Der Erzähler, das lyrische Ich und ich

Über den Unterschied zwischen Erzähler bzw. Lyrischem Ich und Autor*in sowie das Spiel mit der Verwechslung beider.

Das Schöne an Fiktion ist, dass sie fiktiv ist. Niemand braucht zu wissen, wer ich bin, wie ich mich fühle, was ich den ganzen Tag treibe oder was ich über die Welt und die Menschen denke.

Ein Erzähler ist nicht sein*e Autor*in und das lyrische Ich ebenfalls nicht. Das ist eine uralte Wahrheit, die man bereits in der Schule lernt und die wieder und wieder vergessen wird. In manchen Genres scheint es offensichtlicher als in anderen, doch neulich stolperte ich über einen Tweet: eine Science-Fiction-Autorin wurde gefragt, ob ihre Geschichte autobiographisch sei. Dieser Tweet und einige Interpretationen meines Gedichtbands Alte Milch und Fragen zu ebendiesem forderten geradezu einen Artikel zum Thema.

Es ist selbstverständlich, dass Schreibende sich nicht aus dem Geschriebenen heraushalten können. Ich schlüpfe jedoch in eine andere Rolle, wenn ich Literatur erschaffe. Man kann es vergleichen mit manchen Alltagssituationen oder einem Job-Interview. Während ich versuche, einen Job zu ergattern, werde ich mich nicht verhalten, wie ich mich bei Freunden verhalte, dort wiederum nicht wie im Familienkreis und nirgends bin ich, wie ich in meinem Kopf bin. Hinzu kommt die Diskrepanz zwischen Innen- und Außenwelt. Mein Denken ist nicht mein Verhalten und umgekehrt. Eine Person wirklich zu kennen ist also immer schwierig. In der Literatur bauen wir noch sehr viel mehr Schichten zwischen uns und die Öffentlichkeit. Das, was von unserem Inneren übrigbleibt, variiert, aber niemals erzählen wir direkt von uns. Ein Erzähler ist angepasst an eine Geschichte, genau wie die Figuren auch. Auch der Ich-Erzähler bin nicht ich.

Lyrik thematisiert nicht selten Bereiche, die üblicherweise als persönlich empfunden werden. Seien es nun Gefühle wie Liebe und Hass, privates Verhalten oder Sexualität. Addiert man dazu die Ich-Perspektive, die in der Lyrik gängig ist, wird schnell der Eindruck erzeugt, jemand schreibe über sich selbst. Doch Schreibende lassen sich zwischen den Zeilen finden und nicht in ihnen. Beispielsweise schreibe ich selbst häufig über Alkohol und man kann und darf daraus interpretieren, dass ich eine persönliche Geschichte mit dieser Droge habe. Was man nicht schließen sollte, ist, dass die lyrisch oder prosaisch veröffentlichten Vorkommnisse eigene Erlebnisse seien.

Fairerweise sollte ich zugeben, dass ich gerne mit diesem Phänomen spiele. Das Image des gequälten Künstlers liegt mir und es ist nicht nur ein Image. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich autobiographisch schreibe. Die tiefsten Wahrheiten eines Menschen sind am weitesten von der Sprache entfernt. Lyrik macht es möglich, sie anzudeuten oder darauf hinzuweisen, dass es sie gibt. Sie lässt im Bestfall spüren, wie es sich anfühlt, diese Wahrheiten in sich zu tragen. Das kann sie jedoch nur dann, wenn sie vage oder trügerisch bleibt, anstatt explizit zu nennen zu versuchen, was Sache ist. Das Unaussprechliche ist manchmal nicht unaussprechlich aufgrund seiner Ungeheuerlichkeit, sondern weil es schlichtweg keine Sprache gibt, die Gefühle und Wahrheiten vollends auszudrücken vermöchte.

Im Vorwort zu Alte Milch heißt es: „Ich verspreche, ich sage die Wahrheit, aber nicht wirklich.“ Das kann auf zwei Weisen gelesen werden. Entweder ich spreche nicht wirklich die Wahrheit oder ich verspreche es nicht wirklich. Beide Varianten sind richtig. Man könnte es aber noch auf eine dritte Art lesen. Vielleicht „sage“ ich auch nichts Wirkliches, weil die Wirklichkeit hinter unserer Interpretation verborgen bleibt und eine persönliche Realität (verstanden als Zusammenspiel aus äußerer Wahrnehmung von Gegebenheiten und innerer Verarbeitung derselben) nicht durch Sprache auszudrücken ist. (Anmerkung: Einige Gedanken dazu finden sich auch im Eintrag Der Traum ist Teil der Realität.) Das heißt, kurz gefasst, dass ich Shit verändere oder erfinde, weil es anders nicht geht. Ich schreibe nur indirekt über mich.

Um zu wissen, wie ich bin, muss man ich sein.

Teil von etwas Größerem

Über das Gedicht “Alpha I” aus “Alte Milch” und Gedanken die Zugehörigkeit der Menschheit zu etwas Größerem betreffend.

Was bedeutet meine Liebe für die Menschheit?
Ist mein Hass gerechtfertigt
Als schmerzhafter Reiz?

Das ist ein Ausschnitt aus Alpha I, einem der philosophischeren Texte im Gedichtband Alte Milch.

Every living creature on earth dies alone.

Das flüstert Roberta Sparrow dem jungen Donnie Darko im gleichnamigen Film ins Ohr.

Lassen wir Gott für einen Moment aus dem Spiel. Was bleibt, wenn wir einen Plan, ein lenkendes Wesen, Schicksal, Himmel, Hölle, Wiedergeburtssysteme und Prädestination aus der Rechnung nehmen? Denn, seien wir mal ehrlich, wir glauben nicht mehr daran. Zuerst einmal werden wir auf uns selbst als Einzelwesen zurückgeworfen. Wir sind allein, eine abgekapselte Einheit umgeben durch Sinne gefilterter Endlosigkeit. Tatsächlich kann mir niemand beweisen, dass es außerhalb meines Geistes noch andere Dinge oder Wesen gibt. Das wusste schon Descartes. (Er allerdings brachte wieder Gott ins Spiel, um seine Probleme zu lösen.) Schopenhauer war weniger skeptisch und meinte bloß, man könne nur vor die Dinge schauen, nicht in sie hinein. Man müsse also von sich auf die Welt schließen. Ein interessanter Gedanke. Dummerweise hat Schopenhauer zu seiner Zeit auch noch nicht richtig in sich selbst schauen können und zeitigte der Ansatz schöne und falsche Ergebnisse.
Gehen wir davon aus, dass unsere Sinne uns nicht täuschen, ich kein Gehirn im Tank bin und auch kein bösartiger Dämon mich veräppelt. Neben unserem Dasein als Einzelwesen sind wir Gruppenwesen, programmiert Gemeinschaft zu suchen und uns an sie zu klammern. Man könnte eine Kette oder ein Netzwerk bilden: Ich – Familie – Freunde/Bekannte – Dorf/Stadt/Staat – Weltpopulation. Sehr grob gehalten. Versuchen wir es uns optisch vorzustellen: Ich bin ein Punkt im Dunkel. Familie und persönliche Kontakte sind weitere Punkte. Es gibt direkte Verbindungen zwischen diesen Punkten. Manche Menschen haben mehr Außenkontakt und leuchten stärker. Dorfgemeinschaft, Stadtpopulation, Staatsbürger ergeben viele weitere Punkte und zwischen allen weitere Verknüpfungen. Ausgedehnt auf die Weltpopulation ergibt das ein komplexes Netzwerk, in dem jede*r mit jedem indirekt verbunden ist. Addieren wir moderne Kommunikationsmittel (Internet usw.) hinzu, werden einerseits die Verbindungen verstärkt und andererseits neue geschaffen. Seht ihr es vor eurem inneren Auge? Ein riesiges, dichtes, leuchtendes Netzwerk aus Individuen.
Legen wir dieses leuchtende Netz um eine Kugel, die Erde, erhalten wir ein Bild, das einem Gehirnscan ähnelt. Jeder Punkt ist ein Mensch. Jeder Punkt ist eine feuernde Zelle im Hirn. Unaufhörliche Kommunikation zwischen Einzelzellen erzeugt Leben auf höherer Ebene und endlich Bewusstsein.
Es gibt die Theorie, dass die Menschheit oder die Natur auf der Erde auf höherer Ebene Bewusstsein erzeugt, wie eben der Zusammenschluss von Einzelwesen (zuerst zu Zellen und dann zu komplexeren Wesen) zu unserem Bewusstsein geführt hat. Was würde dies für uns bedeuten? Einerseits gäbe es unseren Handlungen Sinn. Jede unserer Handlungen wäre ein Signal im übergeordneten Bewusstsein. Entsprechend hätten meine Veröffentlichungen, besonders wenn sie gelesen werden, eine Bedeutung, die nicht abzusehen ist. Einige Zellen feuern und ein Gedanke, Gefühl oder eine Handlung entsteht.
Das für uns nicht überschaubare Netzwerk von gegenseitiger Beeinflussung, besonders wenn man die Natur noch mit ins System einschließt, käme komplexen Gedanken gleich. Dies bedeutet, dass unsere Handlungen ebenfalls Teil des Ganzen und damit sinnvoll und damit wiederum unabdingbar wären. Es würde bedeuten, dass wir ein winziges Blitzen im Geist von etwas Größerem wären, aber als solches notwendig. Wir sind nicht allein und unser Leben spielte eine Rolle.
Gehen wir noch weiter. Umweltzerstörung, technologische Entwicklung und Klimawandeln könnte innerhalb dieses Bedeutungsfeldes neu interpretiert werden. Entweder als eine Art von Weiterentwicklung, Evolution, für das übergeordnete Bewusstsein, oder als Krankheit, Tumor, in ebenjenem Bewusstsein. An dieser Stelle breche ich ab. Bereits die vorhergehende Argumentation ist schwierig bis unmöglich aus dem System heraus, in dem man steckt, reine Spielerei. Stellt euch vor, eine eurer Gehirnzellen versuchte zu interpretieren, was ihr seid. Als Teil des Systems kann man unmöglich das Gesamtsystem überblicken.
Aber worum geht es hier überhaupt? Es geht um Sinnsuche. Ich brauche Sinn, um existieren zu können. Gott taucht häufiger in meinen Texten auf, als es mir lieb ist. Aber ich glaube nicht. Gedankenspiele wie das in diesem Blogartikel oder im Gedicht Alpha I helfen mir, irgendeine Art von Glauben aufrechtzuerhalten, der mein Leben rechtfertigt. Eine Zusammenstellung verschiedener Argumentationen, aus denen ich je nach Stimmung auswählen kann, um weiterzumachen und den Mut nicht zu verlieren. Ich brauche das.
Vielleicht beantwortet das auch die Frage, warum manche Menschen sich überhaupt mit Philosophie beschäftigen. Hier habe ich allerdings nur für mich allein gesprochen.

Alte Milch: Nahrungsmittelmetaphern

Über die Idee der Verwendung von Metaphern aus dem Bereich der Lebensmittel in Gedichten.

Bereits im Titel des Gedichtbands Alte Milch findet sich der erste Hinweis auf eine Eigenheit des Werkes: Vergleiche, Bilder und Metaphern aus ungewöhnlichen Bereichen, beispielsweise Essen. Wieso ich diese Bilder wählte, möchte ich kurz erläutern.

Jede*r Schreibende möchte sich auszeichnen, möchte anders sein als andere, möchte einzigartig sein. Das ist bereits der wichtigste Grund dafür, dass ich selten (und meist nur ironisch) bekannte und ausgelutschte Bilder in meinen Texten verwende. Ich will eigene Wege gehen. Das Gleiche gilt neben der angesprochenen Ebene auch für andere Bereiche des Schreibens. Es gibt allerdings abseits gängiger Komplexe (z.B. Blumen, um es auf die Spitze zu treiben), aus denen man Bilder wählen könnte, unzählige andere Möglichkeiten.

Dass ich mich bei manchen Texten für Nahrungsmittel entschieden habe, erwuchs aus mehreren Faktoren. Ernährung ist ein Thema, mit dem ich mich phasenweise viel beschäftige und mit dem ich zu kämpfen habe. Meine Impulssteuerung ist daneben, wenn es um Rauschmittel und Süßigkeiten geht. Essen war also bereits in meinem Kopf als Themenkomplex dominant. Das wäre der eine Faktor. Der andere entscheidende Punkt war ein Gefühlsdilemma. In einer Beziehung jedweder Art fühlt man meist ein einziges Gefühl, das alle weiteren in den Schatten stellt: Liebe, Freude, Wut etc. Zwar gibt es immer einen Mix, aber üblicherweise dominiert eine Emotion oder ein Emotionsverbund. Was mir zu schaffen machte, war ein in sich widersprüchlicher Mix aus verschiedensten Gefühlen, von denen jedes erfolglos um die Vorherrschaft kämpfte. Es war ein einziger, nicht mehr auftrennbarer Brei. Da sind wir bereits im richtigen Bereich. Was man mit Brei verbindet, ist zuerst die Konsistenz, aber ansonsten verknüpft man kaum negative Aspekte damit. Dieses Bild ist also unvollständig. Mein Gefühlsbrei war Gefühlshack, durch den Fleischwolf gedreht, blutig, matschig und klebrig, aber ein Nahrungsmittel, Grundlage für leckere Burger, nicht unbedingt ungesund, sofern es rechtzeitig verarbeitet wird. Es schien mir damals so einleuchtend. Dieses Bild passte.

