte man sich streiten. Im vorliegenden Format wirkt er stimmig. Ein Zeitraum von 3 Jahren und 6 Monaten wird in Form von Tagebucheinträgen abgedeckt. Es wird ein Leben dargestellt und eine emotionale und geistige Entwicklung, kleinschrittig. Man hätte sicherlich die Essenz der Geschichte herauslösen können und sie geordneter darstellen können, aber dann hätte man ein anderes Werk mit einem anderen Effekt gehabt. Hier wird kein kunstvoller Bogen geschlagen, sondern ein Leben dargestellt. Für die Geschichte und ihren Fokus war das die richtige Wahl. Andere hätten es anders gemacht, aber andere wollen auch andere Dinge erzählen.

Was noch? Sex, Sex, Sex, interessante Figuren und viele Gefühlskatastrophen. Wer Bock hat, fröhliche Menschen durchs Leben tänzeln zu sehen, ist hier fehl am Platz. Da ich darauf aber fast nie Bock habe, bin ich sehr zufrieden mit der Lektüre wie auch schon bei Namenlos. Also gebt dieser großartigen und ungewöhnlichen Autorin eine Chance, lest ihre Bücher und folgt ihr bei Twitter unter Karmasagtnein oder Nika Sachs.

Alte Milch: Stadt Land Fluss

Über die Hintergründe des Gedichts “Stadt Land Fluss” im Lyrikband “Alte Milch”.

In diesem Artikel wird es um das Gedicht Stadt Land Fluss aus meinem Gedichtband Alte Milch gehen. Damit ihr nicht blättern müsst, serviere ich es euch gratis:

Hänge voller Menschentrauben
Zertreten zu erlesenstem Weinen
Im Gleichschritt im Berufsverkehr

Steine und Stahl bewalden den Himmel
Erwachsen aus kindlichem Boden
Zerkratzen die Neurodermitis der Wolken

Doch Menschen können noch schwärmen
Gemeinsam für Wunder wie Heuschrecken
In millionenfacher Einzigartigkeit

Angefangen hat alles mit dem Wort „Menschentraube“, das ich irgendwo aufgeschnappt hatte. Es ist ein schönes Wort. Mein Verstand ging sofort auf Reisen und assoziierte wild los. Was macht man aus Trauben? Wein. Wein wächst an Hängen, auf Weinbergen, die auf uns Stadtmenschen oft idyllisch und beinahe natürlich wirken. Um Wein aus Trauben herzustellen, werden beziehungsweise wurden sie in großen Bottichen zertreten. Mit dem Wort „Wein“ verband ich außerdem sofort „Weinen“. Damit war das erste Bild, die erste Strophe, entstanden. Eine Mischung aus Stadtbild und Weinproduktion. Die zweite Zeile ist also keineswegs grammatikalisch falsch, obwohl man durchaus darüber stolpern soll. In der Stadt werden Menschen hin und her geschoben, es ist beengt und manchmal beklemmend. Die Anonymität ist deprimierend und der Zwang, unnatürlich scheinende Arbeiten zu erledigen, entfernt uns ein Stück weit von unseren Ursprüngen und kann zu einem sinnentleerten Leben führen. Ungefähr solche Gedanken wollte ich mit der ersten Strophe provozieren. Übrigens wurden früher Weintrauben auch gern zum Klang von Musik zertreten, um einen gewissen Rhythmus und Gleichschritt herbeizuführen.

Schaut man sich in Großstädten um, wandert der Blick schnell nach oben. Hochhäuser wachsen wie Wälder aus dem Boden. In der ersten Zeile der zweiten Strophe ist wieder ein Vergleich zwischen Stadt und Natur – Wald versus Architektur. Die zweite Zeile stellt den kindlichen Boden dem (Er)wachsen der Gebäude gegenüber. Kindlichkeit steht gegen Erwachsensein, also Naturzustand gegen Zivilisation oder Entwicklung. Die höchsten Punkte der Stadt stoßen bereits an die Wolken, sie kratzen daran, wie ja das Wort „Wolkenkratzer“ sehr schön ausdrückt. Einerseits wollte ich auf Wolkenkratzer anspielen und andererseits mit der Neurodermitis, die häufig stressbedingt ist, auf das nervöse Leben im Schatten dieser Riesen sowie auf die angegriffene Natur, die unter der menschlichen (und besonders der technischen) Entwicklung gelitten hat. Weiter zu kratzen ist kaum ein Weg zur Heilung, sondern verschlimmert das Problem noch, wenn es auch kurzzeitig erlösend wirken mag. Ich denke an die Schönheit mancher Städte, die zu verschleiern versucht, was auf dem Weg ihrer Entstehung alles zu Bruch gegangen ist.

