Podcast: Das Maurerdekolleté des Lebens

Oder:

https://laurasattelmair.podigee.io/7-maurerdekolletedeslebens

Vor Kurzem wurde die Erzählung Das Maurerdekolleté des Todes im Podcast Sieerzählt von Laura Sattelmair vorgestellt. Nun gibt es auch die Schwestererzählung Das Maurerdekolleté des Lebens dort zu hören. Wie bereits im Eintrag zur ersten Geschichte erwähnt, handelte es sich eigentlich um die als zweites geschriebene, während Das Maurerdekolleté des Lebens die erste Erzählung war. Im Folgenden wird es etliche Spoiler geben, also empfehle ich, zuerst den Podcast zu hören und erst dann weiterzulesen. Sieerzählt findet man außerdem auf Spotify, Soundcloud und iTunes.

Nicht erst seit einer entsprechenden Vorlesungsreihe während des Komparatistik-Studiums bin ich fasziniert von Labyrinthen in Erzählungen sowie labyrinthischen Konstruktionen von Erzählungen selbst. Neben Jorge Luis Borges fällt dem interessierten Leser bei diesem Thema natürlich sofort Kafka ein. Dass ich mich ein wenig an Zweiterem orientiert habe, kann ich wohl kaum abstreiten und sehe auch keinen Grund dazu. Spätestens mit dem Ladenbesitzer K. wird es wohl offensichtlich. Mein erster Gedanke zur Namensgebung des Ladenbesitzers war übrigens: Name einer Figur aus Der Prozess. Der zweite Gedanke: Kafka benannte seine Figuren im Grunde alle nach sich selbst. Genommen habe ich K. als Namen trotz des kürzeren Weges von der Bezeichnung zum Ursprung dennoch, obwohl dieser Aspekt dadurch wenig labyrinthisch ist.

Der Titel dieser Erzählung machte mir einige Mühe. Er sollte aus dem Umfeld der Baustellenthematik stammen und idealerweise mehrdeutig sein. Also probierte ich viel herum, spielte mit dem Wort unbefugt (beziehungsweise befugt) in etlichen Varianten (beispielsweise Nur für Befugte in Anlehnung an das Schild Nur für Verrückte aus Hesses Der Steppenwolf), stolperte über einige andere Möglichkeiten wie Nicht unter schwebende Last treten (was mich an den Titanen Atlas erinnerte) oder Ausweg Tag und Nacht freihalten, aber fand an all dem wenig Freude. Am Ende dachte ich mir schlicht, dass Theo ziemlich am Arsch ist. Das führte zum Maurerdekolleté des Lebens (auch in Anlehnung an den Ausdruck Am Arsch der Welt, da Theo eben auch durch die Eingeweide der Baustellenwelt kriecht).

Auslöser der langen Gedankenkette, die schließlich in Das Maurerdekolleté des Lebens uferte, war eine Baustelle, die direkt vor meiner Tür dafür sorgte, dass eine neue Ampelschaltung implementiert wurde, die wiederum an verdreifachten Wartezeiten schuld war. Innerhalb des Entstehungsjahres war dies die vierte Baustelle dort. Vermutlich war also ein Teil von mir einfach genervt und wollte meckern. Das ist natürlich nicht alles. Ein wichtiges Element der Geschichte ist die Orientierung und die Suche nach dem richtigen Weg. Mein eigener Orientierungssinn ist so gut wie nicht existent und gerade betrunken habe ich mich in meinem Leben bereits unzählige Male verlaufen. In einem Fall landete ich nach der Entscheidung für eine Abkürzung etwa 45 Minuten später wieder am Startpunkt der vermeintlichen Abkürzung. Ich habe also passende Erfahrungen aus erster Hand. Besonders Theos Pausen, um seine Abweichungen vom Weg zu registrieren, was ihm zunehmend schwerfällt, können über meine Erinnerungen hinaus als Rückblick aufs Leben und auf begangene Fehler gelesen werden. Also im Sinne von: was muss ich ändern und welche Fehler darf ich nicht nochmal begehen, um wieder auf die richtige Spur zu kommen? Oder auch: Welche Schritte in meinem Leben würde ich im Nachhinein ändern, wenn ich es könnte?

Vorhanden war also das Bild einer Baustelle, die viele Umleitungen mit sich bringt und den Protagonisten nicht dort ankommen lässt, wo er hin möchte. Sein Ziel war für mich von vornherein zweitrangig. Es ist ein Ziel und das reicht. Ursprünglich sollte es um das Gefühl gehen, gefangen und wehrlos, einer anonymen Apparatur unterworfen zu sein – einem pervertierten Mechanismus. Das klingt doch bereits nach Kafka: ein wenig bekanntes Ziel, das nicht erreicht werden kann, und jede Menge Frustration obendrauf. Daraus folgte fast zwangsläufig die Idee eines Labyrinths oder Irrgartens. Ich nannte den Protagonisten übrigens Theo nach Theseus, der ebenfalls in ein Labyrinth zur Arbeit ging. Allerdings wusste er vorher vom Ort seines Unterfangens und schaffte es auch wieder heraus.

Insgesamt ist aus der Ursprungsidee schnell eine größere Allegorie geworden. Wiederum, wie ich es ja gerne mache, mit etlichen versteckten Kleinigkeiten, die alle ihre Bedeutung haben. Nicht immer bedenkt ein*e Autor*in all das, was die Leserschaft in den Text hineininterpretiert, aber häufig steckt auch mehr darin, als Leserinnen und Leser bemerken. Grundsätzlich sollte man Autor*innen so weit vertrauen, dass sich das, was geschrieben wurde, absichtlich und geplant entwickelt hat, und eventuell überflüssig scheinende Details eben nicht überflüssig sind. Derartig erscheinende Parts sollte man möglicherweise länger durchdenken. Ich jedenfalls bilde mir ein, dass ein großer Teil der Qualität meiner Texte in Details steckt und diese bei einer flüchtigen Lektüre leicht übersehen werden können – oder, was eben noch schlimmer ist, für Fehler gehalten werden.

Neben der Erzählung selbst ist wohl auch dieser Eintrag etwas labyrinthisch geworden. Das ist schon recht passend und wird deswegen so bleiben.

Hier nochmal der Link zum Eintrag zur Schwestererzählung Das Maurerdekolleté des Todes.

Sorck: Die Dachbodenszene

Achtung: Spoiler! Die Szene, die ich besprechen werde, verrät wenig über den Plot. Wer aber den gesamten Roman frisch und ohne jeden Hinweis kennenlernen möchte, sollte nicht weiterlesen.

