Sorck: 2. Buchgeburtstag

Blogeintrag zur Feier des 2. Buchgeburtstags des Romans “Sorck: Ein Reiseroman”

Inzwischen ist es zwei Jahre her, dass mein Debütroman Sorck: Ein Reiseroman veröffentlicht worden ist. Bereits zum ersten Buchgeburtstag hatte ich einen Blogartikel geschrieben. Hier möchte ich darüber nachdenken, wie ich heute zu meinem Buch stehe, wo ich allgemein stehe und wie es möglicherweise weitergehen soll.

Die Blogeinträge

Als ich Papierkrieg.Blog gestartet habe, ist eine der Grundideen gewesen, dass ich gern meine Gedanken über das Schreiben, über meine eigene Literatur und die von anderen teilen wollte. Inspiriert war ich von den Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Da mir keine derartige Bühne zur Verfügung stand (und steht), sollte es ein Blog sein. Seitdem habe ich etwa 250 Blogartikel fertiggestellt und etwa 80 weitere nur begonnen. Ganz grob geschätzt habe ich inklusive Überarbeitungen etwa 220.000 Wörter für diesen Blog geschrieben. Derzeit sind 219 Artikel online, von denen (inklusive diesem hier) sich 40 mit dem Roman Sorck befassen. In 32 weiteren wird Sorck zumindest erwähnt. Über die Suchfunktion oder die Kategorien im Seitenmenü kann man alle Blogeinträge finden. Sie hier aufzulisten wäre wohl zu viel.

Vom Altern

Manche der Blogartikel zu Sorck würde ich so nicht mehr schreiben. Sofern die Diskrepanz zwischen dem Text und meiner aktuellen Einstellung zu groß ist, lösche ich auch Texte. Das ist mit den 31 Artikeln passiert, die in der Rechnung oben fehlen. Ein gedrucktes Buch kann man nicht mehr löschen. Das würde ich auch nicht wollen. Zwar spielt ein Teil von mir seit vielen Monaten mit der Idee, Sorck zu überarbeiten, aber im Grunde halte ich davon wenig. Ich bin nicht mehr der Autor, der ich damals war. Ich würde Sorck Unrecht tun, und schließlich bin ich noch immer stolz auf meinen Roman, trotz einiger Fehler und Unzulänglichkeiten.

Was würde ich denn anders machen? Nun, einige Figurendarstellungen würde ich ändern, einige Witzchen weglassen. Vielleicht würde ich die Touris anders schreiben. So, wie ich sie geschrieben habe und vor dem inneren Auge sehe, wären sie fast allesamt potenzielle Querdenker*innen. Das macht sie mir noch weniger sympathisch. Bevor ich ihnen (und mir) also etwas antue, lasse ich lieber die Finger davon.

Übrigens würde ich den Schreibstil so nicht mehr wählen oder hinkriegen. Oder? Ich bin mir nicht sicher. Wählen nicht, hinkriegen vielleicht.

Neuere Bücher

Ob man mir meine aktuelle Laune anmerkt, weiß ich nicht. Ich bin nicht in Feierstimmung, sondern denke an zwei Jahre ohne neuen Roman, anstatt den zweiten Geburtstag meines Romans zu feiern. Andererseits bin ich nicht gerade faul gewesen. [Kurzer Einschub: Ich bin ein zerfressener Mensch, der sich Siege schlecht eingestehen kann und sich ständig unter Druck setzt. Auch deshalb sind Texte wie dieser wichtig für mich, als Reflexion und Aufmunterung.] 250 Blogartikel, etliche Rezensionen fürs Buchensemble, Beiträge für Ausschreibungen (teils mit Erfolg, teils ohne), Geschichten für Nikas Erben, Podcastauftritte, Interviews, Newsletter und (neben einem richtigen Leben) auch noch drei weitere veröffentlichte Bücher: Alte Milch: Gedichte, Das Maurerdekolleté des Lebens, Erschütterungen. Dann Stille.. Es ist also nicht so, dass ich nichts veröffentlicht hätte, nur eben keine weiteren Romane.

Das wird sich allerdings ändern. Mein aktuelles Romanprojekt ist recht weit fortgeschritten. Ein möglicher zweiter Gedichtband ist ebenfalls in Planung. Allerdings werde ich versuchen, für zukünftige literarische Veröffentlichungen zuerst Verlage zu finden und erst dann als Selfpublisher aufzutreten. Eine Verlagsveröffentlichung würde mir sicherlich guttun. Einerseits interessiert mich die Zusammenarbeit mit Verlagsmenschen und andererseits erhoffe ich mir eine größere Reichweite.

Darf ich mir etwas wünschen?

Eigentlich hat ja mein Buch Geburtstag, aber darf ich mir dennoch etwas zum Geburtstag wünschen? (Mein eigener Geburtstag steht ja auch kurz bevor.) Ich würde mir wünschen, dass weder Sorck noch meine anderen Bücher in Vergessenheit geraten. Es ist nicht einfach, so viel Zeit für ein Werk aufzubringen, so viel Arbeit zu investieren, es kurz aufsteigen zu sehen, nur um dann zu beobachten, dass es immer weiter in die Vergessenheit sinkt. Zugegebenermaßen ist keines meiner Bücher je bekannt genug geworden, um wieder vergessen zu werden, aber hier und da gibt es eben doch Leser*innen, und die mochten Sorck fast immer. Und ja, natürlich, ich sollte mehr Werbung machen.

Neuer Plan

Als ich mit dem Schreiben ernsthaft angefangen hatte, also mein zweiter Start mit etwa 30, kannte ich keine Prokrastination oder Ermüdungserscheinungen. Heute sieht das anders aus. Ich musste feststellen, dass ich so viele Projekte habe, dass ich immer an etwas arbeiten könnte und dass ich verschiedene dieser Projekte gegeneinander ausgespielt habe. Mit Arbeit zu prokrastinieren, um eine andere Arbeit nicht machen zu müssen, ist schon eine Luxusversion. Dennoch habe ich nun einen Arbeitsplan aufgestellt, der genau das unterbinden soll. Weniger Lust-und-Laune-Aktionen, mehr Professionalität. So wird der neue Roman auch irgendwann fertig. Hoffen wir das Beste.

Lyrik. Mehr nicht.

Über das Lesen und Schreiben von Gedichten sowie die Notwendigkeit der Lyrik.

Vor wenigen Tagen wurde beim Buchensemble meine Rezension zum Gedichtband Rückkehr der Schiffe von Hilde Domin veröffentlicht: Wunderbare Ungereimtheiten. Das nehme ich zum Anlass, um über Gedichte zu schreiben. Warum ich sie lese, warum ich sie schreibe und warum sie immer geschrieben werden sollten.

Dunkle Vögel, dunklere Gefühle

Für mich fing alles mit The Raven von Edgar Allan Poe an, erzähle ich mir selbst. Das ist jetzt ein halbes Leben her, 20 Jahre. Damals ging es mir schlecht. Irgendwie bin ich auf The Raven gestoßen oder wurde darauf aufmerksam gemacht. Das Gedicht gefiel mir, weil es so düster und traurig ist. Es passte. Von Poe aus suchte ich nach anderer Lyrik und fand Baudelaire, Blake, Lord Byron, Trakl und weitere. Außerdem versuchte ich mich selbst an Gedichten, zumeist unter so schönen Titeln wie Auf himmlischen Wogen (Das Leben ist Dreck) oder Mein Besitz heißt Schmerz. Zugegeben, etwas theatralisch.