In der dritten Strophe bleiben wir bei Naturbildern, hier das Schwärmen der Heuschrecken. Heuschrecken sind nicht nur eine biblische Plage, sondern auch eine reale. Sie tauchen in ungeheurer Anzahl auf und fressen alles kahl. Ihre Anwesenheit ist das Ende der existierenden Pflanzenwelt. Sie erholt sich irgendwann, jedoch erst, wenn die Heuschrecken wieder verschwunden sind. Die menschlichen Heuschrecken werden allerdings nicht so schnell verschwinden und die Natur ist in vielen Bereichen längst irreparabel zerstört. Wir fressen die Erde leer und hinterlassen eine Spur der Verwüstung – manchenorts wortwörtlich. Aber es steckt noch mehr in der dritten Strophe. Schwärmen kann auch für Begeisterung stehen. Trotz der grauen Welt um sie herum träumen die Menschen noch und hoffen auf Wunder, auf Erlösung vielleicht, einen Lottogewinn, das große Los oder die eine große Liebe. Wir träumen uns weg und fressen doch weiter wie Heuschrecken. Unsere westliche Erziehung hat uns alle gelehrt, dass wir einzigartig seien. Wir alle haben persönliches Glück und Erfüllung verdient, und doch scheinen wir alle die gleichen Fehler zu begehen. Nur selten verstehen wir uns selbst als Teil von etwas Größerem, von der Menschheit oder der Natur. Uns ist der Blick für das große Ganze verloren gegangen. Das ist wohl ein Grund dafür, dass kaum jemand bereit ist, für den Umweltschutz oder die Abwendung des Klimawandels Einschränkungen auf sich zu nehmen. Ich bin einzigartig, ich habe mir das verdient. Und weil so viele so denken, ändert sich wenig. Versucht die Politik, etwas zu ändern, fühlen wir uns in unserer Freiheit und Individualität eingeschränkt. Unsere Einzigartigkeit ist zu häufig eine Tarnung unseres Egoismus’.

Strophe Drei wird mit einem die vorherigen Strophen widersprechenden Doch eingeleitet, das ein Gefühl von Hoffnung aufkommen lässt, welches sich durch die drei Zeilen zieht. Liest man jedoch genauer, wird schnell deutlich, dass es sich um eine falsche Hoffnung handelt, ein künstlich hergestelltes Gefühl, um von der Wahrheit abzulenken. Denn die Wunder, für die die Menschen schwärmen, können keine wahren sein oder wenigstens nicht ihre eigenen. Sie agieren noch immer wie ein Schwarm von Insekten, der gemeinsam in irgendeine Richtung drängt, ohne zu wissen warum. So gelesen, wären sämtliche echten Wunder in Gefahr, bedroht durch die menschliche Heuschreckenplage, die alles in ihrem Weg zerfrisst und dann weiterzieht – wie sie Moden, Künstler oder politische Trends kurz aufnimmt und dann wieder wegwirft und vergisst. Wir sollten unsere wertvolle Einzigartigkeit nutzen, uns umsehen und selbst entscheiden, was wir aus der grundsätzlichen Aussage „Hier läuft doch etwas falsch“ machen.

Ich muss zugeben, dass ich selbst mehr träumerische Naturfantasien im Kopf hatte, als ich den Text verfasste, und weniger eine konkrete Forderung nach mehr Bewusstsein für die eigenen Taten und ihre Auswirkungen auf die Umwelt. Eine Lesart der letzten Strophe, die etwas simpler ist, könnte man formulieren als: Vielleicht sind wir gar nicht so besonders und vielleicht, nur vielleicht, tut uns ein bisschen Demut hier und da ganz gut. Dieser Aussage gibt ein weiteres zivilisatorisches und städtisches Phänomen Rückendeckung: Die Werbung. Werbung ist die Fortsetzung der Propaganda mit anderen Zielen (um mal ein Zitat von Carl von Clausewitz abzuwandeln). Täglich werden wir bombardiert mit Bildern, Farben, Gerüchen und Tönen, die uns dazu bringen sollen, bestimmte Produkte oder insgesamt mehr zu kaufen, und es wirkt. Es wirkt bei jedem von uns. Die Gemüseabteilung im Supermarkt hat einen Fußboden in Holz-Optik, weil wir das mit Natur in Zusammenhang bringen, im Laden läuft Musik, die darauf abgestimmt ist, uns bessere Laune zu machen, die Wege sind so angelegt, dass wir an allen Angeboten vorbeigehen müssen, Geruchsstoffe werden verbreitet, die uns unbewusst Appetit machen, und an der Kasse liegen unumgänglich Kleinigkeiten, die wir betrachten und auf die wir Lust bekommen, während wir brav in der Schlange warten. Dass wir alle mehr oder weniger darauf hereinfallen, zeigt doch, dass wir alle irgendwie gleich sind – ein Dämpfer für unsere absolute Einzigartigkeit. Was mancher als originellen eigenen Gedanken empfindet, hat er vorher hundertfach in Werbespots vermittelt bekommen. Wir sind Produkte unserer Umwelt. Wie gesagt, ich schließe mich keinesfalls aus.

Im Gegensatz zu vielen anderen meiner Gedichte ist Stadt Land Fluss sauber strukturiert in drei Strophen a drei Zeilen, wie eine am Reißbrett entstandene Stadt. Innerhalb der Strophen aber stolpert man hier und da, das Tempo ändert sich leicht, ein Fremdwort wird verwendet und außerdem eine grammatikalische Konstruktion, die man nicht erwartet. Es brodelt in den Städten, denn die Menschen sind noch immer zu einem guten Teil Tiere, die der lockereren Ordnung der Natur folgen und nicht dem strikten Gleichschritt der Zivilisation. Darüber darf man gerne nachdenken.

Schicksal und Terminatoren

Über logische Probleme von Zeitreisen und eine mögliche Philosophie in der Terminator-Reihe.