Protagonist Martin Sorck entdeckt auf dem Schiff eine Leiter und steigt sie hinauf. Er stößt eine Luke auf und entdeckt einen Dachboden, bleibt aber auf der Leiter stehen, anstatt hineinzusteigen. An einer Wand hängen Bilder, gegenüber ist eine Holzplatte mit Notizzetteln an gelehnt. Kurz gefasst: Martin sieht sich um, wird von der Angst gepackt und flüchtet.

Wer bis zu dieser Szene gelesen hat, weiß, dass sich der Roman nicht treu an der Realität orientiert. Allerdings kann man immer die Frage stellen, wessen Realität man denn nun meint. Was Martin Sorck auf dem Dachboden, den es so sicherlich auf keinem Kreuzfahrtschiff geben wird, entdeckt, ist eine Erkenntnis, die für ihn verboten ist. Er sieht mein Arbeitszimmer, in dem seine Geschichte entstanden ist. Der Raum ist verstaubt und verlassen, denn das Buch ist fertig und diese Version des Zimmers existiert nicht mehr, aber dennoch ist es der gleiche Raum, in dem ich jetzt gerade sitze. Es gibt mehrere Gründe für die Szene und ihre Positionierung im Buch. Den Dachboden findet Martin, während er durch labyrinthische Gänge irrt. In der Mitte des Labyrinths wartete schon immer das, was die Besucher finden oder die Erbauer einsperren wollten (z.B. der Minotaurus). Betrachten wir es von beiden Richtungen aus: Sorck sucht eine Bar in der Szene, aber eigentlich sucht er Erkenntnis und mehr noch Lebenssinn, notfalls Gott. Aber es ist für einen Menschen nicht möglich, einen höheren Sinn zu erkennen, Gott zu beweisen (das Gegenteil logischerweise auch nicht) oder das System vollends zu verstehen, dessen Teil er ist. Martin Sorck findet in dieser Szene Antworten auf alles, was er wissen möchte: Woher kommt er? Wieso ist er, wie er ist? Warum muss er all das durchstehen? Wie wird es enden? Wie fing es an? Aber versteht es nicht und er flieht. Er denkt nicht mehr an das Zimmer zurück, vergisst es schnell wieder, kann nichts damit anfangen und fürchtet sich davor. Die Erkenntnis, vor der er stand, ist zu groß für ihn. Würden wir in Gottes Werkstatt blicken, bekämen wir Angst und auch verstünden nicht mehr. Aus der anderen Richtung betrachtet: Was verstecke ich im Zentrum des Labyrinths, also im Kern meiner Geschichte? Mich selbst natürlich. Ich bin der Monster, das in der Mitte lauert. Was für mich Gott wäre, bin für Martin Sorck ich. Auch an anderer Stelle habe ich Hinweise auf Schöpfungsmythen eingestreut, um die Verbindung von Kreativität und Schöpfung darzustellen. Die Verbindung zwischen Sorck und mir geht immer in zwei Richtungen. Martin Sorck sucht einen Lebenssinn, während das Schreiben (und damit die Schöpfung Martin Sorcks) für mich einen Lebenssinn darstellt. Die Götter erschaffen die Menschheit, um angebetet zu werden, um sich selbst zu bestätigen und um etwas zu tun zu haben. Auch ohne diese Szene wären die Realitäten unentwirrbar verknüpft. Die Erschaffung der fiktiven Realität beeinflusst meine eigene. Veränderungen in meiner Realität beeinflussen die fiktive. Es ist ein ständiges Spiel. Die Dachbodenszene betont diesen Aspekt. Irgendwann erkläre ich ein Werk für abgeschlossen und ich beeinflusse es nicht weiter. Ab dem Zeitpunkt beginnt es, anderen zur Verfügung gestellt, weitere Menschen meiner Welt anzusprechen, deren Reaktionen mich wieder angehen. All diese Einflüsse kommen im nächsten Werk zusammen und endlos immer so weiter. Eine Welt wird erschaffen, die untrennbar mit der über ihr stehenden Ebene oder Welt in Verbindung steht. Ultimativ wird dadurch eine neue und bessere Welt entstehen.

Die Vorstellung, dass ich als Erschaffer wie eine Spinne im Zentrum der Geschichte sitze, gefällt mir. Auch wenn ein Werk nichts über die Autorin oder den Autoren aussagen soll, tut sie es dennoch. Immer dreht sich eine Geschichte um die Person, die sie erfindet. Ich saß lange in dem Dachbodenzimmer im Zentrum von Sorck und ein Teil von mir wird immer dort bleiben, aber die neue Version von mir, die aus Sorck gelernt hat, spinnt längst ein neues Netz.

Ist der Gedankengang abstrus und wird daher den wenigsten Leser*innen auch nur entfernt bei der Lektüre in den Sinn kommen? Ja, natürlich. Aber es ist doch so: Was ich schreibe und sagen will, ist meine Sache. Was ihr versteht und für euch mitnehmt, ist eure.

Eine Leseprobe des Romans gibt es hier: Sorck: Leseprobe

Einen ausführlicheren Artikel findet ihr hier: Sorck – Unsortierte Infos zum Debütroman

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Bestellen könnt ihr Sorck auf Amazon (Taschenbuch | Ebook)

Alternativ ist es möglich, das Taschenbuch direkt bei Twentysix oder im Autorenwelt-Shop zu erwerben.

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Sorck: Rauschmittel

In Sorck wird nicht wenig getrunken und auch andere Rauschmittel kommen vor. Hier möchte ich einige Gedanken zu Alkohol und Drogen in der Literatur loswerden. Zuallererst sollte jedoch angemerkt werden, dass Rauschmittel in der Literatur und auch sonst nicht unnötig verherrlicht werden sollten. Außerdem hilft es vielleicht meiner Glaubwürdigkeit, wenn ich vorab zugebe, dass ich in meinem Leben eine ganze Menge (um nicht zu sagen zu viele) Erfahrungen mit Rauschmitteln gemacht habe.

Eine positive Darstellung des Rausches an sich betrachte ich noch nicht als Verherrlichung. Es steht wohl außer Frage, dass sich ein gelungener Rausch gut anfühlt. Sonst gäbe es ein sehr viel kleineres Suchtproblem. Wichtig ist aber, dass auch die Kosten für einen solchen Rausch beschrieben werden. An einer Stelle ist das in Sorck umgesetzt: großer Rausch, hohe Kosten. Auf Details der Behandlung des Suchtmittel-Themas im Roman gehe ich an dieser Stelle nicht ein, werde es aber noch nachholen, wenn ausreichend Zeit seit der Veröffentlichung verstrichen sein wird.

