Lyrik. Mehr nicht.

Über das Lesen und Schreiben von Gedichten sowie die Notwendigkeit der Lyrik.

Vor wenigen Tagen wurde beim Buchensemble meine Rezension zum Gedichtband Rückkehr der Schiffe von Hilde Domin veröffentlicht: Wunderbare Ungereimtheiten. Das nehme ich zum Anlass, um über Gedichte zu schreiben. Warum ich sie lese, warum ich sie schreibe und warum sie immer geschrieben werden sollten.

Dunkle Vögel, dunklere Gefühle

Für mich fing alles mit The Raven von Edgar Allan Poe an, erzähle ich mir selbst. Das ist jetzt ein halbes Leben her, 20 Jahre. Damals ging es mir schlecht. Irgendwie bin ich auf The Raven gestoßen oder wurde darauf aufmerksam gemacht. Das Gedicht gefiel mir, weil es so düster und traurig ist. Es passte. Von Poe aus suchte ich nach anderer Lyrik und fand Baudelaire, Blake, Lord Byron, Trakl und weitere. Außerdem versuchte ich mich selbst an Gedichten, zumeist unter so schönen Titeln wie Auf himmlischen Wogen (Das Leben ist Dreck) oder Mein Besitz heißt Schmerz. Zugegeben, etwas theatralisch.

Wenn ich heute diese Texte überfliege – sie detailliert zu lesen, ist mir unangenehm –, fallen mir zwei Begriffe ein: Theatralik und Unbegrenztheit. Theatralik aus offensichtlichen Gründen und Unbegrenztheit aufgrund fehlenden Stils, fehlender Einschränkungen, Begrenzungen eben: Rhythmus, Wegschneiden überflüssigen Materials, Ausradierung störender Wiederholungen. Verknappung erschafft meist die besseren Gedichte. Doch das wusste ich damals noch nicht. Überarbeitung war ein Fremdwort.

Alte Milch, natürlich

18 Jahre später habe ich den ersten Gedichtband veröffentlicht. Moment, das stimmt nicht ganz. Irgendwann in Teenager-Jahren hat es ein kleines Buch gegeben, das ich mit Hilfe eines Freundes kompiliert, gestaltet und gedruckt hatte. Ausgesprochen unprofessionell und kitschig, aber immerhin vorhanden. 18 Jahre später also folgte der erste richtige Gedichtband mit Alte Milch. Am 02.10.21 feiert diese Veröffentlichung bereits den 2. Jahrestag. Es freut mich noch immer über alle Maße, wenn mir Leser*innen von ihrer persönlichen Verbindung zu meinen Gedichten berichten. Das war es, was ich mir erhofft hatte. Noch schöner wäre lediglich, würden noch mehr Menschen Alte Milch kaufen und lesen.

Hermetische Lyrik und Dichtmaschinen

Es gibt Gedichte, deren Inhalt sich nicht (sofort) erschließt. Vermutlich schreiben viele Menschen in gewisser Weise hermetische Lyrik, ohne es zu wissen, weil sie über sich selbst und ihre Erfahrungen schreiben, deren Kenntnis wiederum ausschlaggebend für das Verständnis der Texte ist. Auch ich mache das gelegentlich. Kryptisch dargestellte Erfahrungen und Themen erwecken meiner Meinung nach trotzdem passende Stimmungen und oft auch Ideen. Sie lassen Leser*innen nicht völlig ahnungslos und frustriert zurück, sondern bieten mehr Raum für Interpretation und emotionales Verständnis als deutlich formulierte Gedichte.

Paul Celan, den meisten am ehesten bekannt durch das Gedicht Die Todesfuge, schrieb später viel hermetische Lyrik, für deren Verständnis derart viel Vorkenntnis fachlicher Zusammenhänge als auch biographischer Details vorhanden sein musste, dass die Gedichte auf die meisten Leser*innen wie kryptischer Unfug wirken können. Ich selbst sitze manchmal davor und bewundere sie wie Rätsel, die ich niemals lösen können werde. Doch es steckt Sinn darin und dahinter, und genau das macht sie spannend.

Jetzt suche ich einen Vergleich zu von Maschinen produzierter Lyrik, die sich äußerlich oft ähnlich gibt, aber eben keine tieferen Gedanken verbirgt. Maschinenlyrik versteckt das Künstlerische in der Erstellung der Produktionsweise durch einen Menschen sowie in der völligen Freiheit der Interpretation durch die Leser*innen, weil das Verständnis 100 % frei ist, weil es einfach keinen intendierten Sinn gibt. Das gilt natürlich nur, sofern die Menschen, die hinter den Produktionsmechanismen stehen, nicht eingreifen, sortieren, Überschriften wählen und nachträglich Sinn stiften.

Wer sich für Gedichte interessiert, die von Maschinen, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz oder anderweitig nicht-menschlich entstehen, könnte beispielsweise poesie.exe von Herausgeber Fabian Navarro lesen. Ich konnte durch das Buch und gerade durch die Erklärungen im hinteren Teil sowie online viel lernen.

Lyrik als literarischer Punk

Kaum jemand wird behaupten, dass Gedichte keinen Platz in der Literatur hätten oder haben sollten. Dennoch kann so gut wie niemand vom Dichten leben. Immer mal wieder schmücken sich große Verlage mit Gedichtbänden, der Nobelpreis geht an Dichter*innen oder ein Großevent wird durch ein gelesenes Gedicht anspruchsvoller gemacht. Das sind Sonderfälle. Im literarischen Alltagsbetrieb ist Lyrik absoluter Underground.

Da ich noch immer die Denke, dass alles, was sich gut verkauft, irgendwie schlecht sein muss, im Hinterkopf habe, was zwar oft bewiesen wurde, aber in der Allgemeinheit seiner Aussage Quatsch ist, gefällt mir die Außenseiterposition der Lyrik. Seht mich an und staunt, ich bin ein Mann, der Gedichte schreibt! Blablabla. Es ist schade. Es steckt viel Arbeit in Gedichten – und wenn wir schon dabei sind, natürlich auch in Kurzprosa –, welche fair entlohnt gehört. Leider wird das Schreiben von Gedichten häufig als Liebhaberei, als Hobby angesehen. Generell halte ich die Meinung, dass Schreiben (ob nun Prosa oder Lyrik) allgemein eine Art Hobby wäre, für das man gelegentlich bezahlt wird, für eine Frechheit. Ich bin gerne Außenseiter, aber ich möchte auch nicht degradiert werden.