Neulich dachte ich über die Terminator-Reihe und Zeitreisen nach. Dabei kommt man schnell an den Punkt der Paradoxien. Hier eine gängige: Person X reist in der Zeit zurück, um Geschehnis Y zu stoppen. Geschieht Geschehnis Y nie, wird Person X keinen Grund haben, in die Vergangenheit zu reisen. In dem Fall wird Geschehnis Y nicht aufgehalten werden und entsprechend passieren, weswegen Person X in die Vergangenheit reisen wird, um sie zu verhindern. Ein Loop entsteht und es gibt kein Entkommen.

Im nächsten Part kommen Spoiler. Im neuesten Teil der Terminator-Reihe wird ein Terminator geschickt, um eine Frau zu töten, die in der Zukunft den Widerstand der Menschen organisieren wird. Der entbrennende Kampf, die Leitung und Inspiration der Kämpferin, die zum Schutz zurückgeschickt wird, sowie die Begegnung mit Sarah Connor und einem Terminator aus einer anderen, nicht mehr existierenden Timeline führen dazu, dass die Frau, die getötet werden soll, erst die Skills, Überzeugungen und das Wissen erhält, das sie für ihre spätere Aufgabe benötigt. Das heißt, dass die Zeitreise in die Vergangenheit die Bedingung ist für den Grund der Zeitreise. Wie kann die Zukunft sich selbst bedingen? Ich bin auf eine simple Lösung gekommen, die viel über die Terminator-Reihe aussagt.

Sobald die erste Zeitreise in der Timeline des neuesten Films stattfindet, beginnt der Loop (wohlgemerkt eine andere Art von Loop als ganz oben beschrieben) und die Zukunft bedingt sich in ihrer spezifischen Form selbst. Aber es muss einen Auslöser für die erste Zeitreise des Loops gegeben haben, der nicht durch die Folgen der Zeitreise bedingt sein darf. Dieser Auslöser muss ähnlich dem der weiteren Loop-Durchgänge (falls man das so sagen kann) sein. Die Führerin des Widerstands muss auch ohne die Zeitreisen dazu geworden sein, nur auf anderem Weg. Ist das ein Zufall?

In irgendeiner Star Trek-Folge – fragt bitte nicht, welche Serie und welche Folge, ich habe so viele gesehen – wird die Idee vorgetragen, dass die Zeit sich selbst reguliert. Das ist exakt, was bei Terminator geschieht, und zwar immer. Es gibt einige weitestgehend feste Punkte, die unabdingbar geschehen werden: Judgement Day – menschlicher Widerstand – Zeitreise. Ziel der Menschen in unserer Zeit, also der Vergangenheit aus Sicht der Zeitreisenden, ist es zuvorderst, sich selbst zu retten und dann den Judgement Day zu verhindern. Dies geschieht sogar mehrmals. Skynet wird aufgehalten oder zerstört, aber es gibt immer einen weiteren Film und immer einen neuen Termin für das Ende der Welt, auch ohne Skynet. Es ist, als würde die Zeit ausweichen und sich rekalibrieren: zerstört nicht die eine K.I. die Welt, ist es die andere. Führt nicht ein Mensch den Widerstand, ist es ein anderer. Für die Welt der Terminator-Reihe gibt es also kein Entkommen und gleichzeitig gibt es immer Hoffnung: Die Welt wird enden und wieder auferstehen. Anders kann es nicht sein. Die Logik der Welt verlangt es. (Dass man außerdem immer mehr Filme machen kann und immer mehr Geld verdient, lassen wir mal außen vor.)

Mit der Zeit fühlten sich die Filme immer weniger hoffnungsvoll an. Während es früher darum ging, die Welt zu retten, geht es heute nur noch darum, das Überleben einer Handvoll Menschen nach dem Weltuntergang zu sichern. Doch die Zwangsläufigkeit des Judgement Days war früh gegeben. In Terminator 2 bedingt der Chip des Terminators aus dem ersten Teil die Entwicklung von Skynet und damit die Zeitreise des Terminators. Die Zukunft bedingt sich selbst, was zu den gleichen Überlegungen wie oben führt. Es gibt kein Entrinnen. Nur der Termin kann ein wenig verschoben werden.

Man könnte die festgelegten Punkte, die die Zeit zu verteidigen scheint, mit wichtigen Punkten bei der Planung von Geschichten vergleichen: Man weiß noch nicht sicher, was zwischen den Punkten im Plot passieren wird, aber dass diese Punkte eintreten werden, ist sicher. Damit hätte man ein Konzept der lockeren Schicksalhaftigkeit. Nicht jeder Schritt ist vorbestimmt, aber das Ergebnis bleibt dennoch weitestgehend das gleiche. Das scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein, sowohl den freien Willen als auch die Kausalkette einer Zeitreisegeschichte zu verknüpfen, ohne beidem völlig den Sinn zu nehmen.

Dass freier Wille auch nichts anderes ist als eine enorme Kausalvernetzung, die genau betrachtet wenig frei wirkt, ist insofern irrelevant, als es sich nicht so anfühlt – und am Ende sind es doch Filme und es geht um die Gefühle des Publikums. Jedenfalls bin ich trotz all der vielen Kritikpunkte, die man an den Terminator-Filmen üben kann, besonders an den neueren, ein wenig zufriedener damit, seit ich diese Überlegungen angestellt habe. Gut möglich, dass die Zeitauffassung als zufälliges Nebenprodukt der großen Geldmaschinerie entstanden ist, aber das soll mich nicht weiter stören.