In der Literatur werden Bestandteile der Handlung häufig mit Hintergedanken (z.B. als Symbole) eingesetzt oder als Interpretationsansatz angeboten. Die Verwendung von Rauschmitteln innerhalb einer Geschichte kann die Quelle einer Vielzahl von daraus resultierenden Lesarten sein. Natürlich kann schlicht das Thema Sucht besprochen werden, was ich persönlich als legitim und sogar wichtig empfinde. Der nächste Schritt wäre, von Sucht zu Abhängigkeit allgemein zu springen. Kann beispielsweise der Genuss (besser: Konsum) von Rauschmitteln in einem bestimmten Kontext ein Hinweis sein auf eine abhängige, ungesunde Beziehung (Figur A schreit, Figur B trinkt Wein)? Sind die Drogen in Brave New World auch als Symbol der Abhängigkeit der Bürger vom Staat und dadurch der beinahe uneingeschränkten Kontrolle des Staates über die Bürger zu interpretieren?

Es kommt natürlich auf die Ausmaße, Regelmäßigkeit und die Wirkung der Drogen an, wenn es um eine tiefere Analyse geht. Das tägliche triste Feierabendbier, das ohne Rausch und gewohnheitsmäßig konsumiert wird, eignet sich als unterschwelliger Hinweis auf Abhängigkeit, aber besser auf schlechte Gewohnheiten im Allgemeinen und noch besser als Symbol für Abgestumpftheit und Fatalismus. Die von der Werbung verkaufte Entspannung durch eine Flasche Bier sollte man in der Literatur enttarnen und nicht noch weiter untermauern. Wir verbreiten Wahrheit, nicht Werbung! Jeden Abend zu trinken (auch wenn es nur ein oder zwei Flaschen Bier sind), ist Selbstzerstörung. Tut man es vermeintlich zur Entspannung, ist es unbewusste Selbstzerstörung. Denn wer ernsthaft täglich Alkohol braucht, um runterzukommen, hat ein Problem. Als Hinweis auf selbstzerstörerische, möglicherweise (para)suizidale Tendenzen einer Figur kann Rauschmittelkonsum also ebenfalls verwendet werden.

Kommen wir zu einem ganz anderen Aspekt: Realitätsverschiebung. Daniel Kehlmann beherrscht sein Handwerk zweifelsohne. Was mich allerdings mehrfach besonders beeindruckte, waren Geschichten, in denen er schleichend die Realität verzerrt, anfangs höchstens durch ein unbewusstes Gefühl bemerkbar, und sie weiter und weiter verändert, bis es nicht mehr zu übersehen ist, dass etwas nicht stimmt. Dann wird manchmal der Leserin/dem Leser die Auflösung in Form eines Hinweises auf Drogen gegeben. In anderen Fällen hat man plötzlich die Aufgabe, selbständig zu interpretieren. Zweiteres ist mir am liebsten.

Eine verwandte Möglichkeit der Nutzung von Rauschmitteln in Geschichten ist, sie als Interpretationsansatz anzubieten, aber ohne sie als eindeutige Erklärung hinzustellen. Die Entscheidung bleibt beim Leser. Stellen wir uns eine Figur vor, die immer müde ist, möglicherweise psychische Probleme hat und gelegentlich Drogen nimmt. Sieht diese Figur nun ungewöhnliche Dinge, entstehen sofort mehrere gleich gültige (nicht gleichgültige) Lesarten:
1. Die Dinge geschehen wirklich;
2. Die Figur ist auf einem Trip (→ Halluzinationen);
3. Die Figur nimmt die Realität falsch wahr (→ unzuverlässig, schwammig, aufgrund von Müdigkeit);
4. Die Figur interpretiert die Realität falsch (→ z.B. paranoid: glaubt, alle Leute blicken sie an, während sie das eigentlich nicht tun);
5. Der Erzähler lügt (→ unzuverlässige Erzähler sind selten, aber es gibt sie); weitere Möglichkeiten lassen sich sicherlich finden und jede einzelne hat Auswirkungen für das Gesamtverständnis des Textes.

Drogen, Rausch, Kater, Abhängigkeit und alles, was noch daran hängt, war oder ist Teil meines Lebens und wird sich in meinen Geschichten wiederfinden. Entsprechend halte ich es, wie bereits anfangs erwähnt, für legitim und manchmal sogar notwendig, darüber zu schreiben. Sorck habe ich eine Triggerwarnung hinzugefügt, in der unter anderem Drogen und Alkohol erwähnt werden. Mir ist bewusst, dass Trigger sich eigentlich nicht auf Suchtproblematik beziehen, sondern auf Angststörungen. Dennoch können Personen, die abhängig sind oder waren, von Auslösern (wie der Beschreibung eines Rausches) in große Schwierigkeiten (Heulkrämpfe, Suchtdruck, Panikattacken etc.) gestürzt werden. Daher halte ich es für angebracht, auch auf solche Elemente hinzuweisen. Ich hoffe sehr, dass Leser*innen die Szenen, in denen Rauschmittelkonsum vorkommt, nicht als Verherrlichung missverstehen, sondern sie (ungefähr) so auffassen, wie ich sie meinte.

Eine Leseprobe des Romans gibt es hier: Sorck: Leseprobe

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Sorck: Warum Humor?

Sorck behandelt kein leichtes Thema und stellt mit Martin Sorck einen Protagonisten vor, dem es, ganz allgemein gesagt, nicht gut geht. Dennoch ziehen sich humoristische Elemente durch das ganze Werk. Warum ist das so?

Kurze Antwort: Weil Humor das Leben erträglich macht.

Möchte man eine ausführliche Antwort haben, sollte man zwei Aspekte betrachten, die ich hier behandeln möchte: Humor und Lächerlichkeit. Eine Lektüre, die von Anfang bis Ende trist und deprimierend ist, wirkt meiner Meinung nach weniger stark als eine, die gute Laune aufbaut, um sie dann zu ruinieren. Je höher man läuft, desto tiefer kann man stürzen. Als gutes Beispiel für eine solche Technik fällt mir der Film Die Kunst des negativen Denkens ein, der den Zuschauer zum Lachen bringt, um ihn im nächsten Moment emotional zu zerschmettern. Bei mir als Rezipient wirkt das ausgesprochen effektiv. Als Autor kann ich dies leider noch nicht in solchem Ausmaß umsetzen, aber es interessiert mich. Eine solche Lenkung der Leserschaft muss ich mir erst noch antrainieren.

