Blogjubiläum: 3 Jahre Papierkrieg.Blog

Ein Blick auf den Blog 3 Jahre nach dem ersten Blogartikel.

Wie die Zeit vergeht …

Heute vor 3 Jahren, am 05.09.2018, habe ich mit Arbeitsplatz den ersten Blogpost auf Papierkrieg.Blog veröffentlicht. Dieses Jubiläum möchte ich nutzen, um das Projekt zu reflektieren, mir Gedanken darüber zu machen, wie es weitergehen soll, und auch, inwiefern sich mein Arbeitsplatz denn nun geändert hat.

Arbeitsplatz

Fangen wir doch damit an. Ich erinnere mich noch, wie vorm Schreibtisch saß, mich umsah und mich fragte: „Und? Worüber soll ich nun schreiben?“ Ich wusste nicht, was Leser*innen interessieren würde. Immerhin kannte mich noch niemand, ich hatte nichts veröffentlicht und trat auch sonst nicht wirklich in Erscheinung. Aber irgendwann, so hoffte ich, würde ich bekannt sein und Menschen würden sich fragen, was und wie ich schreibe. Naiv. Dennoch ist die Hoffnung geblieben und mein Weg ist noch lange nicht beendet.

Aktualisieren wir die Beschreibung! Der Tisch ist der gleiche, der Sitz wurde irgendwann ausgetauscht und auch der PC ist neuer (wenn auch nicht mehr neu). Oder vertue ich mich? Sind 3 Jahre doch nicht so lang? Ein Blick auf den alten Header zeigt, ich habe mich tatsächlich vertan. Der PC ist der gleiche, der Stuhl vielleicht auch. Es hängen sogar die gleichen 3 Bilder an der Wand. Immerhin stehen Schreibtisch und PC an einer anderen Stelle. Nennen wir das mal Veränderung.

Papierkrieg: Der Blog

Stets die wichtigste Aufgabe des Blogs sollte sein, meine Herangehensweise ans Schreiben zu beleuchten, ganz besonders im Bezug auf konkrete Werke. Diese Aufgabe erfüllte und erfüllt Papierkrieg.Blog zuverlässig. Andere Aufgaben und Themengebiete haben sich gewandelt. So sind Buchbesprechungen und Rezensionen zu Buchensemble.de abgewandert, und Veröffentlichungen finden nur noch in Ausnahmefällen direkt hier statt, sondern gehen stattdessen in den Druck oder an Verlage und die Jurys verschiedener Ausschreibungen. Man könnte sagen, der Blog ist erwachsener geworden so wie auch ich. Dann wiederum schreibe ich mehr über Filme und Serien und in dem Bereich besonders über Marvel und andere Comic-Verfilmungen, einfach weil es mir Spaß macht.

Eine weitere wichtige Funktion der Website ist es, als eine Art Hub zu dienen, als Verteilzentrum zu verschiedenen Veröffentlichungen und Veröffentlichungsplattformen. Alles, was es von mir und über mich gibt, wird hier gesammelt und geteilt: Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Interviews, Podcasts, Rezensionen, Social Media usw. Das wird so bleiben.

Die Zukunft

2021 habe ich noch keine Bücher veröffentlicht. Das hat mehrere Gründe. Einerseits kostet mich die Pandemie Energie, die ich lieber ins Schreiben investieren würde. Andererseits habe ich viele neue Projekte, an denen ich gearbeitet habe und arbeite. Ich rezensiere beim Buchensemble, bin Mitglied bei Nikas Erben und nehme an mehr Ausschreibungen verschiedenster Arten Teil. Der vielleicht wichtigste Grund, warum neue Veröffentlichungen bislang ausgeblieben sind, ist, dass ich meine Manuskripte an Verlage schicke, anstatt sie selbst zu veröffentlichen. Das kostet Zeit.

Was hat das alles mit dem Blog zu tun? Ich ziehe es in Erwägung, Papierkrieg.Blog auf das Wesentliche zu reduzieren und Redaktionspläne komplett aus dem Fenster zu werfen. Das würde bedeuten, dass ich zu neuen Veröffentlichungen (für dieses Jahr sind z.B. noch 2 Anthologien geplant) Blogartikel schreiben und Hinweise posten werde auf Texte andernorts, und nur noch andere Artikel schreibe, wenn ich gerade Lust dazu habe. Stattdessen würde ich mich um meine literarischen Texte kümmern und um andere spannende und vielversprechende Projekte. Man könnte es auch knapp zusammenfassen mit: Aktuell habe ich wenig Spaß an und noch weniger Energie für den Blog. Eine endgültige Entscheidung ist aber noch nicht gefallen.

Fazit

Es geht weiter. Irgendwie.

Nicht besonders tiefgründig, aber immerhin ehrlich. In Zeiten, in denen ich wenig Energie habe, muss ich mich auf das Wesentliche konzentrieren. Dieses Wesentliche ist zuerst meine Gesundheit (auch wenn ich nicht immer danach handle) und mein Sozialleben, dann das Verfassen von Literatur, dann weitere Projekte, die potenziell etwas abwerfen könnten, und erst am Ende der Blog. Doch was konkret passieren wird, werden wir sehen. Danke für eure Zeit!

Marvel, Mythen, Psychologie

Über Marvel-Figuren (Hulk. Captain America), Mythen und Psychologie.

Die Mythen der alten Griechen werden schon lange und gern als Ausdruck des kollektiven Unterbewusstseins der Menschen gelesen, als Literatur, die grundsätzlich die alle Menschen verbindenden psychologischen Vorgänge darstellt. Kann man Superheld*innen auch so lesen? (Vermutlich bin ich nicht der Erste, der sich diese Frage stellt, aber ich schreibe jetzt einfach mal drauflos und schaue, wo ich lande.)

Marvel Comics | MCU

Um nicht zu weit auszuholen, beschränke ich mich auf die Figuren von Marvel und dort hauptsächlich auf jene, die dank der Verfilmungen aus dem MCU (Marvel Cinematic Universe) und der Serien der letzten Jahre am bekanntesten sind.

Dualismus: Gut gegen Böse

Im Kern sind Superheld*innen-Geschichten simpel gestrickt: Es gibt eine*n Held*in, die*der für Moral, Mut, das Gute steht, und es gibt eine*n Gegenspieler*in („Bösewicht“), die*der Böses will. In der Umsetzung kommen immer noch Feinheiten hinzu, detailliertere Motivation, eine Backstory. Sonst würde es langweilig werden. Dass das Prinzip des Saubermanns gegen den Schurken nicht mehr wirklich zieht, merkt man daran, dass Figuren der guten Seite, die sich mindestens in der moralischen Grauzone bewegen, immer beliebter werden. Denken wir da an Punisher, Deadpool, Wolverine oder auch den Avenger Hawkeye und seine Gewalteskapaden zu Beginn des Films Avengers: Endgame.

Mit dem geringen Unterhaltungspotenzial einer streng dualistischen Welt (Gut vs. Böse) mussten sich die alten Griechen nicht quälen. Der Dualismus wurde in Europa erst durch das Christentum richtig groß (Gott vs. Teufel) und die hatten woanders her, was uns an dieser Stelle aber nicht weiter beschäftigen soll. Liest man heutzutage die Heldengeschichten von damals, wundert man sich, wer da so als Held bezeichnet wird. Moralisch fragwürdig schien eine Grundvoraussetzung zu sein. Interessanterweise kommen dadurch die Figuren der Mythen und die Mythen an sich näher an die Nacherzählung menschlicher Psychologie heran als die modernen Held*innenstorys. Dennoch finden sich einige Comicfiguren, die Grundsätzliches darzustellen scheinen.

Die Angst vor dem Kontrollverlust: Hulk

Dass der Hulk eine Neuinterpretation von Mr. Hyde aus Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde von Robert Louis Stevenson ist, Bruce Banner also ein Pendant zu Dr. Jekyll, muss man wohl kaum in Frage stellen. Mehrere interessante Faktoren spielen hier im Hintergrund mit. Lassen wir mal den klassistischen Ansatz von Stevenson beiseite. Es geht einerseits um den Wunsch, stark zu sein, die eigene Schwäche zu überwinden, und andererseits, die Angst davor, die Kontrolle zu verlieren (aber nicht im Sinne einer Abgabe der Kontrolle an andere Personen, sondern im Sinne einer Aufgabe der Kontrolle über sich selbst). Beide Antriebe einzeln finden wir häufig, aber kombiniert hauptsächlich im Umgang mit Drogen und besonders Alkohol: Ängste überwinden, Selbstbewusstsein und vermeintliche Stärke spüren, aber dafür ein Stück weit die Selbstbeherrschung aufgeben. Geht man zu weit, macht man sich lächerlich (oder stirbt schlimmstenfalls).

Auf einer anderen Ebene kann man die Transformation Banners in den Hulk auch als Wunsch eines Loslassens der Selbstkontrolle lesen, eines Auslebens von Frustration und Wut. Der Hulk ist immer wütend. Das kennen viele von uns. Aber der Hulk lebt seine Wut aus. Das macht ihn für uns interessant. Er handelt nach seinen dunklen Impulsen und hat dabei die Kraft, nicht gestoppt zu werden. Wer sich einmal richtig hilflos gefühlt hat, wird den Gedanken nachvollziehen können, dass man zwar ausrasten könnte, aber dafür umso mehr bestraft würde oder gar nichts bewirken würde. Wie gerne würde man dann zum Hulk werden und die Ungerechtigkeit, die uns widerfährt, zersmashen.

Die Hoffnung auf den Saubermann: Captain America

Weiter oben habe ich den Dualismus in Superheld*innengeschichten angesprochen. Captain America ist ein gutes Beispiel für den Guten. Er ist sauber, höflich, kämpft für das (vermeintlich) Gute, ist blond, männlich, Christ, Amerikaner, moralisch kompromisslos. Captain America ist eine patriotische Erlöserfigur, und vermutlich ist das der Grund, warum ich ihn nicht mag. Er ist die Verkörperung der Hoffnung, dass einer (ohne *) kommen wird, der uns alle rettet. Der Vergleich mit Jesus liegt gar nicht so fern. Captain America wird als „schwacher“ Mann geboren, nicht reich und nicht kräftig, aber hat ein Ziel, das er verfolgt, wie aus himmlischer Hand werden ihm Kräfte verliehen, er scharrt eine kleine treue Gefolgschaft um sich, mit denen er gegen das Böse kämpft und aus dessen Reihen sich später sein größter Gegner erhebt (der Winter Soldier, der durch sein unfreiwilliges Überlaufen zum Feind dennoch einen Verrat begeht), dann stirbt er und kehrt zurück, um die Menschen zu retten. Man könnte es sogar so lesen, dass die Transformation von Steve Rogers zu Captain America die erste Wiederkehr darstellt und die Rückkehr Captain Americas aus dem Eis die zweite: The Second Coming of Christ. Hier könnte man noch sehr weit interpretieren, aber darum soll es ja nicht gehen. Schließen wir also damit, dass die Figur und Story von Captain America nicht eine Darstellung eines Teils grundmenschlicher Psychologie ist, sondern die Darstellung einer anerzogenen, kombinierten Doktrin christlicher und USA-spezifisch nationalistischer Werte. Yay, Propaganda.

Vorläufiges Fazit

Ich habe mich verrannt. Das ist okay. Das ist Teil des Prozesses. Möglicherweise werde ich in nächster Zeit weitere Ideen zu diesem Blogeintrag hinzufügen, gerade fühlt er sich unvollständig und schief an.

Ähnliche Ideen packe ich manchmal in die Filmbeschreibungen der Blogreihe Thuraus Filmtagebuch. Gerade in den Ausgaben vom Juli und der kommenden für August werden etliche Marvel-Filme besprochen.

Wort und Ton: Über Stimmen

Stimme, Stimmung, Erzählstil und Geschrei. Über das Sprechen und Schreiben.

Meine Sprechstimme ist nicht meine Schreibstimme, die Schreibstimme nicht immer die Gleiche, meine Vorlesestimme härter als die Sprechstimme, obwohl sich diese immer mal wieder ändert.

In diesem Blogeintrag soll es um Stimmen gehen und um Wörter: geschriebene und gesprochene.

Stimmung und Stimmen

Aufgeregt spreche ich schnell, hektisch, wie auf Speed. Verängstigt bin ich leise, die Stimme ist schwächer noch als bei Müdigkeit. Spreche ich am Telefon mit Ämtern, klinge ich anders als am Telefon mit Freund*innen, bei diesen jeweils unterschiedlich, und persönlich nochmal anders als am Telefon. Viele Menschen bemerken es nicht, aber man kann einiges an ihren Stimmen ablesen, besonders wenn man sie besser kennt.

Das Gleiche gilt für Schreibstimmen. Wir machen es oft unbewusst, passen unseren Stil an die Begebenheiten des Textes an, werden schneller an spannenden Stellen, werden langsamer in ruhigen Sequenzen. Man entwickelt ein Gespür dafür, vermutlich verstärkt durch gute Lektüre, vielleicht aber auch einfach aus dem Alltag heraus. Erzählpraktiken sind Alltagskommunikationspraktiken. Zwar erzählen wir literarisch eine Geschichte anders als im persönlichen Gespräch, aber dennoch wenden wir auch dort Erzähltechniken an. Wir nutzen Spannung erzeugende Wörter wie „plötzlich“, untermalen unsere Worte mit Gestik und Mimik (was wir beim Schreiben kopieren oder umgehen), setzen seltener ab an spannenden Stellen (schriftstellerisch würde man beispielsweise weniger Unterbrechungen durch Punkte einfügen, sondern längere, hastige Sätze nutzen) oder setzen absichtlich eine Pause vor einem Höhepunkt, um die Spannung weiter zu heben und zu halten.

Gesang und Musik in der Literatur

Es gab mehr als eine Person, die Lyrik mit Musik verglichen hat. Der Rhythmus macht’s. Keine Sorge, ich werde jetzt keinen Vortrag über Metrik und all das hier hinklatschen, sondern nur darauf hinweisen, dass der Rhythmus, mit dem wir etwas persönlich erzählen, sich in der Lyrik widerspiegelt (wenn wir es wollen). In meinem Fall erinnert der Rhythmus der Gedichte eher an den Rhythmus meines Gedankenstroms. Ich spreche sortierter, weil ich schweige, bis ich zusammenhabe, was ich sagen möchte. Aber ich denke sprunghaft, chaotisch, auf mehreren Ebenen zeitgleich. Das gilt zumindest für die Zeiten, in denen ich emotional engagiert und nicht völlig entspannt bin. Gedichte wiederum würde ich nicht schreiben, wäre ich völlig entspannt (was ich ohnehin im Grunde niemals bin). Manchmal durchbreche ich lyrisch meinen Gedankenstrom absichtlich, zerteile ihn, leite ihn um. Auch das ist meine literarische Stimme: Sie widerspricht all meinen anderen Stimmen, wenn sie es will oder muss oder beides, also: soll.

Dass die Ursprünge der Lyrik in frei vorgetragenen Gesängen liegen, wundert wohl niemanden. Die Verbindung zur Musik ist deutlich. Doch schwieriger ist es, Musik in Prosa umzusetzen oder zu übersetzen. Manche Autor*innen machten und machen es sich einfach, indem sie es für die Leser*innen schwierig machen. Sie werfen mit Fachbegriffen aus der Musik um sich, mit denen manche Leser*innen nichts anfangen können. Sie nennen Songs und Stücke, aber bleiben dabei bei einer reinen Nennung, die keineswegs das Gefühl auslöst, das ebendieser Song oder ebendieses Stück selbst auslösen würde. Wie also Musik beschreiben? Schwierige Frage. Ich kann es nicht (oder nicht gut). Die beste Umsetzung beschriebener Musik habe ich bisher bei Proust gefunden in In Swanns Welt, dem ersten Buch der Reihe Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. (Über dieses erste Buch hinaus habe ich es übrigens nie geschafft.)

Geschrei und wirklich lautes Schreiben

Manchmal muss man laut werden, manchmal will man es bloß. Man könnte eine laute Erzählstimme nun mit einer Vielzahl von (falsch gesetzten?) Ausrufezeichen zu erreichen versuchen. Aber das sieht nun einmal behämmert (und alles andere als gekonnt) aus!!! Auch CAPSLOCK ist nicht wirklich eine Option. Doch wann und warum sollte man überhaupt literarisch schreien wollen? Eine erste Antwort wäre recht wörtlich in Dialogen zu finden: eine Figur schreit. Etwas abgehobener fielen mir Lyrik und andere Kurzformen ein, die allgemein etwas freier sind und häufig Gefühle direkter übertragen beziehungsweise direkt von diesen handeln. Ein Gedicht ist ein Schrei, wenn di*er Autor*in es so will oder di*er Leser*in es so versteht.

Im Falle von Dialogen wäre die simpelste Lösung, das Geschrei in Form einer passenden Inquit-Formel zu verdeutlichen: „F*** dich!, schrie sie.“ Oder man lässt di*en Dialogspartner*in etwas Entsprechendes antworten („schrei doch nicht so“). Doch an dieser Stelle könnte man wenigstens die Erregung in der Stimme der sprechenden Figur mit anderen Mitteln darstellen. Ist man wütend, spricht man Sätze oft nicht zu ende, verhaspelt sich, nutzt Kraftausdrücke und Beleidigungen (je nach Situation) und gestikuliert bei alledem. Geschrei ist die Grenze zwischen verbaler Kommunikation und einer Handlung. Näher kommt eine Stimme nicht mehr an eine Tat heran. Gesten kann man in Einschüben beschreiben. Hier kann man stark den Leser*inneneindruck einer Figur beeinflussen, indem man die Gesten gerade in hocherregten Zuständen neutral, ernst, weniger ernst oder sogar lächerlich beschreibt (bewegen, schlagen, wedeln, fuchteln etc.).

Zeit mich zu korrigieren: in stilistisch im Grunde völlig freien Texten wie Gedichten kann man sehr wohl Capslock verwenden oder beispielsweise (nicht gerade für Geschrei, aber generell) die zum Meme gewordene abwechselnde Groß- und KleinScHrEiBuNg, wobei man bei letzterem die Vorkenntnisse der Leser*innen und deren Verständnis und Assoziationen miteinbeziehen muss. Auch damit imitiert man im Grunde einen Sprechakt und ein Augenrollen zugleich.

Macht, was ihr wollt! Die Kunst ist frei. Ich persönlich bin übrigens ein Fan von sparsam aber gezielt gesetzten Kraftausdrücken in Gedichten.

Lesungen & Angst

Wie in der Einleitung erwähnt, klinge ich Gedichte vorlesend völlig anders als im Alltag sprechend. Aus mir nicht wirklich ersichtlichen Gründen, außer vielleicht der deutlicheren Betonung der einzelnen Silben, klinge ich bei Lesungen wie ein Radiosprecher aus den 1950er Jahren, aber mit einer verschmitzten, moderneren Note, weil meine Texte diese erfordern. Das ist natürlich kein Problem, nur eine Feststellung. Problematischer und mit Stimmung und Stimme zusammenhängend ist meine Angst vor Lesungen. Ich spreche nicht gern vor Menschen, spreche manchmal generell nicht gern, und werde leise, sobald ich bemerke, dass mehr als eine Person zuhört.