Wie immer bin ich offen für Kritik und Hinweise – habe ich etwas übersehen oder falsch begründet?

Slipknot und die Wahrheit über aggressive Musik

Über Slipknot und die Vorteile aggressiver Musik.

1999 war ich 14 Jahre alt und im gleichen Jahr erschien das erste Album von Slipknot mit Sänger Corey Taylor. Ich hasste die Welt so sehr. Etwa ein Jahr später entdeckte ich Slipknot für mich. Endlich hatte ich nach mehreren Jahren wieder echte Freunde gefunden, die mich ein Stück weit auffingen, aber gerettet war ich noch lange nicht.

Ich erinnere mich, wie ich in jeder Pause am gleichen Ort saß neben meinem besten Freund, der mich noch heute begleitet. Mit dem rechten Ohr hörte ich Slipknot und er mit dem linken. In meiner Erinnerung redeten wir in diesen Momenten wenig bis gar nicht. Die Musik packte mich und ich starrte auf all die Mitschüler, die ich zum Kotzen fand. Aber es lag natürlich nicht an der Musik.

Wenn mal wieder ein junger Mensch durchdreht, wird die Schuld gern auf Videospiele, Filme und auch aggressive Musik geschoben. Doch die Wahrheit ist, dass Jugendliche, die sich von Killerspielen oder Action-Filmen anspornen lassen, um Gewalt zu üben, längst hätten gerettet werden müssen. Zu den beiden Faktoren möchte ich nichts sagen, sondern nur zur Musik. Die Songs von Slipknot zeigten mir vieles, das mir vorher nicht klar war. Meine Wut war nicht meine Schuld, sie war nicht die Ausgeburt eines schlechten Menschen und nicht nur ich spürte sie. Meine Wut wurde mir von außen aufgezwungen und anderen ging und geht es auch so. Jemand hatte Worte gefunden für meine Gefühle, die ich nur stillschweigend in mir kochen lassen konnte (und sie waren so furchtbar kurz vorm Überkochen). Die Worte mochten nicht meine gewesen sein und die Musik war roh, aber beide trafen es auf den Punkt.

Running out of ways to run
I can’t see, I can’t be
Over and over and under my skin
All this attention is doing me in

Fuck it all! Fuck this world!
Fuck everything that you stand for!
Don’t belong! Don’t exist!
Don’t give a shit!
Don’t ever judge me!

Picking through the parts exposed
Taking shape, taking shag
Over and over and under my skin
All this momentum is doing me in!

You got all my love, livin’ in your own hate
Drippin’ hole man, hard step, no fate
Showin’ you nothing, but I ain’t holdin’ back
Every damn word I say is a sneak attack
When I get my hands on you
Ain’t a fucking thing you can do
Get this cuz you’re never gonna get me
I am the very disease you pretend to be

I am the push that makes you move

Slipknot – Surfacing

Erinnert ihr euch, wie Marilyn Manson als das absolut Böse verschrien wurde? Es gab Proteste und Beinahe-Anschläge und so viel Hass gegen ihn wie selten gegen einen Künstler. Und warum? Er war angepisst von der Welt und sprach damit Hundertausenden aus der Seele. Über Manson werde ich sicherlich auch noch mehr schreiben, aber hier soll es ja um Slipknot gehen. Bei ihnen war es im Grunde das selbe, nur mit etwas weniger oder anderer Öffentlichkeitswirkung. Solche Musik (und auch andere Kunstformen, die diese geballte Wut und Traurigkeit ausdrücken) haben nicht nur eine Existenzberechtigung, sondern sind ein unumgängliches Muss, beinahe eine Verpflichtung. Wir sind nicht alle gemacht für die glatt gebügelte und ewig beruhigende Pop-Welt.

Aggressive Musik hat mir nicht nur gezeigt, dass ich nicht allein und gestört bin, sondern schenkte mir auch ein Ventil. Ich habe mehrmals darüber geschrieben und werde es wohl noch häufiger tun. Die Energie, die nicht sanft herausgelockt, sondern brutal gegriffen und an die Oberfläche gerissen wird, kommt endlich raus. Ich erinnere mich, wie ich mitgeschrien habe, wie ich zitterte vor Wut und Aggression, wie ich herumsprang, headbangte, pogte und plötzlich – endlich! – für Momente befreit war. Kein Ritzen und keine Verbrennungen gaben mir diese Art von Erlösung.

Die Teenager-Jahre sind prägend fürs Leben, denke ich. Heute bin ich nicht mehr der Junge von damals, aber irgendwie eben doch. Mir geht es zum Glück sehr viel besser, aber noch heute brauche ich Musik, die wehtut und mich zwingt, die Wut auf gesunde Weise herauszulassen, Musik, die mir zeigt, dass es anderen auch so geht.

Clown von Slipknot sagte vorletztes Jahr in einem Interview: I don’t need the new fan, I need the fan that has anxiety, parents are getting divorced, social problems, gender problems — I need them to come […] und das ist mir im Gedächtnis geblieben. Sie sind sich ihrer Bedeutung bewusst trotz allem Erfolg und allen Geldes. Ich habe entschieden, das nicht für reine Publicity zu halten. Dieses Interview ist 19 Jahre nach Erscheinen des ersten Albums gegeben worden. Ich mag das meiste ihrer Musik, aber dieses erste Album hat immer eine besondere Bedeutung behalten. Es war roh und brutal und genau das, was ich damals dringend brauchte. Natürlich gab es andere aggressive Musik, Slayer usw. Aber Slipknot fühlten sich echter an, ehrlicher. Ich halte das für einen wichtigen Faktor und ich rede nicht vom albernen Attribut, das Metalheads gerne als true bezeichnen. Es fühlte sich an, als wären sie genau so wütend wie ich.

