Figurenbeschreibung und -kommunikation

Über Möglichkeiten, literarische Figuren zu beschreiben und sich untereinander beschreiben zu lassen.

Figuren interessant und stimmig zu beschreiben, ist bereits schwierig. Ich möchte aber einen Schritt weitergehen und über Figurenbeschreibungen durch andere Figuren nachdenken.

In Die folgende Geschichte von Cees Nooteboom lässt der Autor den Ich-Erzähler, einen Altphilologen, über einen Mann, den Ehemann seiner Geliebten, sprechen. Er beschreibt ihn als eine(r) Art Riese aus Kalbfleisch, glatzköpfig, mit einem ewig grinsenden Gesicht, als würde er ständig Kekse anbieten. Die beschriebene Person ist außerdem Lehrer für Niederländisch – anbei bemerkt sei, dass die Geschichte im Original Niederländisch ist – und schreibt Gedichte. Der Ich-Erzähler kommentiert dazu, dass sein Konkurrent im Unterricht den Schülern bloß strukturiert beibringe, was sie ohnehin von jüngster Kindheit an können, und endet mit den Worten: … aber auszusehen wie ein schlecht gebratenes Kotelett und von Poesie zu sprechen, das geht zu weit.

Wir haben hier eindeutig keine sachlichen Beschreibungen. Der Beschriebene ist verheiratet und hat Affairen (oder „Affären“, wie man es leider heute schreibt), also ist der giftige Ton möglicherweise angebracht, wenigstens aber verständlich. Gleichzeitig wird er nicht auf jede*n dermaßen unattraktiv wirken, wie er vom Erzähler, der ja sein Konkurrent ist, gezeichnet wird. Was können wir über den Ich-Erzähler durch die wenigen Kommentare lernen?

Zunächst einmal, dass man ihm, wie eigentlich allen Ich-Erzählern, nicht trauen sollte. Ich-Erzähler sind Teil der Geschichte, sind selbst Figuren, haben Gedanken, Gefühle und eine Agenda. Sie stehen keinesfalls außerhalb des Geschehens und sind daher nicht neutral. Ihre Wertungen und ihre Beteiligung machen sie suspekt. Man sollte Geschichten mit derartigen Erzählern immer hinterfragen: Stimmt es, was uns von der Erzählinstanz aufgetischt wird? Was ändert sich, wenn wir uns gegen die Ansichten der Erzählinstanz entscheiden? Solche und andere Fragen sind spannend. Natürlich möchte man als Leser*in in eine neue Rolle schlüpfen und die Welt durch fremde Augen sehen, aber man sollte niemals vergessen, dass hinter diesen fremden Augen die gleichen Hinterhältigkeiten stecken (können) wie hinter den eigenen Augen. Gerade die zeitweise Übernahme anderer Perspektiven mithilfe der Literatur sollte uns lehren, Abstand gewinnen zu können und objektiv Ansichten und Meinungen zu prüfen. Auf einer Ebene genieße ich den Witz in Nootebooms Worten, auf einer anderen erlebe ich die Frustration des Ich-Erzählers mit und auf einer dritten verstehe ich, dass mir hier subjektiv etwas vorgegeben wird, das objektiv („objektiv“ innerhalb der Geschichte) anders aussieht.

Was lernen wir noch aus den Kommentaren des Protagonisten/Ich-Erzählers? Er hegt offensichtlich eine starke Abneigung gegen den Niederländisch-Lehrer. Gründe dafür finden sich problemlos in der Geschichte, die ich 1. noch nicht ausgelesen habe und 2. niemandem durch Spoiler ruinieren möchte. Man lernt durch die Art der Beleidigungen und Bemerkungen aber noch mehr. Es schwingt ein eindeutiger Elitarismus mit. Sprache ist dem Erzähler wichtig, besonders Latein, und die Vorstellung, dass jemand wie sein Konkurrent, ein grober, sportlicher Typ mit Erfolg bei Frauen, Lyrik verfasst – oder das, was er für Lyrik hält –, scheint dem Erzähler absurd. In seiner Gedankenwelt kommen weder moderne Lyrik noch Körpermenschen gut weg. Diese Überlegungen führen sofort zu einem recht unsympathischen Eindruck des Protagonisten. Man könnte außerdem daraus schließen, dass er sein eigenes Aussehen für wenig ansprechend hält und möglicherweise eingeschüchtert von seinem Konkurrenten. Warum sonst sollte er ihn dermaßen schlechtmachen?

Nooteboom hat den Erzähler absichtlich und mit viel Mühe bis zu dieser Stelle unsympathisch gezeichnet, aber auch mit Witz und Gefühl. Warum das alles? Das weiß ich noch nicht.

Nutzt man einen Ich-Erzähler, kommt man nicht umhin, ihn in Beziehung zu anderen Figuren zu setzen – es sei denn, man ist Samuel Beckett und stellt beinahe körperlose Figuren in leere Räume. Das bedeutet, dass man bei Beschreibungen anderer Figuren nicht nur deren tatsächliches Aussehen und Verhalten bedenken muss, sondern auch ihre Beziehung zum Erzähler beziehungsweise umgekehrt. Ein verliebter Erzähler wird Schönheitsfehler als sympathische Extras zeichnen, während ein betrogener Erzähler diese möglicherweise als hässliche Makel hervorheben würde (abhängig von seinem Charakter).

Noch schwieriger wird es, wenn der Ich-Erzähler einer anderen Figur über eine dritte Figur berichtet und dabei eine (offene oder versteckte) Intention hat. In dem Fall ist wichtig, wie die beschriebene Figur wirklich ist, wie der Ich-Erzähler sie wahrnimmt und welches Bild er beim Adressaten hervorrufen will. Beispiel: A. ist durchschnittlich attraktiv, aber B., Ich-Erzähler*in, ist in A. verliebt und findet ihn/sie extrem attraktiv. B. fürchtet, dass C., Adressat*in, Interesse an A. entwickeln und A. ihm/ihr wegschnappen könnte. Daher weist B. vor C. permanent auf die Mängel von A. hin. Wir können aus der Kommunikation zwischen B. und C. nicht direkt auf die Gefühle von B. schließen und auch nicht auf A.’s tatsächliche Attraktivität. Nur in Kombination mit dem Wissen, dass B. in A. verliebt ist, ergibt das Gespräch Sinn. So entstehen auch Intrigen.

Man könnte eine ganze Geschichte nur um die Feinheiten der Kommunikation und Beziehungen verschiedener Figuren zueinander schreiben, ohne dass viel Handlung nötig wäre. Aber wieso „könnte“? Das ist schon mehrmals geschehen. Man denkt nur nicht so häufig darüber nach. Ich denke, dass viele Autor*innen – ich schließe mich da nicht aus – häufig die Techniken, wie sie in diesem Artikel beschrieben stehen, anwenden, ohne darüber nachzudenken. Wir sind es aus dem Alltag gewohnt. Das ABC-Beispiel oben kennen die allermeisten wahrscheinlich noch aus Schulzeiten.

Sich dieser Mechanismen bewusst zu werden, hilft, sie in einer Geschichte besser und zielgerichteter anzuwenden. Vielleicht konnte ich damit irgendwem die Schreibarbeit erleichtern. Ich hoffe jedenfalls, dass ich selbst beim nächsten Mal daran denken werde, wenn meine Figuren miteinander kommunizieren.