Lesen und schreiben, was gelesen und geschrieben gehört

Wir alle kennen diese Sätze in Romanen, die man unterstreichen oder herausschreiben möchte, die uns mehr sagen als die 20 Seiten davor und die nächsten 20, weil sie uns berühren, weil sie uns widerspiegeln, weil ihre Formulierung etwas in uns weckt. Gedichte sind nicht nur gedichtete, sondern besonders verdichtete Texte. Sie ziehen zusammen und erlauben dadurch Weite. Ein gutes Gedicht bringt Sätze wie die beschriebenen in größerer Häufigkeit, vielleicht sogar von Anfang bis Ende ohne Unterlass, weil es ein Konzentrat ist aus dem, was in einem ganzen Roman stecken kann. Nicht Handlung, sondern Geist und Herz.

Ich habe anfangen, Gedichte zu schreiben, weil sie ein Leben und eine Anhäufung von Problemstellungen besser beschreiben konnten als ich sie zu verstehen vermochte, weil sie ein Übermaß an Emotionen griffen, auswrangen und in dickflüssigen Tropfen aufs Papier gaben, weil sie ausdrückten, was ich nicht sagen konnte, wollte, durfte. Auf der Suche nach solchen Kondensationen von Größerem schreibe ich noch heute, und ja, um Dinge zu verarbeiten. Noch heute. Genau deshalb lese ich auch Gedichte. Ich suche die zähen Tropfen, die andere aus ihren Leben gewrungen haben, um meines zu bereichern, meine Perspektiven zu ändern, mich zu lehren, dass auch andere Menschen Tiefe besitzen, wertvoll sind, Gedanken haben, die meine rechtfertigen in all ihrer Zerbrechlichkeit. Ich lese Lyrik, um mich selbst zu finden.

Warum Gedichte gelesen und geschrieben gehören, habe ich damit beantwortet. Weil es notwendig ist. Weil wir sie brauchen. Weil sie in uns greifen und uns herausholen, befreien, uns erlauben, wir zu sein und uns dabei ein wenig zu verstecken, nur so viel, dass wir uns öffnen und atmen können.

Erschütterungen. Dann Stille.: Masse

Über die Kurzgeschichte “Masse” aus “Erschütterungen. Dann Stille.”

Toxische Maskulinität. Das könnte eine mögliche Überschrift für einen Blogeintrag über die Erzählung Masse in Erschütterungen. Dann Stille. sein. Manche lernen ihr Leben lang, keine Schwäche zeigen zu dürfen. Das ist ein Problem. Es wird (ein paar wenige) Spoiler geben in diesem Artikel. Bitte lest zuerst die Geschichte und dann hier weiter.

Content Notes: Toxische Maskulinität, Training, psychische Probleme, Suizid

Fitnesssprache

Schaut man sich online Fitnessvideos an, kann man sich das Schmunzeln oft nicht mehr verkneifen. Aufgepumpte Typen, die laut „Masse“ brüllen, während sie die letzten Wiederholungen vollführen. Andere, die erzählen, dass sie in der Massephase 17 Eier als Abendessen hatten. „Schweiß ist Schwäche, die den Körper verlässt“, „ich werde schon wieder flach“, „Flachheit ist der Feind“ und viele andere Ausdrucksmonstren fliegen durch die Gegend.

Neben diesen meist der Motivation dienenden Ausdrücken, gibt es natürlich Fachbegriffe. Das Wort „Spotter“ kommt in der Kurzgeschichte Masse vor. Ein „Spotter“ passt auf, dass derjenige, der gerade auf der Bank liegt und Gewichte stemmt, nicht von der Langhantel erschlagen wird. Er steht hinter ihm und fängt notfalls das Gewicht auf. Dass das „Gym“ für „Gymnasium“, also den englischen Begriff für Fitnessstudio, steht, werden die meisten wissen.

Erfahrung und Erfindung

Es gibt Dinge, mit denen ich meine Zeit fülle, die nichts mit Literatur zu tun haben. Diese Erlebniswelten sind zum Teil ebensolche, die man selten in der Literatur (oder Literatur, die ich rezipiere) finden kann. Fitness ist eine solche Sache. Ich gehe stark davon aus, dass es zwar ein Klischee ist, aber dennoch wahr, dass Autor*innen grundsätzlich eher geistigen Tätigkeiten zu- und körperlichen Tätigkeiten abgeneigt sind.

Lustigerweise war ein Hauptbeweggrund für mich, nach einer etwa 15jährigen Unterbrechung wieder Sport zu treiben, die Auswirkung der verbesserten Fitness auf meine geistige Leistung. Oder anders: wer fit ist, kann länger konzentriert lesen und arbeiten. Darum ging es mir. Inzwischen sind ganz andere Aspekte in den Vordergrund gerückt. Einer davon ist der Spaß am Vorantreiben und Überschreiten der eigenen Grenzen. Es ist ein umwerfendes Gefühl, bis zum Zusammenbruch zu trainieren, und das nächste Mal noch mehr leisten zu können. Das führt allerdings bald zu der Erkenntnis, dass es irgendwann entweder nicht mehr weitergeht oder man nichts mehr tut neben dem Training. Ich selbst habe das gelernt, als ich eine Weile 6 Tage pro Woche 2-3 Stunden trainiert habe und gelegentlich vormittags und abends noch ein kurzes halbstündiges Zusatzworkout drauf gepackt hatte. Das ging so lange gut, bis es eben nicht mehr ging. Dann wurde ich krank. Das ist steigerbar, aber es kostet.

Ablenkung

Wer kennt es nicht? Es geht dir schlecht und anstatt dich mit dem Gefühl auseinander zu setzen, lenkst du dich ab. Das kann mit Alkohol, Drogen, Filmen, Sex und allem anderen gehen. Training ist hervorragend dafür geeignet. Glaubt mir.

Mehr muss man dazu kaum sagen. Und doch: Es ist möglich, allein durch Sport high zu werden. Es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, dass ich mehrmals während des Trainings mit einem Lachflash zusammengebrochen bin. Die Ablenkung funktioniert, der Kopf leert sich, Körper und Hirn haben Besseres zu tun, als sich um Traumata oder Traurigkeiten zu kümmern. Tatsächlich funktioniert das als Hilfe bei Suchtdruck oder einem Hang zur Selbstverletzung ebenfalls. Sport ist grundsätzlich etwas Gutes. Das sollte man hier nicht vergessen.

Der Sprung in der Mitte

Der Ton von Masse bricht im Laufe der Geschichte. Die anfängliche Stimme, jene mit der der Ich-Erzähler bisher immer gesprochen hat, reicht nicht mehr aus für das, was er wirklich (schon immer) sagen will. Der Bro-Ton des Anfangs genügt nicht. Dieser Ton spielt alles runter und mit ihm spielt der Erzähler auch seine Probleme noch runter, witzelt darüber. Es genügt nicht, immer stark zu tun. Das reicht nicht. Wir müssen schwach sein dürfen. Das ist wohl der Kern der Geschichte. Erlauben wir uns, schwach zu sein.

Gerade in der Fitness-Szene ist wenig Platz für Schwäche, obwohl gerade dort meiner Erfahrung nach der Schauplatz für verschiedenste psychische Probleme ist. Alle möglichen Schwierigkeiten werden wegtrainiert. Toxische Maskulinität ist nicht nur, wie falsch Männer mit Frauen umgehen, sondern auch wie sie mit sich und einander umgehen. Es gibt unausgesprochene Regeln und Verbote. Schwäche darf kaum sein. Das ist doch ekelhaft. Man ist kein „Lauch“ oder „Lappen“ oder „Schwächling“, nur weil man sich und anderen Gefühle und Probleme eingesteht.

Perverserweise ist es die gleiche Kultur, die Suizid als Feigheit abstempelt, die die Wege dorthin zu Einbahnstraßen macht. Man darf nicht nach Hilfe fragen, sondern muss alles schlucken „wie ein Mann“ und alleine damit zurechtkommen. Mich kotzt das an. Deshalb gibt es diese Geschichte.

Erschütterungen. Dann Stille.: Der König

Über die Kurzgeschichte “Der König” aus “Erschütterungen. Dann Stille.”

Mit 244 Wörtern ist Der König eine der kürzesten Geschichten in Erschütterungen. Dann Stille.. Aber dennoch gibt es einiges darüber zu erzählen. An dieser Stelle wieder die Warnung vor Spoilern für alle, die die Geschichte noch nicht gelesen haben.

Fantasy, aber nicht wirklich

Man kann sich darüber streiten, ob Phantastik und Fantasy das Gleiche sind oder welcher Begriff welchen mit einschließt. Fakt ist, dass ich Fantasy nicht lese, aber in Filmen mag. Phantastik wiederum (im Sinne von Surrealismus, Magischem Realismus usw.) lese ich sehr gern.

Warum lese ich Fantasy nicht? Nun, ich lese sehr langsam und habe unzählige Bücher auf meinem Stapel ungelesener Bücher. Würde ich jetzt noch ein Genre wie Fantasy hinzufügen, das bekannt dafür ist, dass viele Geschichten in Reihen erscheinen und viele Bücher recht dick sind (>500 Seiten), verlöre ich alle Hoffnung, irgendwann einmal durchzukommen. Natürlich: Will man je „durchkommen“?

In der Twitter-Buchbubble gibt es allerdings viele Fantasy-Autor*innen und ich bekomme einiges mit. Das ist sicherlich ein Grund, warum ich Der König geschrieben habe.

Inspirationsquellen

Mich erinnert Der König ein wenig an die Filme Pans Labyrinth und Hellboy II. Ob ich das bereits beim Schreiben gedacht habe, weiß ich nicht mehr. Vermutlich nicht. Aber die Idee der unterirdischen Königreiche oder der in die Menschenwelt verstoßenen Herrscher kommt auch dort vor. Vermutlich noch in etlichen anderen Filmen.

Bewusster inspiriert wurde ich von einem anderen Film: Dolomite Is My Name. Zuerst wirkt das abwegig, oder? Was mich beim Schauen des Films gestört hat, war das Verhalten der Hauptfigur den Obdachlosen gegenüber, von denen er die Idee für seine Shows hatte. Er unterhält sich mit ihnen, notiert deren Sprüche und Witze, kreiert eine Bühnenfigur, die auf ihnen basiert, und wird mit der Nummer berühmt. An keiner Stelle werden die Obdachlosen, deren Ideen er zum Teil einfach geklaut hat, mehr erwähnt. Das hatte mich geärgert und deshalb ist es in meine Geschichte eingeflossen.

Diskussionsgrundlage

Es gibt mehrere mögliche Interpretationen für Der König. Alle führen zu moralischen Diskussionen, ob nun über Plagiate, die schlechte (oder teils nicht vorhandene) Bezahlung für geistige Arbeit oder die Own-Voice-Debatte. Die Geschichte ist darauf ausgelegt, Gedanken und Diskussionen zu inspirieren. Sie gibt keine eindeutige Lösung oder Interpretation vor. Ich selbst würde dem Schlusssatz des Ich-Erzählers nicht zustimmen, aber das kann man anders sehen. Nur weil der König als Figur im Kopf oder real all jene Abenteuer erlebt hat und das grundsätzlich eine spannende Sache ist, wird damit die Ausschlachtung der Geschichte nicht gerechtfertigt. Oder?

Macht

Wie in vielen meiner Geschichten spielt Der König mit dem Begriff der Macht. Die Figur des obdachlosen Königs hatte einmal Macht (oder glaubt, welche gehabt zu haben) und hat sie verloren. Aufgrund seines Zustands hat der Ich-Erzähler Macht über ihn und nutzt diese aus. Das ist aus meiner Sicht übrigens der Grund, warum das Vorgehen des Ich-Erzählers den Leser*innen unmoralisch erscheint. Wäre der König noch König und der Ich-Erzähler hätte sein Reich entdeckt und dann darüber berichtet, sähe die Sache ganz anders aus. Einen König zu bestehlen, scheint weniger verwerflich zu sein.

Fazit

  1. Solltet ihr Macht haben, nutzt sie nicht gegenüber Machtlosen aus!
  2. Es ist befriedigender und moralisch weniger verwerflich, sich selbst Geschichten auszudenken.

Erschütterungen. Dann Stille.: Caspars Schiffe

Über die Erzählung “Caspars Schiffe” aus “Erschütterungen. Dann Stille.”

Ursprünglich ist Caspars Schiffe (genau wie Der Mitatmer) für die neue Anthologie von Nikas Erben entstanden. Es wurden allerdings zwei andere Geschichten ausgewählt für das Projekt, die etwas besser zum Thema passten. Hier soll es also um die Stierkatzen-Geschichte aus Erschütterungen. Dann Stille. gehen. Wie immer vorweg die Warnung an alle, die die Erzählung noch nicht gelesen haben: Es wird Spoiler geben!