Und wie beende ich den Artikel jetzt? Ich habe wohl mehr offenbart, als ich eigentlich wollte. Heute würde ich mich nicht mehr als Fan der Band bezeichnen, aber ich betone es noch einmal ganz deutlich: Slipknot und andere aggressive, deprimierende, abgefuckte und verstörende Bands haben eine Berechtigung und eine wichtige Aufgabe. Sie holen diejenigen ab, die von allen anderen zurückgelassen worden sind. Musik ist für dieses emotionale Abholen wohl am besten geeignet, aber auch andere Kunstformen sollten offen dafür sein und als Autor ist es auch meine Hoffnung, dass ich Menschen anspreche, die sich in meinen Werken wiederfinden und ein klein wenig verstanden fühlen. Erschafft, was euer Herz von euch verlangt, und passt euch nicht an für möglicherweise größere Erfolgschancen! Dann klappt das schon.

Sorck: Ein Witz

Über einen Scherz im Roman “Sorck”.

Allen voran bebte eine rotgesichtige Nixe, deren Abendkleid eine Eleganz ausstrahlte, als habe Dädalus persönlich es für eine Liebesnacht der Parsiphae gefertigt.

Klingt das nicht elegant? Falsch. Frischen wir mal ein wenig das allgemeine Mythologie-Wissen auf:

Parsiphae war die Gemahlin des Königs Minos von Kreta. Minos hatte es gewagt, den von Poseidon geschaffenen heiligen Stier nicht als Opfergabe zu verwenden, sondern ihn zum Zuchtbullen zu machen und seine Herde zu optimieren. Als Strafe hat Poseidon dafür gesorgt, dass Parsiphae auf den Stier steil ging, also sich verliebte. Da Dädalus (oder Daidalos) – ihr wisst schon, der Vater von Ikarus … die Sache mit den Flügeln und der Sonne – der Hoferfinder auf Kreta war, bat Parsiphae ihn, ihr ein Gestell zu basteln, damit der Stier sie besteigen konnte. Das tat er natürlich. Die Königin ließ sich vom Stier begatten, sie gebar den Minotaurus und Dädalus hatte wieder einen Auftrag: Das Labyrinth zu bauen, in dem der Minotaurus zu leben hatte.

Die Eleganz des Kleides der Dame in meiner Szene hatte also die einer Stier-Attrappe. Das fand ich mal witzig, bis ich den Witz hier eben erklärt habe. Vielleicht sollte man manches unangetastet lassen. Aber wenn wir schon dabei sind, kann ich den Artikel auch fertigstellen.

In Sorck befinden sich etliche mythologische Bezüge, die meisten davon weniger albern als dieser. Wieso habe ich das gemacht? Einerseits finde ich die Welt der Mythologie ausgesprochen interessant. Die Geschichten sind häufig aufgeladen mit Moral und tieferer Bedeutung, sie sind bunt und spannend und zeigen oft eine Suche nach Erklärungen auf, die man zur damaligen Zeit einfach nicht ohne göttlichen Beistand finden konnte. Beispielsweise gibt es die Geschichte, dass der Sohn des Sonnengottes dessen Wagen mit den Feuerrössern ausprobieren wollte, die Pferde nicht unter Kontrolle bekam, zu tief flog und damit die Bewohner des afrikanischen Kontinents für alle Zeit verkohlte und sie deswegen dunkelhäutig sind. Aus heutiger Sicht ist das natürlich Quatsch, aber es ist immerhin ein Erklärungsansatz und zeigt, dass sich die Menschen schon immer fragten, wieso die Dinge so sind, wie sie sind. Die meisten Geschichten sind jedoch moralischer Natur.

Ein anderer Grund für die mythologischen Bezüge ist auf ein philosophisches Werk zurückzuführen, für das wiederum ein mythologischer Bezug als Kern gewählt worden ist: Der Mythos des Sisyphos von Albert Camus. Camus vergleicht das Leben mit der endlosen und ewigen Aufgabe des Sisyphos, der im Totenreich einen schweren Stein einen Berg hinauf zu schieben hatte. Immer, wenn er oben angelangt war, rollte der Stein auf der anderen Seite wieder hinab und die Aufgabe begann von vorn. Allerdings hat Camus die scheinbare repetitive Hölle dieses Mythos umgedeutet und keineswegs argumentiert, dass das Leben unerträglich sei, sondern lediglich vollkommen sinnlos oder, wie er es schreibt, absurd. Alles, was wir tun, endet mit dem Tod und dieses Ende spricht dem Leben jedweden höheren Sinn ab. Alles ist vergebens. Die Einsicht der Absurdität des Lebens lässt der einsichtigen Person drei Reaktionen:

  1. Der logische Selbstmord.
  2. Flucht zu einer höheren Macht, um Sinn in einer anderen Instanz zu finden.
  3. Ersatzsinn.