Warum erzähle ich das? Möchte ich authentischer wirken? Vielleicht. Vielleicht möchte ich mich aber auch pushen, wenn ich jetzt nachtrage, was ich zu tun gedenke, um in Zukunft Lesungen halten zu können:

  • Schritt 1: Texte laut vorlesen, wenn ich allein bin.
  • Schritt 2: Texte laut vorlesen und mich dabei filmen.
  • Schritt 3: Aufgenommene Lesungen, die geglückt sind, hochladen und teilen.
  • Schritt 4: Online Lesungen zu Zeiten, in denen wahrscheinlich niemand zusehen wird.
  • Schritt 5: Lesung (online oder live) vor Freund*innen.
  • Schritt 6: Online Lesungen halten zu Zeiten, in denen potenziell Leute zusehen könnten.
  • Schritt 7: Schritt 6, aber mit Vorankündigung, oder: eine richtige Online-Lesung.
  • Schritt 8: Live-Lesung.

Einzelne Schritte könnte man austauschen oder überspringen, aber grundsätzlich ist das mein hier mein Plan hin zur ersten richtigen Lesung. Da ich bereits mehrfach Angebote bekommen habe, Lesungen zu halten, sollte ich langsam mal loslegen.

Technologie, wo immer man hinschaut

Gedanken über spät erkannte Zusammenhänge, Technologie, das Silicon Valley, Kunst und künstliche Intelligenz.

Kennt ihr das? Ohne größere Planung kristallisiert sich ein Themenkomplex aus dem heraus, was man derzeit an Literatur, Filmen, Musik konsumiert. Dann merkt man, dass man etwas getroffen hat: Den Zeitgeist, eine Mode, eine Entwicklung. Oder nur den Anschein eines dieser Dinge. So ist es mir in den letzten Monaten ergangen. Und zwar ging es um Zukunftstechnologie und das Silicon Valley. Ich werde versuchen, aus dem Gefühl, etwas Wichtiges bemerkt zu haben, einen Blogartikel basteln. Schauen wir mal, ob das klappt.

Mit Hoffnung fing es an

In meinem Bekanntenkreis befinden sich nicht nur Künstlerpersönlichkeiten, sondern auch der eine oder andere Geschäftsmensch, Managertypen. Aus der Richtung wurde mir damals das Buch Menschheit 2.0 von Ray Kurzweil empfohlen. Kurzweil ist Zukunftsforscher und kalkuliert die Entwicklungen der Zukunft bis hin zur computertechnischen Bewusstwerdung des gesamten Universums in einigen Jahrhunderten. Ziemlich abgedrehtes Zeug, aber auch spannend. Damals hatte ich eine Rezension verfasst, die beim Buchensemble veröffentlicht worden ist: Nanobots und Unsterblichkeit – Menschheit 2.0.

Wie man an der Rezension unschwer erkennen kann, war ich angetan von den dargestellten Ideen. Hauptsächlich lag das wohl daran, dass sie Hoffnung machten. Nanobots, die alles reparieren und heilen könnten. Technologische Heilsversprechen. Im Nachhinein denke ich, dass die Rezension weniger positiv hätte ausfallen können. Zwar war einer der Aufhänger, dass das Buch besonders für Autor*innen von Science-Fiction geeignet sein könnte, was vorerst wertneutral ist. Doch muss ich zugeben, dass ich auch wirklich einige Weltrettungsfantasien dank Menschheit 2.0 entwickelt hatte.

Problematisch an Menschheit 2.0 und Ray Kurzweil ist die dargestellte Weltsicht, das Menschenbild.

Vor der Lektüre des Buches hatte ich mehr über Vergangenes gelesen als über möglicherweise in der Zukunft Anstehendes. Vielleicht hat es mich deshalb gepackt. Menschheit 2.0 geht noch weit über Homo Deus von Yuval Noah Harari hinaus. Harari zeigt Entwicklungen, die es bereits gibt und zieht Schlüsse daraus, die allerdings nicht wer weiß wie weit vorgreifen. Kurzweil wiederum schreibt eigentlich mehr Science-Fiction.

Erklärungen, Gegenperspektiven

Dank des Newsletters der Autorin Berit Glanz, der ich auf Twitter folge und die sich unter anderem während ihrer Netzresidenzzeit des Literaturhauses Bremen mit künstlicher Intelligenz, Kunst, Natur und Literatur beschäftigt hat, bin ich auf das Buch Was das Valley Denken nennt von Adrian Daub gestoßen. Adrian Daub erklärt die Grundlagen und Fehler des Denkens des Techsektors im Silicon Valley, woher die Philosophie stammt, die etliche Vertreter*innen des Valleys geprägt hat. Man erhält also eine Art Gegenperspektive oder bessere Einordnung der Rhetorik und des Optimismus’ der Valley-Gurus wie Ray Kurzweil. Man wird wieder geerdet nach den hochschwingenden Visionen aus Menschheit 2.0. Auch für alle, die Menschheit 2.0 nicht gelesen haben, ist Was das Valley Denken nennt interessant, da die Produkte und Sichtweisen des Silicon Valley überall um uns herum genutzt, verkauft, vertreten, beworben werden.

Musik? Musik!

Wer meinen Newsletter abonniert hat, hat bereits Anfang April das Vergnügen gehabt, die Musik von Penelope Scott, speziell den Song Rät, empfohlen zu bekommen. In Rät geht es genau um das Thema des vorherigen Absatzes: Rhetorik, Philosophie, Personen, Wahrheiten und Lügen des Techsektors. Elon Musk ist der Song gewidmet und das hört man unmissverständlich raus, wenn sie singt: you promised you’d be Tesla, but you’re just another Edison. Ein kritischer Song, der einem nicht mehr aus dem Song geht. In Bits geschredderte Ohrwurmgarantie und wieder im Oberthema angesiedelt.

Lyrik auch noch!

Um den Themenkomplex abzurunden, habe ich auch noch das Buch poesie.exe von Herausgeber Fabian Navarro gelesen. Das klingt so planmäßig, aber die Wahrheit ist, dass mir der Themenkomplex erst später bewusst geworden ist. In poesie.exe finden sich Beiträge verschiedener Autor*innen, die ihre Texte jeweils mit verschiedenen Techniken hergestellt haben. Lyrik, aber experimentell und in vielen Fällen mit Hilfe von Software oder selbstgebauten Dichtmaschinen hergestellt. Eine Rezension gibt es beim Buchensemble zu lesen. Die Vermischung aus etwas manchmal fast archaisch Wirkendem wie Lyrik und etwas Modernem wie künstlicher Intelligenz ist an sich bereits faszinierend. Wenn man dann noch, wie ich hier, schlagartig feststellt, dass sich (zufällig) aus mehreren Lebens- und Erfahrungsbereichen ein einziges Thema herauskristallisiert, das sich erneut offenbart, und zwar nicht als Ausreißer, sondern als Teil meiner (mehr oder minder) typischen Lektüre, wird ein Teil des Gehirns gekitzelt, der mehr von der Welt erwartet als Alltag. Ich kann es noch immer nicht recht packen, was ich damit meine, dabei denke und empfinde.

Filme

Hollywood hat längst künstliche Intelligenz als Thema entdeckt und das bereits vor Terminator. Nicht umsonst wirken manche technologischen Entwicklungen auf uns wie Science-Fiction. Einige dieser Entwicklungen waren früher Science-Fiction. KI, Verschmelzung des menschlichen Geistes mit Computern, Roboter (auch in Kombo mit starker KI) werden gefeiert und gefürchtet. Filme und Serien mit düsteren Zukunftsvisionen sind Legion. Sowohl in Thuraus Filmtagebuch für Januar 2021 als auch Februar 2021 gibt es Vertreter dieser Kategorien mit Outside the Wire und Chappie.

Neben diesen Blicken in die vermeintliche Zukunft gibt es auch immer wieder Filme und Serien, die zurück auf die Entwicklung des Silicon Valley oder das Leben ihrer Vertreter*innen schauen. Historische Sendungen über Computertechnologie. Damit hatte ich als Teenager auch nicht gerechnet.

Was will uns der Autor damit sagen?

Gar nichts. Oder alles. Ich weiß es nicht. Das Thema ist überall. Mich fasziniert das Zusammentreffen der verschiedenen Werke, die auf verschiedenen Wegen zu mir gefunden haben, aber dennoch eine Verbindung aufweisen. Mich fasziniert auch der Gedanke, dass die Verbindung zwischen diesen Werken auf ein größeres Netz von Verbindungen hinweist oder hinweisen könnte. Verknüpfen sich viele kleine Dinge zu einem größeren Ganzen oder tröpfelt das große Ganze bis ins Kleinste hinein und ändert es? Die Veränderungen der Gesellschaft schlagen sich in Büchern nieder, aber Bücher verändern auch die Gesellschaft. Danke, ciao!

Figurennamen suchen und finden

Über das Suchen und Finden passender Figurennamen.

In diesem Blogeintrag werde ich mich mit Namen in der Literatur beschäftigen. Es wird um die Suche nach ihnen und die Gründe für ihre Verwendung in eigenen und fremden Werken gehen. Ich fange an mit meiner üblichen Vorgehensweise auf der Suche nach Figurennamen und bespreche anschließend einige Beispiele aus bekannten Büchern und meinen bisherigen Veröffentlichungen.

Nomen Est Omen

Namen und ihre Träger*innen gehen eine sonderbare Symbiose ein. Immer scheinen sie zueinander zu passen. Die Person scheint bereits früh zu einem Horst, einer Claudia, einem Matthias oder einer Anna zu werden. Gleichzeitig assoziieren die Menschen in der Umwelt der Person fortan den gegebenen Namen mit der Person, vergleichen also neue Horsts, Claudias usw. mit dieser. Die Namensträger*innen verändern sich und verändern die von ihren Namen ausgelösten Assoziationen, aber Erwartungshaltungen der Umwelt bleiben grundsätzlich bestehen, auch wenn diese sich ebenfalls wandeln.