Tage werden eins (Quarantäne): Ein Blogeintrag in 2 Etappen

Ein Gedicht über den Verfall und was dahinter steckt.

Tag 1:
aufstehen warten essen
hinsetzen warten essen
hinlegen
schlechte träume

Tg 3:
aufstehen warten essn
hinsetzn wart esn
hnleenschräum

…:
awehwehstrme

Paul Celan, mit dem ich mich nicht vergleichen möchte, hat einmal ein Gedicht geschrieben, das ich vergessen habe, nachdem es in der Uni behandelt worden war. Im Laufe des Textes brach das Satzgefüge weg, die Wörter lösten sich auf, alles verhallte in traurigem Kauderwelsch, das in einen Abgrund zu fallen schien. Ich fühlte mich an weit ältere Gedichte erinnert, deren äußere Form beispielsweise die eines Kreuzes war und deren Inhalt passend dazu christlich.

Zurzeit sitze ich wie viele andere allein in meiner Wohnung und sollte es doch eigentlich gewohnt sein, sitze ich doch häufig hier allein. Die Zeiten sind jedoch andere. Genau darum geht es: Zeit. Wir gliedern unsere Lebenszeit in Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden und werden immer kleiner dabei. Diese Gliederung ist künstlich und doch nicht ganz. Es gibt Helligkeit und es gibt Dunkelheit, also gibt es Tage. Es gibt Sommer und es gibt Winter, also gibt es Jahre. Aber wenn ich nicht am Donnerstag zum Laden für lokale Lebensmittel gehe, weil dann die neuen Milchprodukte geliefert werden, weiß ich nicht, dass es Donnerstag ist. Wenn niemand weiß, dass Donnerstag ist, gibt es keinen Donnerstag. Ich bin für ca. 2 Wochen versorgt, also gehe ich nicht raus.

Von anderen habe ich gehört, was mir auch passiert: Wir verlieren die Zeit, wissen nicht mehr, welchen Wochentag wir haben. Wir wissen, wann wir Hunger haben und wann wir schlafen sollten, aber die Bezeichnung von Tagen ist eine soziale Sache. Wir bezeichnen bestimmte Tage mit bestimmten Namen, um mit anderen besser kommunizieren zu können. Kommunizieren wir nicht mit anderen, bezeichnen wir keine Tage mit bestimmten Namen. Wir vergessen.

Das, was sonst Freiheit oder Ruhe sein könnte, fühlt sich an wie Gefangenschaft, wie ein Zeitbrei. Wir stehen auf, beschäftigen uns, essen, legen uns schlafen und beginnen von vorn. Alles wird eins, und über allem droht Ungewissheit, Sorge und Angst. Wir lenken uns ab und verschieben die Furcht in unsere Träume. Dort lenken wir uns nicht mehr ab, sondern sind ganz da für sie.

Ich glaube, dass es zurzeit mehr Albträume auf der Welt gibt als sonst. Das scheint mir nur natürlich in einer solchen Zeit. Unsicherheit, Sorge, Angst, auch vor der Auflösung (des Staates oder der eigenen Person, wenn die Regale leer bleiben sollten), dominieren die Tage. Darum geht es in meinem Gedicht. Das monotone Warten auf bessere Zeiten wird zu einem kindlichen Gebrabbel, das sich über Schmerz oder dunkle Träume zu beschweren scheint, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der ersten drei Zeilen und den zusammenschrumpfenden, stumm werdenden Träume(n).

16 Tage später:

Den Blogeintrag, wie er oben steht, habe ich so am 21.03.2020 verfasst und dann für eine mögliche Überarbeitung zur Seite gelegt. Jetzt habe ich ihn wiederentdeckt. Inzwischen haben sich viele an die neue Situation gewöhnt, glaube ich. Auch meine Ängste wurden weniger, auch wenn sie nicht verschwunden sind, und meine Sicht auf mein Gedicht ist eine andere. Was mich stört, ist die Geschwindigkeit. Ein fast vollständiger Verfall in drei kurzen Strophen wirkt wie ein Absturz und nicht wie ein Hineingleiten in die Auflösung unserer gewohnten Strukturen. Doch war es nicht genau das, was passiert war? Dass beides zugleich oder wenigstens in kurzer Folge passierte? Erst glaubten die wenigsten, dass es überhaupt eine Krise gäbe. Man machte sich lustig über Hamsterkäufe oder ärgerte sich ein wenig. Dann kam es zu mehr Käufen dieser Art, Szenen tauchten auf, in denen Leute sich um Toilettenpapier stritten, und dann kamen die Tipps, Einschränkungen und schließlich hier und da sogar Ausgangssperren. Das ging sehr schnell. Die gewohnten und unverwüstlich scheinenden (weil so gut wie nie hinterfragten) Strukturen wurden verwischt, nicht weggewischt oder zerstört, aber doch dünner. Mein Gedicht widersetzt sich meinem Gefühl für Timing, aber es scheint in die den Moment zu passen, in dem es entstanden ist.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass ein Gedicht ein sprachliches Konstrukt ist. Die demonstrierte Auflösung ist ein geplanter und sauber exekutierter Akt, kein tatsächlicher Verfall. Auch das passt zu unserer Situation. Trotz des Anscheins von Zusammenbruch hier und dort und einem Gefühl von Orientierungsverlust gibt es weiterhin funktionierende Regeln und klare Strukturen. Menschen halten einander aufrecht und damit die wichtigsten und grundsätzlichen Strukturen der Gesellschaft: Die zwischenmenschlichen Verbindungen.

Heute finde ich mein Gedicht nicht mehr besonders schön oder gelungen, aber ich halte es für aussagekräftig im Bezug auf meine Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt und damit für die Situation anderer zu diesem Zeitpunkt. Denn so gerne ich anders bin als andere, ist es doch ein Fakt, dass meine Gefühle nicht einzigartig sind. Was ich fühle, fühlen auch andere. Das ist nicht nur der Grund, warum Kunst funktioniert, sondern auch ein Grund dafür, dass wir in Krisenzeiten zusammenrücken und nicht auseinanderfallen.

Experimentelle Gedanken

Ein Gedankenexperiment: Fiktion und Schöpfung.

Stellt euch einmal vor, ihr selbst wärt erfundene Figuren, und jetzt folgt mir in den Kaninchenbau!

Manche Philosophen betrachteten die Welt als Ausgestaltung eines einzigen Willens, der sich selbst betrachtet, um sich in allen Aspekten zu verstehen. Schöpfung als Notwendigkeit zur Selbsterkenntnis. Keine Sorge, es soll nicht wieder um Selbstfindung gehen, sondern um eine Idee, die ich neulich (erneut) umgesetzt habe.