Ein neuer Ansatz

Caspars Schiffe ist die erste Geschichte, die ich mit diesem speziellen Ansatz geschrieben habe, anfangs lediglich Oberflächenstrukturen und Farben auszuwählen. (Darauf bezog sich ein kurzes und etwas kryptisches Zitat im Zeitungsartikel über Erschütterungen. Dann Stille.) Zwar ist im Laufe mehrerer Überarbeitungsrunden noch einiges an Tiefe und Bedeutung hineingearbeitet worden, aber der Anfang war genau dieser: Auswahl von Oberflächenstrukturen und Farben.

Welche waren das? Ich dachte zuerst an schwarz-weiße Fliesen, glatt. Dieses unruhige Küchenaccessoire, das jede*n verrückt macht, der/die nur auf einfarbige Fliesen treten möchte/kann oder nur auf die Fugen dazwischen, weil die Fliesen zu klein sind dafür. Unruhiges Geflimmer unter den Füßen. Offensichtlich gilt das nicht für Katzen. Rauer Putz, Staub, glitschige Oberflächen, dicke Farbe auf grobem, splitterndem Holz. Dann Grüntöne, Grautöne. Ich hatte meine Augen geschlossen und in Gedanken Flächen berührt, die Caspar berühren sollte, und Farben gesehen, die Caspar sehen sollte. Das war der Ausgangspunkt.

Das Gemälde / Das Meer

Caspar hat seinen Namen vom Maler Caspar David Friedrich. Es wird erwähnt, dass er einem Bild entsprungen sei. Manche Farben, die ich beim Schreiben im Kopf hatte, passten zu Friedrichs Gemälden. Noch mehr aber passten die Einsamkeit, die Sehnsucht und die Freiheit des Katers dazu. Doch diese ganze Ebene, die sich schließlich auf die gesamte Geschichte ausgedehnt hat, war ursprünglich sekundär. Ein weiterer Farbauftrag. Die Erzählinstanz verwendet Anleihen an die Bilder von Caspar David Friedrich, um sowohl Caspars (der Katze) Vergangenheit bildhaft zu beschreiben als auch seine Gegenwart. Was die Stierkatze am Ende der Kanalisation in der Ferne sieht, wenn sie über ihre Herkunft sinniert, könnte direkt aus einem von Friedrichs Bildern stammen. Die Schiffe, deren Segel, der Nebel, die Wälder und die vereinzelten Figuren. Caspar David Friedrich spielte mit melancholischen Darstellungen und der Sehnsucht nach mehr, während die Stierkatze Caspar eben doch eine Katze ist und damit selbstzufrieden.

Die Katze und der Stier

Caspars Charakter und sein Verhalten sind angelehnt an Stiere und Katzen. So weit, so logisch. Er streicht entspannt umher, er rammt mit dem Kopf gegen die Wand wie ein Stier. Doch das ist zweitrangig. Die Stierkatze Caspar ist ganz besonders eines: unabhängig. Katzen kommen alleine zurecht, die meisten jedenfalls. Und auch jene, die es nicht tun, tun so als ob.

Dieser Charakterzug der Unabhängigkeit und auch der Selbstzufriedenheit bedingen das Verständnis der Freiheit dieser Figur. Anders als in Bad Luck II ist der Protagonist hier kein Mensch und muss sich nicht so verhalten. Er braucht niemanden und beinahe würde ich sagen wollen, dass er auch niemandem wehtut; das ist allerdings nur insofern wahr, als dass ihm die Mäuse entwischen und die Gefühle der Menschen, die ihn aufnehmen und die er wieder verlässt, nicht erwähnt werden.

Caspars Freiheit

Caspar ist frei, weil er ohne andere sein kann, aber sich dennoch entscheidet, mit ihnen zusammen zu sein. Er ist ein Einzelgänger, aber er schließt sich anderen an. Natürlich, er ist egoistisch und nimmt sich, was er braucht. Gleichzeitig gibt er aber auch. Der kleine Junge am Ende der Geschichte freut sich und ihm ist es egal, ob Caspar in einer der folgenden Nächte vielleicht die Wand in der Küche kaputt macht. Caspar ist sympathischer als Trip (in Bad Luck II), weil er eben wie eine Katze ist: unabhängig, untreu und doch zärtlich. Aber das ist nur unsere Perspektive.

Schmusetiger für die einen, Monster für die anderen

Harmlos ist Caspar nicht. Die Jagdlust, die Begierde nach Blut und Tod, die er spürt, kann man als Symbole der Freiheit lesen. Ein Mann allein im Wald mit einem Speer. Man möchte grunzen vor Euphorie. Aber für jeden stolzen Mörder gibt es eine Apokalypse am anderen Ende der Gleichung.

Wie oben gesagt, ist Caspar kein Mensch. Daher erlaubt man ihm mehr. Er ist aber dadurch auch näher an den Tieren, die er zu erlegen versucht.

Das hatte ich, ganz ehrlich gesagt, beim Schreiben nicht bedacht. Aus Sicht der Mäuse ist Caspar ein Monstrum. Er ist riesengroß und hat Spaß daran, sie zu töten und zu fressen. Zum Glück entkommen sie ihm. Ist seine Freiheit damit doch nicht besser als jene von Trip oder betrachten wir die Mäuse als Spielerei – vielleicht wie die unzähligen nebensächlichen „Lieb“schaften (d.h. Gelegenheitsficks) in der Männerliteratur? Treiben wir es nicht zu weit. Ich gerate schon ins Schwitzen dank meiner eigenen Kritik.

Die gefaltete Zeitung

Während Caspar durch die Kanalisation strotzt, fährt ein Schiffchen an ihm vorbei. Es ist aus Zeitungspapier gefaltet und zeigt einen Mann mit einem Buch in der Hand. Dann haut Caspar es um und es versinkt im Kot-Fluss. Es ist wohl naheliegend, an welches Bild ich gedacht habe, oder? An dieses hier: Zeitungsartikel

Leider war ich nicht ausgebufft genug, um das Foto des Zeitungsartikels zu Erschütterungen. Dann Stille. zu meinen und es entsprechend zu gestalten – obwohl es auch halbwegs passt. Auf dem vollständigen Bild stehe ich mit Buch in der Hand.

Jaja, die alte Autorenarroganz. Es reicht nicht, dass ich die Geschichte schreibe, ich muss mich auch noch selbst hineinschreiben. Wartet ab, bis ihr Der Spinner gelesen habt! Wenigstens ist es eine ironische Selbstdarstellung. Es passt außerdem hübsch zum Titel. Irgendjemand hat sich die Mühe gemacht und aus einem Zeitungsartikel über mich ein Schiffchen gebastelt und es dann – gab es da nicht so eine Szene in ES? – in den Gully segeln lassen. Immerhin eine Beschäftigung mit mir.

Erschütterungen. Dann Stille.: Am Fluss

Über die Kurzgeschichte “Am Fluss” in “Erschütterungen. Dann Stille.”

Erschütterungen. Dann Stille. ist seit 15.11.2020 veröffentlicht. 2020 hatte meine Pläne massiv durcheinander gewirbelt, aber immerhin diese Veröffentlichung konnte ich noch raushauen, bevor das Horrorjahr endete.

Dieser Blogeintrag ist der erste einer ganzen Reihe zum neuen Erzählband Erschütterungen. Dann Stille.. Es wird zu jeder Geschichte einen Blogeintrag geben (und später vielleicht noch weitere zu bestimmten Details oder Aspekten). In einigen Blogeinträgen wird es Content Notes geben, wenn die Themen schwieriger sind. Ich folge der Reihenfolge der Geschichten im Buch, damit alle Leser*innen möglichst viel Zeit haben, um aufzuholen. Wir fangen also an mit Am Fluss, der ersten Story im Buch.

Content Notes: Tod, Trauma

Am Fluss

Am Fluss im Erzählband Erschütterungen. Dann Stille. gehört zu den ganz wenigen Geschichten, die ich spontan und ohne Planung verfasst habe. Auf diese Weise schreibe ich extrem selten. Sie ist an einem Tag entstanden, an dem ich nicht wusste, woran ich arbeiten sollte, oder nicht an dem arbeiten wollte, woran ich sonst hätte arbeiten können. Textdokument auf und losgetippt. Im Folgenden erzähle ich von der Erzählung. Wer sie noch nicht gelesen hat, sei hiermit vor Spoilern gewarnt!

Das Ding mit den Katzen

Wie bin ich da bloß drauf gekommen? Ich weiß es nicht mehr. Ich mag Katzen und Katzen mögen mich. Aber es gibt viele Menschen, die Katzen mögen, und deshalb gibt es potenziell viele Leser*innen, die sich von einer Katzengeschichte gefangen nehmen lassen. Vielleicht war das ein Teil der Idee.

Eine Assoziation, die in Am Fluss auch kurz erwähnt wird, ist die mit alten Zeichentrickfilmen. Als Kind habe ich noch regelmäßig Tom & Jerry geschaut. Mehr als einmal gibt es darin Szenen, in denen Säcke mit Kätzchen in den Fluss geworfen werden. Manchmal überleben sie. Aber ich erinnere mich auch an eine Szene, in der die durchnässten Kätzchen am Himmelstor stehen und begrüßt werden. Natürlich wird es nicht gezeigt, aber es wird angedeutet, dass sie ersäuft worden sind. Die Vorstellung fand ich immer abstoßend und vielleicht spürt man das beim Lesen auch.

Kruppkes matschiges Gemüt

Mit der Figur Kruppke wollte ich es mal mit einem gröberen, aber dennoch freundlichen Charakter versuchen. Ich habe viele solcher Menschen kennengelernt. Nette Leute, aber mit einem Hang zur Gewalt, die außerdem relativ leicht manipulierbar sind. Man redet ihnen etwas ein und sie glauben, sie träfen eigenständige Entscheidungen. Der Erzähler kennt Kruppke schon seit der Kindheit und weiß um seine Manipulierbarkeit. Man könnte meinen, dass er Kruppke deshalb auf die Frau hetzen, ihn zum Täter machen würde. Aber die Gewalt geht niemals von Kruppke aus, sondern zuerst von der Frau (den Katzen gegenüber) und dann vom Erzähler der Frau gegenüber. Liegt es daran, dass der Erzähler seinen alten Kumpel nicht mit hineinziehen wollte in die Angelegenheit? Ich denke nicht. Der Erzähler hat einige fiese Züge, die in einem derart kurzen Text natürlich nur angedeutet werden konnten, beispielsweise in seinem Wissen, dass Kruppke manipulierbar und dass er zur Gewalt fähig ist. Man kann schließen, dass er dieses Wissen schon getestet hat.

Der Erzähler hat schlicht die Kontrolle über sich verloren auf der Brücke. Oder? Nicht ganz. Was er tut, ist ein aus Wut entstandener, aber sehr kontrollierter Akt: er nähert sich, spricht mit der Frau und setzt den Einfall mit dem Anorak um. Er hätte auch einfach zuschlagen können.

Wiederkehrendes Trauma / repetitive Hölle

Das Prinzip eines Kreislaufs oder vielmehr einer Spirale innerhalb von Geschichten gefällt mir. Filme wie Predestination faszinieren mich. Was ich meine, sind Geschichten, deren Ende am Anfang anknüpft, einen Kreislauf bilden, oder deren Ende sogar den Anfang bedingt. Das letzte Bild von Am Fluss ist das Bild aus der Kindheitserinnerung des Erzählers, die seine Gefühle und seine Tat vorherbestimmt haben. Es handelt sich um ein anderes Kind, aber man kann schließen, dass es sich um einen Kreislauf (oder eher eine Spirale) handelt und sich das Trauma und die Rache bis in alle Zeit wiederholen wird. Das wird noch gestützt dadurch, dass der Erzähler selbst das Kind hört. Vielleicht hat es in seiner Kindheit ebenfalls einen Zuhörer gegeben. Er muss keineswegs der Start der Spirale sein. Kann man die Spirale durchbrechen? An Opfer (dem Kind) ist es nicht gelegen, dass es später zum Täter wird, sondern an Täter*in Nr. 1 (der Frau auf der Brücke). Das Problem einer solchen Spirale ist, dass sie nur von außen durchbrochen werden kann.

Stilfragen

Spricht der Erzähler mit Kruppke, klingt er ganz anders, als wenn er der/dem Leser*in erzählt. Allgemein klingt die Sprache, finde ich, alltagsnäher in dieser Geschichte als in vielen anderen. Am Fluss ist sprachlich kein fein gedrechseltes Himmelbett, sondern ein Ikea-Bettgestell mit günstiger Matratze. Man liegt bequem und es passt zu den restlichen Verhältnissen.

Geschuldet ist der Sprachstil einerseits der spontanen Entstehung der Rohfassung und andererseits der Tatsache, dass der Erzähler ein (vom Trauma abgesehen) ganz normaler Typ sein sollte. Er ist zwar clever, aber nicht besonders intelligent, sonst hätte er bessere Lösungen gefunden als einen möglichen Mordversuch (und hätte wohl auch seinem Kumpel nicht erzählt, dass er vor Ort gewesen ist).

Dass ich keine Sorck’schen Monsterformulierungen mehr schaffen will in nächster Zeit, habe ich bereits mehrmals an verschiedenen Stellen erwähnt. Es passt nicht mehr zu meiner Ansicht über gute Literatur oder zu der Person, die ich inzwischen geworden bin. Manche Geschichten sind komplexer (formuliert) und andere simpler. Ich muss nicht tagelang Fremdwörterbücher durchforsten, um gute Geschichten zu schreiben. Ich schreibe sie mit dem passendsten Vokabular, nicht mit dem verdrehtesten – doch wenn beides zusammenfällt, dann ist das eben so.

Inspiration und Hommagen

Über einen Themenartikel beim Buchensemble, Inspirationsquellen und Hommagen in Büchern.

Gestern ist der erste von mir verfasste Themenartikel beim Buchensemble veröffentlicht worden. Den Link findet ihr hier:

Lesen und Gelesen werden: Was macht das mit uns?

Hier möchte ich sowohl auf das Verfassen des Artikels eingehen als auch auf die dort besprochenen Aspekte (Inspiration/Beeinflussung durch die Lektüre von Büchern anderer Autor*innen, Hommagen in Büchern, Schreibblockaden) im Bezug auf mein eigenes Werk.

Wie funktionieren Themenartikel beim Buchensemble?

Vielleicht habt ihr euch beim Lesen dieses oder anderer Themenartikel beim Buchensemble gefragt, wie wir dabei vorgehen. Im Grunde ist es sehr simpel. Alle Rezensent*innen beantworten eine Reihe von Fragen. Übernimmt jemand von uns dann die Arbeit, einen Artikel zu verfassen, bekommt er/sie die Antworten zugesandt. Der Themenartikel selbst ist frei und unsere eigene Arbeit, aber natürlich bauen wir möglichst viele Antworten ein, geben also noch andere Meinungen als nur unsere eigene wider. Dieses System gefällt mir. Zwar kann man theoretisch manipulieren und nur Antworten verwenden, die gut in den Text passen, aber so sind wir alle nicht drauf. Zwangsläufig stehen diese Artikel auf einem breiteren Fundament, da für das Thema bereits bis zu 8 (bzw. bis zu 7 andere) Meinungen gegeben sind.

Hommagen: Sorck

Im Roman Sorck habe ich etliche Verweise zu anderen Werken eingebaut. Neben Kunst und anderen kulturellen Aspekten ganz besonders zu literarischen Werken. Auch hier werde ich nicht alle Verweise offenbaren. Es sollte reichen, zu erwähnen, dass ich in der Grundidee von Albert Camus beeinflusst worden bin sowie von Hermann Burger und Franz Kafka. Hinweise auf Hermann Hesse findet man überall in Sorck und zu Hermann Burger an einer Stelle ebenfalls.

Worüber ich nie geschrieben habe, obwohl es doch so wichtig ist, ist Folgendes: Als ich Sorck zu schreiben begann, wollte ich unbedingt wie Hermann Burger schreiben (können). In diesen Monaten war er für mich die Krone anspruchsvoller Literatur. Obwohl ich das heute ganz anders sehe, mag ich seine Werke noch immer sehr. Ein Aspekt, der Sorck zu dem Roman macht, der er ist, ist seine Sprache. Ich schmeiße mit Fremdwörtern, seltenen Begriffen und Neologismen um mich, als gäbe es kein Morgen. Damit erreiche ich einen völlig anderen Effekt als Burger, der erheblich besser weiß, was er tut. Humor und Eigenartigkeit werden immerhin getragen von dieser wirren Erzählstimme, auf die ich noch immer stolz bin.

In der Vorbereitung habe ich mich einigen von Burger in seiner Poetik-Vorlesung Die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben, die passenderweise in Anlehnung an Kleists Aufsatz Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden betitelt worden ist, Techniken bedient: seitenlange Wörterlisten beispielsweise. Ich habe (Fremd)Wörterbücher durchgearbeitet und eine Wörterbuch-App auf Zufall gestellt, um neue Wörter zu entdecken, die ich verwenden konnte. Die Arbeit war erschlagend (und ich würde sie wohl nie wieder auf mich nehmen), aber die Idee war inspiriert von Hermann Burger.

Hommagen: Alte Milch

Im Gedichtband Alte Milch habe ich ebenfalls eine kleine (kaum versteckte) Hommage eingebaut und zwar an Jorge Luis Borges. Im Gedicht J.L.B. (~ Jorge Luis Borges) geht es um Borges’ Liebe zu Büchern, die man in all seinen Werken sowie in seiner Arbeit als Leiter der argentinischen Nationalbibliothek (als er bereits erblindet war) gut erkennen kann, am besten aber an den autobiographischen Texten und Vorträgen. Die Liebe zur Literatur ist ein Hauptaspekt von Borges’ Gesamtwerk. Ihn in mein Werk zu integrieren, nachdem er mich so lange so sehr inspiriert hat, empfand ich als Notwendigkeit. Eine bitter nötige Verneigung vor diesem großartigen Autor. Vielleicht ist es Umberto Eco auch so ergangen, als er Der Name der Rose schrieb (wie im Artikel LINK erwähnt).

Hommagen: Das Maurerdekolleté des Lebens?

In Das Maurerdekolleté des Lebens sind, wenn mir gerade nicht die eigene Arbeit entfällt, keine bewussten Hommagen eingebaut. Dafür kann aber die Inspiration durch Kafka und andere surreale sowie magisch-realistische Werke unmöglich abgestritten werden. Seit Jahren lese ich gerne entsprechende Bücher. Für mich gehören immer auch Ebenen zur erlebten Welt als nur die beobachtbare (Der Traum ist Teil der Realität).

Die Stimme in meinem Kopf

Ein Unterthema im Artikel beim Buchensemble war die (ungewollte) Beeinflussung durch andere Werke, während man diese liest. Ändert sich der eigene Schreibstil, während man ein (gutes) Buch liest? Offenbar nicht bei allen Autor*innen. Bei mir allerdings umso mehr. Lese ich intensiv ein gutes oder bloß interessantes Buch, übernehme ich schnell Rhythmus, Wortwahl, Tempo und andere Aspekte des Buches, und dies gilt nicht nur für Geschriebenes, sondern auch für meine Gedankenstimme.

Ich habe gelesen, dass nicht jede*r tatsächlich eine Stimme im Kopf hat, die die Gedanken ausformuliert, aber ich habe definitiv eine. Diese Stimme spricht nicht bloß mit oder stottert, sondern erzählt in zusammenhängenden Sätzen, manchmal in abgestimmten Zeilen oder Wortfetzen, wenn eine entsprechende Lektüre kurz zuvor rezipiert worden ist. Gelesenes ändert mich im Tiefsten. Damit zeigt sich nicht nur, dass mein Schreibstil beeinflusst ist von fremden Werken (stark, wenn das Lesen noch nicht lange zurückliegt, weniger stark, ist es länger her), sondern auch dass wenigstens manche Menschen definitiv charakterlich durch Kunst beeinflusst werden können. Toleriert also nicht alles, nur weil es sich Kunst nennt!

Am Ende

… zählt, was man daraus macht. Ich weiß um meine Beeinflussbarkeit durch fremde Werke und bin entsprechend vorsichtig in Schreibphasen, ob und was ich lese. Die Begeisterung für die Bücher anderer zähle ich zu meinen Stärken und werde sie nicht unterdrücken. Warum auch? Möchte ich ein Denkmal in ein Werk einbauen, so werde ich das weiterhin tun.

Übrigens wird das in der nächsten Veröffentlichung wieder geschehen.

Hinweis: Themenartikel

Seit heute gibt es einen neuen Themenartikel beim Buchensemble. Diesmal schreibe ich über die Verbindung von Gelesenem und Geschriebenem. Inwiefern beeinflusst die Lektüre die Arbeit der Autor*innen?

Lesen und gelesen werden: Was macht das mit uns?

Sorck: Fubar

In diesem Eintrag geht es hauptsächlich um einen einzigen Begriff, den ich als Namen für eine Kneipe im Roman Sorck verwendet habe. Achtung: Es wird ein wenig gespoilert werden.

Am Tiefpunkt von Martin Sorcks Reise, nachdem er vom schlimmsten Landgang der Kreuzfahrt zurückgekehrt ist, besucht er eine neu eröffnete Bar auf dem Schiff. Diese Bar nennt sich Fubar.

Im zweiten Weltkrieg entwickelten amerikanische Soldaten eine ganze Menge Slang-Wörter. Darunter war auch der Begriff „Fubar“, der eigentlich eine Abkürzung ist für „Fucked Up Beyond All Recognition“ – unwiederbringlich zerstört oder dermaßen verstörend, dass man es nie wieder vergessen wird. In Sorck spiele ich viel mit Kriegsbildern und -begriffen, um den inneren Kampf des Protagonisten darzustellen, der das Leben als ständigen Konflikt mit der Außenwelt erfährt. Zudem ist die Geschichte als Ganzes schon irgendwie fucked up. Eine Rückmeldung von einer Leserin sprach im positiven Sinne von „abgedrehtem Scheiß“. Außerdem treibt sich Martin Sorck häufig ins Bars herum, weshalb es naheliegend schien, „Fubar“ als Name einer dieser Bars, der schlimmsten von allen, zu verwenden.

Den Begriff selbst habe ich zum ersten Mal in Saving Private Ryan gehört, wo er, wenn ich mich recht erinnere, nicht erklärt wird. Also recherchierte ich ein wenig und fand heraus, was er bedeutet. In der Fubar begegnet man übrigens einer weiteren Kriegsfilm-Referenz. Es werden als Begrüßungsgeschenk rote Bandanas verschenkt, was vermutlich überflüssig erscheint, wenn man die Verbindung nicht herstellt. Im Film Deer Hunter sehen wir die Szene eines Veteranen, der psychisch nicht mehr in die normale Welt zurückkehren konnte, in der er Russisch Roulette spielt für Geld. Dabei tragen er und sein Gegenspieler rote Stirnbänder. Exakt diese Szene, auf die ich mich im Roman beziehe, wird auch aufgenommen im norwegischen Film Die Kunst des negativen Denkens, der wiederum am Anfang von Sorck erwähnt wird als einer der Gründe, aus denen er Skandinavien besuchen wollte. Beeindruckend an diesem Film war für mich immer die Mischung aus Humor, der sich direkt mit Szenen abwechselt, die furchtbar traurig sind. Durch dieses Wechselspiel schlagen die deprimierenden Stellen ganz besonders hart zu. Einen solchen Effekt wollte ich gerne in Sorck haben, aber ob ich das geschafft habe, weiß ich nicht recht.

Eigentlich wollte ich bloß über ein einziges Wort schreiben, Die Verknüpfungen zwischen dem Roman und anderen Kunstwerken und dieser Kunstwerke untereinander wiederum fällt eine solche Aufgabe nicht leicht. Ich hoffe, man wird mir vergeben.

PS: Das Titelbild dieses Eintrags zeigt übrigens eines der ersten Memes überhaupt, ebenfalls aus dem zweiten Weltkrieg.

 

 

 

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Batman vs. Sorck

Gestern las ich in der Buchensemble-Rezension, man hätte Sorck zuerst für den Namen eines Sturms gehalten. Ganz falsch ist das in Bezug auf mein Leben auch nicht. Aber findet ihr nicht auch, dass Sorck ebensogut der Name einer Comic-Figur sein könnte? Vom Klang her käme er General Zod, einem Gegner von Superman, am nächsten. Das ist aber Zufall. Hier und jetzt möchte ich über Comics schreiben und inwiefern sie mitverantwortlich sein könnten für die erreichten und überschrittenen Skurrilitätslevel in Sorck: Ein Reiseroman.

Meine Beziehung zu Graphic Novels und Comics begann im Laufe meines Literaturstudiums. In einer Vorlesung wurden die Werke von Marc-Antoine Mathieu empfohlen. Für diejenigen, die ich ihn nicht kennen: stellt euch vor, Kafka hätte Bilder und weniger Worte verwendet, und gebt einen Schuss französischen Stil dazu. Die Bücher sind intelligent, abgefahren, witzig und auf traumartige Weise bedrückend. Sämtliche Grenzen werden gesprengt. Ich empfehle dringend, sich auf sein Werk einzulassen!

Danach folgte Batman. Ich liebe Batman. Ein Held ohne Superkräfte, aber mit inneren Dämonen, die ihn plagen und vorantreiben. Seine Gegner sind ebenfalls nur selten riesige Monster, sondern hochintelligente Menschen mit komplexem Innenleben und psychotischer Ausstrahlung. Batman ist nichts ohne Gotham oder ohne seine Feinde. In einer anderen Umgebung und mit weniger bestialischen Gegenspielern fiele eines schnell auf: Batman ist nicht so sehr anders als diejenigen, die er bekämpft. Aber ich verliere den Faden hier.