Als ich ein jüngerer Mensch war, konnte man die Namen Kevin oder Marvin fast als Beleidigung verwenden und alle Kevins/Marvins, die man kennenlernte, schienen die Vorurteile zu bestätigen. Heutzutage sind diese Namen gängiger und weit weniger belastet. Die Kevins und Marvins der Welt haben gute PR-Arbeit geleistet. Vermutlich sind es die gleichen Kevins und Marvins, die man früher für etwas langsam gehalten hat, weil sie eben Kevin und Marvin hießen, die heute nicht weniger intelligent wirken als jeder dahergelaufene Cornelius. Diese Verknüpfungen zwischen Namen und angeblicher Bedeutung dieser Namen, Rückschlüsse, die man automatisch zieht, Vorurteile usw. sollte man mitdenken, wenn man Figuren benennt – und vielleicht auch bei, wenn man Kinder benennt, denn es diese Assoziationen haben reale Konsequenzen, beispielsweise werden Kinder mit Namen, die man mit bildungsfernen Milieus gleichsetzt, häufig schlechter benotet für die selbe Leistung als Kinder mit anderen Namen.

Namen müssen (zu) ihren Figuren passen

Bevor ich einen Namen für eine Figur suche, muss ich mehr über die Figur wissen. Alter, Geschlecht (hier geht natürlich auch die bewusste Entscheidung für einen Namen, der keine direkten Schlüsse zulässt), Bildung usw. Hier muss man sich mit Vorurteilen abfinden, weil man mit Assoziationen arbeitet. Die meisten Leser*innen werden eine Cindi für weniger gebildet halten als eine Angelika – das angesprochene Kevin-Marvin-Cornelius-Problem. Natürlich kann man genau mit diesem Widerspruch spielen, aber auch dafür muss man sich zuvor entscheiden. Ähnliches gilt für das Alter einer Figur. Ein Helmut wirkt eindeutig älter als ein Finn. Haben wir mindestens diese Infos zur Figur zusammen, können wir weitergehen. (Gehen wir zunächst davon aus, dass wir keine tiefere Bedeutung in den Namen stecken. Beispiele dafür kommen aber später noch.)

Namenssuche

Die einfachste Variante der Namenssuche/-entscheidung ist eine spontane Assoziation. Manchmal steht der Name einfach plötzlich da. Und fertig. Wenn er passt, passt er.

Ich brauche meist ein wenig Zeit und mehrere Optionen. Haben wir Alter, Geschlecht und Wirkung geklärt, können wir suchen. Google hilft. „Jahrgang + beliebte Vornamen“ eingeben und man findet etliche Seiten mit den X beliebtesten Vornamen des angegebenen Jahrgangs, aufgeteilt nach männlich und weiblich. Es kommt selten vor, dass ich unter den Top 10 Namen keinen (zu allen Maßgaben) passenden finde. Am wichtigsten ist immer die richtige Assoziation: Hat der Name allein bereits eine Wirkung, die der Figur Leben einhaucht? Wen stellt ihr euch vor, wenn ihr von Rainer, Max, Ilse oder Nici hört? Oder wären Drago, Waldemar, Nicolette, Arian besser?

Natürlich kommt es auch auf euer Genre an. Dass meine Suche nicht gut für Fantasy- und Sci-Fi-Namen funktioniert, ist auch klar, oder man müsste die gefundenen Namen abwandeln und ans Genre anpassen. Das könnte gehen.

Namen mit Konzept

Es gibt viele Gründe, um Figuren Namen zu geben, die eigene Inhalte vermitteln, einem Programm folgen oder nach realen Personen oder literarischen Figuren klingen. Im Blogeintrag über Hommagen beziehungsweise im vorangegangen Themenartikel fürs Buchensemble hatte ich bereits den Bibliothekar Jorge in Der Name der Rose von Umberto Eco erwähnt, der eine Hommage an den Autor Jorge Luis Borges darstellt und daher Jorge heißt. Es steckt also ein Konzept hinter der Benennung der Figur (und vielen weiteren ihrer Eigenschaften). Franz Kafka, der viele seiner Figuren lediglich „K.“ nannte, folgte damit auch einem Konzept, einem kaum versteckten Selbstbezug. Als ich wiederum eine Figur in Das Maurerdekolleté des Lebens „K.“ genannt habe, bezog ich mich damit auf Kafka und seine Figurenbenennung.

Neben derartigen und ähnlichen Bezügen zwischen Namen gibt es natürlich noch die jene Figurennamen, die versteckte Bedeutungen haben und nicht Namen um des Namens Willen sind. Im Folgenden gehe ich auf einige Figurennamen aus meinen Werken ein. Gelegentlich wird gespoilert, aber das versuche ich in ertragbaren Grenzen zu halten.

Namen in Sorck

Beginnen wir im Zentrum. Martin Sorck, Protagonist meines ersten Romans Sorck, trägt seinen Namen nicht ohne Grund, wenn auch kein besonders ausgeklügeltes System dahintersteckt. Martin heißt er aufgrund der relativen Ähnlichkeit zu meinem eigenen Vornamen. Mein erstes Buch, meine erste Veröffentlichung, ein großes Ziel, auf das ich lange hingearbeitet habe. Natürlich musste dieser für mich monumentale Schritt eine klare Beziehung zu mir aufweisen. Mögliche weitere Parallelen zwischen mir und der Figur Martin Sorck verschweige ich an dieser Stelle. Sein Nachname kommt übrigens vom Sorck- oder Sorkc-Modell, das in der Verhaltenstherapie eingesetzt wird. Martins Geschichte ist eine Art Therapie für ihn, eine Sinnsuche und ein Kampf mit sich selbst. Außerdem klingt Sorck ein wenig nach „Sorge“, was der durchaus passende Ton für dieses Buch ist.

Auf Eva bin ich in einem eigenen Blogartikel eingegangen: Sorck: Eva. Auch auf die Frau Major, ihren Titel und Namen habe ich einen kompletten Artikel verwendet: Sorck: Frau Major. Eine wichtige Figur, die, sofern mich mein Gedächtnis nicht täuscht, noch so gut wie gar nicht aufgetaucht ist in meinen Blogtexten, ist Moses Arsonovicz. Es stand früh fest, dass diese Figur in die Geschichte gehört. Kurz darauf habe ich bei einer Autofahrt aus dem Fenster gesehen und eine etwas andere Schreibweise des Nachnamens gelesen. Dabei hatte ich sofort eine Assoziation: Arson-ovicz → Arson (engl.) = Brandstiftung. Feuer spielt eine wichtige Rolle in Sorck, daher passte der Name hervorragend. Da außerdem viele Namen und Vergleiche im Buch aus der Mythologie oder der Religion stammen und Moses Arsonovicz eine Art Spiegelfigur für Martin Sorck ist, so wie Moses in der Bibel für Jesus Christus (Vorwegnahme des Neuen Testaments im Alten Testament usw.), schien es mir nur logisch, dass ich Herrn Arsonovicz den Vornamen Moses geben würde. Damit stand auch nichts mehr der etwas irrsinnigen Buffet-Szene im Wege, in der Moses sich einen Weg durch das Meer hungriger Gäste bahnt wie, na ja, Moses durch das Rote Meer eben.

Namen in Das Maurerdekolleté des Lebens

Neben dem bereits oben erwähnten K. gibt es in Das Maurerdekolleté des Lebens nur einen weiteren Namen: Theo. „Theos“ im Griechischen bedeutet „Gott“. Es gibt zwei Gründe oder Varianten, warum ich Theo ausgerechnet Theo genannt habe. Die interessantere Variante lautet, dass Theo den gleichen Tag in mehreren Versionen durchlebt, verschiedene Möglichkeiten austestet, auch wenn er sich nicht daran erinnern kann, und dieses Privileg Menschen üblicherweise, soweit wir wissen, nicht gegeben ist. Gott wiederum, sofern man der christlichen Mythologie glaubt, kann und weiß alles, also auch dieses. Es gibt natürlich eine Ausnahme unter den Menschen: Autor*innen. Alle Literatur ist eine unendliche Studie in Möglichkeiten. Nicht umsonst sind wir Schöpfer*innen neuer, anderer, besserer und schlimmerer Welten. Damit wäre Theos Reise durch die Möglichkeiten eines Tages so etwas wie ein Symbol für das literarische Denken. Die Frage „Was wäre wenn?“ in Ausschnitten beantwortet, verdreht und in einem Namen verkörpert.

Die stupidere Variante lautet, dass ich, als ich mein Abitur im Abendgymnasium nachholte, einer Sitznachbarin erklärte, was das „Theo“ in „Theologie“ bedeutete, und sie mich fortan, weil ich ihrer Meinung nach alles wüsste, durchaus als Kompliment gemeint, gelegentlich Theo nannte. Damit hätte ich mich wiederum unaufdringlich selbst eingebracht (wie bereits beim vorher erwähnten Martin).

Namen in Erschütterungen. Dann Stille.

Es wird kaum verwundern, dass ich es auch in Erschütterungen. Dann Stille. nicht lassen konnte, mich selbst oder meinen Namen zu verbauen. In der Erzählung Der Spinner spiele ich neben anderen Dingen mit der Idee von Identität und mit der Kommunikation zwischen Autor*in und Figur – zusammengeknotet durch Surrealismus und ein wenig Multiversumstheorie. Um das Chaos zu komplettieren oder wenigstens das Identitätsspiel auf die Spitze zu treiben, habe ich den Protagonisten der Rahmenebene Matthias genannt. Er wiederum nennt Figuren, die er schreibt Mathias, Mateusz usw., nutzt also andere Schreibweisen oder anderssprachige Versionen des gleichen Namens. Details dazu wird es im passenden Blogeintrag im Januar geben. Zu jeder einzelnen Geschichte aus Erschütterungen. Dann Stille. wird es einen Artikel geben, weshalb ich hier nur anreiße, dass es im Buch Namensbezüge zu Robinson Crusoe, Caspar David Friedrich, Hannah Arendt und weiteren Personen oder Dingen gibt. Schaut mal rein, damit ich die ganze Denkarbeit nicht umsonst gemacht habe!

Fazit oder so

Irgendwo bei Jorge Luis Borges habe ich von der Macht der Namen gelesen. Davon, dass, als der Teufel aus dem Himmel verbannt worden ist, er einen Teil seines Namens und damit einen Teil seiner Macht einzubüßen hatte. Davon, dass derjenige Macht über den Golem hatte, der ihm einen Namen in die Stirn ritzte oder ihn wegwischte. Davon, dass der Name Gottes den Wissenden Macht bringe. Von der doppelten Namensgebung der alten Ägypter: einen öffentlichen und einen geheimen Namen. Wäre mein Gedächtnis ein besseres, hättet ihr den Vorteil einer Zusammenfassung. So verweise ich euch auf Borges’ Essays. Lest sie einfach alle, dann macht ihr nichts falsch!

Wie meine Texte klingen

Über Musik, die klingt, wie sich meine Texte für mich anfühlen.

Am 21.10.2020 durfte ich zu Gast sein beim Podcast Buch und Bühne (Spotify | Apple Podcasts | Anchor) des Thriller-Autors S.D.Foik: Der Krieg des Autors mit der leeren Seite. Vorab hatte er mir angekündigt, dass ich ein Musik-Ranking zu einem passenden Thema aufzustellen hätte. Ich habe mich für „Alben, die wie meine Texte klingen“ entschieden. Da ich nur 5 Alben nennen durfte, sehe ich mich gezwungen, ergänzend diesen Artikel zu verfassen.

Alben, die wie meine Texte klingen

  • Eels: Blinking Lights and Other Revelations | Song: Ugly Love
  • Battle of Mice: A Day of Nights | Song: Bones In The Water
  • Tom Waits: Small Change | Song: The Piano Has Been Drinking
  • Igorrr: Savage Sinusoid | Song: Probleme d’Emotion
  • Dopethrone: Hochelaga | Song: Sludgekicker

Wie im eingebetteten Tweet oben zu sehen, verbinde ich Musik und Bücher im Kopf mit Farben (und manchmal mit räumlichen Dimensionen). Eindrücke sind verwoben. Deshalb klingen die 5 Alben oder viele Songs davon für mich tatsächlich wie Texte von mir, beziehungsweise sehen so aus. Das trifft allerdings auch auf andere Songs zu. Deshalb hatte ich mich hingesetzt und überlegt, welche Aspekte ich unterbringen wollte. Folgende Liste kam dabei herum:

  • Traurig
  • Versoffen
  • Verzweifelt
  • Dreckig
  • Mit Humor
  • Verdreht/Weird

So sehe ich meine Gedichte und Geschichten. Sie tragen alle mindestens einen der Aspekte, meist mehrere in sich. Traurig auf verschiedenen Levels sind auch alle 5 Beispielsongs der Alben, versoffen klingen besonders The Piano Has Been Drinking und Sludge Kicker, verzweifelt wäre definitiv Bones In The Water (die Schreie kriegen mich jedes Mal), dreckig ist erneut Dopethrone, humorig Tom Waits und weird ist wohl die passendste Beschreibung für alle Tracks von Igorrr.

Subjektivität

Vermutlich nehme ich Texte als auch Musik anders wahr als andere. Sicherlich sogar. Dadurch, dass ich extremere Genres zu hören gewohnt bin, lösen die 5 Songs möglicherweise nicht das in mir aus, was sie in anderen auslösen (oder umgekehrt). Das ist mir klar, weshalb ich die Erklärung sowie den doppelten Ansatz (Gefühl und Aussagenliste) für nötig gehalten habe.

Enge Konkurrenz

Von allen 5 Künstler*innen(-gruppen) gäbe es noch weitere Beispielsongs und Alben, die ich hätte wählen können. Außerdem gab es auch noch enge Konkurrenz mit anderen Interpret*innen und Bands. Platz 5 beispielsweise ist nur sehr knapp nicht an Saint Vitus mit I Bleed Black gegangen. Da fehlte mir ein wenig der „dreckig“-Aspekt. Anstelle von Ugly Love hätte beinahe Not In Love von Crystal Castles gestanden. Außerdem wurden A Solitary Reign von Amenra, Stress Builds Character von Dystopia und Bleed Me An Ocean von Acid Bath aus der Liste verdrängt. Sie hätten alle eine Erwähnung verdient. In einer 10er-Liste wären sie aufgetaucht.

Andere Listen

Zwei weitere Listen waren optional angedacht, aber nie vollständig ausgearbeitet worden. Songs, die mich aktiv zu Texten inspiriert haben, wären Sad Eyes und Not In Love von Crystal Castles. Beide liefen auf Repeat, während ich die Geschichte Not In Love für den neuen kommenden Erzählband geschrieben habe.

Eine Liste mit großartigen Tracks, die entweder von Literatur beeinflusst worden sind oder selbst als Spoken Word Tracks literarische Qualitäten besitzen, sollte niemandem vorenthalten werden. Vielleicht arbeite ich diese noch vollständig aus. Bisher habe ich:

  • John Doran: Hubris (Album; Spoken Word Tracks)
  • Santana: Abraxas (Album; inspiriert von Hermann Hesses Demian)
  • Tom Waits: What’s He Building? (Track auf Mule Variations)
  • Clutch: Release The Kraken (Track auf Jam Room; inspiriert von griechischer Mythologie)

Musik in Sorck

Im Roman Sorck tauchen ebenfalls einige Songs und Bandnamen auf, besonders in der Bar-Szene, als Martin Sorck Eduardo kennenlernt. Martin will zu Bohemian Rhapsody von Queen abgehen, während die Prollo-Urlauber Schlager fordern. Monday Monday von The Mamas And The Papas wird als Kompromiss gespielt. Später wird Martin verwöhnt mit Black Sabbath, Led Zeppelin und sogar Slayer. Nicht viel später hören wir die wummernden Bässe einer Techno-Party andernorts.

Gegenseitige Inspiration

Dass Autor*innen und deren Arbeit andere Autor*innen inspirieren, ist logisch. Eben so logisch ist es eigentlich, dass sämtliche Künste sich gegenseitig beeinflussen und inspirieren. Schon immer hat es Musik zu Texten und umgekehrt gegeben, Skulpturen von literarischen Figuren und Bilder natürlich auch. Auch wenn ich leider keine Musik machen und auch nicht zeichnen/malen kann, genieße ich diese und andere Künste mit voller Kraft. Das merkt man meinen Texten immer wieder an und mit Sicherheit auch meinem Auftritt im Podcast „Buch und Bühne“ von S.D.Foik.

Inspiration und Hommagen

Über einen Themenartikel beim Buchensemble, Inspirationsquellen und Hommagen in Büchern.

Gestern ist der erste von mir verfasste Themenartikel beim Buchensemble veröffentlicht worden. Den Link findet ihr hier:

Lesen und Gelesen werden: Was macht das mit uns?

Hier möchte ich sowohl auf das Verfassen des Artikels eingehen als auch auf die dort besprochenen Aspekte (Inspiration/Beeinflussung durch die Lektüre von Büchern anderer Autor*innen, Hommagen in Büchern, Schreibblockaden) im Bezug auf mein eigenes Werk.

Wie funktionieren Themenartikel beim Buchensemble?

Vielleicht habt ihr euch beim Lesen dieses oder anderer Themenartikel beim Buchensemble gefragt, wie wir dabei vorgehen. Im Grunde ist es sehr simpel. Alle Rezensent*innen beantworten eine Reihe von Fragen. Übernimmt jemand von uns dann die Arbeit, einen Artikel zu verfassen, bekommt er/sie die Antworten zugesandt. Der Themenartikel selbst ist frei und unsere eigene Arbeit, aber natürlich bauen wir möglichst viele Antworten ein, geben also noch andere Meinungen als nur unsere eigene wider. Dieses System gefällt mir. Zwar kann man theoretisch manipulieren und nur Antworten verwenden, die gut in den Text passen, aber so sind wir alle nicht drauf. Zwangsläufig stehen diese Artikel auf einem breiteren Fundament, da für das Thema bereits bis zu 8 (bzw. bis zu 7 andere) Meinungen gegeben sind.

Hommagen: Sorck

Im Roman Sorck habe ich etliche Verweise zu anderen Werken eingebaut. Neben Kunst und anderen kulturellen Aspekten ganz besonders zu literarischen Werken. Auch hier werde ich nicht alle Verweise offenbaren. Es sollte reichen, zu erwähnen, dass ich in der Grundidee von Albert Camus beeinflusst worden bin sowie von Hermann Burger und Franz Kafka. Hinweise auf Hermann Hesse findet man überall in Sorck und zu Hermann Burger an einer Stelle ebenfalls.

Worüber ich nie geschrieben habe, obwohl es doch so wichtig ist, ist Folgendes: Als ich Sorck zu schreiben begann, wollte ich unbedingt wie Hermann Burger schreiben (können). In diesen Monaten war er für mich die Krone anspruchsvoller Literatur. Obwohl ich das heute ganz anders sehe, mag ich seine Werke noch immer sehr. Ein Aspekt, der Sorck zu dem Roman macht, der er ist, ist seine Sprache. Ich schmeiße mit Fremdwörtern, seltenen Begriffen und Neologismen um mich, als gäbe es kein Morgen. Damit erreiche ich einen völlig anderen Effekt als Burger, der erheblich besser weiß, was er tut. Humor und Eigenartigkeit werden immerhin getragen von dieser wirren Erzählstimme, auf die ich noch immer stolz bin.

In der Vorbereitung habe ich mich einigen von Burger in seiner Poetik-Vorlesung Die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben, die passenderweise in Anlehnung an Kleists Aufsatz Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden betitelt worden ist, Techniken bedient: seitenlange Wörterlisten beispielsweise. Ich habe (Fremd)Wörterbücher durchgearbeitet und eine Wörterbuch-App auf Zufall gestellt, um neue Wörter zu entdecken, die ich verwenden konnte. Die Arbeit war erschlagend (und ich würde sie wohl nie wieder auf mich nehmen), aber die Idee war inspiriert von Hermann Burger.

Hommagen: Alte Milch

Im Gedichtband Alte Milch habe ich ebenfalls eine kleine (kaum versteckte) Hommage eingebaut und zwar an Jorge Luis Borges. Im Gedicht J.L.B. (~ Jorge Luis Borges) geht es um Borges’ Liebe zu Büchern, die man in all seinen Werken sowie in seiner Arbeit als Leiter der argentinischen Nationalbibliothek (als er bereits erblindet war) gut erkennen kann, am besten aber an den autobiographischen Texten und Vorträgen. Die Liebe zur Literatur ist ein Hauptaspekt von Borges’ Gesamtwerk. Ihn in mein Werk zu integrieren, nachdem er mich so lange so sehr inspiriert hat, empfand ich als Notwendigkeit. Eine bitter nötige Verneigung vor diesem großartigen Autor. Vielleicht ist es Umberto Eco auch so ergangen, als er Der Name der Rose schrieb (wie im Artikel LINK erwähnt).

Hommagen: Das Maurerdekolleté des Lebens?

In Das Maurerdekolleté des Lebens sind, wenn mir gerade nicht die eigene Arbeit entfällt, keine bewussten Hommagen eingebaut. Dafür kann aber die Inspiration durch Kafka und andere surreale sowie magisch-realistische Werke unmöglich abgestritten werden. Seit Jahren lese ich gerne entsprechende Bücher. Für mich gehören immer auch Ebenen zur erlebten Welt als nur die beobachtbare (Der Traum ist Teil der Realität).

Die Stimme in meinem Kopf

Ein Unterthema im Artikel beim Buchensemble war die (ungewollte) Beeinflussung durch andere Werke, während man diese liest. Ändert sich der eigene Schreibstil, während man ein (gutes) Buch liest? Offenbar nicht bei allen Autor*innen. Bei mir allerdings umso mehr. Lese ich intensiv ein gutes oder bloß interessantes Buch, übernehme ich schnell Rhythmus, Wortwahl, Tempo und andere Aspekte des Buches, und dies gilt nicht nur für Geschriebenes, sondern auch für meine Gedankenstimme.

Ich habe gelesen, dass nicht jede*r tatsächlich eine Stimme im Kopf hat, die die Gedanken ausformuliert, aber ich habe definitiv eine. Diese Stimme spricht nicht bloß mit oder stottert, sondern erzählt in zusammenhängenden Sätzen, manchmal in abgestimmten Zeilen oder Wortfetzen, wenn eine entsprechende Lektüre kurz zuvor rezipiert worden ist. Gelesenes ändert mich im Tiefsten. Damit zeigt sich nicht nur, dass mein Schreibstil beeinflusst ist von fremden Werken (stark, wenn das Lesen noch nicht lange zurückliegt, weniger stark, ist es länger her), sondern auch dass wenigstens manche Menschen definitiv charakterlich durch Kunst beeinflusst werden können. Toleriert also nicht alles, nur weil es sich Kunst nennt!

Am Ende

… zählt, was man daraus macht. Ich weiß um meine Beeinflussbarkeit durch fremde Werke und bin entsprechend vorsichtig in Schreibphasen, ob und was ich lese. Die Begeisterung für die Bücher anderer zähle ich zu meinen Stärken und werde sie nicht unterdrücken. Warum auch? Möchte ich ein Denkmal in ein Werk einbauen, so werde ich das weiterhin tun.

Übrigens wird das in der nächsten Veröffentlichung wieder geschehen.

Messeblues: Frankfurt ohne Frankfurt

Noch läuft die Frankfurter Buchmesse. Besser gesagt: noch werden neue Videos hochgeladen und in vereinzelten Locations in Frankfurt werden noch Lesungen abgehalten. Das ist doch nett.

Digital

Zweifelsohne haben sich alle Beteiligten an der Frankfurter Buchmesse 2020 Mühe gegeben, ein vielfältiges Programm für Personen aus der Buchbranche und Interessierte zusammenzustellen. Noch weniger zu bezweifeln ist die Unmöglichkeit einer Buchmesse mit Hunderttausenden Besucher*innen und daher die Notwendigkeit des Ausweichens auf das Internet, sofern man nicht alles ausfallen lassen möchte. Da gibt es keine Diskussion. Jetzt, da die zweite Corona-Welle (pünktlich und vorhergesagt) Deutschland krank macht und dennoch Menschen rücksichtslos andere gefährden, wäre die Buchmesse als Besuchermesse ein Höllenschlund von einem Hotspot geworden.

Enttäuschung

Meinem Ton ist wenig Positives anzumerken. Ich bin enttäuscht und traurig. Einerseits natürlich wegen der Ignoranz, Rücksichtslosigkeit und des Egoismus so vieler Menschen. So geht es wohl jeder denkenden Person. Doch das soll hier Nebensache sein. Im Bezug auf die Buchmesse bin ich nicht enttäuscht wegen des Programms, sondern aufgrund des fehlenden Feelings und vor allem anderen aufgrund der fehlenden persönlichen, direkten Kontakte.

Auf der Frankfurter Buchmesse treffen sich Menschen. Das ist aus meiner Sicht 90% der Messe. Neue Bücher, Techniken und Tipps brauchen nicht unbedingt Präsenz, aber um neue Menschen kennenzulernen und das Gefühl aufzufrischen, dass man (allein im kalten Zimmer schreibend) eben doch nicht ganz allein ist, braucht es Nähe. Und vom professionellen Netzwerken rede ich hier noch gar nicht.

Kontakt und Austausch

Über Twitter und andere Plattformen habe ich auch außerhalb von Buchmessen hervorragende Kontakte schließen können. Wir helfen und unterstützen einander und in manchen Fällen sind Freundschaften gewachsen. Das ist wunderbar. Persönliche Treffen jedoch festigen solche Verbindungen ungemein. Neue Kontakte kommen auf Buchmessen zustande und alte werden aufgefrischt. Der menschliche Faktor ist entscheidend. Für Vorträge fahre ich nicht nach Frankfurt, sondern für die Menschen.

FBM2019

Vor einem Jahr habe ich die Frankfurter Buchmesse besucht. Dort durfte ich all das lernen, was ich bisher beschrieben habe. Mit sämtlichen Personen, die ich dort kennenlernen durfte, habe ich noch immer ein gutes Verhältnis, weit besser als vor der Messe. Ich vermisse das. Fast alles Geschriebene erscheint mir selbstverständlich. Und dennoch muss ich loswerden. Ich bin traurig, dass die größte Plattform für persönliche Kontakte unter Gleichgesinnten und aktuellen sowie zukünftigen Freund*innen 2020 ohne ebendiese Kontakte auskommen muss und damit effektiv für mich entfällt.

FBM2021

Corona wird bleiben. Wie die Grippe wird Covid nicht mehr verschwinden, sondern Teil unseres Lebens werden. Medikamente zur Behandlungen werden entwickelt und Impfstoffe ausgegeben werden. Masken werden im öffentlichen Raum ebenfalls bleiben, wenigstens in weit größerem Maße als vor der Pandemie. Aber wann wird die Medizin so weit sein? Und werden Massenveranstaltungen wie die Frankfurter Buchmesse trotz aller Maßnahmen wieder so stattfinden können, wie wir es vor Corona gewohnt waren? Meine Hoffnung ist wie meistens klein. Aber was kann ich tun? In meinem Zimmer ist es kalt und ich schreibe.

Die Grenzen der Rezension

Was können Rezensionen auf Buchblogs leisten und wo liegen die Grenzen? Bieten sie eine Alternative zur klassischen Literaturkritik?

Wo liegen die Grenzen einer Rezension?

Immer mal wieder wird über die Zukunft (oder fehlende Zukunft) der deutschen Literaturkritik diskutiert. In diesem Rahmen taucht auch stets ein Seitenhieb gegen Buchblogs und Rezensionsportale auf. Das Argument dabei: Rezensionen sind nicht mit dem Feuilleton gleichzusetzen, weil sie subjektiv-unprofessionell statt objektiv-professionell sind. Stimmt das? Zerstören Buchblogs den Feuilleton, ohne eine bessere Alternative zu bieten/sein? Was können, was wollen Rezensionen online leisten und wo liegen ihre Grenzen?

Veraltetes Denken

Die Verlagerung irgendwelcher Themengebiete aus gedruckten Zeitungen ins Internet heutzutage noch anzuprangern oder das gesamte online verfügbare Material sowie die online geführten Diskussionen als minderwertig zu betrachten, ist im höchsten Grade unzeitgemäß. Schließt man das Internet kategorisch aus der Literaturlandschaft aus, steht sie tatsächlich kurz vor dem Ende.

Das Internet bietet unzählige Wege, um Meinungen und Gedanken ungefiltert zu verbreiten. Je mehr Menschen (auch Leser*innen) dies nutzen, desto mehr Müll wird verbreitet. Das ist logisch. Gleichzeitig wird mit steigender Nutzung allerdings auch mehr Qualität geliefert. Wir sind inzwischen an einem Punkt, an dem wenigstens hierzulande praktisch jede*r das Internet nutzt und ein Großteil aller Diskussionen rund um Themen wie Literatur online stattfinden. Welche Qualität das erreichen kann, sieht man beispielsweise an Blogs wie 54books.de. Abtun kann man diese Entwicklung nicht mehr.

Was leisten Rezensionen?