Ein wichtigerer Aspekt für mich war, dass Humor hilft, schwierige Themen zu vermitteln, ohne zu schwerfällig zu wirken. Natürlich verdienen derartige Themen eine ernsthafte Behandlung, verdienen es ernst genommen zu werden. Um aber Menschen zu erreichen, sollte man sie nicht mit zu großem Ernst abschrecken. Daher kann eine Erzählweise mit einem zwinkernden Auge durchaus hilfreich sein.

Es gibt einen interessanten Effekt, sobald man realisiert, dass hinter etwas, über das man gelacht hat, eine Ebene verbirgt, die eine gegenteilige emotionale Reaktion auslöst. In gewisser Weise kann man das bei schwarzem Humor beobachten. Für so manchen sind Witze dieses Spektrums nicht zum Lachen, da sie einen größeren Fokus auf den Hintergrund richten als auf die Oberfläche des Witzes. Ausgereifter ist es bei der Satire. Es wird ein Scherz gemacht, der eine Wahrheit verzerrt oder zu verbergen scheint und dadurch verstärkt. Gute Satire bringt dich zunächst zum Lachen und bleibt dann wie ein Stachel zurück, der dich noch eine ganze Weile quält. Vielleicht ist es so, weil man ein schlechtes Gewissen hat, dass man gelacht hat, oder wegen der Vermischung unterschiedlicher Reaktionen (haha – oh) oder aber, weil man für einen Moment die eigenen Schutzmaßnahmen fürs Lachen fallen lässt. Der Grund spielt keine Rolle, solange es funktioniert.

Kommen wir zur Lächerlichkeit. Schaut man sich in der Welt um und betrachtet, was Menschen tun und sagen und was ihnen wichtig ist, so kommt man häufig nicht darum herum, diese Dinge albern zu finden. Dabei handelt es sich natürlich um eine gänzlich subjektive Ansicht. Aber ich behaupte, dass (fast) jeder in (fast) allem lächerliche Aspekte entdecken kann. Manche sind nur offensichtlicher als andere. Schwingen sich Deutsche gehobenen Alters auf Segways, um eine mittelalterliche Stadt zu erkunden, und fahren als dichter Schwarm durch die Straßen, verbirgt sich die Lächerlichkeit nicht besonders tief unter der Oberfläche. Doch auch andere Situationen haben zum Glück ihre albernen Aspekte. Wenn der Suchtdruck einen trockenen Alkoholiker packt und er sich in hartem, deprimierendem Kampf gegen die niemals wieder verschwindende Abhängigkeit wehrt und ihm dann der Gedanke Das Nervigste daran, trocken zu sein, ist eigentlich, dass man nicht mehr trinken kann durch den Kopf schießt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er über sich selbst und seine Situation lachen kann. Wer das Leben zu ernst nimmt, hat verloren. Ohne Humor ist es nicht zu ertragen. Und noch eine Phrase: es gibt kaum etwas Befreienderes in den schlimmsten Momenten des Lebens, als über sich selbst und die Gesamtsituation lachen zu können.

Martin Sorck weiß das und der Erzähler, der seine Geschichte weitergibt, weiß das ebenfalls. Daher darf (und sollte manchmal) die Realität bis ins Lächerliche überzeichnet werden, um gleichzeitig die Wahrheit zu sagen und aufzuzeigen, wie sie ausgehalten werden kann.

Eine Leseprobe des Romans gibt es hier: Sorck: Leseprobe

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Grundthema: Macht/Ohnmacht, Kontrolle/Kontrollverlust

Manchmal muss man sich Schriftsteller Zeit nehmen und reflektieren, welche Grundthemen die eigenen Geschichten verbinden. Nicht immer ist das vorher klar und nicht immer ist es direkt zu erkennen. Man ist während der Arbeit zu nah am Text, um derartige Fragen im Blick zu haben. Nach Abschluss des Schreibprozesses steht dann meist das nächste Projekt an. Daher sollte man sich aktiv Zeit nehmen, so wie ich es beispielsweise gestern mal wieder bei einem langen Spaziergang getan habe.

Meine Prosa behandelt durchgehend einen Themenbereich aus verschiedensten Perspektiven und mit unterschiedlichen Ansätzen: Macht (beziehungsweise Kontrolle). Neben einer aufs Individuum bezogenen Ebene, auf die ich später zu sprechen kommen werde, erhält das Thema heutzutage wieder große Aktualität aufgrund der damit verbundenen Datenschutzproblematik, Big Data, Fake News und anderen kontrollierender, einordnender und manipulierender Kräfte und Mechanismen. Mit den Daten, die Firmen wie Amazon, Google oder Facebook über ihre Kunden sammeln, ist soziale Kontrolle und Manipulation bis ins Persönlichste hinein möglich. Wenn man genug über eine Person weiß, kann man sie lenken. Die Kunden selbst geben diese Macht weitestgehend freiwillig ab. Staaten beginnen diese und eigene Systeme zu nutzen, um ihre Bürger zu kontrollieren.

Ein weiterer Aspekt der Thematik wäre die bewusste oder unbewusste soziale Kontrolle. Moden, Einstellungen und Verhaltensweisen werden von der Gesellschaft gefordert. Wer abweicht, wird bestraft durch soziale Ausgrenzung. Der gesamte Komplex rund um Sexualität, Geschlechterrollen, psychischer und körperlicher Gesundheit (bzw. Krankheit) usw. fällt in diesen Bereich.

Der Bezug des Grundthemas zum Individuum ist vermutlich der Auslöser meiner Beschäftigung damit. Kontrolle im Sinne von Selbstkontrolle: steuern können, was man selbst tut, sagen können, was man denkt, mitteilen können, was man fühlt, Sucht, Abhängigkeit, Zwangsstörungen. All das fällt für mich hinein.

Man könnte weitere Punkte anführen und über jeden einzelnen der drei besprochenen Punkte könnte beinahe endlos schreiben und diskutieren (denn so mancher Aspekt hat auch Vorteile). Außerdem ist alles,was ich aufgezählt habe, untrennbar miteinander verwoben. Sucht ist nicht nur ein persönliches Problem, sondern auch ein soziales und damit politisches. Längst sind soziale Medien ein einflussreicher Part des gesellschaftlichen Lebens…

An dieser Stelle breche ich ab. Es juckt mir in den Fingern den direkten Bezug zu Sorck herzustellen und zu zeigen, inwiefern Kontrolle/Kontrollverlust und Macht/Ohnmacht aufgegriffen und verarbeitet werden. Das werde ich auch noch tun, aber nicht in nächster Zeit. Detaillierte Besprechungen des Romans werden folgen, sobald meine Leserinnen und Leser die Chance hatten, das Buch auch tatsächlich zu lesen. Übrigens werden auch die nächsten Projekte allesamt mit Macht und Ohnmacht zu tun haben.

Bevor mir vollends klar wurde, dass es dieses Thema ist, das ich bearbeite, wunderte es mich selbst, dass meine Geschichte häufig ins Dystopische abdrifteten. Das ist nun geklärt.

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Sorck: Fehler und Probleme im Herstellungsprozess

Als Selfpublisher*in begegnet man mehr als einer Hürde auf dem Weg von der Idee zum fertigen Manuskript und von dort aus zur Veröffentlichung. Um die zweite Hälfte des Weges, die Probleme, Schwierigkeiten und Fehler, die auftraten, soll es jetzt gehen. Ich werde dabei die Reihenfolge der tatsächlich aufgetretenen Probleme beibehalten, soweit es geht – denn, wie es immer ist, traten einige gleichzeitig auf. Die persönlichen Schwierigkeiten, die nicht ausblieben, lasse ich beiseite.

Zu früh gefreut: das Manuskript

Mit Fertigstellung des ursprünglichen Manuskripts war ich natürlich fest von seiner Qualität überzeugt und missachtete eine Regel, die ich damals noch nicht kannte. Ich überarbeitete einmal (kurz) und zwar direkt nach Beendigung des Schreibprozesses und verschickte das Werk dann an Agenturen und Verlage. Klappte nicht – komisch. Als ich mich Monate später nochmal ausführlich daran machte, das Manuskript zu überarbeiten, wusste ich auch, warum. Es war roh und fehlerhaft und einfach nicht bereit. Mehrere Monate später hatte ich dann aber doch ein fertiges (fertigeres?) Werk, aber keine Adressen mehr, die die unfertige Version noch nicht kannten.

Korrektorat: kommunizieren!

Ein Lektorat konnte ich mir nicht leisten, was sehr schade ist, aber leider nicht zu ändern. Dafür leistete ich mir ein professionelles Korrektorat. Dummerweise gab es im Vorfeld Missverständnisse, was den Stil und den Arbeitsumfang anging. Die Schuld dafür lag bei keiner der Parteien, aber Probleme gab es dennoch. Die Arbeit musste weitergegeben werden, was schnell und problemlos geschah. Im Endeffekt kostete mich dieses Problem bloß ein paar Nerven und ein oder zwei Tage, aber es wäre zu verhindern gewesen. Wenn man mit anderen zusammenarbeitet, sollte man also mit sich und ihnen ehrlich sein, damit von vornherein alles geklärt ist. (Anmerkung: die Zusammenarbeit mit beiden Korrektorinnen lief super, sehr professionell und alle Schwierigkeiten wurden schnell geklärt. Eine klare Empfehlung.)

Cover

Eine der wichtigsten Lektionen dieser Veröffentlichung lautet: kümmere dich rechtzeitig ums Cover! Nicht nur für Werbezwecke ist es (eigentlich) unverzichtbar. Es ist außerdem ausgesprochen ärgerlich, wenn alles Weitere bereit ist und nur noch dieser Part fehlt für die Veröffentlichung. Mit dem Ergebnis bin ich ausgesprochen zufrieden und habe positive Rückmeldungen bekommen. Da ich allerdings 1. zu spät mit der Planung begann, 2. anfangs keine klaren Vorstellungen hatte, sie 3. nicht gut kommunizieren konnte und 4. nicht jeder so viel Zeit für mein Projekt hat wie ich, kam das Ergebnis erst recht spät zustande. Danach gab es natürlich noch Probleme mit dem Farbraum und mein Buch hätte anders ausgesehen als die Vorlage. Die Gründe dafür herauszufinden, brauchte meinen Designer wieder ein paar Tage (und ich habe keine Ahnung von diesen Dingen, weshalb ich für seine Hilfe in allen Schritten ausgesprochen dankbar bin). Wieder gingen Zeit und Nerven unnötig drauf.

Ebook

Beim Upload des Ebooks durfte ich dann feststellen, dass die Formatierung nicht hinhaute, wie sie sollte. Ein Ebook braucht im Grunde keinen richtigen Buchsatz, da es auf jedem Gerät anders aussieht (da Schriftart und -größe z.B. individuell eingestellt werden kann), aber Impressum, Schmutztitel und Beginn der Geschichte sollten nicht auf einer Seite stehen. Man konnte nicht ohne großes Überlegen herausfinden, wo welcher Part endete und der nächste begann. Leider fand ich den Fehler nicht und musste die Datei neu anlegen. Dabei lernte ich wieder ein bisschen mehr über die Benutzung von Word und die Effekte unnötiger Aufregung.

Taschenbuch

Der Buchsatz des Taschenbuchs machte keine Probleme, das Cover irgendwann (s.o.) auch nicht mehr. Leider akzeptierte das System meines Distributors meine Steuernummer nicht, was sich allerdings auch irgendwann lösen ließ – wieder Zeit und Nerven. Der letzte Fehler war, dass ich auf die Info vertraute, dass es 1-2 Wochen dauern würde, bis das Taschenbuch überall erhältlich sein würde. Ebook und Taschenbuch werden auf zwei verschiedenen Plattformen veröffentlicht. Damit beide Version ungefähr zeitgleich zu haben wären, nutzte ich die Vorverkaufsoption fürs Ebook und stellte sie auf zwei Wochen ein. Am übernächsten Tag bekam ich die Info, dass das Taschenbuch nun erhältlich sei. Jetzt ist das Taschenbuch zu haben, aber das Ebook nur im Vorverkauf. Doof gelaufen. Allerdings würde jemand (dank Print on Demand) eine Druckausgabe, die er heute bestellt, etwa gleichzeitig mit dem Ebook bekommen, wenn er es ebenfalls heute vorbestellen würde. (So I got this going for me, which is nice)

Fazit

Plant mehr Zeit ein! Plant mehr! Plant!

Am Ende ist ja alles gut geworden (sage ich jetzt, ohne das Druckwerk bisher selbst in der Hand gehalten zu haben). Viel ist schiefgelaufen und daher durfte ich einiges lernen. So sollte man es sehen und so sehe ich es (im Nachhinein, bestimmt nicht währenddessen) auch.