Wo bestehen denn nun Parallelen zwischen (Batman-)Comics und meinem Roman? Zunächst einmal das Drumherum und die Farbe. In meinem Kopf hat die Geschichte von Sorck ungefähr die gleiche Färbung wie das Cover und somit wie Gotham City. Es ist nicht immer Nacht und es ist nicht immer dunkel, aber der Roman ist für mich innerlich dunkel eingefärbt. Meist denke ich zuerst an Martin Sorck, wie er nachts über das Deck läuft. Dazu nasse Planken. Setzt Batman einige Meter über ihn und ihr habt ein Comic-Panel. Zur Farbe kommt das „Drumherum“, womit ich hauptsächlich die Orte und das Grundgefühl meine. Es gibt im Roman viele Orte, die einem bekannt vorkommen, und einige, die es sogar gibt, aber an allen stimmt etwas nicht. Sie sind anders, als sie sein sollten. Mir gibt das ein Gefühl von subtilem Grusel und einem unterschwelligen Unwohlsein. Die Welt ist nicht in Ordnung. Batman befindet sich ständig an solchen Orten und bewohnt sogar einige davon: Seine Höhle, in der er neben riesige Erinnerungsstücken (Joker-Karte, Riesen-Penny usw.) seine Rüstungen und Waffen ausstellt, oder sein Haus, das voller Erinnerungen und Traumata steckt. Die Krone des Umgebungshorrors stellt aber Arkham Asylum dar.

Den vermutlich wichtigsten Berührungspunkt zwischen Comics und Sorck ist die Skurrilität. Beides ist over-the-top und geht einen Schritt weiter, als man es für möglich hält. Figuren, die in Comics zum Standard-Inventar gehören, wirken losgelöst davon vollkommen abgedreht und falsch, weshalb viele Menschen Vorurteile gegenüber Graphic Novels haben und nicht hineinfinden können. Ich akzeptiere keine Grenzen für meine Werke. Man sollte sich auf alles gefasst machen. In Comics gibt es beinahe unbegrenzte Freiheit. Das Spektrum an verschiedenen Stilen, Themen und Erzählweisen ist riesig. Bleiben wir bei Batman: vergleicht man Year One mit Death of the Family und Arkham Asylum, sieht man den gleichen Protagonisten in einer romanesken Origin-Story, einer Psychohorror-Geschichte und (vom Stil her) dem Tagebuch eines Serienmörders. Und die Fans nehmen es dankend an. Diese Freiheit wünsche ich mir auch für meine Werke. Lasst mich tun, was ich für richtig halte, außerhalb, innerhalb und zwischen Genregrenzen, in ausgefallenem Stil, mit abgedrehten Figuren, Orten und Plots. Sorck kann als Statement für diese Form von künstlerischer Freiheit gelesen werden: ich lege Feuer.

In der zu Anfang erwähnten Rezension heißt es, das Buch meine alles und nichts ernst. Aber ich meine es bitterernst, ich nehme es nur nicht so. Sorck funktioniert ein bisschen wie der Joker: es gibt einen großen Plan, den man nur schwer erkennt, der aber durchgängig verfolgt wird, und zwischendurch bleibt Zeit für ein paar Witze und ein wenig Kollateralschaden.

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Sorck: Picassos Gitarrist

Wie bereits im Text über den Künstler Nick Alm bespreche ich heute ein weiteres Bild, das im Roman Sorck vorkommt. Diesmal ist der Maler bekannter und das Bild eventuell auch. Es handelt sich um den alten Gitarristen von Pablo Picasso (1881 – 1973).

Dieses Bild sorgt noch deutlicher für eine passende Hintergrundstimmung als The Great Implosion von Nick Alm. Gezeigt wird ein alter, blinder Gitarrist, der in gekrümmter Haltung im Schneidersitz mit seinem Instrument in der Hand an der Straße kauert. Abgesehen von der Gitarre ist das gesamte Bild in Blautönen, gemischt mit Grau und Schwarz, gehalten. Es wurde am Ende von Picassos Blauer Phase gemalt, die sich durch ihre tristen Motive (und natürlich die Farbgebung) auszeichnete. Picasso hatte vor Beginn der Blauen Phase einen guten Freund durch Selbstmord verloren und lebte in großer Armut. Entsprechend melancholisch stimmt der Anblick des alten Gitarristen und passt damit sehr gut zur zwischenzeitlich hoffnungslosen Stimmung des Protagonisten Martin Sorck.

Die erste Antwort auf die Frage, warum ich gerade dieses Bild in Sorck erwähnte, ist damit beantwortet. Eine weitere Antwort wäre, dass es eins meiner Lieblingsbilder ist. Ein Kunstdruck hängt an meiner Wand. Wenn ich also etwas, das ich täglich betrachte, in mein Buch einbaue, stecke ich auch ein bisschen mehr von mir selbst hinein. Viele Schichten liegen dazwischen und als Leser*in erkennt man mich nicht dahinter, doch das Bild ist im Buch, weil es hier hängt und es hängt hier, weil es zu mir passt.

Ein weiterer Aspekt ist der Fokus des Bildes auf die Kunst, hier in Form einer Gitarre. Der alte Mann ist angewiesen auf seine Kunst, um zu überleben, er klammert sich daran, wie es für Picasso vermutlich auch war. In meinem Leben ist die Kunst, diesmal als Literatur, ebenfalls im Zentrum. Alles andere ordnet sich konzentrisch darum.

Erwähne ich den alten Gitarristen in meinem Roman, handelt es sich also um Kunst in Kunst, um etwas über Kunst und Künstler auszusagen, wenn man so will. Schicht über Schicht über Schicht und Aussage in Aussage. Ich schreibe nicht über mich selbst, sondern erscheine hier und da in Details, die mich verraten.

Als letzten Punkt wäre noch zu erwähnen (wie schon bei Nick Alm), dass ich Dinge, die ich mag, gerne populärer machen möchte. Jeder kennt den Namen Picasso, aber nicht jeder kennt dieses Bild. Vielleicht tue ich ja jemandem etwas Gutes, indem ich ihn/sie auf Neues (oder neues Altes) aufmerksam mache. Nutzt man sozusagen das vollständige Potenzial meines Buches aus, wird es zu einem multimedialen Ereignis, das aus Literatur, Bildern, Filmen und Musik besteht. Auch wenn ich kein großer Technikfreund bin, kann es eine Menge bringen, das Smartphone in Griffweite zu haben, während man Bücher liest: Schlagt unbekannte Wörter nach, schaut euch angesprochene Bilder an und hört die erwähnte Musik! Ich habe unheimlich viel durch Bücher gelernt und möchte mit Sorck etwas weitergeben.

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