1. Meinungsfindung

Person A liest ein Buch und schreibt ihre Meinung auf. Person B liest die Meinung und entscheidet, ob sie das Buch ebenfalls lesen möchte. So simpel ist das. Rezensionen dienen also der Entscheidungsfindung potenzieller Leser*innen. Das ist besonders nützlich, wenn man an die fast unendliche Auswahl auf Suche nach einem neuen Buch denkt. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verzeichnete für 2018 insgesamt 71548 Erstauflagen, 70395 für 2019. Dabei sind die meisten der vielen Selfpublishing-Werke nicht mitgerechnet. Außerdem kamen in beiden Jahren noch ziemlich genau 9800 Übersetzungen ins Deutsche dazu. Zusätzlich darf man nicht vergessen, dass auch in anderen Sprachen gelesen wird und dass die Titelproduktion seit Jahrhunderten läuft.

Findet man einen Buchblog, dessen Rezensent*innen einen ähnlichen Geschmack wie den eigenen bewiesen haben, hilft dies ungemein, denn jede Entscheidung im Leben kostet Zeit und Kraft.

2. Meinungsabgleich

Ab und an liest man ein Buch und möchte eine zweite Meinung hören oder eben lesen. Nicht immer finden sich Freund*innen, mit denen man sich darüber unterhalten kann. Eine Tour durch einige Buchblogs kann da helfen. Manchmal wird die eigene Meinung bestätigt (was immer gut tut), manchmal wird sie verändert (weil andere Aspekte, die man nicht bedacht hatte, erwähnt werden) und manchmal wird der eigenen Meinung vollständig widersprochen. Das kann interessant oder frustrierend sein. Wenn wir mal davon ausgehen, dass man nicht mit beleidigenden Kommentaren reagiert, könnte alles, was sich nicht komplett mit der eigenen Meinung deckt, zu Punkt 3 führen:

3. Diskussion

Dank Kommentar-Funktion, Social-Media-Verknüpfungen und anderen Kontaktmöglichkeiten können Leser*innen direkt und schnell mit Rezensent*innen ins Gespräch kommen. Das ist (meistens) eine gute Sache. Es kommt zum Austausch, Perspektiven werden erweitert. Dieser Part war immer ein grundlegender Teil des Kulturbetriebs.

3.a Keine Diskussion

Da leider viel zu viele Menschen die scheinbare Anonymität des Internets nutzen, um beleidigend und verbal-aggressiv die eigene Meinung zu verfechten, anstatt argumentativ zu diskutieren, kommt es zu einem traurigen Phänomen. Es gibt wenige negative Rezensionen, um 1. den Autor*innen nichts vermeintlich Böses zu tun und 2. keinen Streit mit Fans dieser Autor*innen zu provozieren. Obwohl das sehr gut nachvollziehbar ist, hat das unschöne Konsequenzen: Diejenigen, die laut und beleidigend sind, gewinnen, und die positiven Bewertungen verlieren an Wert, weil es keine negativen mehr gibt. Wenn alles gut ist, ist nichts besonders.

Aber wer will von Menschen, die aus Leidenschaft und unbezahlt arbeiten, verlangen, dass sie sich ständig Streitereien aussetzen? Damit kommen wir zum nächsten Punkt.

Was können Rezensionen nicht leisten?

Buchblogs werden, wie gesagt, in den allermeisten Fällen betrieben von Privatpersonen, Leser*innen, Fans. Das bedeutet, dass sie nicht nur nicht davon leben können, sondern häufig sogar nichts verdienen und noch draufzahlen. Sie lesen gerne und teilen ihre Meinung. Mehr wollen sie nicht und mehr sollte man auch nicht verlangen. Da Buchblogs allerdings (angeblich?) den Feuilleton verdrängen und ihr Einfluss in der Literaturszene wächst, sollte man sich bewusst machen, was sie nicht können.

1. Objektive Kritik üben

Man könnte jetzt fragen, ob man Literatur überhaupt objektiv bewerten kann. Ich sage: zum Teil ja. Es gehört Handwerk zum Schreiben. Außerdem gibt es eine lange Literaturgeschichte. Wer die Feinheiten des Handwerks erkennen und bewerten möchte, braucht eine entsprechende Ausbildung sowie Zeit und Muße, um sich weiterzubilden. Ohne Bezahlung ist das kaum möglich. Wer erkennen möchte, ob Stilmittel, Story, Aufbau und andere Elemente eines Buchs neu oder selten sind, braucht die gleichen Voraussetzungen, welche Buchbloggern üblicherweise fehlen.

2. Feindseligem Ansturm standhalten

Mit Sicherheit gibt es Buchblogger, die ihre Meinung deutlich formulieren, nichts schönen und jeder Attacke standhalten können. Aber diesen Stress, gerade in der Öffentlichkeit des Internets, wollen sich viele nicht antun. Warum auch? Es handelt sich um ein Spaßprojekt. Bezahlte Kritiker*innen allerdings können, sollen, müssen dies leisten. Sie stellen sich hin und kritisieren. Aus meiner Sicht werden sie zum Teil für ihre Zeit und Arbeit, zum Teil für die Angriffe von außen, die Diskussionen und die Wut von Autor*innen bezahlt.

Wollen Rezensionen das leisten?

Nein, jedenfalls meistens nicht. Mit dem Wissen, das ich mir angeeignet habe, versuche ich, den Rezensionen beim Buchensemble einen hohen Standard zu geben und mehr zu verbreiten als bloß meine Meinung. Diskussionen sind mir willkommen, Streit brauche ich nicht. So wird es vielen Buchbloggern gehen.

Abschlussworte

Der Feuilleton hat seine Berechtigung. Geistige Arbeit sollte gewürdigt und bezahlt werden! Nur weil etwas online abläuft, sollte es nicht kostenlos sein. Entsprechend sollte auch der Online-Feuilleton besser vergütet werden. Buchblogs bedienen, denke ich, in den allermeisten Fällen ein anderes Publikum, lesen andere Titel und sind daher kein Ersatz. Sie können und wollen keine Alternative sein, sondern ein gänzlich anderes Medium. Vielleicht sollte die kränkelnde Literaturkritik die Schuld an ihrer Misere nicht bei anderen Elementen der Literaturszene suchen, sondern beim schwindenden Interesse der Leserschaft sowie jenen, die die Praxis unbezahlter und schlecht bezahlter geistiger Arbeit aufrecht erhalten.

Hoffnung durch exponentielles Wachstum: Wo sind die Utopien geblieben?

Exponentielles Wachstum der technologischen Entwicklung und mögliche Auswirkungen auf das Genre der Utopien/Dystopien.

Provokation

Die Überschrift dieses Blogeintrags ist absichtlich provokant, wenn auch nicht falsch. Spätestens seit Die Grenzen des Wachstums vom Club of Rome 1972 assoziieren wir „Wachstum“ häufig mit Wirtschaft. Unser Wirtschaftssystem fußt auf ständigem Wachstum, aber nicht unbedingt auf exponentiellem. Es soll hier zwar auch um Wirtschaft gehen, aber nur als Rahmensystem für das, was eigentlich Thema ist: technologische Entwicklung und schließlich Literatur.

Was bedeutet „exponentielles Wachstum“?

Exponentielles Wachstum beschreibt in der Mathematik einen Prozess, in dem eine gegebene Größe in gleichbleibenden Zeitschritten jeweils um den selben Faktor wächst: 2, 4, 8, 16, 32 … Man kann sich diese Art des Wachstums beziehungsweise die Besonderheit dieses Wachstumsprozesses klar machen, indem man sich einen entsprechenden Graphen vorstellt. Während lineares Wachstum in einem Graphen durch eine gerade Linie von links unten nach rechts oben gezeigt wird, sieht exponentielles Wachstum zwar anfangs ähnlich aus, aber erreicht schließlich eine Kurve, nach der die Linie steil nach oben schießt. Diese Kurve und die Veränderung, die sie mit sich bringt, ist hier wichtig.

Ray Kurzweil: Menschheit 2.0

Ray Kurzweil, der sich seit Jahrzehnten auf Mustererkennung spezialisiert hat, Autor, Erfinder und einiges mehr ist, hat in seinem 2005 erschienenen Buch Menschheit 2.0 eine faszinierende Entdeckung beschrieben und diese weitergedacht.

Kurzweil stellte fest, dass sowohl die biologische als auch die technologische Evolution ein exponentielles Wachstum aufweisen, und darüber hinaus, dass beide Kurven zusammengefasst zeigen, dass die technologische Evolution die biologische direkt fortsetzt. Es dauerte Milliarden Jahre, bis Leben entstand, Millionen Jahre, bis sich das Gehirn entwickelt hat, Zigtausende Jahre bis zum Menschen, aber nur gut 100 Jahre vom Telefon zu Breitbandinternet, Smartphones, Hochleistungsrechnern usw.

In Menschheit 2.0 geht es aber nicht um den Blick zurück, sondern um den nach vorn. Kurzweil prophezeit aufgrund seiner Daten das Eintreten der „Singularität“, die ganz grob gesagt, der Übergang von der Kurve im Graphen des exponentiellen Wachstums unserer technologischen Entwicklung hin zum steilen Aufstieg ist. Wir befinden uns laut Kurzweil im letzten Bereich der Übergangsphase. Sobald diese kurze Phase vorbei ist, hätten wir die Fähigkeiten und Möglichkeiten, um unsere Intelligenz mithilfe von Technologie milliardenfach zu vergrößern und würden eine neue Mensch-Maschinen-Gesellschaft bilden.

Hoffnung auf Lösungen, die wir (noch) nicht sehen

Die exponentiell wachsende technologische Entwicklung bezieht sich keineswegs nur auf Computertechnik und Rechenleistung, sondern auch auf Bereiche wie Robotik, Genetik, Nanotechnologie (oder inzwischen noch kleinere Bereiche) und grundsätzlich alle anderen Technologiezweige. Mithilfe der riesigen Entwicklungssprünge könnte man in einem ersten Schritt die Rechenkapazitäten erlangen, um Lösungen für die großen Probleme der Menschheit zu finden, und in einem zweiten Schritt diese Lösungen implementieren. Theoretisch könnten damit Umweltschäden repariert, Krankheiten geheilt, Hunger gestillt und das Todesproblem an sich gelöst werden.