Wenn ich heute diese Texte überfliege – sie detailliert zu lesen, ist mir unangenehm –, fallen mir zwei Begriffe ein: Theatralik und Unbegrenztheit. Theatralik aus offensichtlichen Gründen und Unbegrenztheit aufgrund fehlenden Stils, fehlender Einschränkungen, Begrenzungen eben: Rhythmus, Wegschneiden überflüssigen Materials, Ausradierung störender Wiederholungen. Verknappung erschafft meist die besseren Gedichte. Doch das wusste ich damals noch nicht. Überarbeitung war ein Fremdwort.

Alte Milch, natürlich

18 Jahre später habe ich den ersten Gedichtband veröffentlicht. Moment, das stimmt nicht ganz. Irgendwann in Teenager-Jahren hat es ein kleines Buch gegeben, das ich mit Hilfe eines Freundes kompiliert, gestaltet und gedruckt hatte. Ausgesprochen unprofessionell und kitschig, aber immerhin vorhanden. 18 Jahre später also folgte der erste richtige Gedichtband mit Alte Milch. Am 02.10.21 feiert diese Veröffentlichung bereits den 2. Jahrestag. Es freut mich noch immer über alle Maße, wenn mir Leser*innen von ihrer persönlichen Verbindung zu meinen Gedichten berichten. Das war es, was ich mir erhofft hatte. Noch schöner wäre lediglich, würden noch mehr Menschen Alte Milch kaufen und lesen.

Hermetische Lyrik und Dichtmaschinen

Es gibt Gedichte, deren Inhalt sich nicht (sofort) erschließt. Vermutlich schreiben viele Menschen in gewisser Weise hermetische Lyrik, ohne es zu wissen, weil sie über sich selbst und ihre Erfahrungen schreiben, deren Kenntnis wiederum ausschlaggebend für das Verständnis der Texte ist. Auch ich mache das gelegentlich. Kryptisch dargestellte Erfahrungen und Themen erwecken meiner Meinung nach trotzdem passende Stimmungen und oft auch Ideen. Sie lassen Leser*innen nicht völlig ahnungslos und frustriert zurück, sondern bieten mehr Raum für Interpretation und emotionales Verständnis als deutlich formulierte Gedichte.

Paul Celan, den meisten am ehesten bekannt durch das Gedicht Die Todesfuge, schrieb später viel hermetische Lyrik, für deren Verständnis derart viel Vorkenntnis fachlicher Zusammenhänge als auch biographischer Details vorhanden sein musste, dass die Gedichte auf die meisten Leser*innen wie kryptischer Unfug wirken können. Ich selbst sitze manchmal davor und bewundere sie wie Rätsel, die ich niemals lösen können werde. Doch es steckt Sinn darin und dahinter, und genau das macht sie spannend.

Jetzt suche ich einen Vergleich zu von Maschinen produzierter Lyrik, die sich äußerlich oft ähnlich gibt, aber eben keine tieferen Gedanken verbirgt. Maschinenlyrik versteckt das Künstlerische in der Erstellung der Produktionsweise durch einen Menschen sowie in der völligen Freiheit der Interpretation durch die Leser*innen, weil das Verständnis 100 % frei ist, weil es einfach keinen intendierten Sinn gibt. Das gilt natürlich nur, sofern die Menschen, die hinter den Produktionsmechanismen stehen, nicht eingreifen, sortieren, Überschriften wählen und nachträglich Sinn stiften.

Wer sich für Gedichte interessiert, die von Maschinen, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz oder anderweitig nicht-menschlich entstehen, könnte beispielsweise poesie.exe von Herausgeber Fabian Navarro lesen. Ich konnte durch das Buch und gerade durch die Erklärungen im hinteren Teil sowie online viel lernen.

Lyrik als literarischer Punk

Kaum jemand wird behaupten, dass Gedichte keinen Platz in der Literatur hätten oder haben sollten. Dennoch kann so gut wie niemand vom Dichten leben. Immer mal wieder schmücken sich große Verlage mit Gedichtbänden, der Nobelpreis geht an Dichter*innen oder ein Großevent wird durch ein gelesenes Gedicht anspruchsvoller gemacht. Das sind Sonderfälle. Im literarischen Alltagsbetrieb ist Lyrik absoluter Underground.

Da ich noch immer die Denke, dass alles, was sich gut verkauft, irgendwie schlecht sein muss, im Hinterkopf habe, was zwar oft bewiesen wurde, aber in der Allgemeinheit seiner Aussage Quatsch ist, gefällt mir die Außenseiterposition der Lyrik. Seht mich an und staunt, ich bin ein Mann, der Gedichte schreibt! Blablabla. Es ist schade. Es steckt viel Arbeit in Gedichten – und wenn wir schon dabei sind, natürlich auch in Kurzprosa –, welche fair entlohnt gehört. Leider wird das Schreiben von Gedichten häufig als Liebhaberei, als Hobby angesehen. Generell halte ich die Meinung, dass Schreiben (ob nun Prosa oder Lyrik) allgemein eine Art Hobby wäre, für das man gelegentlich bezahlt wird, für eine Frechheit. Ich bin gerne Außenseiter, aber ich möchte auch nicht degradiert werden.

Lesen und schreiben, was gelesen und geschrieben gehört

Wir alle kennen diese Sätze in Romanen, die man unterstreichen oder herausschreiben möchte, die uns mehr sagen als die 20 Seiten davor und die nächsten 20, weil sie uns berühren, weil sie uns widerspiegeln, weil ihre Formulierung etwas in uns weckt. Gedichte sind nicht nur gedichtete, sondern besonders verdichtete Texte. Sie ziehen zusammen und erlauben dadurch Weite. Ein gutes Gedicht bringt Sätze wie die beschriebenen in größerer Häufigkeit, vielleicht sogar von Anfang bis Ende ohne Unterlass, weil es ein Konzentrat ist aus dem, was in einem ganzen Roman stecken kann. Nicht Handlung, sondern Geist und Herz.

Ich habe anfangen, Gedichte zu schreiben, weil sie ein Leben und eine Anhäufung von Problemstellungen besser beschreiben konnten als ich sie zu verstehen vermochte, weil sie ein Übermaß an Emotionen griffen, auswrangen und in dickflüssigen Tropfen aufs Papier gaben, weil sie ausdrückten, was ich nicht sagen konnte, wollte, durfte. Auf der Suche nach solchen Kondensationen von Größerem schreibe ich noch heute, und ja, um Dinge zu verarbeiten. Noch heute. Genau deshalb lese ich auch Gedichte. Ich suche die zähen Tropfen, die andere aus ihren Leben gewrungen haben, um meines zu bereichern, meine Perspektiven zu ändern, mich zu lehren, dass auch andere Menschen Tiefe besitzen, wertvoll sind, Gedanken haben, die meine rechtfertigen in all ihrer Zerbrechlichkeit. Ich lese Lyrik, um mich selbst zu finden.

Warum Gedichte gelesen und geschrieben gehören, habe ich damit beantwortet. Weil es notwendig ist. Weil wir sie brauchen. Weil sie in uns greifen und uns herausholen, befreien, uns erlauben, wir zu sein und uns dabei ein wenig zu verstecken, nur so viel, dass wir uns öffnen und atmen können.

Erschütterungen. Dann Stille.: Quarantäne

Über die Kurzgeschichte “Quarantäne” im Erzählband “Erschütterungen. Dann Stille.” von Autor Matthias Thurau.

Content Notes: Krankheit, Psychose, Angst

Die Welt ist eine Peststadt. Okay, das ist etwas hart. Während ich das hier schreibe und vermutlich noch lange Zeit, nachdem es veröffentlicht sein wird, existiert das Covid19-Virus. Daher wird jede*r davon ausgehen, dass die Geschichte Quarantäne in Erschütterungen. Dann Stille. etwas mit Corona zu tun hat, allein weil der Text 2020 veröffentlicht worden ist. Dem ist aber nicht so. Im Folgenden werde ich auf die Entstehung eingehen. Ohne Spoiler wird das nicht möglich sein. Ihr wurdet gewarnt.