Wem kommt das bekannt vor? Wer schon ein bisschen mehr von mir gelesen hat, weiß, dass ich Weg Nummer 3 gewählt habe und Literatur an die Stelle eines mangelnden echteren Sinnes gesetzt habe. Martin Sorck geht im Prinzip die 3 Stationen ab und die Flucht zum Glauben ist nicht nur durch die Kirchen repräsentiert, die er besucht, sondern eben auch durch die Bezüge zu den Götter- und Halbgöttergeschichten der griechischen, slawischen und nordischen Mythologie.

Jetzt bin ich weit abgekommen von einem Witz, aber macht das nicht einen guten Gag aus? Dass mehr dahinter steckt, als man annehmen würde? Nachdem ihr etwas Witziges lesen wolltet, habt ihr am Ende Sachen gelernt. Das finde ich witzig.

Über die Betrachtung von Schönem

Unter welchen Umständen erscheinen uns Dinge schön?

In diesem Blogeintrag möchte ich einen Gedanken entwickeln, der mir während einer Zugfahrt gekommen ist. Ich habe bisher selbst noch keine klare Antwort gefunden, aber um diese Frage soll es gehen: Hat die Wertschätzung von Schönheit (und der Begriff ist recht weit gefasst und absichtlich nicht klar definiert) auch in deutlicher Weise mit dem Entstehungsprozess des Betrachteten zu tun?

Man könnte mit einem Beispiel anfangen: Jemand betrachtet ein Bild und findet es schön. Die Person weiß nichts über die Entstehung des Bildes, nicht wer es erstellt hat, wie viel Arbeit darin steckt oder welcher Gedankengang der Entstehung zugrunde lag. Man könnte meinen, damit sei meine Frage bereits beantwortet. Jemandem gefällt ein Bild, ohne den Entstehungsprozess zu kennen. Allerdings wird diese Person (und vermutlich auch die allermeisten von Euch) davon überzeugt sein, dass das Bild von einer anderen Person erstellt worden ist und zwar mit Absicht. Damit interpretiert man bereits und geht von einem bewussten Prozess aus, vielleicht einer Intention, nach der man sucht, oder einfach einem talentierten Blick für das Schöne seitens der Person, die das Bild erstellt hat. Das Bild könnte allerdings auch von einem Computerprogramm (und entsprechend ohne Intention oder eigentlichen Willen) erstellt worden sein oder schlicht ein Zufallsprodukt sein (wenn wir beispielsweise an Fotos denken). Ändert sich dadurch die Auffassung, die man vom Bild hat? Noch wichtiger wäre die Frage: Beeinflusst die Information, dass es durch eine kalte Berechnung und einen Klick oder durch Zufall entstanden ist, von vornherein das Verhältnis zum Bild?

Wissen wir, dass etwas Schönes von einem Künstler/einer Künstlerin erschaffen worden ist, denken wir (ob unbewusst oder bewusst) an die vielen Arbeitsstunden, die darin stecken, und vielleicht an ein künstlerisches Genie, das nur wenige Auserwählte besitzen. Eine Geschichte, die von einem Programm erstellt worden ist, oder auch ein Bild, das keinen menschlichen Ursprung hat, entbehrt jeder absichtlichen Tiefe und jede vermeintliche Interpretation wird zur reinen Spielerei. Wir würdigen also die Arbeit und die Gedanken hinter der Kunst gleich mit, wenn wir die Kunst selbst würdigen. In manchen Fällen könnte man streiten. Ein gelungenes Foto von der Natur oder anderen Motiven benötigt möglicherweise mehr technisches Geschick als künstlerisches Denken, aber ohne einen geschulten und aufmerksamen Blick für das Faszinierende und Schöne geht es auch nicht. Schießt also Max Mustermann unter 2000 Bilder mit seinem Smartphone auch eines, das zufällig sehr gelungen ist, hat es für uns doch anderen Wert als das gleiche Bild, nach dem lange gesucht und mit künstlerischem Auge gefunden worden ist.

Als Autor fällt mir schnell ein weiterer Streitpunkt ein. Unterstellen wir nicht häufig Büchern, die in wenigen Wochen oder am Fließband entstehen, eine geringere Qualität als Werken, an denen Monate oder Jahre gearbeitet worden ist? Wir beurteilen in dem Fall also nicht das Werk, sondern den Entstehungsprozess, und verurteilen das Werk dann gleich mit.

Der Punkt der Fotografien bringt uns wiederum schnell zu den Objekten dieser Kunst. Die Natur kann ohne Frage schön sein und ästhetischen Genuss verschaffen, ohne dass ein bewusster Prozess hinter ihr steht – jedenfalls sehe ich das so, da ich kein gläubiger Mensch bin. Was uns aber während der Betrachtung schöner Naturphänomene ebenfalls fasziniert, ist eben, dass sie aus einem kaum erfassbaren Zufallsprozess entstanden sind. Kaum zu glauben, dass die Natur so etwas schaffen kann, geht es uns durch den Kopf. Dies könnte die Grundlage sein für manche theosophischen und philosophischen Betrachtungen, die vom Blick auf die Natur auf ein intelligent design schlossen und damit auf Gott. Damals schien es den Menschen unmöglich, dass beispielsweise das menschliche Auge planlos entstanden sein könnte. Und da es für uns noch immer kaum fassbar erscheint, können wir dermaßen überwältigt sein von der Schönheit der Natur. Auch hier spielte also der Entstehungsprozess in die Bewertung des Schönen mit hinein.