Eine Leseprobe gibt es hier: Sorck: Leseprobe

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Sorck: Das Cover

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Das erste, was jede*r potentielle Leser*in von einem Buch sieht, ist das Cover. Ein kurzer Blick und schon ist eine Entscheidung gefallen: näher hinsehen oder weiterscrollen. Daher gilt es in diesem Bereich vieles zu beachten. In diesem Beitrag möchte ich die Geschichte hinter dem Buchcover von Sorck erzählen.

Es gibt Konventionen für jedes Genre, wie ein Buch ungefähr auszusehen hat. Jeder erkennt beispielsweise Fantasy-Cover an Schwertern/Äxten und verschnörkelter Schrift. Dummerweise rutscht mein Roman ein bisschen zwischen die Stühle, was eine Genreeinordnung betrifft. Es handelt sich um einen Reiseroman, aber wer dabei an das Traumschiff oder Beschreibungen hübscher Örtchen an der Küste denkt, wird massiv enttäuscht werden. Als anspruchsvoll und witzig, absurdistisch und satirisch oder skurril könnte man Sorck beschreiben. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Findung eines Bildes und eines Aufbaus, um das alles zu repräsentieren.

Ursprünglich wollte ich einen Aufbau haben, der an die anspruchsvolleren Bücher von Rowohlt, Suhrkamp und Fischer erinnert: ein Bild (meist schwarz/weiß und ohne großen inhaltlichen Bezug) in der oberen Hälfte, unten einfarbig (rot oder grau), in der Mitte der Autorenname in serifenloser Schrift und in der unteren Hälfte der Titel. Das direkte Vorbild war dabei Der Fremde von Albert Camus. Als Bild hatte ich die Anfangsszene, wie sie auch in der Leseprobe nachzulesen ist, im Kopf. Der Protagonist steht mit zwei Koffern vor einem brennenden Gebäude, Sicht von hinten auf ihn. Dieses Coverbild sollte idealerweise etwas verschwommen gemalt sein, beispielsweise mit Wasserfarben. Um ehrlich und fair zu sein, waren diese Ideen noch nicht wirklich ausgereift und wurden entsprechend schwammig kommuniziert. Daher waren die ersten Ergebnisse und Entwürfe auch nicht wirklich nach meinem Geschmack. Allerdings fand sich eine gute Variation des ursprünglichen Bildes, nämlich die Konzentration auf die Figur und den Schatten, der vom Feuer geworfen wird. Diese Idee verfolgten wir weiter, entschieden jedoch, auf Fotos umzusatteln. Nach Testaufnahmen machten wir eine Reihe richtiger Fotos – und ja, das bin ich auf dem Cover. Noch immer stand allerdings der oben beschriebene Aufbau (obere Hälfte Bild, untere einfarbig). Bei der Begutachtung der Fotos fiel mir plötzlich der eigentlich offensichtliche Zusammenhang zwischen den verschiedenen Motiven (beide Koffer auf dem Boden, ein Koffer in der Hand, beide Koffer in den Händen) auf. Nach kurzem Vergleich wurde deutlich, dass der neue Aufbau, derjenige, der es jetzt aufs Cover geschafft hat, definitiv der bessere ist.

Die Idee der Bilder, des Aufbaus und der Typografie ist für mich folgende: Das schrittweise Aufnehmen des Gepäcks deutet auf einen Aufbruch hin, der zur Reise (und etlichen Aspekten der restlichen Story) passt. Die Farbgebung zeigt die Grundstimmung, die trotz Humor gegeben ist, beziehungsweise die seelische Grundsituation des Protagonisten. Durch die serifenlose Typografie drückt sich für mich eine gewisse Ernsthaftigkeit und Geradlinigkeit aus – Es ist nicht einfach ein nettes Geschichtchen, sondern es steckt einiges dahinter. Letzten Endes wirkt die Gesamtkomposition meines Erachtens künstlerisch und erweckt den Eindruck eines gewissen Anspruchs – jemand brachte den Begriff Film Noir ins Spiel –, was einfach gut passt.

Natürlich bin ich damit der ursprünglichen Genre-Frage etwas ausgewichen. Fans von Genres mit eindeutigen Cover-Merkmalen (Fantasy, Sci-Fi, Romance etc.) werden allerdings sofort erkennen, dass es kein Buch aus ihrem Spektrum ist. Sorgen machten mir mögliche Assoziationen mit Krimis oder Spionage-Thrillern, weshalb ich den sehr eindeutigen Untertitel Ein Reiseroman hinzugefügt hatte.

Letzten Endes kommt es doch wieder auf eines hinaus: ich selbst fühlte mich vom Cover angesprochen, bin zufrieden mit dem Ergebnis und halte es für stimmig. Ich hoffe sehr, dass es hilft, die richtigen Leserinnen und Leser auf Sorck aufmerksam zu machen.

Eine Leseprobe gibt es hier: Sorck: Leseprobe

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Sorck: Leseprobe

Flurbrand

So, wie Martin Sorck am Bordstein stand, hätte man ihn für vieles halten können. Oder auch für sehr wenig.
Im Schein der Flammen und Blaulichter feierten seine speckig-ledernen Koffer ein stilles Fest, an das sich seine Mimik anpasste. Gesichtslos starrte er die backsteinerne Häuserfront auf der anderen Straßenseite an. Es brannte. Er spürte die Hitze des Feuers deutlich auf der Stirn und konnte nicht fassen, wie pompös das Feuerwerk war, das seine Wohnung sich leistete. Eine Befreiungsfeier mit musikalischer Begleitung. Knarzend, krachend und knackend fraß sich der Brand durch die Dachbalken. Da oben hing bisher seine Wäsche zum Trocknen. Was vorhin noch dort war, war jetzt nicht mehr.

In mehreren Grüppchen leisteten Schaulustige dem dauerhaft Ausgesperrten Gesellschaft, deuteten mit erregten Fingern, filmten mit schwarzen Kameras. Andere verlangsamten für eine Weile den Schritt auf dem Weg zur Arbeit. Mit jedem lauten Krachen zuckten sie zusammen, raunten auf. Ungläubig hielten sie die Hände vor den Mund. Oder versteckten sie ein Lächeln?
Im Rhythmus eines weiteren gebrochenen Balkens bewegten die Gaffer ihre Köpfe, versteckten sie zwischen den Schultern, versanken in halbe Kniebeugen. Dann reckten sie sich wieder neugierig vor.
Nur Martin Sorck stand still.
Wortlos, ausdruckslos, fassungslos stand er still.
Doch konnte er sich in der Tragödie der Schönheit nicht erwehren. Rot und gelb züngelten Flammen in den Himmel, gaben beulenden Rauchtürmen Hilfestellung zur Flucht in die Wolken. Wie ein pulsierender, grauer Wurm, der wächst und sich dann auflöst, sich von unten ununterbrochen neu bildet, seinen eigenen Kopf sucht und dann zerstäubt.
Einstweilen schloss die örtliche Feuerwehr im Eilschritt ihre Schläuche an, bewässerte die Dächer der Nachbarhäuser, und richtete danach Wasserstrahlen punktgenau durch Sorcks Fensterfront. Was für eine Sauerei. Pampig verklebten Papiere und Polster, Teppiche und Tapeten. Was noch nicht verbrannt war, ertrank in Löschwasser oder erstickte in schwarzen Rußwolken.

Auffallend an Martin Sorck, wie er an der Straße verharrte und mit Anwohnern und Passanten dem Vergehen des Gebäudes zuschaute, war der Umstand, dass er zwei Koffer trug, in denen sich nun alles befand, was er besaß.
Man könnte in Hinsicht auf das Gepäck von einem glücklichen Zufall sprechen, und doch war Sorck nicht imstande, sich die Frage zu beantworten, ob er nicht lieber mit seinem Eigentum und ohne Kenntnis der Katastrophe im Schlaf durch giftige Gase krepiert wäre. Denn Martins einzig wahre Aktivität der letzten Jahre bestand darin, Nachlass zu betreiben, aktiv zu hinterlassen. Um Geld und Güter handelte es sich keinesfalls. Er hatte sein Dasein gefristet und aufgelistet, sodass irgendwann jemand die Daten finden und erfassen könnte, und besser nutzen würde als er selbst. Ein Glücksfall für imaginierte Biographen. Die vage Überzeugung, wegen oder für etwas oder jemanden bekannt, berühmt und wichtig zu werden (Kunst, Politik oder die Gründung einer Familie), schwebte stets wie flaumiges Haar um seinen Hinterkopf, wo nun ein kalter Wind einen Kontrast zur Fronthitze bot.
Er begann zu schwitzen.

Während andere Leben führten, führte Martin Sorck Listen über seines. Er verzeichnete, was und wann er aß und ob es ihm schmeckte, seine Laune, Träume, gesundheitliche Beschwerden, wo er mit wem Zeit verbracht hatte, wie oft und wann er mit wem Sex gehabt hatte (wobei diese Liste seit Längerem unberührt herumlag) und viele weitere nutzlose Daten.
Ursprünglich, meinte er sich zu erinnern, begann es mit To-Do-Listen, als Hilfe zur Regelung des Alltags, wurden anschließend nicht weggeworfen und stattdessen für zukünftige Biographen aufbewahrt.
Stück für Stück verloren die Listen ihren kurz- und mittelfristigen Sinn. Seine Mühe zielte auf eine Periode, in der alles doch wieder Sinn ergäbe, in der alle Daten für kurze Augenblicke nützlich sein könnten. Diese Zeit fand sich bequemerweise nach Martins Ableben. Was man damit anfinge, kümmerte ihn kaum. Er machte sich Sorgen, dass seine Arbeit als solche nicht anerkannt und als Müll vernichtet würde, was sie nicht bloß aktuell, sondern auch zukünftig absurd erscheinen ließe, was auch seine Existenz der Absurdität preisgäbe. Gegen derartige Gedanken wehrte er sich.
Zu diesem Zeitpunkt allerdings, mit gepackten Koffern an der Straße, waren derartige Sorgen ebenfalls absurd geworden, da es keine Zukunft für die Daten geben sollte. Sein Leben war ruiniert, sein Werk verbrannt, sein Zuhause bald ein nasser Klumpen modriger Asche.
Wie zum Beweis für diese Tatsache brach der Dachstuhl unter lautem Getöse zusammen und hagelte glühend auf das Restgerümpel der Sorck‘schen Heimstatt, trat wie ein rußiger Stiefel das ohnehin zerstörte Anwesen weiter zu Schund. Diesmal zuckten die Schaulustigen nicht allein. Auch Martin bewegte sich, drehte sich vom Inferno seiner Wohnung weg und trat eine Reise an.

Sorck ist erhältlich als Taschenbuch (z.B. bei Amazon, Twentysix & dem Autorenwelt-Shop) und als Ebook (z.B. bei Amazon oder Thalia).

Zusätzliche Informationen findet man unter dem Menüpunkt Sorck im Klappmenü rechts.

Sorck: Unsortierte Infos zum Debütroman

Vorab: könnte den ein oder anderen Spoiler enthalten!

 

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Sorck – Ein Reiseroman ist erschienen oder ist im Zustand des Erscheinens (denn bis alle Händler den Roman gelistet haben, dauert es eine Weile). Bei Amazon kann man ihn bereits vorbestellen, die Taschenbuch-Version wird ebenfalls in Kürze erhältlich sein. Aus diesem Grund erzähle ich ein wenig über dieses Buch.

Sorck hieß als Arbeitstitel Otakus in Finnland. Warum? Weil üblicherweise niemand Finnland mit Otakus in Zusammenhang bringt und meine Geschichte ebenfalls an allen Ecken und Enden Überraschungen und ungewohnte Mischungen haben würde. Das ist natürlich gelogen, zumindest zur Hälfte. Zuerst stand dieser Arbeitstitel und dann begann ich zu schreiben, noch ohne großes Konzept – anders als sonst. Finnland erinnerte mich an eine Kreuzfahrt, die ich mit der Familie vor etlichen Jahren gemacht habe. Damit stand bereits die Route und somit das Grundkonstrukt – Einordnung in Reisetage, die jeweiligen Ziele und der Bogen, der durch die Rückkehr geschlossen werden musste. Schnell folgte die Idee eines Mannes vor seiner brennenden Wohnung. Letztendlich wurde der Arbeitstitel übrigens verworfen, weil kaum jemand in meinem Bekanntenkreis das Wort Otaku kannte und es die Leserschaft auf eine falsche Fährte gelockt hätte.