Entstehungszeit

Für die Interpretation mancher Texte sollte man wissen, wann sie veröffentlicht und wann sie verfasst worden sind. Stichwort: Historischer Kontext. Beispielsweise würde man die Wortwahl einiger älterer Werke heutzutage mindestens diskutieren, wenn man sie nicht strikt ablehnen würde. Eine literarische Verherrlichung des Krieges oder der Nation wäre nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland unangebracht gewesen. Günter Grass und andere stellten sogar die viel diskutierte Frage, ob man nach Auschwitz überhaupt noch (Gedichte) schreiben dürfe.

Es gibt historische Einschnitte, die im Nachhinein den Blick auf Ideen verändern. Schaut man sich nach 9/11 den Film Rambo III an, so wird man stutzen, sollte man ihn noch nicht gekannt haben. Rambo, der amerikanische Soldatenheld (und leider ohne den kritischen Blick des 1. Teils), kämpft gemeinsam mit den Mudschahedin gegen die Sowjets. Wenn der Feind auch langsam wieder in Mode kommen mag, wirken die Verbündeten, die ebenfalls als Helden porträtiert werden und aus deren Reihen al-Qaida erwachsen ist, doch reichlich seltsam.

Große Ereignisse mit globaler Implikation verändern unseren Blick auf die Welt, auch nachträglich. Die Corona-Pandemie ist eindeutig ein solches Ereignis. Dass meine Geschichte mit der Pandemie im Hinterkopf gelesen werden wird, ist mir bewusst.

Bessere Zeiten

Die Erzählung Quarantäne ist vor der Pandemie entstanden, genauer am 28. Dezember 2019. Am 31. Dezember 2019 wurde der erste Fall (noch ohne den heute gängigen Namen) offiziell bestätigt. Ihr erinnert euch? Das war die Zeit, in der das Virus noch weit weg war. Danach folgte die Zeit, in der es sich ausbreitete (Frankreich, Italien usw.). Auch danach hieß es noch überall, dass es wie eine Grippe sei. Heute wissen wir es besser, und wer es nicht besser weiß, will es nur nicht besser wissen.

Hätte ich geahnt, was nur wenige Monate später passieren würde, hätte ich die Idee des Verrückten, der sich vor einer eingebildeten Seuche versteckt, wieder verworfen. Aber ich bin schlecht im Wegwerfen und gehe davon aus, dass man der Geschichte anmerkt, dass sie nicht als Kommentar zu Corona verstanden werden will.

Einbildung

Der Ich-Erzähler in Quarantäne ist geisteskrank. Das ist unschwer zu erkennen an den Stimmen, die er hört, und den vermeintlichen Zeichen, die er sieht. Als Laie würde ich eine paranoide Schizophrenie diagnostizieren. Aber (und das will ich betonen): Ich habe wenig Ahnung davon. Mir geht es um andere Dinge.

Wo die einen „Wacht auf!“ rufen, während sie im indoktrinierten Verschwörungsschlummer dösen, und die anderen kopfschüttelnd auf die Ignoranten blicken, fallen Wahn-Diagnosen gerne mal als Vorwurf oder Beleidigung. Das ist einfach falsch. Auch werfen sich alle Seiten gegenseitig Indoktrination vor, wo es doch wenigstens auf einer Seite schlichte Sozialisation ist. Das kratzt schon mehr an meinem Thema. Was die einen Fakt nennen, ist für andere Unfug, und – und das macht wohl so wütend – auch umgekehrt. Es geht hier um …

Perspektiven.

Wie sehen andere die Welt? Das frage ich mich manchmal. Wie kann man sich in der eigenen Freiheit eingeschränkt fühlen, nur weil man ein Stück Stoff tragen soll, das das eigene Leben und das anderer schützen soll? Solche Dinge frage ich mich.

Quarantäne sollte als Geschichte eine besondere Perspektive auf die Welt zeigen, die die meisten von uns niemals einnehmen werden. Dachte ich. Seit Entstehung der Erzählung haben viele eine noch aggressivere und fremdgefährdendere Sicht auf die Welt angenommen als der Protagonist. Ich wünschte, ich könnte so viel Ignoranz irgendwie verständlicher machen. Aber das übersteigt meine Fähigkeiten.

Der Ich-Erzähler glaubt nicht mehr an Fakten, sondern an Verschwörungen, nicht mehr Ärzt*innen, sondern ominösen Zeichen. Als Konsequenz zieht er sich zurück. Wie angenehm für alle anderen, oder? Das muss doch die Reaktion heutzutage sein. Er rennt nicht zu einer Grundschule, um unter den Masken von Schulkindern CO2-Werte zu messen. Er isoliert sich und tut sich damit etwas an, obwohl er nicht müsste. Das ist die Macht von Ideen, ob sie nun in einem kranken Gehirn entstehen oder in das von Indoktrinierten gesetzt werden. (Kurzer Zwischengedanke: Sind Gruppenillusionen grundsätzlich aggressiverer Natur als Einzelillusionen?)

Angst

Angst ist der treibende Faktor der Geschichte. Der Ich-Erzähler mag Stimmen hören und Zeichen sehen, aber was dahintersteckt, ist immer Angst. Er fürchtet sich vor Ansteckungen. Und selbst das mag nur eine vorgeschobene Angst sein, hinter der sich noch mehr versteckt. Denn hinter den meisten Ängsten steckt noch etwas anderes. Während der Pandemie fürchtet man sich absolut zu recht vor Ansteckung, aber der Protagonist meiner Geschichte fürchtet sich vielleicht mehr vor Menschen als vor Keimen, mehr vor Intimität und Berührung als vor Krankheit, mehr vor eigener Schwäche als vor fremden Viren. Vielleicht hält er sich selbst und sein Leben unter Kontrolle durch die Angst, um sich nicht den eigenen Dämonen stellen zu müssen.

Dass man sich nach der Lektüre von Quarantäne nicht nur über Perspektiven Gedanken macht, die man nicht kennt oder nicht versteht, aber die dennoch respektiert werden sollten, sondern auch darüber, wie Angst die eigene Perspektive auf die Welt verändern, verzerren kann. Daraus könnte vielleicht die Erkenntnis entwickelt werden, dass wir vorsichtiger sein sollten mit dem Verteilen von Urteilen und der Erschaffung von Ängsten. Ist der folgende Sprung zu weit? Drohungen und Angst mögen die Erziehung kurzfristig einfacher machen, aber sind niemals ein guter Start ins Leben.

Der Diskussion wegen

Warum zum faulen Apfel veröffentliche ich eine Geschichte, die man wahrscheinlich anders liest als sie ursprünglich gemeint war? Das schreit ja geradezu nach Missverständnissen. Eben deswegen. Denkansätze, Denkanregungen, Assoziationen. Das ist mein Ding. Quarantäne ist als Denkansatz konzipiert und als Perspektivwechsel. Tut mir einen Gefallen und nutzt beides! Denken und Perspektivwechsel helfen gegen Ignoranz.

Erschütterungen. Dann Stille.: Angerichtet

Über die Geschichte “Angerichtet” in “Erschütterungen. Dann Stille.”

Es ist angerichtet. Ich habe etwas angerichtet. Gerichte kann man essen oder man kann sich von ihnen verurteilen lassen.

In diesem Blogeintrag geht es um die kurze Erzählung Angerichtet im Buch Erschütterungen. Dann Stille., um Liebe und Kunst und die Symbolik von Zahlen. Wie immer ist das alles nicht ohne Spoiler machbar. Lest also bitte zuerst die Geschichte und dann diesen Blogeintrag.

Getrieben sein – oder – Manche Klischees sind keine, manche sehr wohl

Die grundsätzliche Idee für Angerichtet habe ich aus der Kunstgeschichte, und es ist mir peinlich, dass ich nicht mehr weiß, um welchen Künstler oder welche Epoche es sich handelte. Jedenfalls habe ich einmal von einem Maler gelesen, der sein Leben lang einer verheirateten Frau nachgejagt ist. Währenddessen hat er seine Sehnsucht und sein Leid genutzt als Antrieb für die Kunst. Viele Jahre, Briefe und Treffen später verließ die Dame seines Herzens ihren Gatten und bandelte mit dem Künstler an. Es brachen glückliche Zeiten an. Alles war gut. Das Problem war nur, dass der Künstler seinen Antrieb verloren hatte. Ohne Leid konnte er anscheinend nicht malen. Also verließ er die Frau.

Okay, hier ist das Problem (oder gleich mehrere):

  1. Dick move.
  2. Für viele Jahre hätte und habe ich derartigen Krempel gefeiert als Aufopferung für die Kunst.
  3. Aber er opfert nicht nur sein Glück, sondern auch ihres. Mal ganz davon abgesehen, dass wir uns, glaube ich, in dieser Geschichte in einer Zeit bewegen, in der die Frau tatsächlich mit Nichts mehr dagestanden hatte ohne Ehemann.
  4. Ist es das wirklich wert? Hat er es wirklich versucht? Hätte er es länger versuchen sollen? Das Klischee des ohne Leid nicht schaffen könnenden Künstlers hatte ich lange Jahre verinnerlicht. Es gehört noch immer zum Rollenbild der Kunstschaffenden. Das muss doch nicht sein. Zum Glück durfte ich inzwischen lernen, dass auch Kunst (in meinem Fall Literatur) Glück bringen und dass man auch ohne Krise schaffen kann.

Fazit: Er hat sich falsch entschieden. Ich hoffe, es war für die Dame in Frage die bessere Situation. Wer sich so entscheidet, wird nicht unbedingt gutes Partnerschaftsmaterial sein. Kommen wir zu trockeneren Themen.

Die Power der Uhr

Ist euch bewusst, welchen Einfluss die Zeitmessung auf das Leben der Menschen gehabt hat? Ist euch außerdem bewusst, dass es die Industrialisierung war, die die präzise Messung der Zeit massiv vorangetrieben hat, um Prozesse zu verbessern und Profite zu erhöhen? Wusstet ihr, dass es eine Zeit gegeben hat, relativ am Anfang der industriellen Revolution, in der Züge durch England gefahren sind und gelegentlich früher angekommen sind, als sie losgefahren sind? Es hat keine einheitliche Zeitangabe gegeben. Die Messung war die gleiche, aber die Uhren gingen buchstäblich überall anders, und gemessen hat die Kirchturmuhr. Alle Uhren im Ort zeigten die Zeit der Kirchturmuhr. Es hat keine Atom- und Funkuhren gegeben. Das waren noch Zeiten. Hat das alles etwas mit Angerichtet zu tun? Kaum.

Die Uhr als Symbol

Als ich einmal im Deutschunterricht wie selbstverständlich gesagt habe, die Jahreszeiten in einem Gedicht stünden für die Lebensabschnitte des Lyrischen Ichs, wurde ich mit großen Augen angeguckt. Nun, wird es euch wundern, dass man auch Uhrzeiten ähnlich nutzen kann?

Die Erzählung Angerichtet ist aufgeteilt in 4 Teilstücke, die jeweils mit der Angabe einer Uhrzeit beginnen. Morgens, nachmittags, abends, nachts. Am Morgen beginnt die Liebesgeschichte, am Mittag herrscht Ruhe, die Beziehung ist glücklich. Am Abend endet die Beziehung und in der Nacht blickt die Ich-Erzählinstanz auf den Tag zurück und rechnet ab, schaut sich an, was sie angerichtet hat.

Orientiert habe ich mich bei all dem nicht nur an der uralten Symbolik der Jahreszeiten, sondern auch an der Doomsday Clock: Die Doomsday Clock oder Weltuntergangsuhr oder Atomkriegsuhr oder Uhr des Jünsten Gerichts zeigt seit 1947 an, wie nahe wir einem Atomkrieg sind. Sie startete um „11.53 Uhr“ und Anfang 2020 wurde sie auf 100 Sekunden vor Mitternacht gestellt. 100 symbolische Sekunden vor dem Untergang der Welt durch eine atomare Apokalypse. Bekannt könnte die Doomsday Clock vielen aus den Watchmen Comics sein.

Ob nun Jahreszeitensymbolik, die am Ende des Jahres den Tod verortet, oder eine Uhr, die um Mitternacht das Ende der Welt fixiert hat, das Bild ist ähnlich und gut verständlich. Natürlich startet der Tag in Angerichtet auch im Bett, tatsächlich vormittags, was wenigstens am Anfang der Geschichte die Verwendung des Symbols natürlich erscheinen lässt.

Die verdammten Pythagoräer

Spätestens seit dem Blogeintrag Zahlen und Wunder, der von versteckten Zahlenbedeutungen in Sorck handelt, habe ich öffentlich kundgegeben, dass ich die bedeutungslose Nutzung von Zahlen in meinen Geschichten nicht leiden kann. Man könnte behaupten (und das werde ich auch tun), dass ich die Bedeutung der verwendeten Zahlen bereits ausreichend begründet habe. Trotzdem hatte ich versucht, jedem Detail, nicht nur der ungefähren Zeit, sondern der exakten, Bedeutung zuzuweisen. Dabei suchte ich mit schlechtem Erfolg bei den Pythagoräern nach Rat.

Die meisten kennen Pythagoras nur vom Satz des Pythagoras her und bringen ihn damit direkt mit der euklidischen Geometrie in Verbindung. Das ist nicht falsch. Pythagoras war allerdings nicht nur Mathematiker, sondern scharte auch Leute um sich in einer Art Sekte. Die Pythagoräer glaubten eine Menge wirres Zeug und vieles davon basierte auf Zahlenmystik – passend, oder?

Jedenfalls sind hier einige Dinge, die die Pythagoräer mit Zahlen in Verbindung brachten: Gerade Zahlen (besonders die 2) gelten als weiblich, ungerade als männlich. Daher war die 5 (2+3) das Symbol der Heirat. Die 1 war die Zahl der Gottheit, die der Welt zugrunde lag, und die 2, die erste Zahl darüber, stand auch für Kampf oder Diskussion oder Meinung. Viel Spaß dabei, die Uhrzeiten in Angerichtet auf diese paar pythagoräischen Bedeutungszuweisungen zu untersuchen! Es wird trotz aller Mühe nicht sauber klappen.

Und die Liebe? Die Liebe!

Angerichtet gehört zu den Geschichten in Erschütterungen. Dann Stille., die mir irgendwie rein erscheinen. Sie hat kein tiefes Problem, ist nicht überdreht oder großartig komplex. Es geht hauptsächlich um Gefühle, um die Entwicklung einer Beziehung und um eine Entscheidung, die wiederum in einem Gefühl mündet: Reue.

Was hinter der Entscheidung steht, was man sich als Leser*in selbst hinzuzudenken hat und Details haben natürlich eine gewisse Komplexität, aber man kann auch einfach lesen, schmunzeln und dann traurig werden. Es geht um Liebe, lasst das zu!

Erschütterungen. Dann Stille.: Trümmer

Über die Kurzgeschichte “Trümmer” aus “Erschütterungen. Dann Stille.”

Content Notes: Trauma, Suizid

Die begründete Ahnung, dass sich hinter der Lebensfassade anderer Menschen Höllen auftun könnten, fühlt sich grässlich an. Und doch bleibt den meisten von uns nur eine Ahnung, denn Wahrheiten tendieren dazu, sich desto seltener zu offenbaren, je schlimmer sie sind. Mehr als eine solche Ahnung einer furchtbaren Hintergrundgeschichte bleibt den Leser*innen der Geschichte Trümmer in Erschütterungen. Dann Stille. nicht als Erklärung.

In diesem Blogeintrag geht es um die Dinge, die man sieht, und solche, die verborgen bleiben. Spoiler sind unvermeidbar. Lest die Geschichte zuerst und dann diesen Text!

Was man sieht

Ein namenloser Protagonist zerstört die Welt, die er kennt. Moment, das ist schon interpretiert. Was man sieht? Ein namenloser Protagonist steht inmitten einer Explosion, die das Haus, in dem er aufgewachsen ist, zerreißt. Er selbst wird mindestens schwer verletzt, sein Tod wird am Ende angedeutet. Deutlich sind Freude und Friede im Angesicht des Untergangs zu sehen. Warum das alles? Wieso zur Hölle freut er sich so?

Was man hört

Die Explosion des Hauses ist keinesfalls der erste Anschlag des Protagonisten auf das Haus. Im Laufe seines Lebens verübte er mehrere, zunehmend ernsthaftere und erfolgversprechendere Angriffe. Zuerst sind es Feuchtigkeit und Schimmel, die jedoch das Gebäude nicht ruinieren können. Dann werden Türen und Fenster geöffnet, in der kindlichen Hoffnung, das Bild der Räuber, die ein ganzes Haus klauen, würde wahr. Vergebens. Am Ende des Rückblicks folgt die einzige Erklärung für die Zerstörungswut, welche über eine Geisteskrankheit hinausgeht: der Vater. Feuer, um Tränen zu trocknen. Denn das Haus sei des Vaters Leben gewesen.

Was man ahnt

Wie viel Wut und Ohnmacht muss man spüren, um ein Haus und sich selbst zu sprengen? Heutzutage ist viel zu häufig bewiesen worden, dass es für eine solche Wut nicht unbedingt Traumata bedarf, sondern dass Indoktrination und Gehirnwäsche ausreichen. [Man könnte Verbindungen herstellen zwischen Suizid, begleitetem Suizid (beispielsweise School Shootings) oder Suicide by Cop (was den Selbstmord durch tödliche Gewalt von Polizist*innen bezeichnet, provoziert durch einen Angriff) und Selbstmordattentaten herstellen, wobei jeweils die „Bühne“ größer wird und die Verschiebung der Probleme auf entferntere Bereiche (vom tatsächlichen Problem zum Glaubenskrieg).]

Rache ist zuallererst eine mentale Reaktion auf Machtlosigkeit in Form einer Fantasie. Ich erinnere mich nicht mehr, von wem ich es gelesen habe – Imre Kertész vielleicht? In jedem Fall ein KZ-Überlebender –, aber es hieß, dass die Ausführung der Rachefantasie im Moment, da sie machbar wird, keinen Sinn mehr ergibt, da sich die Ursache der Fantasie (die Machtlosigkeit) aufgelöst hat. Das scheint mir eine edle Idee zu sein, aber die unbeschreibliche Wut, die manche Erlebnisse (und Lebensphasen) mit sich bringen, wird nicht ausgelöscht durch den Fakt, dass die Phasen vorüber sind. Wut kann bleiben. Das führt meist zu desaströsen Konsequenzen, kann aber auch gut sein und die Zukunft retten.

Derartige wütend machende Phasen, um es mal kalt und euphemistisch zugleich auszudrücken, scheint es im Leben des Protagonisten gegeben zu haben. Ob er noch immer in einer solchen Phasen steckt oder ob sie durchstanden ist, kann man nicht wissen. Aber in beiden Fällen erscheinen mir Wut und Rache angebracht, wenn auch nicht in der dargestellten Form. Es gibt immer einen besseren Weg als jenen, der in die Literatur Einzug erhält, weil der literarische Weg zumeist überzogen und wirkungsstark designt ist. Er soll unterhalten und/oder symbolisch wirken. Die Taten meines Protagonisten stehen für seine Gefühle und damit wiederum für die Gefühle so vieler ruinierter Leben. Sie sind nicht dargestellt, damit sie nachgemacht werden oder um ähnliche Taten zu rechtfertigen. Ganz im Gegenteil. Sie sollen auf jene Taten hinweisen, die zu den dargestellten Taten geführt haben, und sie bestenfalls verhindern. Hört auf, Menschen zu Tätern zu machen, die ohne eure Einwirkung keine geworden wären!

Was am Ende übrig bleibt

Trümmer. Schutt und Asche. Ruinen, wo man hinblickt. Ich weiß, dass mein Blick auf die Welt zu häufig zu düster ist, aber ich weiß auch, dass Menschen mir mehr vertrauen als anderen. Ich habe Menschen zugehört, die mir die Hölle erzählten oder andeuteten. So viele gebrochene Menschen. Wer ohne zuzuhören durch die Welt geht, Signale übersieht und ganz besonders Freundinnen, Schwestern, Bekannten, Frauen nicht zuhört, kann nicht erkennen, was überall passiert. Mag sein, wer so durchs Leben geht, ist zufriedener (und ziemlich sicher ein Mann). Aber sch**ß auf deinen Komfort und schau hin!

Falsches Setting, oder?

Oh man. Auf Twitter habe ich es in der Entstehungsphase dieser Blogreihe mehrmals angedeutet, aber ich schreibe mich tatsächlich in Rage. Sicherlich wurde ich beim Verfassen von Trümmer inspiriert von den wirklich vielen Erzählungen mir bekannter Frauen über (zumeist) sexuelle Gewalt und der von mir bekannten Männern über Mobbing und nicht auslebbare Gewaltfantasien aufgrund kaum erträglicher Wut. Jedoch kann ich nicht ehrlich behaupten, dass diese Erfahrungen direkt in die Erzählung eingeflossen sind. Nicht immer habe ich ein komplettes Konzept. Das häusliche, familiäre Setting der Geschichte passt eigentlich nicht zu den Erfahrungen, von denen mir berichtet worden ist. Doch ich kam im Laufe der Gedanken über Trümmer auf diese Themen und so kann es den Leser*innen auch gehen.

Am Ende ist meine eigene Wut vermutlich entscheidender für die Geschichte als jede mir berichtete. Ändert das irgendetwas an Angst, Frustration und Widerlichkeiten, die andere regelmäßig durchleben? Ich denke nicht. Also ist auch dieser Text so in Ordnung.

Sorck: Fubar

In diesem Eintrag geht es hauptsächlich um einen einzigen Begriff, den ich als Namen für eine Kneipe im Roman Sorck verwendet habe. Achtung: Es wird ein wenig gespoilert werden.

Am Tiefpunkt von Martin Sorcks Reise, nachdem er vom schlimmsten Landgang der Kreuzfahrt zurückgekehrt ist, besucht er eine neu eröffnete Bar auf dem Schiff. Diese Bar nennt sich Fubar.

Im zweiten Weltkrieg entwickelten amerikanische Soldaten eine ganze Menge Slang-Wörter. Darunter war auch der Begriff „Fubar“, der eigentlich eine Abkürzung ist für „Fucked Up Beyond All Recognition“ – unwiederbringlich zerstört oder dermaßen verstörend, dass man es nie wieder vergessen wird. In Sorck spiele ich viel mit Kriegsbildern und -begriffen, um den inneren Kampf des Protagonisten darzustellen, der das Leben als ständigen Konflikt mit der Außenwelt erfährt. Zudem ist die Geschichte als Ganzes schon irgendwie fucked up. Eine Rückmeldung von einer Leserin sprach im positiven Sinne von „abgedrehtem Scheiß“. Außerdem treibt sich Martin Sorck häufig ins Bars herum, weshalb es naheliegend schien, „Fubar“ als Name einer dieser Bars, der schlimmsten von allen, zu verwenden.

Den Begriff selbst habe ich zum ersten Mal in Saving Private Ryan gehört, wo er, wenn ich mich recht erinnere, nicht erklärt wird. Also recherchierte ich ein wenig und fand heraus, was er bedeutet. In der Fubar begegnet man übrigens einer weiteren Kriegsfilm-Referenz. Es werden als Begrüßungsgeschenk rote Bandanas verschenkt, was vermutlich überflüssig erscheint, wenn man die Verbindung nicht herstellt. Im Film Deer Hunter sehen wir die Szene eines Veteranen, der psychisch nicht mehr in die normale Welt zurückkehren konnte, in der er Russisch Roulette spielt für Geld. Dabei tragen er und sein Gegenspieler rote Stirnbänder. Exakt diese Szene, auf die ich mich im Roman beziehe, wird auch aufgenommen im norwegischen Film Die Kunst des negativen Denkens, der wiederum am Anfang von Sorck erwähnt wird als einer der Gründe, aus denen er Skandinavien besuchen wollte. Beeindruckend an diesem Film war für mich immer die Mischung aus Humor, der sich direkt mit Szenen abwechselt, die furchtbar traurig sind. Durch dieses Wechselspiel schlagen die deprimierenden Stellen ganz besonders hart zu. Einen solchen Effekt wollte ich gerne in Sorck haben, aber ob ich das geschafft habe, weiß ich nicht recht.

Eigentlich wollte ich bloß über ein einziges Wort schreiben, Die Verknüpfungen zwischen dem Roman und anderen Kunstwerken und dieser Kunstwerke untereinander wiederum fällt eine solche Aufgabe nicht leicht. Ich hoffe, man wird mir vergeben.

PS: Das Titelbild dieses Eintrags zeigt übrigens eines der ersten Memes überhaupt, ebenfalls aus dem zweiten Weltkrieg.

 

 

 

Unter der Kategorie “Sorck” (im Klappmenü rechts) finden sich weitere Beiträge zum Roman.

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Das Taschenbuch kann man direkt bei Twentysix oder im Autorenwelt-Shop bestellen.

Außerdem ist es möglich, im Buchladen vor Ort ein Exemplar zu erhalten.

Die Bubbleproblematik der Selfpublisher*innen

Meinen ersten Roman habe ich als Selfpublisher veröffentlicht. Anfangs betrachtete ich diesen Weg als Notlösung, da ich keinen Verlag für Sorck finden konnte. Allerdings habe ich das Selfpublishing schätzen gelernt. Wenn man für alles selbst verantwortlich ist, kann man auch sämtliche Entscheidungen eigenständig treffen. Ich musste nichts aus dem Manuskript streichen, das ich nicht selber streichen wollte, konnte die Einteilung, den Buchsatz und das Cover allein bestimmen. Diese Freiheit schätze ich sehr und mit mir viele andere.

Leider gibt es aber auch etliche Nachteile. Leser*innen betrachten Autor*innen, die nicht über Verlage veröffentlichen, als weniger bedeutend oder unterstellen Unfähigkeit und mangelnde Professionalität. Zeit und gute Arbeit werden das ändern. Ein weiterer Nachteil ist die eingeschränkte Reichweite. Verlage, besonders die großen, haben die Erfahrung, das Budget und die Netzwerke, um effektiv für ihre Produkte zu werben. Uns unabhängigen Autor*innen mangelt es meist daran. Wir verlassen uns zum großen Teil auf Social Media und das ist ein guter Anfang. Leider begünstigen die Algorithmen von Twitter, Instagram und Co. uns nicht unbedingt. Die Bubbles, die sich bilden, bestehen zu großen Teilen aus Autor*innen, Lektor*innen und Buchblogger*innen. Um Netzwerke aufzubauen, sich gegenseitig zu unterstützen, zu lernen und Angebote vergleichen zu können, ist das super. Wenn man allerdings für die eigenen Werke werben möchte, hat man ein Problem. Das gleiche gilt für Hashtags, die sich innerhalb solcher Bubbles durchgesetzt haben. Wir finden einander, aber nur selten sucht jemand von außerhalb danach. Wer schreibt, liest üblicherweise auch. Einige Kund*innen kann man also erreichen. Buchblogs sind ebenfalls praktisch und wichtig. Sie könnten als Brücke zwischen Autor*innen-Bubble und Leser*innen dienen. Und dann gibt es natürlich noch Seiten wie Lovelybooks, die man nutzen kann. Oder man bezahlt für Werbung. Aber all diese Wege erfordern (von der bezahlten Werbung abgesehen, die sich in sozialen Netzwerken kaum bis gar nicht rechnet) eine bestimmte Eigenschaft beim Publikum: Es muss aktiv online suchen.

Sicherlich gibt es Personen, die das tun. Keine Frage. Literatur mancher Genres, die hauptsächlich von jüngeren Menschen gelesen werden, wird nicht mehr brauchen, als online zu werben. Mein Stil allerdings ist eigentlich nicht auf ein derartiges Publikum ausgelegt. Bis ich selbst begann, mich mit Selfpublishing auseinanderzusetzen, habe ich nie nach neuer Literatur online gesucht. Jedenfalls nicht über die angesprochenen Kanäle. Zugegebenermaßen lese ich am liebsten Klassiker. Aber ich lese auch Bücher, die mir empfohlen oder geschenkt wurden. Die meisten Bekannten von mir machen das ähnlich, nur dass dort häufig noch Reaktionen auf Werbung oder Artikel in Zeitungen/Zeitschriften hinzukommen. Ich würde soweit gehen, zu sagen, dass 80% derjenigen Leser*innen, denen mein Buch gefallen würde, nicht aktiv online nach neuer Literatur sucht. Entsprechend sehe ich mich gezwungen, auch andere Wege einzuschlagen. Daher kontaktierte ich vor einiger Zeit lokale Zeitungen und landete im Lokalteil der Ruhrnachrichten. Der Artikel zeitigte einen gewissen Erfolg. Ein weiterer Weg wären Lesungen, für die ich mich allerdings noch nicht bereit fühle. Außerdem gilt für Lesungen etwas Ähnliches wie vorhin: Das Publikum muss sich im Vorfeld bereits für solche Veranstaltungen interessieren. Seit einer Weile gehe ich jede Woche zu mindestens einer Buchhandlung und stelle mein Buch vor, damit es dort ausgelegt wird. Diesen Weg werde ich weitergehen und mir zusätzlich andere Möglichkeiten suchen oder sie notfalls erfinden.

Die beste Werbung für ein Buch ist seine Qualität. Mundpropaganda brachte mir bisher noch den größten Anteil an meinen Verkäufen. Mein Produkt ist gut und wer es kennengelernt hat, sagt es weiter. Das ist ein schöner Weg, der mich auch mental aufbaut, der aber leider viel Zeit kostet. Weitere Veröffentlichungen werden folgen und schrittweise wird die direkte und indirekte Werbung zum Erfolg führen. Da bin ich mir sicher.

Also unterstützt Künstler*innen, die ihre Träume verfolgen, um die globale kulturelle Landschaft zu bereichern! Redet mit ihnen, redet über sie, kauft ihre Werke und zeigt ihnen, dass sie den einzig richtigen Weg, nämlich ihren eigenen, gehen!

PS: Wenn ihr Buchblogger*innen seid und Interesse an Sorck habt, meldet euch! Ein paar Rezensionsexemplare warten hier noch.

Sorck: Picassos Gitarrist

Wie bereits im Text über den Künstler Nick Alm bespreche ich heute ein weiteres Bild, das im Roman Sorck vorkommt. Diesmal ist der Maler bekannter und das Bild eventuell auch. Es handelt sich um den alten Gitarristen von Pablo Picasso (1881 – 1973).

Dieses Bild sorgt noch deutlicher für eine passende Hintergrundstimmung als The Great Implosion von Nick Alm. Gezeigt wird ein alter, blinder Gitarrist, der in gekrümmter Haltung im Schneidersitz mit seinem Instrument in der Hand an der Straße kauert. Abgesehen von der Gitarre ist das gesamte Bild in Blautönen, gemischt mit Grau und Schwarz, gehalten. Es wurde am Ende von Picassos Blauer Phase gemalt, die sich durch ihre tristen Motive (und natürlich die Farbgebung) auszeichnete. Picasso hatte vor Beginn der Blauen Phase einen guten Freund durch Selbstmord verloren und lebte in großer Armut. Entsprechend melancholisch stimmt der Anblick des alten Gitarristen und passt damit sehr gut zur zwischenzeitlich hoffnungslosen Stimmung des Protagonisten Martin Sorck.

Die erste Antwort auf die Frage, warum ich gerade dieses Bild in Sorck erwähnte, ist damit beantwortet. Eine weitere Antwort wäre, dass es eins meiner Lieblingsbilder ist. Ein Kunstdruck hängt an meiner Wand. Wenn ich also etwas, das ich täglich betrachte, in mein Buch einbaue, stecke ich auch ein bisschen mehr von mir selbst hinein. Viele Schichten liegen dazwischen und als Leser*in erkennt man mich nicht dahinter, doch das Bild ist im Buch, weil es hier hängt und es hängt hier, weil es zu mir passt.

Ein weiterer Aspekt ist der Fokus des Bildes auf die Kunst, hier in Form einer Gitarre. Der alte Mann ist angewiesen auf seine Kunst, um zu überleben, er klammert sich daran, wie es für Picasso vermutlich auch war. In meinem Leben ist die Kunst, diesmal als Literatur, ebenfalls im Zentrum. Alles andere ordnet sich konzentrisch darum.

Erwähne ich den alten Gitarristen in meinem Roman, handelt es sich also um Kunst in Kunst, um etwas über Kunst und Künstler auszusagen, wenn man so will. Schicht über Schicht über Schicht und Aussage in Aussage. Ich schreibe nicht über mich selbst, sondern erscheine hier und da in Details, die mich verraten.

Als letzten Punkt wäre noch zu erwähnen (wie schon bei Nick Alm), dass ich Dinge, die ich mag, gerne populärer machen möchte. Jeder kennt den Namen Picasso, aber nicht jeder kennt dieses Bild. Vielleicht tue ich ja jemandem etwas Gutes, indem ich ihn/sie auf Neues (oder neues Altes) aufmerksam mache. Nutzt man sozusagen das vollständige Potenzial meines Buches aus, wird es zu einem multimedialen Ereignis, das aus Literatur, Bildern, Filmen und Musik besteht. Auch wenn ich kein großer Technikfreund bin, kann es eine Menge bringen, das Smartphone in Griffweite zu haben, während man Bücher liest: Schlagt unbekannte Wörter nach, schaut euch angesprochene Bilder an und hört die erwähnte Musik! Ich habe unheimlich viel durch Bücher gelernt und möchte mit Sorck etwas weitergeben.

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Sorck: Der Künstler Nick Alm

Der Roman Sorck enthält etliche versteckte oder offene Hinweise auf Werke anderer Autoren, Philosophen, Musiker, Filmemacher und auch Maler. Unter anderem wird zwei mal auf den schwedischen Maler Nick Alm hingewiesen, einmal direkt und einmal versteckt. Was es damit auf sich hat und was ich persönlich mit der Kunst Nick Alms verbinde, werde ich in diesem Artikel näher erläutern.

Grundsätzlich ist die Idee hinter den vielen Hinweisen recht simpel: Ich möchte Dinge, die mir gefallen, unterstützen. Außerdem stellen die verbauten Kunstwerke (und noch viele weitere) einen großen Einfluss auf mich und meine Arbeit dar. Es ist also eine natürlich Kreisbewegung, wenn ich meine Werke mit Dingen anreichere, die mir geholfen haben, die Werke zu verfassen. Ein weiterer Punkt ist, dass manche Gefühlszustände von Figuren im Grunde nicht genau dargestellt werden können. Man sich der akkuraten Darstellung nicht akkurat ausdrückbarer Zustände jedoch annähern. Das geschieht beispielsweise in der Lyrik, wenn Gefühle erschaffen werden, ohne dass sie im Text beschrieben sind. In der Malerei geschieht dies im Grunde auch, nur mit anderen Mitteln. Erwähne ich also ein Kunstwerk, baue ich die Szenerie sowohl optisch (für das innere Auge) als auch emotional aus. Da natürlich nicht jede*r Leser*in die angesprochenen Werke kennt, ist dieser Effekt ein Bonus und nicht notwendig, um die entsprechenden Szenen zu verstehen. Es gibt keine Stellen, an denen es hieße „er fühlte sich wie der Typ in dem Bild“. Das wäre auch zu einfach.

In den nächsten Wochen werde ich noch andere verbaute Kunstwerke, Filme, Bücher und Songs besprechen. Heute fange ich mit Nick Alm an. Doch ein kurzer Hinweis vorweg: ich bin leider absolut kein Kunstexperte.

Vor einigen Jahren habe ich in Stockholm Urlaub gemacht und besuchte eine Kunstausstellung für junge schwedische Künstler. Das allererste Bild, das ich sah und das mich magisch anzog, war The Great Implosion von Nick Alm. Man findet es inzwischen problemlos online. Im Mittelpunkt des Bildes ist ein Mann, der den Betrachter direkt ansieht. (Ich bin immer davon ausgegangen, dass der Künstler sich selbst dargestellt hat, habe es aber nie überprüft. Die Vorstellung gefällt mir und ich möchte nicht enttäuscht werden.) Er sitzt an einem Tisch mit einem Whiskey in der Hand und mit zwei anderen Männern. Wie im Tanz bewegen sich Kellner und Kellnerinnen seitlich und hinter ihm. Entfernt im Hintergrund sieht man, was ich immer für den Hafen Stockholms hielt. Ein Schiff steht quer im Wasser, sinkt möglicherweise gerade. Es könnte die Wasa sein, ein Kriegsschiff, das der ganze Stolz der schwedischen Marine sein sollte, bis es nach wenigen Metern auf der ersten Fahrt und noch im Hafen versank. Versinkender Stolz, betrunkene Menschen und ein Blick, der halb fragend und halb herausfordernd in die Seele dringt. Das schien mir damals zu mir zu passen und passt eindeutig zu Sorck.

Die Traurigkeit, das verschwommen Traumhafte und eben der Alkohol im Bild machten es zu einer idealen Erweiterung und Vertiefung der Szenerie meines Romans. Außerdem liebe ich dieses Bild einfach. Die meisten Werke Alms gefallen mir sehr, aber mit diesem fing für mich alles an und noch heute fasziniert es mich.

Alms Bilder wirken häufig auf den ersten Blick realistisch und voller Details. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, dass das nicht stimmt. Die Übergänge zwischen den Figuren und Gegenständen sind verwischt und zum Rand hin verschwinden die Details wie in einem Nebel, das Bild wird dünner. Dadurch steuert er, glaube ich, wo die Betrachter hinschauen, wo der Fokus liegt. Außerdem verleiht es den Bildern in meinen Augen etwas Magisches, etwas Verschwommenes. Im Fall von The Great Implosion könnte man auch meinen, dass man einen ähnlichen Zustand hat wie die dargestellten Personen.

Möglicherweise konnte ich hier etwas verständlich machen, inwiefern das besprochene Kunstwerk in den Roman passt, mich beeinflusst hat und ein klein wenig sogar Martin Sorcks Innenwelt darstellt. Vielleicht konnte ich sogar den ein oder anderen für Nick Alm interessieren. Er hat die Aufmerksamkeit verdient, wie ich finde.

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Sorck: Vorlage und Sinnzusammenhang

Der Reiseroman Sorck ist ein fiktionales Werk. Daran gibt es keinen Zweifel. Wie es bei vielen fiktiven Geschichten allerdings der Fall ist, hat das Werk etliche Wurzeln in der Realität und greift Geschehnisse auf, die wirklich passiert sind. In diesem Eintrag soll es weniger um die konkreten Vorlagen für Szenen des Buches gehen, sondern mehr um die Idee von Sinnzusammenhängen in der Literatur, wo in der Realität keine bestehen. Dennoch könnte es mir passieren, dass minimal gespoilert wird.

Wer Sorck gelesen hat, weiß, dass meine Reise auf einem Kreuzfahrtschiff niemals so ausgesehen haben kann. Die Reise an sich, also eine Kreuzfahrt mit Landgängen an den im Buch vorkommenden Stellen und Besuchen in den meisten der beschriebenen Orte, habe ich 2013 mit meinem Bruder und meinen Eltern gemacht. Damals hatte ich noch keine Ahnung, dass ich einmal einen Roman darauf fußen lassen würde. Ansonsten hätte ich vermutlich mehr Fotos geschossen und mehr Notizen gemacht. Mein Bruder und ich teilten uns eine Innenkabine, ähnlich der, die Martin Sorck im Buch bewohnt. Ich kann mich an keinen Reisetag erinnern, an dem ich mich nicht in den Schiffsbars betrunken hätte, also wäre die Parallele ebenfalls abgehakt. Niemand wird ernsthaft gedacht haben, dass ich mir so viel Suff zusammenspinne, um eine Figur zu zeichnen, oder? Eines Nachts kam ich in die Kabine zurück und mein Bruder schlief bereits. Als ich das Licht anmachte, wachte er halb auf und schlug mehrmals auf das Bild eines Sonnenaufgangs an der Wand, weil er im Halbschlaf dort die Lichtquelle vermutete. Das könnte der Ursprung meiner Idee des Wandbildes im Roman gewesen sein. Leider basieren einige Szenen, die im Buch allerdings massiv überspitzt wurden, ebenfalls auf Erlebnissen. Das Ende des Besuchs im Petersburger Museum kommt in Sorck tatsächlich extrem nahe an das heran, was damals dort geschah. Eduardo hat ebenfalls eine reale Vorlage in einem sehr sympathischen Kellner, den ich leider nicht näher kennenlernte.

Wie bereits gesagt, habe ich alle realen Vorlagen überspitzt, verändert und erweitert, ihnen einen anderen Rahmen verpasst und Geschehnisse hinzuerfunden. Der Roman hat mit den Geschehnissen, die ich erlebte, so viel zu tun, wie ein Haus mit einem Berg, aus dem die Mauersteine geschlagen wurden.

Doch was, wenn ich alle Geschehnisse nacherzählt hätte, wie ich sie erlebte? Das wäre eine Autobiographie. Stelle ich aber einen Erzähler dazwischen und eine Figur, die nicht ich bin – das sollte ich hier ganz deutlich sagen: Martin Sorck bin nicht ich, auf den Gedanken sollte hier niemand verfallen –, ändert sich alles. Dadurch, dass aus einem realen Geschehnis das Erlebnis einer fiktiven Figur wird, wird auch das Geschehnis fiktiv und steht in anderem Kontext. In der Realität gehorchen Geschehnisse lediglich den Gesetzen der Kausalität – Newton sitzt unter dem Baum, es ist windig, der Apfel wurde ausreichend geschüttelt und ist reif genug, also fällt er herunter –, während in der Literatur den gleichen Geschehnissen ein Sinn zugeordnet wird: Newton musste exakt dort sitzen, der Apfel fiel nicht zufällig, sondern nur und mit dem vorgefassten Plan, der Figur Newton die Idee der Gravitationsgesetze einzuhämmern. Betrinkt sich der Autor Matthias Thurau auf einem Kreuzfahrtschiff, sagt das vielleicht etwas über seinen Charakter und sein Leben aus, aber ist keineswegs notwendig für sein weiteres Leben, nicht geplant, nicht Teil eines größeren Sinnzusammenhangs. Betrinkt sich die Figur Martin Sorck, hat das einen Sinn und kann innerhalb des Kontexts des Romans verstanden werden. Das, was wir Schicksal nennen, ist in der Literatur Standard, während es in der Realität bloß die Hoffnung auf eine Bedeutung unserer Existenz ausdrückt. Möglicherweise entstand die Literatur aus dem gleichen Gedanken und hat daher diese Parallelen. Tschechows Gewehr besagt, dass ein Gewehr (→ irgendein Gegenstand, Bestandteil), das am Anfang der Geschichte an der Wand hängt (→ auftaucht, erwähnt wird), spätestens am Ende der Geschichte zum Einsatz kommen muss (→ nicht überflüssig sein darf). In der Realität ist ein Gewehr bloß ein Gewehr – ohne Gewehr gibt es keinen Tod durch Erschießen, aber nur weil die Waffe vorhanden ist, bedeutet das nicht, dass unbedingt jemand sie benutzen muss (oder, um es komplizierter zu machen, es eine besondere Bedeutung hätte, wenn jemand es eben nicht benutzt). Dieses Spiel der Bedeutungen von Dingen, die im echten Leben bedeutungslos sind, habe ich im Roman hier und da auf die Spitze getrieben und beispielsweise Sinn in Zahlen (Zimmernummern etc.) codiert.

Eine Bemerkung zu einem Effekt, den ich immer interessant fand und der an das Thema anschließt: Das Leben eines Menschen wird gerne von seinem Tod oder seinen Lebenshöhepunkten aus interpretiert. Sartre verstand das bereits als Kind (oder behauptete dies in Die Wörter). Er zitierte Zeilen aus Büchern, die er nicht verstand, oder sagte kryptische Dinge, die keinen Sinn hatten, aber so klangen, als hätten sie welchen, mit dem spezifischen Ziel, den Erwachsenen die Erinnerung daran zu geben, dass er bereits als Kind dazu auserkoren war, ein Schriftsteller und Philosoph zu werden. Vor einiger Zeit hörte ich im Radio von einem Fußballer, der bereits als Kind und Jugendlicher lieber Fußball gespielt hat, als zur Schule zu gehen. Hier spürt man es deutlicher als bei Sartre: es gibt unzählige Kinder und Jugendliche, die lieber Fußball spielen, als zur Schule zu gehen. Aus den meisten wird aber kein Profi. Aus Sartre hätte auch kein Schriftsteller werden müssen. Die Bedeutung wird erst im Nachhinein hinzugedichtet. Jede Biographie berühmter Menschen arbeitet damit. Es hätte aber auch ganz anders kommen können. Nur in der Kunst gibt es einen höheren Sinn auch in den kleinsten Dingen. Das ist einer der vielen Gründe, warum ich die Literatur der Realität vorziehe.

Eine Leseprobe des Romans gibt es hier: Sorck: Leseprobe

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