Die letzten Zeilen des ersten Gedichts, in dem Nahrungsmittelbilder im Vordergrund standen, lauten:

Und sie lächelte so süß
So bitter

Zwei Geschmacksrichtungen tauchen auf, von denen die eine meine Impulse durcheinander bringt, von der ich immer mehr will, als gut für mich ist. Die andere erinnert an Medizin. Oder den Schierlingsbecher? (Denken wir auch an die letzten Worte des Sokrates.) Die Vermischung endet nicht.

Dieses erste Gedicht voller Lebensmittelbilder hat es aus mehreren Gründen nicht in den Gedichtband geschafft. Aber es hat mir gezeigt, wie weit ich damit gehen kann. Gerade die ungewöhnliche Mischung aus unappetitlichen Schlachtbegriffen und Liebe(skummer) faszinierte mich eine ganze Weile. Es existieren dermaßen viele Gefühle und Zustände rund um die Liebe, die nicht passend beschrieben werden können, wenn man abstoßende, aggressive und morbide Bilderwelten meidet. Mit Dunkelheit und Regen ist es einfach nicht getan.

Alte Milch ist nicht vollgestopft mit unappetitlichen Wortspielen. Keine Sorge. Aber sie kommen vor, weil sie nötig sind, wie in anderen Texten Anglizismen, Neologismen oder Aufzählungen nötig sind.

Wäre es nicht so furchtbar kitschig, könnte man zuletzt noch fragen: Ist Liebe nicht auch ein Lebensmittel?

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Alte Milch: Die Herkunft einer Idee

Über die Entstehung des Gedichts “Kraken” aus dem Lyrikband “Alte Milch”.

Eine Standardfrage an alle Schreibenden ist wohl: „Woher beziehst du deine Ideen?“ Für das Gedicht Kraken auf Seite 11 meines Lyrikbands Alte Milch werde ich die Frage ausführlich beantworten. Eine Geschichte:

Eine kurze Weile nachdem ich meinen Alkoholkonsum auf Null reduziert hatte und noch immer Unsicherheit (und zwar mehr als üblich) auf Partys spürte, wurde ich zu einer Feier eingeladen. Außerdem hatte ich erst kurz vorher begonnen, meinen Traum von einer Autorenkarriere ernsthaft anzugehen und täglich gezielt daran zu arbeiten. Es sollte eine Abschiedsparty für eine Bekannte sein, die für ein Jahr ins Ausland ging. Eingeladen waren viele Menschen, die ich von früher kannte, ob nun als Freunde, die ich zum Teil jahrelang nicht gesehen hatte, oder als Personen, Freunde von Freunden, die auch da schon auf die gleichen Partys gingen. Der Ort, an dem all das stattfand, war früher eine Bar gewesen, in der ich mehrmals getrunken und gefeiert hatte, und wurde dann zu einer interessanten Mixtur aus Restaurant, Bar, Event Location, Kunstausstellung und Kreativenverbund. Ich fühlte mich schrecklich. Nervosität und generelles Unwohlsein dominierte die Zeit vor der Feier, die Hinreise und den Beginn der Party. Ich wollte mich an einem Drink festhalten oder mit Bekannten sprechen, aber eines durfte ich nicht und das andere funktionierte nicht, da zunächst niemand da war, den ich gut kannte. Dennoch hielt ich aus. Es kamen später Freunde an, mit denen ich früher niemals nüchtern gesprochen hatte. Ich hielt aus. Dann folgten Partyspielchen, die ich sogar betrunken als unangenehm empfunden hätte. Auch das hielt ich aus. Irgendetwas auszuhalten ist nicht meine Vorstellung einer guten Zeit und sollte nicht der Inhalt einer Party sein. Da die Person, um die sich die ganze Feier drehte, erst spät ankommen sollte (sie sollte überrascht werden), konnte ich auch nicht einfach wieder gehen.

Irgendwann waren die anstrengenden ersten Stunden vorbei. Ich unterhielt mich endlich vernünftig und entspannte. Uns wurden Gemeinschaftsbüros gezeigt, in denen Designer und andere Kreative tagsüber arbeiteten, eine Künstlerwerkstatt im Hinterzimmer und eine kleine Ausstellung einer lokalen Künstlerin. Immer wieder setzte ich mich ab, um allein zu sein und ein wenig Energie zu tanken. Die verschiedenen Räume und die Bilder halfen. Im Restaurant entdeckte ich schließlich die Darstellung eines Tintenfisches. Wenn ich mich recht entsinne, handelte es sich um eine surreale Mischung aus Tintenfisch und Mensch. Ich blieb stehen und betrachtete es, zunächst um etwas zu tun zu haben. Doch ich war auch fasziniert. Mein Kopf begann zu arbeiten und assoziierte wild los. Tintenfische nehmen ihren Namen von der Taktik, das Wasser mit Tinte zu verdunkeln, um ihre Flucht zu decken. Farbe als Angstreflex. Furcht setzt ein und verdunkelt die Welt. Für Kunstschaffende eine interessante Idee, oder? Dann dachte ich weiter nach. Tintenfische nutzen Farbwechsel der Haut, um Aggression auszudrücken, zu warnen, sich zu verstecken oder Artgenossen Signale zu geben. Man hat also Farbe als Ausdruck des Innenlebens und als Kommunikation mit der Außenwelt. Ob die Künstlerin ähnliche Gedanken hatte, vermag ich nicht zu sagen, aber ich unterstelle es ihr. Leider war sie nicht vor Ort und ich habe mir ihren Namen nicht merken können. Das finde ich noch immer schade. Ihr Werk brachte mich jedenfalls zu diesen und anderen Gedanken. Das Wort „Tinte“ allein stellt eine direkte Verbindung zum Schreiben her wie die Farbe zum Malen. Ich machte mir vor Ort Notizen und arbeitete an den folgenden Tagen den Text Kraken aus:

Als schließlich zögernde Tentakel
Aus größter Tiefe riefen
Schliefen eigentlich längst alle Träume
Und Räume voller Flucht wurden
Dank der Tinte bunter
Alles wurde
Bunter
Wechselfarbig in Angst und kurz
Ganz kurz vor dem Angriff
Ich sehe aus wie der Boden
An den ich mich presse
So verdichtet dass ich
Mit meiner Furcht malen kann
Malen
Muss

Meinen eigenen Text möchte ich nicht interpretieren, aber die Geschichte dürfte ihn in ein helleres Licht gerückt haben.

Den Titel Kraken habe ich übrigens gewählt, weil er mystischer und weniger direkt klingt als „Tintenfisch“ und dennoch klarstellt, woher die Bilder im Text stammen. Dass die Bezeichnung wissenschaftlich möglicherweise nicht zu allen Assoziationen passt, habe ich bewusst in Kauf genommen.

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Alte Milch: Eine Zeile

Über eine Zeile des Gedichts “31” aus dem Gedichtband “Alte Milch” und die Ideen dahinter.

Einunddreißigjahreselbstmord – zusammengeschrieben, am Anfang eines Gedichts. Darum soll es gehen.

In der Lyrik ist man frei. Erlaubt ist, was notwendig ist. Regeln und Konventionen der Sprache sind in Gedichten zwar der Grundstein des Verständnisses, aber sie müssen nicht streng eingehalten werden wie in anderen Textarten. Das gefällt mir als Autor sehr. Einer von mehreren Brüchen mit der Konvention in Alte Milch ist die oben zitierte Zeile aus dem Gedicht 31 (auf Seite 24). Normalerweise würde man daraus drei einzelne Wörter machen. Warum also alles zusammenschreiben? Es fällt auf. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat kein*e Leser*in jemals diese Wortkombination in dieser Schreibweise gesehen. Entsprechend bleibt man daran hängen und liest langsamer, liest vielleicht sogar mehrmals und denkt (hoffentlich) für einen Moment über das Gelesene nach. Einunddreißig Jahre Selbstmord – das scheint paradox. Eine Tat, die mit dem eigenen Tod endet, sollte nicht länger als eine kurze Weile dauern. Sie ist zielgerichtet und wendet sich per Definition gegen den langen Zeitraum, das Leben, den sie in der zitierten Zeile einnimmt. Und doch, denken wir über manche Verhaltensweisen nach, die wir vielleicht selbst an den Tag legen, müssen wir feststellen, dass sie sich gegen die eigene Gesundheit, gegen das eigene Leben, stellen und nur eine einzige Konsequenz haben können: den Tod (und zwar weit vor einem natürlichen Zeitpunkt). Punkt 172 von Hermann Burgers Tractatus logico-suicidalis lautet: „Heroin-, Alkohol- und Nikotinsüchtige sowie anderweitig von Suchtmitteln Abhängige, nicht zuletzt jene, die sich von Antidepressiva ernähren, vollziehen den indirekten Suizid oder den Selbstmord in Raten.“ Darum geht es. Darüber muss man stolpern.

Einunddreißig Jahre ist eine lange Zeit für ein solches Verhalten oder für ein Leben, das von solchem Verhalten geprägt ist. Niemand fängt direkt nach der Geburt an, Todespfade zu begehen, aber so manche*r startet früh und ändert höchstens noch die Methoden. Einunddreißig Jahre scheint eine utopisch lange Zeit zu sein, wenn man als Kind darauf blickt, und ist noch immer zum Kopfschütteln, betrachtet man die Zeit in der Retrospektive. Diese Dauer, dieser unendlich wirkende Zeitraum, der sich zieht und zieht und plötzlich vorbei und überlebt ist, wird ausgedrückt durch die Zusammenziehung der Zeile. Einunddreißigjahreselbstmord. Das Auge verschluckt beim Lesen Buchstaben, wie das Gedächtnis Erinnerungen verschluckt. Was bleibt, ist angestrengtes Hinschauen und Entziffern. Man versucht Sinn darin zu finden und dann geht man weiter in die nächste Zeile, ins nächste Jahr.

Aus Interviews oder anderen Beiträgen kennen interessierte Lesende meine Philosophie, die, in knappen Worten ausgedrückt, lautet: Das Leben hat keinen Sinn, aber ohne Sinn kann man nicht leben. Daher braucht es einen Sinnersatz und diesen habe ich in der Literatur gefunden.

Aus diesem Grund und in diesem Kontext möchte ich noch vier weitere Punkte aus Hermann Burgers Tractatus logico-suicidalis zitieren:

294. Es ist die Aufgabe des Menschen, eine Gehirnfurche in der Weltgestalt zu hinterlassen.

295. Das Leben ist der Güter höchstes nicht: das Höchste ist das Werk, weil es die Zufälligkeiten der Existenz im Hegelschen Sinne aufhebt und überdauert.

296. Das Werk ist die Lösung des Todesproblems.

376. Was wir an hoher Kunst leisten, müssen wir an Tod abverdienen.

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Alte Milch: Gedichte

Über meinen ersten Gedichtband “Alte Milch” und seine Entstehung.

Jede*r fängt irgendwo an und (ver)endet irgendwo. Das Schreiben fing für mich als Teenager mit Lyrik an. Bald wird mein erster Gedichtband erscheinen und um diesen soll es hier gehen.

(Im letzten Eintrag wurden bereits einige Grundinformationen geliefert.)

Wieso eigentlich Alte Milch?

Der Titel entstammt einem Vergleich aus dem Gedicht Unhaltbar, das ebenfalls im Buch erscheinen wird. Alte Milch ist nicht mehr haltbar, „unhaltbar“ eben, was man in Bezug auf das Buch und den Autoren als „einfach nicht mehr tragbar“ oder als „unaufhaltsam“ interpretieren kann. Außerdem ist Milch grundsätzlich einmal gesund, bevor sie sauer wird/wurde, was eine weitere Parallele zu mir darstellt. Dass verdorbene Milch auch „schlecht“ genannt wird, nehme ich übrigens in Kauf.

Lyrik habe ich üblicherweise in sehr kleinen Portionen genossen, ein Gedicht vor dem Zubettgehen oder mal eine handvoll am Abend. Eine ähnliche Lesart vorausgesetzt, werden Leser*innen sich eine Weile mit dem Buch beschäftigen können. Es werden 83 Texte enthalten sein und dazu ein kurzes Vorwort, ein Inhaltsverzeichnis und eine Triggerwarnung. Letztere betrachte ich aufgrund der teils intensiven Auseinandersetzung mit Themen wie Selbstmord oder Sucht als notwendig.

Sortiert sind die Gedichte weitestgehend chronologisch. Nur an wenigen Stellen musste ich mich dem Buchsatz unterwerfen und beispielsweise zwei Texte in ihrer Reihenfolge austauschen, was aber dem Gesamtkonzept nicht schadet. Dass es sich um Texte der letzten vier Jahre handelt, hat mehrere Gründe. Zum einen ist es ein bekanntes Phänomen, dass Autor*innen die eigenen Texte mit einem gewissen zeitlichen Abstand nicht mehr als gut genug empfinden. Viele Gedichte aus den letzten zehn Jahren sind sicherlich von ähnlicher Qualität wie die ausgewählten, aber gefallen mir im Augenblick nicht gut genug für meine erste Lyrik-Veröffentlichung. Zum anderen habe ich in den letzten Jahren eine neue, professionellere Einstellung zum Schreiben entwickelt. Entsprechend stehen die Gedichte in Alte Milch für mich in einem anderen Kontext als die vorherigen und repräsentieren eine eigene Schaffensphase (oder den Beginn derselben), auch wenn thematisch, den Gesetzten der Psyche geschuldet, viele Texte auf die vorhergegangenen Jahre verweisen.

Was viele Leser*innen vermutlich am Werk interessiert, bevor es gekauft wird, ist der sprachliche Stil. Ob wir Beaudelaire lesen, Ingeborg Bachmann oder Ernst Jandl, macht einen Unterschied. Lyrik ist nicht gleich Lyrik. Doch wie beschreibe ich am besten, wie ich schreibe? Aufgrund des Entschlusses, nicht thematisch zu sortieren und Texte aus vier Jahren zusammenzufassen, entstand eine Mixtur verschiedener Stile. Ich experimentiere gern und tat dies auf unterschiedliche Weise innerhalb des Werkes. Naturbilder stehen neben Lebensmittel-Metaphern oder Bildern religiöser Herkunft, Texte mit Alltagsgrammatik finden sich neben zerbrochenen Sprachmustern oder nicht-konventionellem Gebrauch von Wörtern und Zeichen. Es gibt Texte mit klassischem Reimschema und viele andere, die gar keinen Reim oder unübliche Schemata besitzen. Ich versuche stets, die Sprache dem Inhalt anzupassen und das Ergebnis ist selten handelsüblich.

Einzelne Beispiele für Unentschlossene und anderweitig Interessierte wird es in nächster Zeit hier geben, außerdem folgen Beiträge über Einzelaspekte und das Cover. Das Taschenbuch wird übrigens optisch zu Sorck passen und beide werden im Regal nebeneinander wie zwei Teil einer Reihe wirken.

Gedichtband

Eines meiner aktuellen Projekte, über das ich auch sprechen darf, ist ein Gedichtband. Hier möchte ich kurz darüber berichten, warum ich ausgerechnet Lyrik veröffentlichen möchte, was Leser*innen erwarten wird und wie weit ich mit der Arbeit bin.

Als ich damals zu schreiben begann, war ich etwa 13 oder 14 Jahre alt und hatte Probleme mit meinen Mitschülern. Schon als Kind hatte ich Schwierigkeiten, mich in Gruppen einzufinden, mit Fremden zu sprechen oder mich überhaupt mitzuteilen. Ich spielte am liebsten allein, immer in meiner eigenen Welt. Daher hatte ich als Teenager noch nicht gelernt, mich der Welt zu stellen, Probleme gesund zu verarbeiten oder sie anzusprechen. Mir fehlte es auf diesen Ebenen an Reife. Gleichzeitig entdeckte ich einige Gedichte, die mich ansprachen, hauptsächlich düstere Texte von E.A.Poe, Lord Byron, Beaudelaire, Trakl und Blake. Darauf war ich gekommen, weil ich verschiedene Künstler der Goth-Szene hörte, in entsprechenden Chatrooms und auf passenden Websites unterwegs war und dort auch Literatur-Empfehlungen fand. Für einen ordentlichen Goth empfand ich es als passend, traurige Gedichte zu schreiben. Und das tat ich. Die Anfänge waren aus heutiger Sicht ziemlich schlecht und sehr pathetisch, aber so blickt vermutlich jede*r auf die eigenen Arbeiten zurück. Das ist immerhin 20 Jahre her. Freunde, denen ich die Texte zeigte, ermutigten mich, weiterzumachen. Das war mein Start als Autor. Lyrik half mir, Dinge auszudrücken, für die ich paradoxerweise keine Worte fand. Ich konnte nicht sagen „XY hat mir dieses und jenes angetan“ oder einfach „ich brauche Hilfe“, aber ich konnte meine Gefühle in Metaphern verwandeln und schriftlich verarbeiten. Heutzutage kommuniziere ich zum Glück offener. Die Verarbeitung mithilfe von Gedichten und anderer Literatur ist aber geblieben.

Für mich handelt es sich also um eine persönliche Angelegenheit, wenn ich Lyrik schreibe, und ich halte es für richtig, dass ich wenigstens die Textform zeige, mit der vor so vielen Jahren alles für mich anfing. Die Begründung „es fühlt sich richtig an“ ist meiner Meinung nach absolut legitim in solchen Fällen. Im Gedichtband werden allerdings keine frühen Texte auftauchen, sondern eine Zusammenstellung von Gedichten aus den Jahren 2016 bis 2019. In dieser Zeit hatte ich vieles aufzuarbeiten und war recht fleißig. Man sollte die Texte dennoch nicht lesen, als seien sie rein autobiographisch. Manche Gedichte sind Experimente, manche entstammen der intensiven Beschäftigung mit bestimmten Ideen und manche sind die Umsetzung von Ideen, deren Herkunft mir selbst nicht klar ist. Außerdem ist es eben Lyrik und es geht hier und da mehr um die erzeugten Bilder und Gefühle, die etwas repräsentieren, als um die tatsächliche Darstellung dessen, was repräsentiert werden sollte. Kryptisch, ich weiß.

Thematisch wird es sich um Alkohol- und Drogenmissbrauch, um Parasuizidalität, das Schreiben an sich, Außenseitertum, ein wenig Philosophie und sogar Politik drehen. Es gibt also keinen klaren Themenschwerpunkt, sondern eine Übersicht über das, was mich in den Jahren 2016 bis 2019 beschäftigt hat.

Zum Status: Die Texte sind ausgewählt und überarbeitet, wo es nötig war. Einen Entwurf fürs Cover gibt es auch. Ich hoffe, dass das Cover noch diese Woche komplett fertig wird. Mit dem Buchsatz kämpfe ich weiterhin, habe aber eine klare Vorstellung und mache Fortschritte. Auch wenn ich nur ungern Prognosen abgeben möchte, würde ich sagen, dass das Buch im Oktober (vielleicht zur Buchmesse?) erscheinen wird. Vorher werde ich 1-2 Wochen lang Stimmung machen und nach der Veröffentlichung wird es dann ein paar Blogeinträge zu den Texten geben, vielleicht werde ich sogar den ein oder anderen Text aufnehmen und hochladen.

Was bleibt noch zu sagen? Wenn ihr Lyrik mögt, seid gespannt! Wenn nicht, habt ihr vermutlich gar nicht bis hierher gelesen.

An der Grenze der Öffentlichkeit

Wie viel Öffentlichkeit, wie viel öffentliche Privatheit, veröffentlichtes Privatleben kann ein Autor ertragen, wie viel sollte er zulassen, um sein Werk zu verbreiten?

Wie viel Öffentlichkeit, wie viel öffentliche Privatheit, veröffentlichtes Privatleben kann ein Autor ertragen, wie viel sollte er zulassen, um sein Werk zu verbreiten?

Für das, was der Autor innerhalb seiner Werke, also indirekt, scheinbar versteckt, an die Weltöffentlichkeit trägt, gibt es meiner Meinung nach keine Grenzen. Schreiben ist Ausdruck. Ausgedrückt wird, was für den Schreibenden von Bedeutung ist. Bedeutung hat meist genau das, was andere verschweigen würden.
Es ist kein Geheimnis, dass man aus meinen Texten vieles über mich erfahren kann, wenn auch nicht alles und nicht vollständig. Das ist keineswegs ein Zugeständnis oder eine Erklärung, dass meine Literatur autobiographisch sei, denn das ist sie üblicherweise nicht.

Die Frage, um die es sich für mich dreht, ist, ob ein Autor – ob ich – sein Privatleben, seine Vergangenheit und Gegenwart offen an die Welt tragen oder sich lieber vollends hinter seinem Werk verstecken sollte. Diese Sätze stehen in einem Blog und dieser handelt von den Hintergründen meines Schreibens. Verlinkt sind ein Twitter- und ein Instagram-Account. Entsprechend kann ich nicht für völlige Abkapselung sein, oder?
Nun, ich muss gestehen, gäbe es für mich die Möglichkeit, Bücher zu veröffentlichen, ohne dass ich dabei als Person – vom Namen abgesehen – auftauchte, wäre das der Weg, den ich wählte. Doch dieser Weg steht mir nicht offen.
Allerdings, auch das muss ich zugeben, erzähle ich gerne von mir, meinen Ideen, meinen Texten. Da stehe ich sicherlich nicht allein mit. Sehr gerne lese ich Bücher, gedruckte Vorlesungen, autobiographische Texte oder Essays von Autoren, die im Grunde das gleiche tun, was ich in diesem Blog tue, nur für Geld und mit größerer Resonanz.

Diese Form des Nachaußenkehrens des Inneren ist noch immer stark auf die Arbeit als Schriftsteller bezogen. Sie hilft dabei, die Lektüre besser zu verstehen, da sie einen Hintergrund bietet und zeigt, worauf grundsätzlich zu achten ist.
Worum es mir jedoch geht, ist eine andere Form des öffentlich Privaten. Beispielsweise teile ich im Rahmen meiner Online-Projekte keine vollständigen Bildaufnahmen von mir – nur in einem Video sieht man mich von der Seite, in einem anderen mit Maske. Sollte ich das ändern? Man sagt mir, ich sähe nicht schlecht aus. Möglicherweise könnte ich meine Reichweite erhöhen, indem ich meinen trainierten Körper bei Instagram zeige, mir ein Gedicht spiegelverkehrt auf die Bauchmuskeln pinsele oder eine Erzählung auf den Bizeps. Für letztere Aktion fehlt mir vermutlich die Fläche.
Mein Gesicht und mein Körper existieren losgelöst von meinen Texten. Es gibt keinerlei direkte Verbindung zwischen ihnen. Schriebe ich über Sportler und Workouts, ergäben derartige Veröffentlichungen Sinn, doch bloß meine Finger tippen diese Texte. Dies scheint der einzige Berührungspunkt zu sein.

Erinnerungen, Erlebtes, im Geist Verarbeitetes und das daraus zurechtgesponnene Material formt sich zu Erzählungen und Gedichten. Grundlage des Erlebten kann – und ist häufig – etwas körperlich Erfahrenes sein: Rausch, Schmerz, Sex, Krankheit. Doch nach der direkten Erfahrung gehören diese ursprünglich körperlichen Dinge dem Geist an. Dem Körper bleiben die Narben und das Unwohlsein.
Im Grunde geht es also um geistige Privatheit, um persönlichste Erinnerungen und mit Scham behaftete Aspekte des inneren – oder inzwischen verinnerlichten – Lebens. Erkläre ich öffentlich, ich sei … ? Twittere ich: Fragt einen … alles?
Interessant wäre es vermutlich. Hilfreich übrigens auch. Hilfreich zum Verständnis meiner Arbeiten, möglicherweise hilfreich für mich aus therapeutischer Sicht und eventuell sogar für andere, die sich weniger allein fühlen mit ihrer Problematik.

Klingen diese verschleiernden Zeilen zu geheimnisvoll oder kryptisch? Sie verstecken keinen Horror, sondern einfach Persönliches. Informationen, die man aus manchen meiner Texte herauslesen kann. Die offensichtlichsten Texte, was diese Thematik angeht, habe ich allerdings noch nicht hochgeladen, fällt mir soeben ein. Es bleibt also ein Mysterium.

Menschen sehen heutzutage gern, dass ein Autor – oder Schauspieler, Politiker, Sportler – auch bloß ein Mensch ist. Warum sie das gerne sehen, weiß ich nicht. Es ergibt für mich keinen Sinn. Ein Autor ist sein Werk und seine Gedanken zum Werk und nötigenfalls noch die Geschichte, die zu Gedanken und Werk führte. Für die Öffentlichkeit sind Autor und Person zwei verschiedene Dinge. Dies gilt natürlich für jede Aufspaltung zwischen öffentlicher und privater Person, nur ist ein Autor in seiner Eigenschaft als Autorenperson öffentlicher und damit weiter entfernt von seiner Rolle als Privatmensch. Ein Zurschaustellen der Privatheit, der Privatmenschlichkeit, schmälert lediglich die Trennung, hebt sie jedoch nicht auf.

Beantwortet das meine Frage? Fürs Erste. Möglicherweise.
Wer mich kennenlernen möchte, sollte mich eben kennenlernen und nicht auf Posts im Schlafanzug, Tweets aus der Badewanne oder Instagrambilder beim Workout warten.
Dann jedoch werde ich nicht der Autor M.Thurau sein, sondern der Mensch Matthias T.

Arbeitsdruck und -organisation: eine Art Krise

In diesem Eintrag soll es um ein sehr spezielles Arbeitsproblem – ein Überschuss an Arbeit, Ideen und Möglichkeiten – gehen. Also direkt hinein:

In diesem Eintrag soll es um ein sehr spezielles Arbeitsproblem – ein Überschuss an Arbeit, Ideen und Möglichkeiten – gehen. Also direkt hinein:

Meine persönliche Schreibproblematik besteht in letzter Zeit nicht im Mangel an Motivation oder dem Fehlen der richtigen Stoffe, sondern viel mehr in der schieren Abundanz möglicher Tätigkeiten rund um meine verschiedenen laufenden Projekte und bald auszuführenden Vorhaben, den Überarbeitungs- und Veränderungsmöglichkeiten vorhandener Texte sowie der Übungen zur Verbesserung des eigenen Stils, derallgemeinen und zielgerichtet literarischen Bildung und natürlichder Optimierung meiner Verbreitungswege und Veröffentlichungsträume.

Konkret bedeutet das, meine Arbeitszeit ist geteilt auf:

Erdenken und Verfassen neuer Blogeinträge, Erstellung von Tracks und Videos für die Reihe Sprachnachrichtenaus dem Kellerloch auf Youtube, dem Versuch präsent zu sein auf Social Media Kanälen zum Zwecke der Verbreitung ersterer beiden Punkte, Er- und Überarbeitung von Lyrik, Erzählungen / Kurzgeschichten, meinem aktuellen Romanprojekt, Bewerbung bei Agenturen und Verlagen für mein abgeschlossenes Romanprojekt, Recherche für Inhalte und Stil – dazu zählen beispielsweise auch Wörterlisten zur Verwendung in zukünftigen Texten und zur Erweiterung des Wortschatzes – und neuerdings ein Kurzfilmprojekt.

Möglicherweise interessiert mein Gedankengang, meine Überlegungen zur Krisenbewältigung, den ein oder anderen Leser und definitiv wird es mir helfen, ihn auszuformulieren.

Meine Form des Prokrastinierens ist also eher eine Form des Priorisierens öffentlich laufender Projekte zum Leidwesen der noch versteckten, aber im Grunde wichtigeren Text- und Stilarbeiten. Paradoxerweise verhindern also die Mittel zur Verbreitung meiner Prosa die Entstehung und Bearbeitung selbiger, was mich zunehmend befremdet und mir den Gedanken aufzwingt, mehr Zeit, mehr Energie, insgesamt mehr zu investieren in die Gesamtheit meiner Arbeiten. Doch ist das möglich? Ist das sinnvoll?

Auszubrennen und arbeitswütig auf Teufel komm raus zu produzieren, scheint mir kein vernünftiger Weg, um mittel- und langfristigerfolgreich zu sein. Meine Arbeiten sind keine Massenware, denke ich, nein, glaube ich fest.

Vorteile – neben der öffentlichen Präsens, des Stattfindens – ergeben sich selbstverständlich auch aus Blog und Youtube-Kanal, aus Filmprojekt und selbst Social Media Nutzung, nämlich in Form von Inspiration, Denkanstößen, Schreibübungen und Wechsel der Perspektive auf die eigenen Texte: Wie klingt ein geschriebener Text vorgelesen? Wie kann ich die Aussage oder den Inhalt bildlich darstellen? Beschreibe ich meine Arbeit, beschaue ich sie gleichsam von Außen, beantworte mögliche Fragen anderer, damit auch meine eigenen ungestellten.

Dennoch: was tun, um mein Hauptwerk – mir ist die überragende Größe und damit der ironische Klang des Ausdrucks bewusst – nicht nur nicht zu vernachlässigen, sondern voranzutreiben?

Eine Methode könnte die schubweise Konzentration auf eine bestimmte Tätigkeit für eine gewisse Dauer sein, beispielsweise einige Tage lang Blogeinträge vorzuverfassen für die nächsten Wochen, mehrere Tracks zu produzieren und mich dann in aller Ruhe – von Uploads unterbrochen – an meine größeren Schreibarbeiten zu setzen, die schließlich und eigentlich eine portionsweise Bearbeitung schlecht vertragen. Nach einer Arbeitsphase an öffentlichen Projekten käme also ein Quasi-Einsiedlertum des noch privaten, später öffentlichen Fortschritts. Immerhin ist eines meiner Ziele, nächstes Jahr ein Buch zu veröffentlichen – nötigenfalls und realistischerweise in Eigenproduktion.

Mein Gedankengang offenbart offensichtlich ein Schreiberluxusproblem, keine essentielle Krise, sondern eine Filterkrise im überbrandenden, aufgestauten Kreativfluss, ein Organisationsproblem im Endeffekt.

Seien wir für einen Moment ehrlich, denn bisher spiele ich mich auf, als täte ich nichts als zu arbeiten, was weder korrekt ist, noch gutwäre. Pausen sind notwendig, Ablenkung gleichzeitig (mögliche) Inspiration und zumindest doch Input, also Baumaterial. Auch dafür geht also Zeit drauf und das sollte man akzeptieren, also in die Planung einbeziehen.

Wie weiter oben prophezeit hat mir dieser Eintrag bereits geholfen, mich zu sortieren. Vielen Dank für das gnädige Mitlesen meiner inneren Vorgänge und generell den Besuch meiner Seite.

Jeder einzelne Besuch freut mich. Das meine ich vollkommen ernst.

Inspirationsquellen

Artikel über die verschiedenen Quellen der Inspiration für meine Arbeit als Autor.

Dieser Eintrag behandelt allgemein verschiedene Inspirationsquellen, mit deren Hilfe ich freiwillig oder unfreiwillig meine kreativen Energien auf- oder überlade. Inspirationsquellen eben.

Über Musik und Literatur werde ich mich dabei zu anderen Quellen vorarbeiten.

Musik

Nach einem Weg durch den Rock der 60er und 70er, Punk, Metal und Pop der 80er und 90er, fühle ich mich seit Langem in der Metalszene zuhause; genauer der Stoner/Doom/Sludge-Szene, die recht klein ist.

Entsprechend ziehe ich einige Inspiration von Bands, die eventuell und leider den meisten nichts sagen werden.

Neben der Musik als solcher, die meist sehr bassig und aggressiv / depressiv ist, sprechen mich in diesem Zusammenhang natürlich besonders die Lyrics an. Die verstörenden Texte von Acid Bath (die leider nur zwei Alben veröffentlicht haben) beschäftigen mich beispielsweise gelegentlich. Darunter besonders The Beaufitul Downgrade. Die Zeilen

Do you remember the first sunrise?
Sharpened bone clenched tide in your fist
Screaming into the blue
An urge to kill the sky

lösen jedes Mal Bilder in mir aus. Es fühlt sich kraftvoll und ursprünglich an. Wild und unzivilisiert erklärt man Göttern den Krieg, die man selbst eben erst erfunden hat.

Die Band Down hat ebenfalls einige großartige Lyrics, die sehr deutlich und ungeschönt die dunkelsten Kapitel meines Lebens ansprechen. Aus Lysergik Funeral Pocession:

I get up, get ready to face this world
I come down
I come down so hard, I hit then bounce
In a pool of piss I lay

Die Kombination aus teilweise recht extremem und dadurch ehrlich wirkendem Gesang und ebenso echt und kreativ wirkenden Texten ist für mich jedes Mal beflügelnd.

Was diesen Aspekt angeht, wäre auf jeden Fall noch Battle of Mice zu nennen. Die Schreie der Sängerin Julie Christmas verschaffen mir regelmäßig wieder eine Gänsehaut. Vertonte Verzweiflung… da kommen die Dämonen aus den dunkelsten Ecken des Hinterkopfes gekrochen und melden sich großspurig zu Wort.

Selbstverständlich gibt es noch etliche andere Bands und Künstler speziell aus dieser Szene (Crowbar, Boris, Goatsnake, Mars Red Sky, Monolord uvm.), die Ideen und Bilder aus mir herausprügeln.

Doch auch völlig andere Musik beeinflusst mich (emotional, geistig und schriftstellerisch) stark. Nick Cave & The Bad Seeds, Tom Waits, Leonard Cohen und andere haben mich im Laufe meines Lebens (und damit Schreibens) massiv geformt. Beispielsweise liebe ich die Zeile And in the bathroom mirror I see me vomit in the sink (aus Magneto von Nick Cave) und das Bild, das sie auslöst: ein Neben-sich-stehen, während man abstürzt. Er beobachtet sich selbst auf seinem Tiefpunkt. Selbstverständlich löst das etwas in mir aus. Leonard Cohens Text zu Famous Blue Raincoat, der wie ein Brief verfasst ist, oder die Lyrics zu Avalanche haben nichts von ihrer Wirkung verloren. Zum Glück konnte ich ihn noch live sehen vor einigen Jahren.

Klassische Musik (live im Konzerthaus Dortmund beispielsweise) schafft es, meinen Geist auf Reisen zu schicken. Was er nachher im Gepäck hat, ist auf verschiedenste Weisen interessant – (auch?) für mich.

Literatur und Philosophie

Einen Autor, der nicht von anderen Autoren beeinflusst wurde, kann ich mir nur schwer vorstellen. Wenigstens in den letzten Jahrhunderten ist ein solcher Fall wohl auch nicht vorgekommen.

Nur ein paar ausgewählte der vielen Schriftsteller zu nennen, die meinen Weg begleitet haben, fällt mir nicht leicht. Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich hier auf einige von ihnen einzeln und genauer eingehen.

Zu Anfang beeinflussten mich hauptsächlich englische Dichter – E.A.Poe, Lord Byron etc. –, aber auch ein paar deutsche – Rilke, Goethe. Lyrik lese und schreibe ich noch immer, aber die Dichter haben ihre Vorrangstellung in Sachen Inspiration verloren. Prosa-Schrifsteller übernahmen.

Jahre voller Sartre, Camus und Kafka folgten. Heute sind wieder andere an ihre Stelle getreten.

Jorge Luis Borges hat mein Denken massiv angeregt und verändert. Seine abgehobenen Ideen und die Verarbeitung philosophischer Konzepte in seinen Texte inspiriert(e) mich sehr.

Stilistisch und aufgrund der (teils sehr offensichtlichen) psychologischen Problematik wäre definitiv Hermann Burger als Inspirationsquelle zu nennen. Allein seine Poetik-Vorlesung Die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben oder sein Tractatus logico-suicidalis haben mein Denken in Wege gelenkt, die es vorher nicht kannte.

Generell interessieren und bewegen mich die Frankfurter Poetik-Vorlesungen verschiedener Autoren immer wieder aufs Neue. Daniel Kehlmanns Vorlesung ist ebenfalls sehr zu empfehlen. Seine Geschichten, die eindeutig Borges und andere wiedererkennen lassen, sind kreativ und unterhaltsam. Kehlmann gehört zu einer Reihe von Autoren, die mich zu einem meiner Romanmanuskripte vor einiger Zeit inspiriert hatten. Besonders wohl die Vermischung verschiedener Realitätsebenen beziehungsweise der absichtlich undeutliche Übergang zwischen diesen Ebenen, eine Technik, die er gerne gebraucht, war verantwortlich dafür.

Um nur noch ein paar wichtige Namen zu nennen: Hunter S. Thompson, Charles Bukowski, Irvine Welsh und selbstverständlich sehr weit vorne Hermann Hesse.

Auch philosophische Texte können die Kreativität anregen und sprechen nicht nur das logische Denken an. Wie man bei Kehlmann und Borges lesen kann, gehört Schopenhauer dazu. Ich selbst musste auch feststellen, dass sein Werk Die Welt als Wille und Vorstellung etliche großartige Passagen enthält. Auch sein Stil ist recht unterhaltsam, da bereits im Vorwort eine Wut zutage tritt, die man in einer solchen Disziplin selten erwartet.

Philosophische Wut führt natürlich direkt zu Nietzsche. Ich las Also sprach Zarathustra betrunken im Park, an einem Sonnentag und habe später am gleichen Tag einen meiner heute besten Freunde kennengelernt. Definitiv inspirierend.

Noch etwas abgedrehter, aber äußerst interessant und beflügelnd, fand ich Himmel und Hölle von Swedenborg. Dieser hochintelligente und gebildete Mann wurde im Laufe seines Lebens häufiger von Engeln besucht, die ihm den Himmel und die Hölle zeigten. Seine Berichte sind durchaus lesenswert.

Sonstiges

Es ist eigentlich unwürdig eine solche Überschrift zu nutzen, wenn es um Kunst in verschiedenen Formen gehen soll. Doch degradieren wir diese Inspirationsquellen einfach mal und schauen, was passiert.

H.R.Giger hat mich in meiner Jugend stark beschäftigt. Kein Wunder, sind seine Werke doch düster, futuristisch und voller Sex. Jetzt gerade hängt ein Poster von Gigers ELP hinter mir und blickt hohläugig in den Raum. Wie bereits im ersten Beitrag (Arbeitsplatz) beschrieben, hängen Picasso, Munch und Klimt ebenfalls hier.

Von Nick Alm bin ich ein großer Fan, seit ich vor einigen Jahren sein Werk The Great Implosion in Stockholm sehen durfte.

Seine Bilderreihe eines Hochzeitsfestes beschaue ich mir gerne und häufig. Leider kann ich mangels Ahnung auf diesem Gebiet nicht viel mehr über seine Bilder sagen, als dass sie mich berühren und häufig exakt den richtigen Zeitpunkt von Schwäche einzufangen scheinen, der eine Figur im Innersten erfasst und definiert.

Ich würde, wie gesagt, nicht behaupten, Ahnung von Kunst zu haben, doch ich ziehe meine Vorteile daraus: Genuss und Inspiration.

Selbstverständlich müssen Filme, Serien, Opernbesuche, das Ballett (das übrigens in Dortmund inzwischen ausgezeichnet ist), Theater oder Auftritte wie von Saburo Teshigawara, der in seiner Broken Lights Tanzperformance mit und auf Glas tanzte, ebenfalls zu Quellen größter Anregung für mein Hirn zählen.

Manchmal kiffe ich aber auch und lese Batman-Comics … da kommt man ebenfalls auf Ideen.

Beim Schreiben dieses Eintrags ist mir deutlich aufgefallen, dass ich meine Pferde extrem zügeln musste, um nicht Seite um Seite weiterzuschreiben. Daher werde ich mein Vorhaben auf jeden Fall in Zukunft umsetzen und Beiträge über einzelne Autoren, Musiker und andere Inspirationsquellen verfassen. Dann kann ich auch deutlicher herausarbeiten, wodurch und inwiefern sie mich beeinflussten.

Als groben Überblick lasse ich diese paar Namen einfach stehen und stelle mir vor, dass man meine Texte nun ein wenig besser verstehen kann.