Gehen wir davon aus, dass ich mit dem Punkt rund um die Natur recht hätte, und auch damit, dass wir Zufallsprodukte als weniger wertvoll einstufen würden als bewusst entstandene Werke. Wie sieht es dann aus mit der Schönheit, die durch die Kombinationen bewusster und zufälliger Prozesse herbeigeführt worden ist? Oder noch besser: Wie sieht es aus, wenn die bewusst erstellten Dinge innerhalb dieses Rahmens eigentlich hässlich sind, der Zufall und die Kombination sie aber im Ganzen schön erscheinen lässt? Dabei denke ich beispielsweise an ein Stadtbild, das über viele Jahrzehnte wuchs und viele Architekturstile zusammenbringt. Deutlicher erscheint es mir aber bei Bahnhöfen (wohl auch, weil der Ursprung des Gedankens bei einer Zugfahrt entstand). Wir haben Gleise, die ohne künstlerische Intention verlegt worden sind, dazwischen Gewächse, die die Natur zufällig dazwischen gestreut hat, Waggons, die verrosten, und unzählige Graffitis – meist Bombings und Tags, also keine großangelegten Bilder. Alle Details sind für sich genommen unschön, aber im zufälligen Zusammenspiel können sie einen ästhetischen Reiz haben. Das Zusammenspiel ist also entscheidend und vielleicht sogar das paradoxe Phänomen aus so viel Hässlichkeit eine Form von Schönheit machen zu können. Sofern die zweite Annahme valide sein sollte, spielte wieder der Entstehungsprozess mit hinein.

Graffitis sind übrigens generell ein guter Ansatzpunkt für den Gedanken. Gehen wir diesmal von Street Art aus. Fans dieser Kunstform betrachten sie eben auch als Kunst, während ihre Gegner eher auf den Faktor der Sachbeschädigung pochen. Die Gegner sprechen Street Art die Definition als Kunst ab und werden in den wenigstens Fällen sich und ihrer Umwelt eingestehen, dass die Bilder, auf die sie fluchen, wirklich schön sind. Hier merkt man eindeutig die Einbeziehung der Entstehung in die Wertschätzung. Ist Banksy ein Künstler oder ein Verbrecher? Er ist beides und das macht ihn so spannend, denke ich.

Am Ende habe ich vielleicht zwei Dinge zusammengemischt, die ich hätte trennen sollen, die aber bei genauerer Betrachtung auch beim Genuss von Schönheit selten getrennt werden. Das eine ist der reine Genuss am Schönen und das andere die Bewertung dessen, was man genießt. Schließlich geht es also um Wertzuschreibungen, die sich in den puren Genuss mischen. Ist das unser kapitalistisches Denken? Etwas ohne höheren Wert darf nicht als schön betrachtet werden? Lange Zeit war die Schönheit der Natur nicht so viel wert wie der Nutzen einer Fabrik oder eines Wohnhauses. Wir haben für monetäre und gesellschaftliche Werte (was oft genug das Gleiche war) die Natur zerstört. Inzwischen hat sie leider auch noch einen Seltenheitswert bekommen. Dieser Gedanke bringt uns allerdings vom Thema ab.

Ich habe noch immer kein klares Ergebnis für mich gefunden. In Fragen der Kunst jedweder Fasson denke ich schon, dass der Entstehungsprozess einen eigenen Wert hat, der den Kunstgenuss noch steigert. Bei den anderen Punkten weiß ich es einfach nicht. Es könnte an der fehlenden Definition von Schönheit liegen. Was meint Ihr?

Wie funktioniert Interpretation?

Welche Vorgänge stehen hinter einer Interpretation?

(Eines vorweg: Dies ist keine Anleitung für korrekte Interpretationen und nutzt niemandem, der gerade nach Hilfe bei den Hausaufgaben sucht.)

Durch das Buch, das ich gerade lese (Hans-Joachim Maaz: Das falsche Leben), kam ich auf ein paar interessante Gedanken und Fragen. Zunächst dachte ich, dass ich die bildlichen Vergleiche in der Psychoanalyse hochinteressant finde, aber ich frage mich, inwiefern sie zutreffend sind oder sein können. Asthma als Erkrankung, die anzeigen soll, dass man sich erdrückt fühlt und einem die Luft zum Atmen in einer Beziehung (z.B. zu den Eltern) fehlt, klingt spannend, aber scheint mir völlig unbeweisbar oder wenigstens auf einen Glauben an einen Verstand hinzuweisen, der selbst bildhaft denkt und reagiert. Von den Thema habe ich allerdings zu wenig Ahnung, um es ernsthaft bewerten zu können. Mir kam durch diesen Gedanken jedoch die Idee, dass diese Vergleiche und dieses bildhafte Denken der literarischen Interpretation recht nahe zu stehen scheint.

Vor einer Weile habe ich Michael Leuchtenbergers Geschichte Das Archiv interpretiert (Hier geht es zum entsprechenden Artikel: Alte Akten und wilde Spekulationen). Diese scheint mir noch immer passend zu sein. Aber wie funktioniert eine Interpretation? Warum erscheint es logisch, Akten als Erinnerungen zu verstehen?

Für ältere literarische Epochen gibt es schon lange gewisse Regeln, um Texte zu verstehen. Dabei denke ich beispielsweise an die blaue Blume in der Romantik, die für Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen steht laut Wikipedia (und vielen anderen Quellen). Kennt man eine solche Regel und weiß, dass sich die Autor*innen der Romantik sich daran gehalten haben, fällt eine Interpretation erheblich leichter. Jedoch muss irgendwer auf die Idee gekommen sein, dass eine farbige Pflanze für innere Vorgänge stehen könnte. Wie kann das sein? Wie und wieso ziehen wir Parallelen zwischen derart unterschiedlichen Dingen?