Die Macht zu Gutem und Schlechtem

Man darf natürlich nicht vergessen (und das erwähnt Kurzweil ebenfalls), dass nicht nur die Macht Gutes zu tun exponentiell steigt, sondern auch die Fähigkeiten, Schlechtes zu tun. Eine Technologiestufe, die die Klimakrise schlagartig abwenden oder umkehren könnte, brächte auch Waffentechnik mit sich, die Höllisches anrichten könnte. Wenn wir Krankheiten heilen können, können wir auch neue erschaffen. Entsprechend ist die Übergangsphase, also die Phase, in der wir noch nicht intelligent genug sind, um all unsere kleingeistigen Streitigkeiten, Begierden und unsere Gier zu begreifen und in Schach zu halten, auch eine Zeit großen Risikos. Doch trotz aller Rückschläge, Wirtschaftskrisen, Kriegen, Seuchen und Unmenschlichkeiten im Namen der Wertsteigerung könnte nur noch ein katastrophaler Kollaps die Entwicklung aufhalten. Die Frage ist nur, ob wir schnell genug intelligent und fähig genug werden, um wenigstens die wichtigsten Probleme zu lösen, bevor die Probleme, die wir auf dem Weg dorthin verursacht haben, uns einholen.

Dystopie und Utopie: (Alb)Traum von der Zukunft

1516 erschien der Roman Utopia von Thomas More (oder Thomas Morus). Dieser beschreibt eine ideale Gesellschaft auf einer Insel namens Utopia. Aus heutiger Sicht ist die utopische Gesellschaft nicht besonders ideal: demokratisch, bildungsstrebsam und mit Anspruch auf Gleichheit zwar, aber man verlässt sich auch auf ausländische Söldner für Kriege und errichtet Kolonien, wenn die eigene Bevölkerung zu groß wird. Dennoch war der Einfluss von Utopia groß und fortan wurden alle Werke, die (vermeintlich) ideale (nicht existierende) Gesellschaften beschrieben, als Utopien bezeichnet.

Die Gegenversion einer Utopie, also eine Antiutopie, nennt man Dystopie. Bekannte dystopische Werke sind beispielsweise 1984 von George Orwell oder Brave New World von Aldous Huxley. [Kurzer Ausflug: Aldous Huxley war eine Weile der Französischlehrer von Orwell. Beide wurden später Freunde, nachdem Huxley ihm geschrieben hatte und scherzhaft anmerkte, seine höllische Zukunftsvision sei besser als jene Orwells.]

Dystopische Trends

Obwohl Dystopien traditionell in der nahen Zukunft spielen und Gesellschaften beschreiben, die tatsächlich entstehen könnten, scheint es mir seit Jahren einen Trend hin zu Dystopien mit weniger realistischen Zukunftsvisionen und/oder in entfernterer Zeit liegender Handlung zu geben. Zwei Dinge beschäftigen mich in diesem Zusammenhang:

  1. Erfüllen Dystopien noch den ihnen zugrunde liegende Sinn einer Warnung vor aktuellen Entwicklungen, wenn sie wenig oder keinen Bezug mehr zur Jetztzeit herstellen? Eine Dystopie ist im Kern ein zutiefst politisches Werk. Es greift üblicherweise mindestens einen alarmierenden gesellschaftlichen Trend auf und spinnt ihn zum schlimmstmöglichen Endpunkt weiter. So entstand die sedierte und gedanklich unreife Zucht-Menschheit in Brave New World und der sich im Dauerkriegszustand befindliche Überwachungs- und Propagandastaat in 1984. Verkommen Dystopien heute zur Bühne von Freiheitsfantasie vor post-apokalyptischem Hintergrund? Damit würden sie noch immer wichtige Tendenzen in der Gesellschaft aufzeigen, aber nicht mehr ihre traditionelle Rolle erfüllen. Grundsätzlich ist daran nichts auszusetzen, nur frage ich mich, ob ein derart prägnant kritisches Genre wie die Dystopie verwaschen werden sollte und ersetzt werden kann. Kritik ist auch in anderen Genres vertreten, aber Dystopien dienten bisher dieser Kritik zuallererst und erst dann anderen Grundthemen/-tendenzen.

  2. Kann man aus der Popularität des Genres eine (wieder) stärker werdende Zukunftsangst schließen? Der Gedanke ist naheliegend. Die Natur ächzt und stirbt, die Klimaveränderungen sind derart drastisch, dass ich sie allein anhand meiner eigenen Erinnerungen problemlos nachvollziehen kann, politische und gesellschaftliche Entwicklungen (Rechtsruck, offener Antifeminismus usw.) bedrohen das bisschen Freiheit, das ohnehin durch ständige Überwachung immer weiter eingeschränkt zu werden scheint. Angst scheint angesichts des Zustands unserer Welt eine angebrachte Reaktion zu sein. Aber hat das etwas mit dem Erfolg von Dystopien zu tun?

Wo sind die Utopien geblieben?

Literatur ist für den Großteil aller Leser*innen ein Mittel zur Unterhaltung. Es hat immer Personen gegeben, die das kritisiert haben und von oben herab auf „Unterhaltungsliteratur“ geschaut haben, aber man kann nicht anders, als sich einzugestehen, dass nur Verkäufe die Literatur langfristig relevant bleiben lassen. Was ich sagen will, ist, dass Dystopien häufiger sind als Utopien, weil sie sich besser verkaufen lassen, und der Grund dafür wiederum ist, dass sie spannender sind. Immer häufiger lese ich zwar die Forderung nach Geschichten mit ruhigen Passagen, die bloß beschreiben (und wohltun), ohne auf Teufel komm raus Spannung zu erzeugen, aber der Schritt zu einem Buch, das zum größten Teil daraus besteht, ist doch noch recht groß, und am Ende ist eine Utopie genau das.

So wie Dystopien (eigentlich?) zutiefst politisch sind, sind es Utopien natürlich auch. Die Wunschgesellschaft der einen Person kann die Höllenvorstellung der anderen sein. Auf der anderen Seite muss man schon eine soziopathische Ader und Hoffnung auf eine Machtposition in der Zukunftshölle haben, wenn man eine richtige Dystopie als utopisch empfindet. Damit möchte ich sagen, dass vom wahrscheinlich geringeren Unterhaltungswert abgesehen, Utopien auch ein größeres Streitpotenzial haben. Man muss nur überlegen, auf welche Ziele manche Personen und Gruppen hinarbeiten, und man hat eine Vorstellung der Utopien, die sie produzieren würden.

Mischformen: Utopische Ideen, aber spannend

Man kann das Star Trek Universum, besonders die Grundlagen der United Federation of Planets, als utopisch lesen, obwohl die Geschichten (von Zeitreise-Plots abgesehen) in der fernen Zukunft spielen. Auch geht natürlich einiges schief, es gibt menschliche Schwäche und Grausamkeit und besonders gibt es die Konfrontation mit weniger utopischen, rückschrittigen oder geradezu dystopischen Gesellschaften: Die misogynen, einzig und allein profitorientierten Ferengi, die kriegerischen Klingonen und die paranoiden, alles überwachenden, von Geheimdiensten gesteuerten Romulaner.

Doch auch in den neuen Filmen und Serien von Star Trek erkennt man einen klaren Trend weg von den positiven, freiheitlichen, urmoralischen Grundzügen der Föderation und damit des Kerns des ganzen Franchises. Verrat, Verfall, korrumpierte Moral, Überwachung, Infiltration überall. Wieso ist das so? Mischformen wie in Star Trek (besonders TNG, Voyager, DS9) konnten und könnten weiterhin dem Marktdruck standhalten, unterhalten und dennoch grundmoralisch und -optimistisch sein.

Was ich an Star Trek immer geliebt habe, war die Gewissheit, dass es trotz des Chaos und der Ungesetzlichkeit des kalten Weltraums immer Ordnung herrschte und die Held*innen niemals ihre moralischen Grundprinzipien verrieten.

Ist Hoffnung unlogisch oder verkauft sie sich nur schlecht?

Schließen wir den Kreis nach dem langen Ausflug: Sollte Ray Kurzweil wenigstens tendenziell Recht behalten (wovon ich ausgehe) und die Menschheit die Schwelle zur Singularität (oder wie auch immer man es nennen möchte) erreichen und überwinden, bevor wir oder unsere Fehler uns selbst oder die Entwicklung stoppen und vernichten, gibt es begründete Hoffnung. Wir werden auf keinen Fall alles retten können, aber wir werden einerseits vieles wiederherstellen und andererseits neuen Schaden verhindern können. Man sollte diesen Funken Hoffnung keinesfalls als Aufruf missverstehen, alles beizubehalten, nicht auf die offensichtlichen Signale der Umwelt und die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten zu reagieren oder die Klimakrise und andere Probleme nicht ernstzunehmen! Wir müssen etwas tun und zwar schnellstmöglich, aber wir können eben auch hoffen.

Warum schlägt sich das nicht in der Literatur nieder? Liegt es außerhalb des gewohnten Denkens von Autor*innen, derart hoffnungsvolle Modelle zu akzeptieren? Sind die Ideen schlicht unbekannt? Sind wir noch immer gefangen in der linearen Betrachtung von Geschichte und technologischer Entwicklung? Oder gehen Versuche hoffnungsvoller, utopischer Literatur einfach unter, weil man sie schlecht verkaufen kann, beziehungsweise Personen mit Einfluss glauben, dass man sie schlecht verkaufen könnte?

Man sollte mich auch hier nicht missverstehen. Ich liebe düstere Werke in jeder Kunstrichtung, aber das heißt nicht, dass man keine Werke veröffentlichen sollte, die Hoffnung auf eine bessere Welt machen. Manchmal sage ich Dinge wie „Kunst sollte wehtun“, aber was tut mehr weh, als zu sehen, wie gut wir es haben könnten, wenn es doch offensichtlich gerade (noch) nicht so ist?