Kommunikation mit der eigenen Schöpfung

Es ist in der Literatur schon lange nicht mehr experimentell, einen personalen oder allwissenden Erzähler und eine Figur miteinander kommunizieren zu lassen. Meist führt eine solche Kommunikation auch zu nichts und fühlt sich gezwungen an. Vermutlich liegt das daran, dass man eine klare Grenze zu ziehen gewohnt ist zwischen der Ebene, auf der Figuren agieren, und jener, auf der ein Erzähler (personal oder allwissend) sitzt. Aber was, wenn eine Geschichte die Ausformung eines Willens ist, der sich selbst zu verstehen sucht? Dieser Wille gehört zum Schreibenden. Damit wird die Geschichte zur Schöpfung, Autor*in zu Gott und das einzige, was noch fehlt, ist der Glaube an die Realität der Fiktion. Ist es denkbar, dass die Geschichte auf einer anderen Realitätsebene – vielleicht eine Stufe niedriger? – tatsächlich geschieht, so wie unsere Existenz eine Stufe unter der Gottes geschieht (sofern es Gott geben sollte). Um einen roten Faden zu ziehen in dieser Idee, müsste Gott ebenfalls so etwas wie Autor*in sein und unsicher, ob die von ihm geschaffene Fiktion möglicherweise real ist. Ihr müsst nicht daran glauben, ich tue es auch nicht, aber stellt es euch einmal vor. Ihr sitzt gerade am Computer oder am Smartphone, lest diese Worte und jetzt stellt euch intensiv vor, jemand denkt sich euch aus. Er/sie sitzt am Computer und beschreibt, wie ihr diesen Text lest, wie ihr reagiert, dass ihr euch vorstellt, er/sie würde euch erfinden. Ein kleiner Funken existentiellen Horrors sollte in euch aufglimmen und das Gleiche fühlt die Wesenheit, die euch erfindet und euch ungeschickterweise einen Einblick in seine/ihre Existenz gegeben hat.

Das Universum als Gehirn, der Mensch als Gedanke

Das Universum bildet mit unzähligen Sternen und Sternensystemen Muster, die mit ausreichend Abstand einem menschlichen Gehirn nicht unähnlich sind. Aus den Vorgängen im Kosmos entstand (und entsteht) Leben, das (beziehungsweise dessen Ausprägungen) im Vergleich dazu unendlich klein wirkt, völlig unbedeutend im Rahmen des großen Ganzen, wie eine Idee in einem Menschenleben. Aber manche Spezies setzt sich durch, bevölkert einen ganzen Planeten und dann noch einen und noch einen, wie eine durchdringende Idee, die Verbreitung findet und für Generationen gelesen und nachverfolgt wird. Literatur steht zum Menschen wie der Mensch zum Kosmos. Das klingt schrecklich esoterisch. Man sollte das keinesfalls glauben, sondern als Denkanschub verstehen. Ich möchte einen winzigen Zweifel sähen. Vielleicht ist Fiktion real, weil wir sie dazu machen. Stellt euch eine endlose Kette von Erfindungen vor, die jeweils Schöpfung sind, ohne dass es den Schöpfer*innen bewusst ist.

Die Psychologie der Schöpfung

Zurück zum existentiellen Horror einer Unterhaltung mit Gott. In Sorck hatte ich die Idee eines Näherrückens von literarisch-fiktiver und real-schöpferischer Welt kurz angedeutet in der Dachbodenszene. Die Figur verstand nicht, was sie sah, und wusste, dass sie an etwas kratzte, das größer ist als sie. Nach den oben ausgeführten Gedanken könnte man sagen, dass die Figur es deshalb nicht verstand, weil ich nicht wollte, dass sie es versteht. Schenke ich ihr Verständnis, versteht sie. Das wiederum würde bedeuten, dass die aus meiner Sicht unabdingbare Angst beim Kontakt mit einer höheren Stufe der Realität beziehungsweise mit einer Schöpfungsebene nicht unabdingbar sein muss, sondern es nur ist, weil ich sie dazu mache. Gehen wir noch weiter: Sofern es eine Schöpfungsebene über uns gäbe, die nach den gleichen Regeln funktionierte, hielte ich die angesprochene Angst für unumgänglich, weil die Wesenheit, die mich erfände, sie dafür hielte. Gott hätte Angst vor uns und wüsste, wir hätten Angst vor ihm. Dies würde zu einer Art Prädetermination bei gleichzeitiger Empfindung von Freiheit führen (was hier wiederum zu weit ginge).

Die Wahrheit

Die Wahrheit ist vermutlich erheblich einfacher. Menschen fürchten Dinge, die sie nicht verstehen. Deshalb beten, bitten und betteln wir in der Kirche, anstatt uns gechillt mit dem Herrgott zu unterhalten. Wir verstehen Gott allerdings nicht, weil er nicht antwortet. Das heißt, die Angst, die wir bei einer Begegnung mit Gott verspüren würden, würde schnell abflachen, sobald eine Kommunikation zustande käme. Ich stelle mir es vor, wie die erste Begegnung mit Aliens.

Jetzt fürchte ich, etwas abgedriftet zu sein, wie das so geht, wenn man einmal beginnt, die Grundlagen der Existenz in Frage zu stellen. Worum es mir ursprünglich ging, war, dass ich eine Geschichte geschrieben habe, in der die Ebenen der Figuren, der Erzähler (Plural) und des Autors (scheinbar) verwischt werden, und die Realität der Geschichte aus sich selbst heraus, das heißt von ihren Figuren, erfunden und erschaffen wird. Ich selbst bin fasziniert und begeistert davon. Die Geschichte beschäftigt mich weiter, obwohl sie im Grunde abgeschlossen ist. Warum ist das so? Warum versuche ich, einen Kontakt herzustellen zu meiner Erfindung, die über die Erfindung selbst hinauszugehen scheint? Jeder die Erfindung scheinbar transzendierende Kontakt ist noch immer Teil der Erfindung. Es ist das alte Spiel: Sprichst du mit Gott, ist alles okay, aber wenn er antwortet, hast du ein Problem. Ich kann mit tiefer Zufriedenheit verkünden, dass meine Figuren mir noch nichts geantwortet haben, das ich ihnen nicht in den Mund gelegt habe.

Über eine Idee und warum sie nicht funktioniert

Eine Romanidee und ihre Fehler.

Vor Kurzem bin ich über ein älteres Roman-Manuskript gestolpert und habe es gelesen. Anfangs war ich begeistert, dann verwirrt und schließlich etwas enttäuscht. Mir fiel wieder ein, welche Konzept-Idee hinter allem stand und erst mit viel Abstand habe ich erkannt, warum dieses Konzept nicht funktionieren kann.

Die Geschichte ist im Grunde auf drei Parts aufgeteilt. Zunächst wird eine Geschichte erzählt, die von einem fiktiven Autoren stammt. Im zweiten Teil werden die Poetik, sein Warum und seine Herangehensweise in Ich-Perspektive beschrieben. Im Dritten Teil zieht der fiktive Autor los und macht eine Reise rückwärts durch sein Leben.

Die Idee war, schrittweise durch ein Werk zu seinem Ursprung zu zoomen: Geschichte – bewusste Idee – unterbewusste Ursprünge; oder: Werk – Idee des Autors – Leben des Autors. Es sollte immer Bezüge geben zwischen den Ebenen, sodass man sehen kann, wie sich Erlebnisse zu Ideen und dann zu Geschichten entwickeln (für diesen einen Fall). Es sollte also um die alte Frage gehen, wie viel vom Schreibenden im Geschriebenen steckt. Gleichzeitig hätte das Buch im gleichen Verhältnis zu mir gestanden wie der erste Part des Buches zum fiktiven Autoren. Ich hatte für mich wiederum eine Poetik (und eine konstruierte Idee) erschaffen und konnte diese auf meine Erlebnisse zurückführen, beziehungsweise die Leser*innen hätten die Existenz meiner Ideenkonstrukte und der vorausgehenden Erlebnisse als Möglichkeit im Kopf gehabt.

Das angesprochene Konzept funktioniert allerdings nicht, jedenfalls nicht in der Form, wie ich es mir gedacht hatte. Problematisch ist zuallererst die Einteilung in voneinander weitestgehend gelöste Parts. Das ist für viele Leser*innen ungewohnt. Episoden-Romane gibt es natürlich, aber die wenigsten Autor*innen können ihren Leser*innen so etwas vorsetzen (und positive Rückmeldungen erwarten). Ohne das Konzept zu erklären und damit darauf hinzuweisen, dass man auf Parallelen und Details zu achten hätte, wäre es schwierig nachzuvollziehen gewesen.

Noch schwieriger ist der Poetik-Part, weil er für die allermeisten Lesenden ziemlich langweilig sein könnte (und in der vorliegenden Manuskript-Form sogar für mich war). Es liest sich, als hätte man zwei interessante Geschichten gehabt und dann einen Vorlesungsentwurf dazwischen gezwängt.

Der Mittelteil müsste also geändert werden, das heißt, er müsste vollends getilgt und ersetzt werden, wenn man überhaupt noch das Buch als ein einziges Werk zusammenhalten wollte. Immerhin sollte man nicht vergessen, dass der erste und der dritte Part jeweils auch als Geschichten für sich funktionieren. Diese beiden Teile müssten ebenfalls stark überarbeitet werden, aber würden eben funktionieren, während der Mittelteil komplett anders zu sein hätte. Man müsste ihn mindestens aufpeppen. Beispielsweise könnte man ihn als Interview oder Dialog schreiben, als Szene in einem Dokumentarfilm, beziehungsweise könnte man es so darstellen, als würde diese Szene gerade gedreht oder vorbereitet werden. Dadurch gäbe es mehr Action, mehr zu sehen sozusagen. Allerdings läge der Fokus nicht mehr auf den Infos, die für das Gesamtkonzept, sofern man es beibehalten möchte, nötig sind. Man könnte außerdem die Infos aus dem Poetik-Teil direkt als Reflexion in den Erlebnis-Part einbauen. Das würde möglicherweise die Erlebnisse weniger spannend machen und den Dreischritt der Ideenentwicklung verzerren, da Part Eins eigenständig dastünde und Part Zwei und Drei zusammengepresst und verdreht wären. Die Auftrennung, die das Projekt problematisch macht, scheint für das Grundkonzept notwendig zu sein.

Lassen wir diese Aspekte mal eben beiseite.

Ihr kennt das Manuskript nicht, was es schwieriger macht, darüber zu berichten. Teil Drei des Buches ist eine relativ straighte Fortsetzung einiger Punkte, die in Teil Zwei bereits erwähnt werden, kann aber auch für sich stehen. Wäre er ein Film, würde ich diesen Part als Road Movie bezeichnen. Eine chronologisch ablaufende Reise über einzelne Stationen, die jeweils einen zeitlichen Schritt zurück in die Kindheit darstellen, bis der Protagonist im Elternhaus ankommt. Somit können die Leser*innen den Lebensweg des fiktiven Autors der ersten beiden Parts nachvollziehen. Der erste Teil des Buches aber ist ein hochkomplexes Spiel mit Identität(en) und Realität(en) auf mehreren Ebenen. Das bedeutet, dass dieser erste Part für sich bereits schwierig ist und als Element innerhalb des Romans kaum handzuhaben ist. Ein Teil der Komplexität entsteht dadurch, dass bereits Aspekte des Gesamtkonzepts, also Vorgriffe in die restlichen zwei Drittel des Buches, mit eingearbeitet sind. Die Komplexität ist wiederum notwendig und problematisch. Zwar könnte man den Aufbau des Romans erklären, indem man sagt, dass das Chaos immer weiter aufgeräumt wird, indem es sozusagen doppelt gefiltert und erklärt wird: durch die Poetik und durch die Erlebnisse. Aber praktisch betrachtet, wäre das Ergebnis schwer zu ertragen. Dem Konzept steht also nicht nur der Mittelteil im Weg, sondern in diesem Fall auch das erste Drittel.

Ich könnte wohl eine neue, einfachere Geschichte fürs erste Drittel erfinden, den Mittelteil ersetzen und den letzten Part hart überarbeiten, aber sinnvoller wäre es wohl, das arme Ding zu erschießen. Als ich das Manuskript damals fertiggestellt hatte, wusste ich, dass ich es nicht veröffentlichen kann, aber ich wusste noch nicht recht, warum eigentlich nicht. Genau deshalb lasse ich Manuskripte eine Weile ruhen, bevor ich mich nochmals an die Arbeit setze. Ich lerne in der Zwischenzeit dazu und bekomme Abstand vom Werk. Wichtig ist dies auch für meine manchmal etwas überzogenen Ideen: Wenn ich 6 Monate nach Fertigstellung des Manuskripts nicht mehr verstehe, was ich gemeint hatte, werden es die Leser*innen wohl auch nicht verstehen können. Und ja, das kommt vor.

Ich betrachte diesen Blogeintrag übrigens nicht als Geschichte eines Scheiterns, sondern als Zusammenfassung eines Entwicklungsschrittes. Man soll und muss bereit sein, die Arbeit von vielen Monaten nachträglich als Übung zu betrachten, anstatt sie in die Welt zu zwingen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass als Nachhall der Gedanken, die ich hier zusammengefasst habe, tatsächlich eine Lösung auftreten wird. Geschieht dies nicht (wovon ich ausgehe), werde ich das Manuskript ausschlachten und die Einzelteile recyclen. Part Eins und Part Drei jeweils als Erzählungen zu veröffentlichen, wäre eine Idee. Man könnte sie in einem Buch zusammenfassen, Part Zwei überspringen (beziehungsweise in den Kopf der Leser*innen verlagern) und die Parallelen zwischen beiden Erzählungen verdeutlichen. Packen wir’s an!

Sorck: Ein Witz

Über einen Scherz im Roman “Sorck”.

Allen voran bebte eine rotgesichtige Nixe, deren Abendkleid eine Eleganz ausstrahlte, als habe Dädalus persönlich es für eine Liebesnacht der Parsiphae gefertigt.

Klingt das nicht elegant? Falsch. Frischen wir mal ein wenig das allgemeine Mythologie-Wissen auf:

Parsiphae war die Gemahlin des Königs Minos von Kreta. Minos hatte es gewagt, den von Poseidon geschaffenen heiligen Stier nicht als Opfergabe zu verwenden, sondern ihn zum Zuchtbullen zu machen und seine Herde zu optimieren. Als Strafe hat Poseidon dafür gesorgt, dass Parsiphae auf den Stier steil ging, also sich verliebte. Da Dädalus (oder Daidalos) – ihr wisst schon, der Vater von Ikarus … die Sache mit den Flügeln und der Sonne – der Hoferfinder auf Kreta war, bat Parsiphae ihn, ihr ein Gestell zu basteln, damit der Stier sie besteigen konnte. Das tat er natürlich. Die Königin ließ sich vom Stier begatten, sie gebar den Minotaurus und Dädalus hatte wieder einen Auftrag: Das Labyrinth zu bauen, in dem der Minotaurus zu leben hatte.

Die Eleganz des Kleides der Dame in meiner Szene hatte also die einer Stier-Attrappe. Das fand ich mal witzig, bis ich den Witz hier eben erklärt habe. Vielleicht sollte man manches unangetastet lassen. Aber wenn wir schon dabei sind, kann ich den Artikel auch fertigstellen.

In Sorck befinden sich etliche mythologische Bezüge, die meisten davon weniger albern als dieser. Wieso habe ich das gemacht? Einerseits finde ich die Welt der Mythologie ausgesprochen interessant. Die Geschichten sind häufig aufgeladen mit Moral und tieferer Bedeutung, sie sind bunt und spannend und zeigen oft eine Suche nach Erklärungen auf, die man zur damaligen Zeit einfach nicht ohne göttlichen Beistand finden konnte. Beispielsweise gibt es die Geschichte, dass der Sohn des Sonnengottes dessen Wagen mit den Feuerrössern ausprobieren wollte, die Pferde nicht unter Kontrolle bekam, zu tief flog und damit die Bewohner des afrikanischen Kontinents für alle Zeit verkohlte und sie deswegen dunkelhäutig sind. Aus heutiger Sicht ist das natürlich Quatsch, aber es ist immerhin ein Erklärungsansatz und zeigt, dass sich die Menschen schon immer fragten, wieso die Dinge so sind, wie sie sind. Die meisten Geschichten sind jedoch moralischer Natur.

Ein anderer Grund für die mythologischen Bezüge ist auf ein philosophisches Werk zurückzuführen, für das wiederum ein mythologischer Bezug als Kern gewählt worden ist: Der Mythos des Sisyphos von Albert Camus. Camus vergleicht das Leben mit der endlosen und ewigen Aufgabe des Sisyphos, der im Totenreich einen schweren Stein einen Berg hinauf zu schieben hatte. Immer, wenn er oben angelangt war, rollte der Stein auf der anderen Seite wieder hinab und die Aufgabe begann von vorn. Allerdings hat Camus die scheinbare repetitive Hölle dieses Mythos umgedeutet und keineswegs argumentiert, dass das Leben unerträglich sei, sondern lediglich vollkommen sinnlos oder, wie er es schreibt, absurd. Alles, was wir tun, endet mit dem Tod und dieses Ende spricht dem Leben jedweden höheren Sinn ab. Alles ist vergebens. Die Einsicht der Absurdität des Lebens lässt der einsichtigen Person drei Reaktionen:

  1. Der logische Selbstmord.
  2. Flucht zu einer höheren Macht, um Sinn in einer anderen Instanz zu finden.
  3. Ersatzsinn.

Wem kommt das bekannt vor? Wer schon ein bisschen mehr von mir gelesen hat, weiß, dass ich Weg Nummer 3 gewählt habe und Literatur an die Stelle eines mangelnden echteren Sinnes gesetzt habe. Martin Sorck geht im Prinzip die 3 Stationen ab und die Flucht zum Glauben ist nicht nur durch die Kirchen repräsentiert, die er besucht, sondern eben auch durch die Bezüge zu den Götter- und Halbgöttergeschichten der griechischen, slawischen und nordischen Mythologie.

Jetzt bin ich weit abgekommen von einem Witz, aber macht das nicht einen guten Gag aus? Dass mehr dahinter steckt, als man annehmen würde? Nachdem ihr etwas Witziges lesen wolltet, habt ihr am Ende Sachen gelernt. Das finde ich witzig.

Darf man sich verstehen?

Über die Gründe zu schreiben und die Suche nach Selbsterkenntnis.

Die komplette Fragen müsste lauten: Darf man sich als Autor*in verstehen, um weiterhin schreiben zu können? Oder: Hemmt ein (weitestgehend) vollständiges Selbst-Verständnis den Schreibdrang und den kreativen Umgang mit dem eigenen Leben?

Wenn ich mich recht entsinne, hat Hermann Hesse die Psyche einmal mit einem Baum verglichen. Wenn man es schaffen sollte, jeden noch so kleinen Ast literarisch zu erfassen, könnte man sich selbst begreifen und würde zu einer Art Erleuchtung oder Erlösung gelangen. Das scheint mir ein interessanter Antrieb zu sein, aber utopisch, nicht erreichbar und falls doch erreichbar, dann zwingend jede Schreibtätigkeit beendend. Es wäre ein Endpunkt, die Vollendung eines Lebenswerks. Vermutlich war es Hesse bewusst, aber er träumte dennoch von einer Leichtigkeit, die er erlangen könnte, wenn er allen Ballast abgelegt haben könnte. Eine schöne Vorstellung: Endlich man selbst sein ohne Kompromisse, Erleuchtung in gewisser Weise.

Hermann Burger argumentierte, dass man beim Schreibprozess den inneren Germanisten (und Psychiater) stumm schalten müsse, weil man nicht verstehen dürfe, was man wirklich meint. Würde man vor Vollendung des Werkes verstünde, warum man es schreibt, verlöre man den Grund, es zu schreiben. Der Sinn des Schreibens wäre verloren. Damit ging es ihm also um die Verarbeitung bestehender persönlicher Probleme durch Literatur, ohne Rücksicht auf Entblößung oder tatsächliche Heilung.

Einen Schritt weiter ging Adolf Muschg in der Poetik-Vorlesung Literatur als Therapie?, in der er die These aufstellte, dass Autor*innen sich grundsätzlich einer vollständigen Therapie verweigerten, obwohl sie eigentlich nach einer Lösung ihrer eigenen Probleme suchten. Die Auflösung dieser Probleme würde dem Schreiben im Wege stehen, das einen eigenen Wert hätte, der noch über dem eigenen Glück stünde. Schreibende bekommen ihre Aufmerksamkeit und ihre Belohnungen, das heißt also ihren Liebes- oder Glücksersatz, durch die Literatur und durch Erfolge (Buchverkäufe, Rückmeldungen, Fertigstellen von Werken usw.), und verweigerten sich daher dem echten Glück. Da die Probleme eines Menschen Symptom der gesellschaftlichen Probleme seien, werden nach dieser These Autor*innen zu Anzeigern größerer Missstände.

Diese Denkansätze deuten bereits auf einen sehr reflektierten Umgang mit der eigenen Tätigkeit hin und werden vermutlich nicht von allen Schreibenden unterzeichnet werden, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen könnten, und zwar einer Wahrheit, die den meisten nicht bewusst wäre. Dass die Aussagen wirklich auf alle Schreibenden zutreffen, möchte ich nicht behaupten, aber sie faszinieren mich.

Eine Autorin, die ihre Werke selten beendet und niemals veröffentlicht, erzählte mir einmal, dass ihre Geschichten keineswegs eine Verarbeitung ihrer eigenen Probleme seien, sondern das Gegenteil davon, nämlich eine Flucht vor der Realität in eine andere, bessere, strukturiertere und sinnvollere Welt. Den Vorwurf der Realitätsflucht kennt man auf Leser*innen bezogen, aber auf Schreibende weniger. Dieser Ansatz würde der Theorie der Therapie-Verweigerung nicht widersprechen, da Autor*innen wie die erwähnte ebenfalls keine Hilfe suchen oder direkte Reflexion anstreben, sondern im Umweg über die Literatur einen Ersatz anstreben.

Die vorangestellte Frage kann nur als Denkansatz verstanden werden, da ich es für unmöglich halte, sich selbst vollständig zu durchschauen. Dafür sind wir zu nah an uns dran. Ein Teil des Systems kann niemals das gesamte System überblicken. Der Abstand fehlt. Vielleicht geht es also mehr um einen Frieden, den man mit sich und den eigenen Schwierigkeiten schließt. Kann man Ausgeglichenheit und inneren Frieden mit der Erschaffung von Literatur (oder Kunst generell) zusammenbringen? Ich denke nicht. Mit innerem Frieden fehlt auch die Auflehnung gegen die Welt, wie sie ist. Viele werden argumentieren, dass es in ihren Werken nicht um sie selbst, sondern um Ungerechtigkeit geht, um eine Alternative zur bestehenden Welt oder einfach um Spaß am Schreiben. Doch ich würde sagen, dass ein Streben nach Gerechtigkeit auf die eigene Persönlichkeitsstruktur hinweist und auf Unzufriedenheit mit der Umwelt, dass Alternativen zum Bestehenden nur notwendig erscheinen, wenn man mit dem Bestehenden nicht einverstanden ist, und dass Freude am Schreiben nichts vom zuvor gesagten widerspricht, sondern höchstens Gefühle einem tieferen Bedürfnis vorschiebt. Auch in Romance, Fantasy und anderen Genres, die manchem weniger bedeutsam erscheinen mögen oder die nicht zum Gesagten zu passen scheinen, eine klare Struktur vorherrscht, ein idealisiertes Leben dargestellt wird oder ein Happy End vorkommt, das man im eigenen Leben oder in der Welt um sich herum nicht findet. Gut gegen Böse ist eine Simplifizierung, die mehr Sinn ergibt als das Leben, dem wir alltäglich ausgesetzt sind. Die Zerstörung des Bösen am Ende ist ein Traum, der in der Realität nicht umgesetzt werden kann, da es leider nicht so simpel ist. Damit wird jede Literatur zu einem Ausdruck von Unzufriedenheit und mag sie noch so unbewusst, erträglich oder gering sein oder erscheinen.

Man muss natürlich auch hier wieder darauf hinweisen, dass Literatur fiktiv ist und Autor*innen niemals direkt über sich selbst schreiben. Das sollte klar sein, ist es aber leider nicht für jede*n. Diese Verschiebung ins Fiktive macht Literatur einerseits ansprechend und wirksam und verhindert andererseits die reelle Auflösung der zugrunde liegenden Konflikte im Schreibenden. Indem wir die Erschaffung unserer Werke der Lösung unserer Probleme vorziehen, geben wir ein Stück weit unser Glück auf, während wir gleichzeitig anderen die Möglichkeit geben, sich wiederzuerkennen im Geschriebenen und damit Schwierigkeiten zu identifizieren und idealerweise anzugehen, oder sich für eine Weile aus der problembehafteten Realität zu flüchten, was ebenfalls eine Lebenshilfe darstellen kann, sofern es nicht ein dauerhafter Abwehrmechanismus wird.

Ich bin der Meinung, dass es für jede*n wichtig und richtig ist, sich selbst zu reflektieren, um ein möglichst (subjektiv) gutes Leben führen zu können, für Autor*innen aber auch entscheidend zur Erschaffung neuer Werke ist. Mit großem Abstand lassen wir dabei die Welt an unserer Entwicklung teilhaben, ohne uns vollends zu verraten. Wir bleiben privat in der Öffentlichkeit, damit andere durch Veröffentlichungen Privates verbessern können. Das ist der Wert, die Gefahr und die Bedeutung von Literatur in meinen Augen.

Rache durch Kunst

Über eine mögliche Motivation hinter dem Schreiben.

Rache durch Kunst. Ist das überhaupt möglich? Ich hoffe es doch.

In Das schwarze Bild aus dem Erzählband Derrière La Porte von Michael Leuchtenberger (eine Rezension findet Ihr hier: Michael Leuchtenberger: Derrière La Porte) malt eine Künstlerin ein verfluchtes Bild, das für sie Rache nimmt. Die Geschichte hat mich an einen Ansatz meiner eigenen Arbeit erinnert, den ich inzwischen fast vergessen hatte. Ich bin ein wütender Mensch und hege mehr Groll, als man mir vermutlich zutraut. Daher war ein fast zwanghafter Gedanke zu Beginn meiner großen Schreibphase vor einigen Jahren, dass die Menschen einmal die Welt aus meinen Augen sehen sollten, um mich besser zu verstehen und (in einigen wenigen Fällen) um zu verstehen, was sie mir angetan haben. (Hier liegen bereits zwei Denkfehler vor: 1. Meine Werke sind keine Wiedergabe der Welt, wie ich sie sehe. 2. Diejenigen, an die ich dabei dachte, werden meine Werke vermutlich niemals lesen.) Adolf Muschg sagte: „Kunstwerke sind im Grenzfall die einzigen Beweisstücke, wieviel wir aus dem machen können, was uns angetan wird.“ Das passt hier mal wieder ganz gut.

Aus diesem „versteht mich!“- oder Rache-Gedanken folgte, dass ich Geister sozusagen mit meiner Weltsicht infizieren wollte oder anders formuliert: ich wollte Feuer legen. Damit hatte ich den Anfang von Sorck gefunden: Feuer.

Zwar arbeite ich schon lange nicht mehr mit dieser Idee im Hinterkopf (oder vielleicht nicht mehr bewusst?), aber sie fasziniert mich dennoch. Kann man die Werke von Künstlern als Rache an der Welt verstehen? Sie können Mahnungen sein und Warnungen, Verarbeitungen von Geschehnissen, Gefühle, Gedanken. Sie können ein Finger am Puls der Gesellschaft sein, Realitätsflucht und das Aufzeigen möglicher Alternativen. Im Rahmen all dessen hat die Rache ihren Platz, denke ich. Natürlich ist dies nicht das Leitmotiv (und schon gar nicht das bewusste) der meisten Autor*innen, aber es spielt bei manchen Schreibenden und anderen Kunstschaffenden mit hinein. Indem wir an die Öffentlichkeit treten und Werke, die aus unserem Verstand stammen, verbreiten, schicken wir auch eine Anklage an alles, was uns Schlimmes passiert ist, hinaus in die Welt. Damit stellen wir die Schuldigen an den Pranger. Diese Schuldigen können genauso gut Gruppen oder Gesellschaftsverhältnisse sein oder systembasierte Ungerechtigkeiten.

Wenn wir Kunst schaffen, nehmen wir etwas aus unserem Geist und stellen es in die Welt. Alle, die daran mitarbeiteten, dieses Etwas in unserem Geist reifen zu lassen, stellen wir damit indirekt ebenfalls in die Öffentlichkeit und setzen es ihr aus. Selbstverständlich kann das auch Positives sein. Nicht nur Täter arbeiten ständig an uns, sondern auch Wohltäter. In dem Fall wäre Kunst auch ein Akt der Dankbarkeit. Ich weiß genau, dass mich bei weitem nicht nur negative Erlebnisse inspirierten, sondern auch viele positive. Manchen Menschen setze ich ein Denkmal und anderen ein Mahnmal.

Das alles hier sind rein theoretische Überlegungen. Schriebe ich „XY hat mir dieses und jenes angetan“ ist das keine Literatur, sondern eine Anzeige. In manchen Fällen wären Anzeigen sicherlich die bessere Reaktion gewesen, aber hier soll es nicht darum gehen. Was uns formt und was sich im Verstand festfrisst, wird irgendwann wieder zutage treten, aber eben nicht, ohne dass es verändert worden wäre. Eine Geschichte, in der man (bewusst oder unbewusst) etwas verarbeitet, gleicht einem Mahnmal für die Opfer eines Krieges: es ist weit entfernt von der tatsächlichen Abbildung des Horrors, den die Opfer durchmachten, es ist ein Symbol, um uns daran zu erinnern, was geschehen ist, und es ist ein Beruhigungsmittel, das den Financiers des Mahnmals ein gutes Gewissen verschaffen soll, denn man hat ja irgendetwas unternommen (wenn auch zu wenig und viel zu spät). Das Bild, das Kunstschaffende schließlich in die Welt stellen, hat nicht mehr viel mit dem zu tun, was sie zur Kunst gebracht hat. Schichten um Schichten von Erinnerungen, Verarbeitungen, Rechtfertigungen, Ablenkungen und kunsttheoretischer sowie stilistischer Überlegungen und Überarbeitungen stehen dazwischen. Übe ich heute meine Rache in Form von Geschichten, sieht niemand außer mir die Rache darin, und diejenigen, an denen ich mich irgendwann einmal rächen wollte, erinnern sich vermutlich nicht einmal mehr daran, dass sie etwas getan haben, das Rache verdient.

Letztendlich ist Rache eine Fantasie der Schwachen und Unterdrückten und wird hinfällig, wenn der Zustand der Unterdrückung und Schwäche überwunden worden ist. Die Narben bleiben, aber der innere Schutzwall in Form von Rachefantasien wird überflüssig. Ich möchte gern glauben, dass meine Zeit der großen Schwäche vorüber ist und die letzten Rachegedanken nur noch Katalysatoren sind, die mich vorantreiben in meiner Arbeit, aber keine Notwendigkeit mehr darstellen und um ihrer selbst willen hinfällig sind. Ich bin über meine Feinde erhaben, sie können mich nicht mehr erreichen, denn ich lebe das Leben, von dem ich immer geträumt habe.

Gedichtband

Eines meiner aktuellen Projekte, über das ich auch sprechen darf, ist ein Gedichtband. Hier möchte ich kurz darüber berichten, warum ich ausgerechnet Lyrik veröffentlichen möchte, was Leser*innen erwarten wird und wie weit ich mit der Arbeit bin.

Als ich damals zu schreiben begann, war ich etwa 13 oder 14 Jahre alt und hatte Probleme mit meinen Mitschülern. Schon als Kind hatte ich Schwierigkeiten, mich in Gruppen einzufinden, mit Fremden zu sprechen oder mich überhaupt mitzuteilen. Ich spielte am liebsten allein, immer in meiner eigenen Welt. Daher hatte ich als Teenager noch nicht gelernt, mich der Welt zu stellen, Probleme gesund zu verarbeiten oder sie anzusprechen. Mir fehlte es auf diesen Ebenen an Reife. Gleichzeitig entdeckte ich einige Gedichte, die mich ansprachen, hauptsächlich düstere Texte von E.A.Poe, Lord Byron, Beaudelaire, Trakl und Blake. Darauf war ich gekommen, weil ich verschiedene Künstler der Goth-Szene hörte, in entsprechenden Chatrooms und auf passenden Websites unterwegs war und dort auch Literatur-Empfehlungen fand. Für einen ordentlichen Goth empfand ich es als passend, traurige Gedichte zu schreiben. Und das tat ich. Die Anfänge waren aus heutiger Sicht ziemlich schlecht und sehr pathetisch, aber so blickt vermutlich jede*r auf die eigenen Arbeiten zurück. Das ist immerhin 20 Jahre her. Freunde, denen ich die Texte zeigte, ermutigten mich, weiterzumachen. Das war mein Start als Autor. Lyrik half mir, Dinge auszudrücken, für die ich paradoxerweise keine Worte fand. Ich konnte nicht sagen „XY hat mir dieses und jenes angetan“ oder einfach „ich brauche Hilfe“, aber ich konnte meine Gefühle in Metaphern verwandeln und schriftlich verarbeiten. Heutzutage kommuniziere ich zum Glück offener. Die Verarbeitung mithilfe von Gedichten und anderer Literatur ist aber geblieben.

Für mich handelt es sich also um eine persönliche Angelegenheit, wenn ich Lyrik schreibe, und ich halte es für richtig, dass ich wenigstens die Textform zeige, mit der vor so vielen Jahren alles für mich anfing. Die Begründung „es fühlt sich richtig an“ ist meiner Meinung nach absolut legitim in solchen Fällen. Im Gedichtband werden allerdings keine frühen Texte auftauchen, sondern eine Zusammenstellung von Gedichten aus den Jahren 2016 bis 2019. In dieser Zeit hatte ich vieles aufzuarbeiten und war recht fleißig. Man sollte die Texte dennoch nicht lesen, als seien sie rein autobiographisch. Manche Gedichte sind Experimente, manche entstammen der intensiven Beschäftigung mit bestimmten Ideen und manche sind die Umsetzung von Ideen, deren Herkunft mir selbst nicht klar ist. Außerdem ist es eben Lyrik und es geht hier und da mehr um die erzeugten Bilder und Gefühle, die etwas repräsentieren, als um die tatsächliche Darstellung dessen, was repräsentiert werden sollte. Kryptisch, ich weiß.

Thematisch wird es sich um Alkohol- und Drogenmissbrauch, um Parasuizidalität, das Schreiben an sich, Außenseitertum, ein wenig Philosophie und sogar Politik drehen. Es gibt also keinen klaren Themenschwerpunkt, sondern eine Übersicht über das, was mich in den Jahren 2016 bis 2019 beschäftigt hat.

Zum Status: Die Texte sind ausgewählt und überarbeitet, wo es nötig war. Einen Entwurf fürs Cover gibt es auch. Ich hoffe, dass das Cover noch diese Woche komplett fertig wird. Mit dem Buchsatz kämpfe ich weiterhin, habe aber eine klare Vorstellung und mache Fortschritte. Auch wenn ich nur ungern Prognosen abgeben möchte, würde ich sagen, dass das Buch im Oktober (vielleicht zur Buchmesse?) erscheinen wird. Vorher werde ich 1-2 Wochen lang Stimmung machen und nach der Veröffentlichung wird es dann ein paar Blogeinträge zu den Texten geben, vielleicht werde ich sogar den ein oder anderen Text aufnehmen und hochladen.

Was bleibt noch zu sagen? Wenn ihr Lyrik mögt, seid gespannt! Wenn nicht, habt ihr vermutlich gar nicht bis hierher gelesen.

Sorck: Munchs Schrei

Mit dem berühmte Schrei von Edward Munch (1863-1944) geht es weiter in der Reihe von Kunstwerken, die im Roman Sorck vorkommen (wenn auch manchmal nur sehr kurz). Zuvor ging es bereits um The Great Implosion von Nick Alm und um Der alte Gitarrenspieler von Picasso.

Der Schrei ist eigentlich nicht ein Bild, sondern mehrere. Es gibt verschiedene und in den meisten Fällen recht ähnliche Versionen des Bildes, die zwischen 1893 und 1910 entstanden. In meiner Wohnung hängt ein Kunstdruck der Version von 1910, die mir persönlich am besten gefällt. Zu sehen ist im Zentrum eine Figur, die Augen und Mund aufgerissen hat und beide Hände an den Kopf hält. Ich denke, jeder kennt das Werk. Der heutzutage geläufige Titel hätte Munch vermutlich missfallen. Mehrfach bezeichnete er selbst es auf Deutsch als Das Geschrei. Die Interpretation, dass die zentrale Figur selber schreie, war vom Maler nicht beabsichtigt, wird aber vom heute geläufigen Titel unterstützt. Munch verarbeitete eine Angstattacke, die ihn eines Tages auf einem Spaziergang überkam, als er einen Schrei hörte, der durch die Natur ging.

Der Schrei zeigt wunderbar, wie Munch es verstand, die Außenwelt als gespiegelte Innenwelt darzustellen. Nichts anderes, wenn auch mit anderen Mitteln (und weniger meisterhaft), tue ich, wenn ich die Umgebung einer Figur innerhalb einer Szene nutze, um eine Stimmung zu unterstützen oder eine Aussage zu einzubauen. Im Grunde entsteht eine Interpretationsspirale, wenn Munch die Innenwelt seiner Figur mit der Außenwelt innerhalb des Gemäldes darstellt und ich das gesamte Bild (Figur und Natur) verwende, um die Welt meiner Figur besser darzustellen. Gerne darf jemand in einem anderen Buch meinen Roman vorkommen lassen (beispielsweise auf einem Nachttisch liegend), um die Kette weiterzuführen.

Generell gibt es zwei Ansätze, um sich mit einem Bild zu beschäftigen. Entweder man informiert sich und interpretiert mithilfe von Hintergrundinformationen oder man leistet sich einen persönlicheren, weniger voreingenommenen Ansatz und lässt die Kunst pur auf sich wirken. Manche Werke verschließen sich dem zweiten Ansatz fast vollständig. Ich denke da zuallererst an monochrome Leinwände. Bei denjenigen, die sich nicht verschließen, kommt es doch häufig zu Missverständnissen oder – positiver ausgedrückt – zu neuen, ursprünglich nicht intendierten Interpretationen. Ohne die Informationen über die Angstattacke Munchs, die er verarbeitete, bezog ich die Reaktion der zentralen Figur immer auf die beiden dunklen Figuren im Hintergrund. Eine Idee, die ich hatte, ging in Richtung einer Sozialphobie, also einer Angstreaktion der Figur aufgrund der anderen. Häufiger aber sah ich mehr Verzweiflung als Angst. Entsprechend stellte ich mir den Weg, auf dem die Figuren sich befinden, als Rand einer Promenade vor, die voller Menschen ist, während die Zentralfigur vollkommen allein ist. Für mich passte Der Schrei immer gut zu Dostojewskis Aufzeichnungen aus dem Kellerloch.

Nach dieser Sicht auf das Bild wird der Bezug zu Matin Sorck erheblich deutlicher. Er ist ein Außenseiter durch und durch, leidet unter seinen Mitmenschen und würde sicherlich manchmal einfach losschreien. Natürlich hat er auch Angst. Er hat alles verloren, wo soll er hin? Man kann das Vorkommen des Bildes also als Unterstützung des Figurenverständnisses des Protagonisten verstehen, wenn man denn so weit interpretieren möchte.

Wie schon bei Picasso und Nick Alm verbaue ich mit Der Schrei aber auch eine alltägliche Ansicht, einen Teil meines Arbeitszimmers und meines Lebens in der Geschichte. Es verbindet die Welt von Sorck mit meiner eigenen. Und natürlich: ich mag das Bild sehr; die Dymanik, das Grauen, die Farben und die intensive, verzweifelt wirkende Pinselführung. Große Kunst wie große Literatur verarbeitet persönliche, individuelle Erfahrungen und Gefühle und wird genau dadurch für alle anderen verständlich. Das versuche ich mit meiner Arbeit, die ich allerdings noch nicht als „große Literatur“ bezeichnen würde, auch zu tun.

Unter der Kategorie “Sorck” (im Klappmenü rechts) finden sich weitere Beiträge zum Roman.

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Außerdem ist es möglich, im Buchladen vor Ort ein Exemplar zu erhalten.

Sorck: Picassos Gitarrist

Wie bereits im Text über den Künstler Nick Alm bespreche ich heute ein weiteres Bild, das im Roman Sorck vorkommt. Diesmal ist der Maler bekannter und das Bild eventuell auch. Es handelt sich um den alten Gitarristen von Pablo Picasso (1881 – 1973).

Dieses Bild sorgt noch deutlicher für eine passende Hintergrundstimmung als The Great Implosion von Nick Alm. Gezeigt wird ein alter, blinder Gitarrist, der in gekrümmter Haltung im Schneidersitz mit seinem Instrument in der Hand an der Straße kauert. Abgesehen von der Gitarre ist das gesamte Bild in Blautönen, gemischt mit Grau und Schwarz, gehalten. Es wurde am Ende von Picassos Blauer Phase gemalt, die sich durch ihre tristen Motive (und natürlich die Farbgebung) auszeichnete. Picasso hatte vor Beginn der Blauen Phase einen guten Freund durch Selbstmord verloren und lebte in großer Armut. Entsprechend melancholisch stimmt der Anblick des alten Gitarristen und passt damit sehr gut zur zwischenzeitlich hoffnungslosen Stimmung des Protagonisten Martin Sorck.

Die erste Antwort auf die Frage, warum ich gerade dieses Bild in Sorck erwähnte, ist damit beantwortet. Eine weitere Antwort wäre, dass es eins meiner Lieblingsbilder ist. Ein Kunstdruck hängt an meiner Wand. Wenn ich also etwas, das ich täglich betrachte, in mein Buch einbaue, stecke ich auch ein bisschen mehr von mir selbst hinein. Viele Schichten liegen dazwischen und als Leser*in erkennt man mich nicht dahinter, doch das Bild ist im Buch, weil es hier hängt und es hängt hier, weil es zu mir passt.

Ein weiterer Aspekt ist der Fokus des Bildes auf die Kunst, hier in Form einer Gitarre. Der alte Mann ist angewiesen auf seine Kunst, um zu überleben, er klammert sich daran, wie es für Picasso vermutlich auch war. In meinem Leben ist die Kunst, diesmal als Literatur, ebenfalls im Zentrum. Alles andere ordnet sich konzentrisch darum.

Erwähne ich den alten Gitarristen in meinem Roman, handelt es sich also um Kunst in Kunst, um etwas über Kunst und Künstler auszusagen, wenn man so will. Schicht über Schicht über Schicht und Aussage in Aussage. Ich schreibe nicht über mich selbst, sondern erscheine hier und da in Details, die mich verraten.

Als letzten Punkt wäre noch zu erwähnen (wie schon bei Nick Alm), dass ich Dinge, die ich mag, gerne populärer machen möchte. Jeder kennt den Namen Picasso, aber nicht jeder kennt dieses Bild. Vielleicht tue ich ja jemandem etwas Gutes, indem ich ihn/sie auf Neues (oder neues Altes) aufmerksam mache. Nutzt man sozusagen das vollständige Potenzial meines Buches aus, wird es zu einem multimedialen Ereignis, das aus Literatur, Bildern, Filmen und Musik besteht. Auch wenn ich kein großer Technikfreund bin, kann es eine Menge bringen, das Smartphone in Griffweite zu haben, während man Bücher liest: Schlagt unbekannte Wörter nach, schaut euch angesprochene Bilder an und hört die erwähnte Musik! Ich habe unheimlich viel durch Bücher gelernt und möchte mit Sorck etwas weitergeben.

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