Als ich mit der Arbeit an Sorck / Otakus in Finnland begann, hatte ich gerade viel von Hermann Burger gelesen. Er verbindet häufig scheinbar nicht zueinander passende Elemente miteinander (eine Kur in einem engen Stollen, Friedhof und Todesthematik mit einer dörflichen Schule etc.) und hatte mich damit angesteckt. Als der Protagonist also aufs Schiff kam, fand er eine Broschüre, aus der – inhaltlich und aus der Sprache – hervorging, dass das Kreuzfahrtschiff früher einmal ein Schlachtschiff gewesen ist. Diese Skurrilität wollte ich ursprünglich bloß wenige Male aufblitzen lassen. Der Einfall hat jedoch plötzlich das gesamte Werk ausgemacht und verändert, schlug Wellen vor und zurück durch den Roman: alles fortan wurde davon geprägt und durch die Überarbeitungsphasen auch alles, was davor geschah.

Warum ich besonders stolz bin auf dieses Werk:

Es ist mein Erstling – natürlich.

Aber ich bin ein Vertreter versteckter Ebenen und Details in Geschichten und habe davon etliche verbaut. Da ich nicht spoilern will an dieser Stelle, fällt es mir schwer, ins Detail zu gehen. Dennoch ein paar grobe Beispiele: jede ausdrücklich genannte Zahl (sofern sie nicht die Jahreszahl eines erwähnten Ereignisses o.ä. ist) trägt eine codierte Bedeutung, mal für sich und mal im Zusammenhang mit anderen erwähnten Zahlen. Alle Bilder und Dekorationen tragen Bedeutung, alle (wichtigen) Namen und manche scheinbar unbedeutenden Geschehnisse ebenfalls.

Außerdem habe ich mir viele sprachliche Spielereien erlaubt: Wortneuschöpfungen, Verwendung alter oder anderweitig spezieller Begriffe, Umdeutungen, Spiele mit dem Satzbau und vieles mehr. Tatsächlich führte dies zur Meldung von Amazon, dass beinahe 600 mögliche Rechtschreibfehler gefunden wurden. Natürlich durchlief das Manuskript ein professionelles Korrektorat und keiner dieser möglichen Fehler ist tatsächlich ein Fehler.

Etliche weitere Aspekte, die ich an Sorck sehr mag, könnte ich hier noch anführen, aber spare sie mir für weitere Beiträge auf. Auch Details der erwähnten Punkte werde ich an anderer Stelle nochmal besprechen (dann mit einer Spoiler-Warnung davor).

Im Augenblick bin ich der Überzeugung, dass Sorck in seiner Art weitestgehend allein stehen wird und meine nächsten und übernächsten Projekte einen gänzlich anderen Stil haben werden. Dennoch bin ich stolz auf das Ergebnis und freue mich über jeden Leser und jede Leserin.

Literarisches Versteckspiel – Ein Gedanke

Heute habe ich Gedanken Ingeborg Bachmanns gelesen bezüglich des Ichs in der Literatur. Einerseits ging es um das scheinbar ehrliche Ich der Tagebücher, das dennoch stets sortiert. Andererseits ging es um Céline und Miller, die in Werken keinen Unterschied machten zwischen Autor, Erzähler und Protagonist. Immer wieder tauchten dieses und anderen Themen im Laufe des Tages in meinen eigenen Gedanken auf und verbanden sich schließlich zur altbekannten Frage, inwiefern sich Autor*innen hinter Worten verstecken oder durch sie offenbaren.

Autor*innen sind Menschen, die etwas zu sagen wünschen, ohne den Mut zu haben, es auszusprechen. Sie erfinden stattdessen einen Erzähler, den sie manchmal benennen wie sie sich selbst im Kopf benennen, der Geschichten erzählt, die wiederum verstecken, was ursprünglich gesagt werden sollte. Auf diese Weise stellen Autor*innen Instanzen zwischen sich und ihre Wahrheiten oder zwischen sich und ihre Gesprächspartner*innen. Sie stellen Schrift dazwischen.

Die Methode ist uralt und sehr simpel. Ein Kind geht zur Mutter und sagt: „Ich kenne jemanden, der hat XY angestellt“, dann wartet es die Reaktion ab. Da die Mutter erraten könnte, dass das Kind XY selbst angestellt hat, wird die Info ersetzt und aus „Kekse geklaut“ wird „Apfel weggenommen“. Wir stellen Instanzen zwischen die Wahrheit und die Beurteiler der Wahrheit, um uns selbst zu schützen. Doch wir plaudern auch gern und zu viel. Je mehr wir reden, desto mehr sagen wir auch und zwar über uns selbst. Während das Ich einer Geschichte zum Erzähler erklärt wird und uns die Last der Verantwortung (nicht für seine Worte, aber für die Meinung hinter den Worten, die Echtheit der Worte) abnimmt, droht die Geschichte selbst mit jedem neuen Wort uns zu enttarnen. Hinter einzelnen Wörtern verstecken wir uns bequem, doch durch viele Worte verraten wir uns.

Schreiben ist wie das Gespräch eines Einsamen mit einem Stummen. Es ist nicht wahrscheinlich anzunehmen, dass der Einsame nicht im Laufe der Zeit all seine Geheimnisse preisgeben wird, und zwar schneller und sicherer als bei einem Verhör. Wenn niemand etwas von uns wissen will, fangen wir an zu reden, immer mehr und immer lauter, bis wir es nicht mehr kontrollieren können.

Ich glaube, Schriftsteller*innen stellen ihre Schriftstücke wie Schilder auf, um ihr Dasein zu bekunden, ihren Wert zu beweisen und ihre Einzigartigkeit und Einsamkeit kundzutun. Sie stellen ihre Schriftwerke zwischen sich und die Welt, um einen Kampf weniger schlagen zu müssen, um sich in der Illusion des Verstecktseins hinter den eigenen Worten sicherer zu fühlen und somit die Kraft zu haben für ihren großen Streit mit der Welt. Indem sie dieses Versteckspiel spielen, geben sie den Leser*innen nicht nur, was sie ihnen geben wollen, sondern auch noch alles, was diese darin zu finden glauben, obendrauf. Die Illusion funktioniert in beide Richtungen. Wir Schriftsteller*innen geben uns der Illusion hin, dass kein*e Leser*in bemerkt, dass wir über uns schreiben. Ihr Leser*innen wandelt diese Illusion dankbar um und glaubt, wir schrieben über euch. Das macht Literatur zu einem Dialog und flicht sie ein in die Zeit. Sie wächst mit den Menschen, nicht mit den Autor*innen (denn sie schreiben längst etwas Neues). Jedes Mal, wenn man ein Buch in die Hand nimmt, ist man ein anderer Mensch und auch das Buch wird dadurch ein anderes.