Zunächst mal sollte klargestellt werden, dass ich diese Fragen nicht stelle, weil ich sie beantworten kann, sondern weil ich sie mich beschäftigen. Mit Texten wie diesem hier versuche ich selbst schreibend und denkend mögliche Antworten zu entwickeln. Es handelt sich um einen schreibenden Denkprozess. Wo sind also die Verbindungen und warum erscheinen sie mir logisch? Eine mögliche Lösung könnte in einem erweiterten Blickwinkel gefunden werden. Eine Akte beziehungsweise das Wort allein kann noch nicht legitim mit einer Erinnerung gleichgesetzt werden, auch wenn man Erinnerungen als Daten im Gehirn bezeichnen könnte und Aktenordner physisch festgehaltene Daten beinhaltet. Trotzdem wäre es zu weit gegriffen, jede Erwähnung von Akten(ordnern) in der Literatur als Erinnerungen zu interpretieren. Es ist bloß eine einzelne Assoziation. Man muss selbstverständlich die gesamte Geschichte betrachten und Konstellationen oder Ansammlungen ähnlicher Assoziationen sammeln. Die Mischung aus dem Abstieg in einen Keller, alten Akten, einem traumatisierenden Erlebnis und einer erwähnten Psychotherapie bildet ein Netzwerk aus Vorkommnissen, die alle in die gleiche Richtung interpretiert werden können. Hinzu kommen manchmal Schlagworte oder Hinweise innerhalb des Textes (hier der Vergleich zwischen Zeitschriften, die neben den Akten gefunden werden, und Erinnerungen). Dieser Hinweis ist ziemlich deutlich und erzwingt die Interpretationsrichtung schon beinahe, wirkt aber nur aufgrund der Einbindung in das erwähnte Netzwerk.

Damit ist aber noch immer nicht geklärt, wie es grundsätzlich möglich ist, derartige Vergleiche und Assoziationen zu finden. Wahrscheinlich benötigt man zur Beantwortung der Frage erheblich mehr Wissen in Fachbereichen, von denen ich keine Ahnung habe: Psychologie, Neurologie etc. Ich vermute aber, dass man die Bilder in Texten und die Dinge, die sie bedeuten (können), auf gemeinsame Nenner herunterbrechen kann, wie ich es weiter oben mit der Verknüpfung Erinnerungen/Akten – Daten gezeigt habe. Ist das aber bei (scheinbar?) Abstrakterem ebenfalls möglich? Wo ist die Schnittstelle von blauen Blumen und Sehnsucht? Man müsste beide Elemente der blauen Blume untersuchen: Farbe und Pflanze, also Eigenschaft und Gegenstand. Blau könnte als dunkle Farbe durch ihre Nähe zur Nacht ein Hinweis auf Melancholie sein, einem Gefühl, das als Anteil der Sehnsucht betrachtet werden könnte. Eine Blume wiederum ist schön, zerbrechlich und vergeht zwangsläufig. Die Schönheit der Pflanze kann als Bezug zum Objekt der Liebe (einer schönen Frau/einem schönen Mann) verstanden werden, ihre Zerbrechlichkeit mit der Gefahr (oder eingetretenen Situation) eines Endes einer Beziehung und ihr Vergehen im Zusammenhang mit dem Tod und damit einer Nachwelt oder einem transzendenten Zustand. Ohne weitere Hinweise durch ein Assoziationsnetzwerk wirkt diese Interpretation allerdings bei den Haaren herbeigezogen.

Mir ist bewusst, dass es professionelle Arbeiten zu allen erwähnten Themen gibt oder geben müsste, aber mir ist es wichtig, selbst auf derartige Erkenntnisse zu kommen, damit sie besser erinnert und möglicherweise angewandt werden können. Fassen wir also zusammen, was ich glaube herausgefunden zu haben: Die Interpretation von Literatur setzt voraus, dass interpretierte Details auf einen Punkt heruntergebrochen werden können, die sie mit etwas Anderem teilen, um eine neue Bedeutung anzunehmen, und in einer Netzwerk ähnlich zu verstehender Details Bestätigung der neuen Bedeutung finden.

Mir scheint diese von Assoziationen und Bildern getragene Denkweise urmenschlich zu sein. Mit Hilfe von Geschichten können wir Erinnerungen bewiesenermaßen besser verarbeiten und speichern. Denken wir beispielsweise an die Aborigines, die das Land mit Geschichten überzogen haben und sich niemals verlaufen. Denken wir außerdem an die Ursprünge jeder Religion, die in der Zuschreibung von Bedeutungen von Naturerscheinungen liegen, oder einfach an die Art und Weise, wie wir uns an unser Leben und unsere Erlebnisse erinnern: in Form strukturierter Geschichten, die nicht selten Sinn zuschreiben, wo eigentlich bloß Geschehnisse und Zufälle geherrscht haben. Ich finde es faszinierend, dass man literarisches Verständnis auf so tiefem Level mit dem menschlichen Denken und Sein zusammenbringen kann. Damit wäre Literatur eine Ausprägung eines Aspekts unseres Daseins, was mal wieder ihre Bedeutung unterstreicht. Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden.